Kasuistik

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Histiocytosis X (eosinophiles Granulom) der Karunkel A. Stanowsky', H. F. Krey', Th. Wagner2

Zusammenfassung Bei einer 1 ljahrigen Patientin wurde eine primar als AbszeB imponierende, 2 x 3 mm groBe Veranderung innerhalb der rechten Karunkel beobachtet. Der Prozefl bildete sich nach lokaler Tetrazyklintherapie nicht zuruck und wurde exzidiert. Die histologische Untersuchung ergab eine Histiocytosis X, speziell em eosinophiles Granulom. Histiocytosis X (Eosinophilic Granuloma) of the Lacrimal Caruncle _____________________________________

The lacrimal caruncle of an 11-year-old female patient developed a 2 mm x 3 mm-sized growth with the primary appearance of an abscess. The process did not regress under local antibiotic therapy and was excised. Histological examination revealed histiocytosis X (eosinophilic granuloma).

Neue Erkenntnisse lassen em immunologisches Geschehen vermuten (10, 11). Alle Erscheinungsformen der Histiocytosis X sind durch eine Proliferation von Langerhans-Zellen (12-15) charakterisiert, einer besonderen Form von Histiocyten beziehungsweise Retikulumzel-

len, die der Antigenaufnahme und -prasentation dienen und normalerweise verstreut in der Haut (16), aber auch in Lymphknoten und im Thymus vorkommen. Die meist mononuklearen, nur gelegentlich auch mehrkernigen Langerhans-Zellen besitzen charakteristische, scharf konturierte, unregelmal3ig eingekerbte und gelappte Zelikerne und em breites, blaB eosinophiles Zytoplasma. Von Bedeutung fur die histologische Diagnosesicherung einer Histiocytosis X ist der immunhistologische Nachweis von Protein S-100 (17) und in Zweifelsfallen der elektronenmikroskopische Nachweis der Langerhans- oder Birbenck-

schen Granula im Zytoplasma der Langerhans- beziehungsweise Histiocytosis X-Zellen (5, 18, 19). Zusätzlich sind eosinophile Granulozyten, Plasmazellen und Lymphozyten in unterschiedlicher Auspragung vorhanden.

Kasuistik Einleitung

Eosinophile Granulome sind innerhaib des ophthalmologischen Fachbereiches selten. Beschrieben wurden sie bislang vorwiegend im Bereich der Orbita (1— 6). Nach einem Vorschlag von Lichtenstein (7) werden das eosinophile Granulom, die Hand-Schuller-Christiansche und die Letterer-Siwesche Krankheit als Manifestationen em und derselben nosologischen Entität zusammengefallt und als Histiocytosis X bezeichnet.

Die Histiocytosis X kann sich als solitare oder multiple Läsion (8) in einem Organsystem (am haufigsten im Knochen) oder als disseminierte Erkrankung mit Befall mehrerer Organe manifestieren. Behandlung, Prognose und Terminologie hangen im wesentlichen vom Ausbreitungsstadium ab. Während die gewohnlich nur bei Sauglingen und Kleinkindern auftretende, systemische Letterer-Siwesche Erkrankung haufig letal endet, zeigen die erst bei alteren Kindern und Erwachsenen in Erscheinung tretende Hand-Schtiller-Christiansche Erkrankung und das Eosinophile Granulom eine weniger disseminierte oder lokalisierte Ausbreitung und gUnstige Prognose, teilweise mit spontaner Remission (9).

Bei der 1977 geborenen Patientin wurde im Oktober 1988 eine 2 x 3 mm grol3e, als Abszell imponierende Veranderung der rechten Karunkel festgestellt (Abb. 1). Vorausgegangen war eine lokale antibiotische Therapie durch den behandelnden Augenarzt, wobei sich nach 8tagiger Applikation keine Befundbesserung zeigte. Anschlieflend erfolgte Uberweisung an unsere Klinik. Bei der Erstuntersuchung fanden wir neben dem tumorOsen Prozell eine mal3ige, begleitende konjunktivale Injektion. Eine lokale Druckschmerzhaftigkeit bestand nicht. Die Obrigen Augenabschnitte waren regelrecht. Nach Fortsetzen der lokalen antibiotischen Therapie mit Tetrazyklinen uber weitere 7 Tage war weiterhin keine

Befundanderung zu verzeichnen. Wir entschlossen uns, nach Tropfanasthesie der Bindehaut (Proxymetacain-HCL) und aligemeiner Sedierung eine komplette Tumorexzision vorzunehmen.

Der histologische Befund (Abb. 2 a, b) ergab em Infiltrat, welches typische Histiocytosis X-Zellen

aufwies mit deutlich erkennbarer Kernmembran. Die

Kernmembran wies Einkerbungen beziehungsweise Kern-

lappungen auf, das Zytoplasma war eosinophil. Eingestreut waren eosinophile Leukozyten unter Ausbildung eosinophiler Mikroabszesse. Immunhistochemisch rcagierten die histiozytaren Elemente mit einem Antikorper gegen S-lOU Protein. Die Diagnose Histiocytosis X (Lan-

Kim. MbI. Augenheilk. 199 (1991) 359—361

1991 F. Enke Verlag Stuttgart

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'Augenklinik (Arztlicher Leiter: Prof. Dr. H. F. Krey) 2lnstitut fur Pathologie (Arztlicher Leiter Prof. Dr. R. Backmann) des Zentralklinikums Augsburg

A. Stanowsky undMitarb.

360 KIm. Mbl. Augenheilk. 199 (1991)

4

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Abb. 1

Klinischer Befund vor chirurgischer Intervention.

1 gerhans-Zeligranulomatose), speziell eosinophiles Granu-

lom, wurde auch von dem Referenzpathologen, Herrn Prof. Harms, Abteilung fur Paidopathologie am Institut fur Pathologie des Klinikums der Christian-Albrechts- Abb. 2 a Eosinophies Granulom der Karunkel (HdmatoxylinEosin, 40-fache Vergrölterung). Oberfldchhcb teilweise abgeUniversität Kid, bestatigt. Wenige Tage spater wurde die Patientin stationr in die Kinderklinik des Zentralklinikums Augsburg zur Durchuntersuchung aufgenommen. Hierbei ergab sich kein Hinweis auf eine systemische Erkrankung. Eine spezifische Therapie wurde daher nicht eingeleitet. Bei einer im August 1989 erneut vorgenommenen Durchuntersuchung ergab sich weiterhin kein Hinweis fur eine systemische Erkrankung.

flachtes, aufgelockertes Epithel, diobte subepitheliale zeiuldre Infiltration und eosinopbile Mikroabszesse lPfeile). 2 b Eosinophiles Granulom bei starker VergroRerung lHämatoxylin-Eosin, 400-fach). Gemischtzelliges Infiltrat aus eosinophilen Granulozyten und typischen Histiozytosis-X Zeten mit gelappten, scharf begrenzten Kernen und blassem Zytoplasma (Pie ii).

Literatur

Diskussion

Em unifokales, eosinophiles Granulorn der Karunkel stelit eine sehr seltene Erkrankung dar. Berichte hieruber konnten wir in der ophthalmologischen Literatur bislang nicht finden. Pau (20) berichtete Uber em eosinophiles Granulorn der Lidbindehaut, Jakobiec (21) Uber em mogliches eosinophiles Granulom der vorderen Orbita, weiches sich in Richtung Karunkel ausbreitete. Die Prognose hangt entscheidend von der Lokalisation der Herde (unifokal/multifokal) sowie vom Lebensalter zum Zeitpunkt der Diagnose ab (8, 16). Da bei der Patientin bislang keine weiteren Organmanifestationen auftraten, ist zu hoffen, daB die primare Exzision einen kurativen Emgriff darsteilte. Es erscheint uns daher vorteilhaft, derartige Befunde nach Moglichkeit nicht mit Kortison oder seinen Derivaten zu behandein, urn eine Verschleierung beziehungsweise systemische Ausbreitung zu vermeiden (22).

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Histiocylosis X (eosinophiles Granulom) der Karunkel

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Dr. Alexander Stanowsky Augenklinik Zentralklinikum Augsburg Stenglinstr. 2 D-8900 Ausburg

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[Histiocytosis X (eosinophilic granuloma) of the caruncle].

The lacrimal caruncle of an 11-year-old female patient developed a 2 mm x 3 mm-sized growth with the primary appearance of an abscess. The process did...
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