D) DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT

Nr. 25 Jahrgang 104

Stuttgart, 22. Juni 1979

Hormonrezeptoren und Mammakarzinom Immer mehr onkologisch tätige Ärzte, die sich mit dem Mammakarzinom beschäftigen, fordern vor Einsatz von hormonellen oder chemotherapeutischen Maßnahmen den Nachweis von Steroidhormonrezeptoren im Tumorgewebe. Dieser Steroidhormonrezepor-Nachweis dient zur Selektion horinonabhängiger und hormonunabhän-

für andere Metastasenlokalisationen. Es hat sich gezeigt, daß in etwa 15% aller Fälle eine Änderung von positi-

giger Tumoren. I)ie ersten Ergebnisse über klinische Korrelationen (1, 6) sind inzwischen an mehr aIs 1500 Fällen in retrospektiven und prospektiven Studien be-

ausschlaggebend sein.

stätigt worden. Steroidhormonrezeptoren (im folgenden kurz Rezeptoren genannt) sind zelluläre Proteir.,e, die für die Antwort der Zelle auf ein hormonelles Signal Voraussetzung sind. Man findet sie demnach nur in endokrinen Erfolgs-

Organen. Sie sind streng spezifisch für die einzelnen Steroidhormone.

In Zellen des menschlichen Mammakarzinoms hat man Rezeptoren für die meisten Steroidhormone - also Ostrogene, Androgene, Gestagene und Corticosteroide -

sowie membrangebundene Rezeptoren für Prolactin nachweisen können. Fakten hinsichtlich klinischer Korrelationen liegen vor allem für die Östrogenrezeptoren vor.

Demnach haben Patientinnen, in deren Tumorgewebe keine oder sehr geringe Mengen an iDstrogenrezeptoren nachweisbar sind, praktisch keine Chance, auf eine endo-

krine Behandlung mit einer Remission zu reagieren. Diese Feststellung läßt sich für alle Arten einer endokrinen Behandlung - additive oder ablative Maßnahmen » treffen. Über Antiöstrogene liegen jedoch noch nicht ausreichend Erfahrungen vor. Andererseits finden sich bei Patientinnen mit positivem Rezeptornachweis objektive Remissionen (nach den Kriterien der American

Cancer Society und der European Organisation for Research on Treatment of Cancer) nach endokriner Behandlung nur in etwa 60% aller Fälle. Hierfür kommen verschiedene Ursachen in Betracht: Der zytoplasrnatische Rezeptor, der heute im allgemeinen bestimmt wird, ist der erste, wenn auch obligate Faktor in einer biochemischen Reaktionskette, die naturgemäß auch an anderer Stelle unterbrochen sein kann. Die entnommene Gewebsprobe, zum Beispiel der Primärtumor oder eine Metastase, ist nicht repräsentativ 0012-0472/79

vem zu negativem Rezeptorbefund bei Untersuchung des Primärtumors und einer Metastase möglich ist (4). Selten ist der Wechsel vom negativen zum positiven Re-

zeptorbefund. Hierfür könnten methodische Gründe Der Tumor ist multikional aufgebaut, das heißt, die Gewebsprobe besteht aus einem Mosaik von hormonabhängigen und hormonunabhängigen Zellen. Für eine solche Situation sprechen radiohistochemische Untersuchungen (9). Trotz gleichen Rezeptorgehaltes reagieren die verschiedenen Metastasierungslokalisationen unterschied-

lich auf eine endokrine Behandlung. Hierfür spricht die klinische Erfahrung, daß zum Beispiel viszerale Metastasen schlechter auf eine endokrine Therapie ansprechen als kutane Metastasen. Zur Beurteilung des Therapieerfolges werden zu scharfe Kriterien herangezogen. Um internationale Studien vergleichbar zu machen, muß das Kriterium der objektiven Remission gewählt werden, das heißt, eine Läsion muß meßbar um mehr als 5O% zurückgehen.

Geringere Remisionen und stationäre Zustände oder das Fortschreiten irgendeiner Metastase bei Remission einer anderen Lokalisation gilt als Therapieversager. Für die Patientin und den Kliniker sind dies aber keineswegs immer Versager, zumal sie häufig mit einer subjektiven

Remission verbunden sind. Berücksichtigt man allein Fälle, bei denen es zu einem Status quo oder einer partiellen Remission gekommen ist, so finden sich in der rezeptorpositiven Gruppe immerhin 74%, die auf eine Hormontherapie ansprechen (7).

Bessere Korrelationen erzielt man durch die zusätzliche Bestimmung des Progesteronrezeptors. Seine Bildung setzt die intakte Reaktionskette der biochemischen

Östrogenwirkung auf die Zelle voraus. McGuire und Mitarbeiter (8) konnten zeigen, daß der Nachweis beider

Rezeptoren in einer Tumorgewebsprobe in über 80% von Fällen mit metastasierendem Mammakarzjnom mit einem Ansprechen auf eine alleinige endokrine Therapie korreliert. Ebenfalls ist eine Verbesserung der Korrela-

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Dtsch. med. Wschr. 104 (1979), 893-894 © Georg Thieme Verlag, Snittgart

Maass, Jonat: Hormonrezeptoren und Mammakarzinom

tion durch den Nachweis des nukleären Östrogenrezeptors zu erwarten. Ein positiver Östrogenrezeptor-Nachweis im Kern scheint beweisend für ein intaktes Ostrogenrezeptor-System zu sein. Auch der Nachweis weiterer Rezeptoren (Androgen-, Corticosteroid-Rezeptor) scheint die Korrelation zu verbessern. Inzwischen gibt es Hinweise darauf, daß der Rezeptor-

status mit dem Ansprechen auf eine Chemotherapie korrelieren könnte. Danach ist die Remissionsrate in rezeptornegativen Fällen höher als in rezeptorpositiven (2, S). Allerdings gibt es auch gegenteilige Beobachtungen (3).

Der Nachweis der Rezeptoren ist durch eine Reihe von Verfahren möglich. In die Routine eingeführt sind Methoden, die die Eigenschaft der Rezeptoren ausnutzen, radioaktiv markierte Steroide mit hoher Affinität zu binden. Durch die Kohleabsorptionsmethode ist eine Trennung von gebundenem und freiem Hormon möglich. Die in Deutschland am häufigsten eingesetzte Methode der Agargel-Elektrophorese (10) nutzt die Ladung des Hormonrezeptorkomplexes in der Elektrophorese aus. Der Steroidhormon-Protein-Komplex wandert anodisch, während überschüssiges, freies Steroid in Richtung

auf die Kathode verschoben wird. Arbeitsmäßig und apparativ ist die Kohleabsorptionstechnik am wenigsten aufwendig. Bei allen zur Zeit anwendbaren Methoden wird etwa 200 mg Tumorgewebe zur Bestimmung benötigt. Diese relativ große Gewebsmenge stellt neben der Notwendigkeit der dauernden Kühlung um O °C von der Exzision des Gewebes bis zur Beendigung des Versuches eines der wichtigsten technischen Probleme dar. Die Bedeutung der Rezeptoranalyse für eine gezielte adjuvante Therapie von primären Mammakarzinomen mit hohem Risiko ist noch nicht abzusehen. Der Nutzen dieser Bestimmung als Entscheidungshilfe für die Therapie des metastasierenden Mammakarzinoms ist jedoch heute trotz der bestehenden Probleme unumstritten. Es wird da-

Deutsche Medizinische Wochenschrift

durch erreicht, daß einerseits eine unwirksame endokrine Maßnahme bei Rezeptormangel vermieden wird, andererseits aber der Einsatz einer nebenwirkungsfreien endokrinen Therapie bei ausgewählten rezeptorpositiven Fällen mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit erfolgen kann, die derjenigen einer aggressiven Polychemotherapie, nämlich

60-70%, entspricht. Da der Befund im Primärtumor weitgehend repräsentativ für das Verhalten später auftretender Metastasen ist, muß folgerichtig mit aller Intensität angestrebt 'werden, bei allen Patientinnen, die an einem Mammakarzinom erkrankt sind, eine Hormonrezeptorbestimmung im Tumorgewebe durchführen zu lassen. Hierfür ist die Einrichtung weiterer Zentren erforderlich, die zum Beispiel in Form von Einsendelaboratonen die Bestimmung durchführen können. Literatur Jensen, E. V., G. E. Block, S. Smith, K. Kyser, E. R. De Sombre: Estrogen receptors and breast cancer response to adrenalectomy. Cancer Inst. Monograph. 34 (1971), 55.

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Prof. Dr. H. Maass, Dr. W. Jonat Frauenklinik Zentraikrankenhaus St.-Jürgen-Straße 2800 Bremen 1, St.-Jürgen-Straße

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[Hormone receptors and breast carcinoma].

There are indications that the status of hormone receptors in breast cancer tissue is related to the success of chemotherapy to treat breast cancer. R...
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