Langenbecks Arch Chir (1992) 377:211-215

Langenbecks Archlyf rChirurgie © Springer-Verlag 1992

Wieviele Vorkenntnisse verlangt die Sonographie des stumpfen Abdominaltraumas? M. RiJthlin, R. N~if, M. Amgwerd, D. Candinas, O. Trentz Departement Chirurgie (Direktor: Prof. E Largiad6r), Universit/itsspital, R/imistral3e 100, CH-8091 Zfirich Eingegangen am 14. August 1991

How much experience is necessary for sonography in blunt abdominal trauma? Summary. Between July, ]st 1989 and June, 30th 1991, 312 patients were entered into a prospective study concerning the reliability of sonographic evidence in blunt abdominal trauma. There were 231 male and 81 female patients aged between 15 and 88 years (mean: 39.9 years). The sonographic team consisted of one experienced sonographer/surgeon ( > 4000 examinations) and 3 sonographic beginners ( < 200 examinations at the start of the study). The experienced sonographer and the beginners examined 168 and 144 patients, respectively. Patient distribution to the two groups was done according to the sonographic duty roster without consideration of injury severity. The examination was performed with a mobile ultrasound unit at the surgical intake as part of the primary diagnostic work-up. It consisted of four sonographic views (right and left lateral longitudinal, suprapubic and epigastric transverse view) and took about 2 rain. Clinical evidence supporting blunt abdominal trauma could only be found in 64 cases, while in 153 patients physical examination was equivocal due to assisted ventilation or paraplegia. Sensitivity and specificity for the clinical examination amounted to 80.6% and 44.5%, respectively. Sensitivity and specificity for the sonographic finding of intraabdominal liquid were 100 % each for the experienced sonographer and 96% and 100%, respectively for the beginners. Organ lesions were demonstrated with a sensitivity and specificity of 45 % and 99 % by the experienced and 36% and 100% by the beginners. The experienced sonographer misdiagnosed one case of free intraabdominal gas, which could not be corroborated both by clinical and radiological evidence. The patient was not operated on. The beginners misdiagnosed one ruptured spleen with intraabdominal liquid demonstrated on the 4 th day after admission on CT-scan. Again no operation was necessary. One rupture of the liver and one rupture of the spleen each were missed by the beginners due to a lack ofintraabdominal fluid. In the first case this was due to lethal blood loss through a ruptured tho-

racic aorta, in the second case the tear was so superficial it was quickly sealed by a clot. The goal of the primary sonographic examination in blunt abdominal trauma is the demonstration of intraabdominal liquid. Considering these results, we conclude that only limited sonographic experience is needed for the diagnosis of intraabdominal liquid.

Key words: Sonography - Blunt abdominal trauma Zusammenfassung. Vom 1. Juli 1989 bis zum 30. Juni 1991 wurden 312 Patienten mit stumpfem Bauch- oder Thoraxtrauma prospektiv erfal3t. Es handelte sich um 231 M/inner und 81 Frauen im Alter yon 15-88 Jahren (durchschnittlich 39,9 Jahre). Das Sonographieteam bestand aus einem erfahrenen Sonographen ( > 4000 Untersuchungen) und 3 Anffingern (< 200 Untersuchungen zu Beginn der Studie). Der erfahrene Sonograph untersuchte 168, die Anf/inger zusammen 144 Patienten. Die Verteilung der Patienten erfolgte zuffillig und ohne Berficksichtigung des Verletzungsausmal3es aufgrund des Dienstplans. Die Untersuchungen wurden im Rahmen der Prim/irdiagnostik mittels eines mobilen Schallgerfits in der chirurgischen Notfallstation durchgefiihrt. Sic bestanden in je 4 sonographischen Schnitten (rechter und linker, lateraler L/ingsschnitt; suprapubischer und epigastrischer Querschnitt) und dauerten ungef/ihr 2 rain. Klinische Anzeichen ffir ein stumpfes Bauchtrauma konnten nur bei 64 Ffillen gefunden werden, w/ihrend bei 153 Patienten die klinischen Befunde wegen Intubation und Relaxation oder Paraplegic nicht verwertbar waren. Sensitivit/it und Spezifitfit der Sonographie ffir die Entdeckung yon intraabdominaler Flfissigkeit betrug je 100% beim Erfahrenen, respektive 96 und 100% bei den Anf/ingern. Organl/isionen konnten sonographisch durch den Erfahrenen bei 45 % und durch die Anf/inger bei 36% der F/ille dargestellt werden. Der erfahrene Sonograph diagnostizierte f/ilschlicherweise bei einem Patienten freies, intraabdominales Gas, welches radiologisch und durch den Verlauf nicht best/itigt werden konnte. Die Anf/inger fibersahen eine Milzruptur mit

212 intraabdominaler Blutung, welche am 4, Tag durch Computertomographie entdeckt wurde. Je eine Milz- und Leberruptur wurden wegen des Fehlens einer intraabdominalen Blutung fibersehen. Das Ziel der prim/iren, sonographischen Untersuchung des traumatisierten Patienten ist der Nachweis von freier F1/issigkeit. Angesichts unserer Resultate schieBen wir, dab eine beschr/inkte sonographische Erfahrung von ca. 200 Untersuchungen fiir die Diagnostik freier intraabdominaler Flfissigkeit ausreicht.

I m Laufe der letzten Jahre hat sich die Sonographie nicht zuletzt dutch die Ausfibung durch den behandelnden Chirurgen - zu einem wertvollen, verl/i61ichen Instrument in der Diagnostik des stumpfen Abdominaltraumas entwickelt. I m deutschsprachigen R a u m hat sie vielerorts die Peritoneallavage weitgehend oder vollkommen verdr~ingt, wfihrend sie in den Vereinigten Staaten weiterhin aus verschiedenen Griinden auf groBe Skepsis st66t [18]. Trotz der guten Ergebnisse publizierter Studien [1, 2, 6, 7, 13] und zunehmender Verbreitung der Methode an chirurgischen Kliniken in Deutschland, (3sterreich und der Schweiz, bietet die Ausbildung des Chirurgen in der Sonographie noch vielerorts groBe Probleme. Dies wirft die Frage auf: Wieviel Ultraschallerfahrung braucht der Chirurg, u m sonographisch auf eigenen FiiBen stehen zu kSnnen? Diese Frage wird in der Literatur nur in einer Arbeit aufgeworfen [4] und sollte bier durch eine prospektive Studie a m Beispiel der Sonographie des stumpfen A b d o m i n a l t r a u m a s gekl~rt werden.

Patientengut

und Methodik

Zwischen dem 1. Juli 1989 und dem 30. Juni 1991 wurden 312 Patienten mit stumpfem Bauchtrauma in die Studie aufgenommen. Es handelte sich um 231 M~inner und 81 Frauen im Alter von 15-88 Jahren (Durchschnitt: 39,9 Jahre). Unfallursache waren bei ca. 80% Verkehrsunf~lle, gefolgt von Stiirzen aus grSBerer HShe und Delikten. Bei 240 F~illen (76,9%) handelte es sich urn Polytraumapatienten oder Mehrfachverletzte, bei den restlichen 72 Patienten (23,1%) um solche mit einer Monoverletzung des Abdomens. Dabei ist der Polytraumapatient definiert als ein Patient mit 3 und mehr Verletzungen, von denen jede potentiell tSdlich verlaufen k6nnte, w~hrend beim Mehrfachverletzten diese Lebensgef~ihrdung fehlt [13]. Die Aufnahmekriterien sind aus Tabelle 1 ersiehtlich. Als Indexverletzungen, welche auf intraabdominale Verletzungen hindeuten k6nnen, wurden Rippenfrakturen (n=101), Kontusionsmarken (n = 51) und Hfimaturie (n = 13) angesehen. Die klinische Untersuchung wurde als positiv bewertet, wenn die Symptome Abdominalschmerzen, Druckdolenz, Abwehrspannung und ungekl~irter Schockzustand einzeln oder in Kombination beobachtet wurden. Die Klinik wurde bei intubierten, relaxierten Patienten und bei paraplegischen Patienten als fraglich beurteilt und nicht ffir die Indikation znr Sonographie berficksichtigt. Die Ultraschalluntersuchung erfolgte in der Notfallaufnahme oder im Schockraum mit einem mobilen Ger~t (Aloka SSD 630) und einem 3,5 MHz-Konvex-Schallkopf. Das Untersucherteam bestand aus einem sonographisch erfahrenen Chirurgen (>4000 Untersuchungen) und 3 sonographischen Anf~ingern. Deren Vorbildung beschr~inkte sich auf 100-200 Untersuchungen unter Anleitung und Kontrolle des erfahrenen Sonographen. Untersuchungen der Studie, welche dutch den Erfahrenen kontrolliert wurden, wur-

Tabelle 1. Aufnahmekriterien ffir die Studie - Polytraumatisierte Patienten ungeachtet der Klinik - Mehrfachverletzte ungeachtet der Klinik -

Monoverletzte mit positiver Klinik

-

Monoverletzte mit Indexverletzungen

den seinem Kollektiv zugerechnet und nur selbst~indig ohne Supervision durchgeffihrte wurden fiir die Anf'~ingergruppe gezfihlt. Im Zeitraum der Studie haben die Anfgnger selbst~ndig je insgesamt zwischen 300 und 600 Untersuchungen mit verschiedenen chirurgischen Fragestellungen vorgenommen, was eine Erfahrung am Ende der Studie von 400-800 Untersuehungen ergibt. Die Untersuchung umfa6te 4 Standardschnitte [15]. Im rechts-lateralen L/ingsschnitt wurden rechte Niere, rechter Leberlappen, Zwerchfell, Pleuraraum und Morrison-Pouch beurteilt. Im links-lateralen L/ingsschnitt wurden Milz, Zwerchfell, linke Niere und Pleuraraum begutachtet. Im epigastrischen Querschnitt erfolgte die Beurteilung von Perikard, linkem Leberlappen und Pankreas, w/ihrend der suprapubische Querschnitt fiber Flfissigkeit im Douglas-Raum Auskunft geben sollte. Der ganze Untersuchungsgang nahm in der Regel nicht mehr als 2 rain in Anspruch. Der Untersuchungszeitpunkt wurde nach der klinischen Untersuchung und w/ihrend der Installation der verschiedenen ZugS.nge angesetzt. Bei polytraumatisierten Patienten mit negativem und solchen mit zweifelhaftem Befund wurden im weiteren Verlauf sonographische Kontrollen vorgenommen. Das Ergebnis dieser Kontrollen ging in die unten erw~ihnten Resultate ein. Die sonographischen Befunde wurden sofort schriftlich und bei Nachweis yon Pathologie mittels Thermoprinter festgehalten. Zusfitzlich wurden Begleitverletzungen, Klinik und eventuelle Therapie sowie intraoperative Befunde der Patienten festgehalten. Bei operativ behandelten Patienten wurde die Befundkontrolle anhand des intraoperativen Befunds vorgenommen. Bei Patienten mit negativem Sonographiebefund und fehlenden abdominalen Komplikationen im sp~iteren Verlauf, wurde der Befund als richtignegativ abgegeben. Konservativ behandelte Patienten mit positivem, sonographischem Befund wurde teilweise durch CT oder MRI kontrolliert. Die in der Folge angegeben Spezifit~tsraten basieren auf der Annahme, dab alle anderen Patienten mit freier Flfissigkeit ebenfalls eine Organl~ision aufwiesen, was dutch Verschwinden der Flfissigkeit bei sonographischen Kontrollen im Verlauf dokumentiert wurde.

Ergebnisse

Von den 312 untersuchten Patienten pr~sentierten sich 96 (30,8%) mit einem positiven klinischen Befund, wfihrend dieser bei 63 (20,2%) negativ und bei 153 Patienten (49,0%) unklar ausfiel. Bei 71 Patienten (74,0%) mit positiver Klinik war die Sonographie negativ. Keiner dieser Patienten mugte im sp~teren Verlauf laparotomiert werden. Bei 6 Patienten (9,5%) konnte bei negativer, klinischer Untersuchung ein sonographischer Befund erhoben werden. Bei 5 Ffillen wurde konservativ vorgegangen, abet in einem Fall mugte wegen einer Leberruptur laparotomiert werden. Der weitaus gr6gte Teil der Patienten lieg keine klinische Beurteilung des A b d o m e n s zu. Hier war die Sonographie bei 34 Ffillen (22,2%) positiv. Es ergibt sich also ffir die klinische Untersuchung eine Sensitivit/it und Spezifit/it von 80,6 bzw. 44,5%. Art und Hfiufigkeit der erhobenen Ultraschallbefunde sind in Tabelle 2 dargestellt. Der h/iufigste pathologische

213

Tabelle 2. Art und H/iufikeit der Ultraschallbefunde

Begleitverletzungen

Total

Operation

8

- Freie Fliissigkeit

52

25 (48%)

7 Wn=6

- Organl/isionen - Leber - Milz - Andere

24 2 10 12 (3)"

13 i 8 4

6- I n = 7

- Retroperitoneales Hfimatom

10

Total

65

(54%) (50%) (80%) (33%)

3 (30%) 25

i

n=2

54-

n = 31

32-

" Organl/isionen ohne freie Fliissigkeit I

0 Tabelle 3. Sensitivitfit und Spezifit/it der UltraschaUuntersuchung

Anf/inger

Erfahrener

Freie OrganFlfissig- 1/ision keit

Freie OrganFlfissig- lfision keit

Richtig-positiv Richtig-negativ Falsch-positiv Falsch-negativ

21 122 0 1

9 119 0 16

31 137 0 0

Sensitivit/it Spezifit/it

96% 100%

36% 100%

/00% 100%

45% 99%

Positiver Vorhersagewert Negativer Vorhersagewert

100%

100%

100%

94%

99%

88%

100%

88%

15 136 1 18

Befund war die freie Fliissigkeit, welche bei 52 F/illen (16,7%) beobachtet wurde. Die Ursache ftir die Blutung war bei 20 Ffillen eine Milzruptur, bei 8 eine Leberruptur und bei 4 F/illen eine L/ision anderer Organe. Z.T. lagen mehrere Verletzungen beim selben Patienten vor. 27 Patienten wurden bei stabilem Befund konservativ behandelt und sonographisch bis zum Verschwinden der Fliissigkeit nachkontrolliert. Organl/isionen konnten bei 24 (7,7%) - 3 davon ohne freie Flfissigkeit- und retroperitoneale Hfimatome bei 10 F/illen (3,2%) diagnostiziert werden. Werden alle Untersuchungen zusammen betrachtet, so ergibt sich ffir den sonographischen Nachweis von freier Fliissigkeit eine Sensitivit/it und Spezifit~t von 98,1 bzw. 100%. Fiir die Erfassung von Organl/isionen sind Sensivitit/it und Spezifit~t mit 41,4 und 99,6% zu beziffern. Von den 312 Patienten wurden 168 (53,8%) durch den Erfahrenen, 144 (46,2%) durch die Anf/inger untersucht. Der erfahrene Sonograph fand in 31 Ffillen (18,5%) freie Flfissigkeit und in 15 F/illen (8,9%) eine Organl/ision. Er diagnostizierte einmal freie Luft, welche nicht best~itigt werden konnte. Falsch-negative Befunde bei der Bestimmung freier Fliissigkeit kamen nicht vor. Es ergab sich daraus eine Sensitivit/it und Spezifit/it fiir den Nachweis freier Flfissigkeit von je 100% und ffir das Aufspiiren von Organl/isionen von 45 und 99% (Tabelle 3). Die Anf/in-

I

10

I

20

I

I

30 40 Patienten

I

I

I

50

60

70

Abb. 1. Anzahl der Begleitverletzungen bei 312 Patienten mit stumpfem Bauchtrauma

ger konnten freie Flfissigkeiten bei 21 (14,6%) und Organl/isionen bei 9 (6,3%) von 144 untersuchten F/illen nachweisen. Freie Fliissigkeit und Milzruptur wurden bei einem Patienten verpaBt und erst am 4. Tag mittels Computertomographie nachgewiesen. Falsch-positive Befunde wurden nicht erhoben. Eine Leberruptur und eine Milzruptur ohne begleitende freie Fliissigkeit im Abdomen konnten durch die Sonographie nicht diagnostiziert werden und wurden bei der Autopsie bzw. der Laparotomie aus anderen Griinden erfagt. Daraus ergibt sich fiir die Anf/ingergruppe eine Sensitivit/it und Spezifit/it in der Bestimmung freier Flfissigkeit von 96 und 100% sowie fiir die Erfassung von Organl/isionen von 36 und 100%. Die h/iufigste Begleitverletzung war das Sch/idel-HirnTrauma in 212 Ffillen (66,0%). Die Anzahl der Begleitverletzungen ist der Abb. I zu entnehmen.

Diskussion

Der Zusatz ,,ist dem Erfahrenen vorbehalten" wird in der Chirurgie h/iufig im Zusammenhang mit Operationen verwendet. Neuerdings muB aber der Chirurg in Deutschland und in der Schweiz nicht nur operieren, sondern auch sonographieren k6nnen. Gelten dort dieselben Regeln? Noch 1988 gab es in Deutschland lediglich 35 chirurgische Kliniken, wo eine sonographische Ausbildung m6glich, d.h. ein ,,Erfahrener" vorhanden war [9]. In der Schweiz waren zum selben Zeitpunkt an 31 Kliniken chirurgische Kollegen mit sonographischer Vorbildung besch/iftigt [14]. Es ist also naheliegend, dab auch Chirurgen mit wenig Sonographieerfahrung - etwa nach Besuch eines Anf/ingerkurses oder einer kurzen Hospitation - an ihrer Klinik mit der sonographischen Diagnostik beginnen. Einer der ersten Anwendungsbereiche f/Jr die Sonographie, wo solche KoUegen eingesetzt werden, ist zweifellos die Notfallsonographie. Nun stellt sich die Frage: Ist der Einsatz sonographischer Anf/inger in der Notfalldiagnostik vertretbar und welche Resultate ergeben sich dabei? Dieser Fragestellung sind wit mit der vorliegenden Untersuchung nachgegangen.

214 Tabelle 4. Literaturtibersicht: Sensitivitfit und Spezifit/it fiir die sonographische Bestimmung yon freier Flfissigkeitim Abdomen Autor

Patienten Sensitivitfit Spezifit/it n % %

Aufschnaiter u. Kofler [1] F6rster et al. [4] Griissner et al. [5] Hoffmann et al. [6] Ruf et al. [16] Roscheck et al. [13] Seifert et al. [17] Kohlberger et al. [7] Bouillon et al. [2] Peiper et al. [11] Eigene Resultate

128 88 51 314 226 50 60 103 726 526 312

100 94 81 100 94 96 85 95,5 92 87,7 98,1

100 96 92 99,1 100 100 100 97,5 99 99,3 99,6

Die beiden untersuchten Patientenkollektive unterschieden sich bezfiglich Schweregrad der Verletzung und H/iufigkeit sonographisch pathologischer Befunde nur unwesentlich. Die Tatsache, dab der Erfahrene allein mehr Patienten untersucht hat, als die Anf/inger zusammen, 1/igt sich dadurch erkl/iren, dab in einer ersten Ausbildungsphase s/imtliche Untersuchungen unter Aufsicht des Erfahrenen erfolgten und hier nur diejenigen Untersuchungen als ,,Anf/ingeruntersuchungen" gez/ihlt wurden, welche diese nach Abschlul3 der Anlernphase (insgesamt 100-200 Untersuchungen verschiedener Fragestellung) selbst/indig durchgefiihrt haben. Die Aufteilung in die Gruppen erfolgte dann entsprechend dem Sonographiedienstplan - also rein zuf/illig. Sowohl die v o n d e r Anf/ingergruppe als auch die vom Erfahrenen erreichten Sensitiv/its- und Spezifit/itswerte ffir freie Fliissigkeit sind gut mit denjenigen der Literatur vergleichbar (Tabelle 4). Die h/iufig - insbesondere im amerikanischen Sprachraum - als konkurrenzierende Methode angesehene Peritoneallavage zeigt in der Literatur/ihnliche Ergebnisse, ist aber invasiver und zeitaufwendiger [3, 8, 10, 12]. Lediglich bei der Dfinndarmverletzung kann die Peritoneallavage durch Bestimmung der Fliissigkeitsqualit/it im frtihen Stadium der Sonographie noch iiberlegen sein, wenn nicht bereits sonographisch oder radiologisch freie Luft nachge~viesen werden kann. Der Unterschied zwischen den vonder Anf~ingergruppe und den vom Erfah-renen erzielten Werten ist gering und sicher tolerabel, wenn man bedenkt, dab bei einem zweifelhaften Befund immer die Kontrolle durch die frfiher fibliche Peritoneallavage m6glich ist. Von dieser M6glichkeit wurde in der Anfangsphase der Studie in 5 F/illen Gebrauch gemacht, wobei nur einmal ein zweifelhafter sonographischer Befund durch die Lavage als eindeutig positiv und laparotomiebedtirftig deklariert wurde. Falsch-positive Ergebnisse, wie sie etwa bei Patienten mit Aszites denkbar w/iren, sind in unserem Krankengut nicht beobachtet worden. Der eine Fall mit freier Fltissigkeit und Milzruptur, welcher durch einen Anf/inger iibersehen wurde, wurde erst am 4. Tag durch ein aus andern Grfinden durchgefiihrtes Computertomogramm entdeckt. Eine Operation war nicht n6tig. Dieser Fall und vermutlich auch der Fall, bei dem autoptisch eine Leberruptur ohne freie Fliissigkeit im Abdomen festgestellt wurde, ist da-

durch bedingt, dab Patienten h/iufig zu einem Zeitpunkt prim/Jr sonographiert werden, wo die Schockbehandlung noch nicht voll zum Tragen kommt. Die Blutung ins Abdomen setzt dann im gr613eren Mage erst ein, wenn der Kreislauf stabilisiert ist, d.h. nach der prim/iren, sonographischen Untersuchung [7, 11, 17]. Dieses Ph/inomen verdeutlicht die Wichtigkeit einer regelm/il3igen, sonographischen Nachkontrolle w/ihrend der weiteren Behandlung und sp/iter auf der Intensivstation. Bei dem Patienten mit Leberruptur verhinderte die gleichzeitige Ruptur der thorakalen Aorta eine Stabilisierung, so dab er verstarb, bevor eine sichtbare Blutung ins Abdomen auftreten konnte. Die 2. verpal3te Milzruptur war so oberfl/ichlich, dab die Blutung durch ein aufsitzendes Koagel komplett gestillt wurde, ohne dab bei der Operation Blut im Abdomen zu finden war. Auch bier w/ire wahrscheinlich eine konservative Behandlung m6glich gewesen. Die Sensitiv/it der Sonographie ffir die Erfassung von Organl/isionen liegt in der Literatur bei 42% [1, 6] und ist damit mit dem hier erhobenen Wert (41,4%) praktisch identisch. Der Nachweis freier Luft im Abdomen ist auch heute noch eine vorwiegend radiologische Diagnose. Es ist durchaus m6glich, freie Luft sonographisch vor der Leber darzustellen, doch ergeben sich durch Hautemphysere, Chilaiditi-Syndrom und Pneumothorax Fehlerquellen, welche die radiologische Kontrolle, insbesondere bei kleineren Gasmengen, wiinschenswert machen. Die Vorteile der Sonographie gegeniiber der frfiher verwendeten Peritoneallavage ergeben sich durch die fehlende Invasivit/it. Je nach Technik weist die Peritoneallavage eine Komplikationsrate bis zu 5,7% auf [10]. Die sonographische Untersuchung ist beliebig wiederholbar und erlaubt eine engmaschige Kontrolle auch in der Intensivstation. Die Untersuchung dauert nur einen Bruchteil der Zeit, welcher fiir die Einlage einer Peritoneallavage angesetzt werden mug (6-14 min) [8] und 1/il3t sich, falls n6tig, gleichzeitig mit anderen diagnostischen und therapeutischen Manipulationen vornehmen. Im Gegensatz zur Peritoneallavage lassen sich auch retroperitoneale Verletzungen darstellen. In gewissen Grenzen ist die intraabdominale Fliissigkeit sonographisch quantifizierbar und durch sequentielle Untersuchungen im Verlauf besser beurteilbar als bei der Peritoneallavage. Die Sonographie erlaubt durch die sequentielle Kontrolle und eventuelle Darstellung der L/ision eine konservative Therapie kleinerer, intraabdominaler L/isionen, welche beim Management durch Peritoneallavage operativ angegangen werden miil3ten. Nicht zuletzt ist die durch diese Studie belegte, leichte Erlernbarkeit der Sonographie des Traumapatienten ein gewichtiges Argument ffir die Sonographie als Screening-Untersuchung bei dieser Fragestellung. Die Peritoneallavage kann n6tigenfalls anfangs noch als Kontrolle eingesetzt werden, bis eine genfigende Sicherheit in der sonographischen Untersuchung erreicht ist. In Beantwortung der eingangs gestellten Frage k6nnen wir aufgrund unserer Ergebnisse feststellen, dab auch sonographische Anf/inger freie Fliissigkeit im Abdomen mit guter Treffersicherheit diagnostizieren k6nnen, w/ihrend w/ihrend bei der Darstellung von Organl/isionen eine gr6i3ere Erfahrung die Ausbeute verbessert.

215

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[How much experience is required for ultrasound diagnosis of blunt abdominal trauma?].

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