Leitthema HNO 2014 DOI 10.1007/s00106-014-2925-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

I. Manzini1 · J. Frasnelli2 · I. Croy3 1 Institut für Neurophysiologie und zelluläre Biophysik, DFG-Forschungszentrum Mikroskopie im

Nanometerbereich und Molekularphysiologie des Gehirns (CNMPB), Universität Göttingen, Göttingen 2 Département d’Anatomie, Université du Québec à Trois-Rivières, Trois-Rivières (Québec) 3 Department of Clinical Neurophysiology, University of Gothenburg, Göteborg

Wie wir riechen und   was es für uns bedeutet Grundlagen des Geruchssinns

Das Riechen ist, neben der taktilen Wahrnehmung, das phylogenetisch älteste Sinnessystem. Beim Menschen spielt das Riechvermögen eine wichtige Rolle bei der Nahrungsaufnahme, der zwischenmenschlichen Kommunikation, der Vermeidung von Krankheiten und bei der Aufrechterhaltung des psychischen Gleichgewichts. Im vorliegenden Artikel werden die anatomischen und physiologischen Grundlagen des Riechens beschrieben: das Riechepithel, in dem sich die Sinneszellen befinden, der Bulbus olfactorius und seine Glomeruli sowie die verarbeitenden Zentren im Gehirn.

Bedeutung des Riechvermögens Die Sinne bestimmen die Wahrnehmung der Welt. Zu welchen Objekten wendet man sich hin, was wird vermieden? Dies ist ein emotionaler Vorgang: Es wird vermieden, was Angst macht, eklig ist oder Unwohlsein auslöst. Man orientiert sich hin zu Dingen, die angenehm sind, Freude bereiten oder Belohnung versprechen. Vereinfacht gesagt, lösen die Sinne im Zusammenspiel mit Erfahrungen und dem momentanen Haushalt des Körpers (z. B. Hunger) Gefühle aus, die das Verhalten bestimmen. Das Riechen ist, neben der taktilen Wahrnehmung, das phylogenetisch älteste Sinnessystem. Das Vorderhirn der ersten Wirbeltiere wurde weitgehend von

Riechfunktionen bestimmt. Die gleichen Strukturen finden sich noch immer beim Menschen, wenn auch deutlich ergänzt um neuere Strukturen [1]. Gefühle und Riechwahrnehmung haben sich vermutlich evolutionär gemeinsam höher entwickelt. Die zentrale Verarbeitung olfaktorischer Stimuli beruht weitgehend auf limbischen Strukturen. Als Resultat der evolutionären Geschichte werden Riechfunktionen großteils in den gleichen Zentren verarbeitet, die auch das Gefühlsleben steuern. Diese Verbindung macht den Effekt von Gerüchen unmittelbar und emotional. Fehlt der Riechsinn, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Depressionen deutlich. Ein Viertel bis ein Drittel der Patienten mit erworbenen oder angeborenen Riechstörungen hat depressive Symptome (Überblick über die Auswirkungen von Riechstörungen in [2]). Umgekehrt zeigen sich auch bei Menschen mit Depressionen deutliche Einschränkungen in der Riechfunktion und -verarbeitung, die teilweise reversibel sind [3]. Bei allen riechenden Spezies werden durch Gerüche ganz basale Fakten für die Selbst- und Arterhaltung signalisiert: Gibt es verträgliche Nahrung, potenzielle Partner oder Feinde im Umkreis? Beim Menschen werden solche Informationen durch andere Sinneskanäle präziser und schneller verarbeitet, allen voran das Sehen und Hören. Gerade für die zwischenmenschliche Kommunikation signalisieren auditive und visuelle Reize die Präsenz, Emotionen und Absichten anderer Menschen

deutlich besser. Die Bedeutung des Riechsinns für Menschen wird demnach eher unterschätzt. D Gerüche vermitteln für Menschen

wichtige Funktionen, wie Nahrungsaufnahme, Vermeidung mikrobieller Risiken, Partnerwahl und Kommunikation [4]. Riechen bestimmt, was wir essen und ob Essen eine Freude oder Pflicht ist. Menschen, die ihr Riechvermögen im Lauf des Lebens verlieren, beklagen als Haupteinschränkung Probleme bei der Nahrungsaufnahme und versehentlichen Verzehr verdorbener Lebensmittel. Etwa zwei Drittel der Patienten berichten, ihr Essen seit Beginn der Störung weniger genießen zu können [5], über die Hälfte berichtet von Problemen in der Essenszubereitung [6]. Gerüche lösten rasch Ekelgefühle aus, und dieser Effekt hat eine wichtige Funktion zur Abwehr potenzieller Krankheiten. Bei Menschen mit Riechverlust finden sich demnach häufiger hygienebezogene Sorgen [7]. Zudem beeinflussen Gerüche menschliches Sozialverhalten. Dies geschieht oft unbewusst. So signalisieren Gerüche beispielsweise, ob andere Menschen aus Angst oder Anstrengung schwitzen [8], sie spielen eine Rolle in der Mutter-KindBindung und sind eng mit Belohnung geDie drei Autoren haben gleichermaßen zu dieser Arbeit beigetragen. HNO 2014 

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Abb. 1 8 Geruchsrezeptorfamilien. Größe der Geruchsrezeptorfamilien bei verschiedenen Wirbeltieren. Die Anzahl der Pseudogene ist jeweils in Klammern angegeben. Die Information zur Anzahl der Rezeptorgene bei den verschiedenen Spezies wurde [18, 20, 29] entnommen. OR Allgemeine Geruchsrezeptoren, V1R vomeronasale Rezeptoren Typ 1, V2R vomeronasale Rezeptoren Typ 2, TAAR Rezeptoren für Spurenamine, FPR Formylpeptidrezeptoren, GC-D membrangebundene Guanylatzyklasen

koppelt [9]. Gerüche können auch signalisieren, ob potenzielle Partner genetisch zueinander passen [10]. Bei Patienten mit erworbenen oder angeborenen Riechstörungen finden sich entsprechend erhöhte soziale Unsicherheit [11] und vermindertes sexuelles Verlangen [12, 13].

Peripheres olfaktorisches System Riechepithel Das menschliche Riechepithel setzt sich, wie auch bei anderen Wirbeltieren, im Wesentlichen aus Basalzellen, Stützzellen und Sinneszellen zusammen. Basalzellen befinden sich in der basalen Schicht des Epithels und sind neuronale Stammzellen. Ihre Aufgabe ist es, Riechsinneszellen, aber auch Stützzellen zu ersetzen. Obwohl vom Nager kugelförmige und horizontale Basalzellen bekannt sind [14], gehören die meisten menschlichen Basalzellen dem kugelförmigen Typ an [15]. Stützzellen durchspannen das gesamte Riechepithel, isolieren benachbarte Sinneszellen voneinander, produzieren zusammen mit den Bowman-Drüsen den nasalen Schleim (Mukus), beteiligen sich an der Aufrechterhaltung des Ionengleichgewichts und synthetisieren neuromodulatorische Substanzen [14, 16]. Riechsinneszellen haben eine mittlere Lebenserwar-

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tung von etwa 1–2 Monaten, sind bipolar ausgerichtet und bestehen aus einem Zellkörper mit einem apikalen Dendriten und einem basalen Axon. Die Dendriten enden in einem Riechköpfchen, welche der Geruchswahrnehmung dienende Zilien tragen. Neben Riechsinneszellen mit Zilien wurde beim Menschen auch eine kleine Population mikrovillärer Zellen mit noch unklarer Funktion beschrieben [17].

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Das Riechepithel setzt sich v. a. aus Basalzellen, Stützzellen und Sinneszellen zusammen Im Gegensatz zu vielen Säugetieren sind beim Menschen funktionelle Riechsinneszellen auf das Hauptriechepithel beschränkt, das sich in der Nasenhöhle am Oberrand der oberen Nasenmuschel und auf der gegenüberliegenden Fläche der Nasenscheidewand befindet. Das vomeronasale Organ, welches bei vielen Säugern eine zentrale olfaktorische Funktion ausübt [18], hat sich beim Menschen zu einer Struktur ohne zentrale Verbindung zurückgebildet.

Geruchsrezeptoren Bei Wirbeltieren wurden bisher 5 verschiedene Familien von Geruchsrezepto-

ren beschrieben: allgemeine Geruchsrezeptoren („odorant receptors“, OR), vomeronasale (nach ihrem Expressionsorgan in Nagern benannte) Rezeptoren Typ 1 und 2 (V1R und V2R), Rezeptoren für Spurenamine („trace amine-associated receptors“, TAAR), und Formylpeptidrezeptoren (FPR). Zusätzlich fungieren bei Nagern auch membrangebundene Guanylatzyklasen als Geruchsrezeptoren. FPR und membrangebundene Guanylatzyklasen als Geruchsrezeptoren wurden bisher nur bei Nagern beschrieben. Fast alle Geruchsrezeptoren gehören zur Superfamilie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (Übersicht in . Abb. 1 und [18]). Beim Menschen, wie auch bei den meisten anderen Wirbeltieren, bilden Geruchsrezeptoren die größte Genfamilie im Gesamtgenom, die Anzahl der Gene der verschiedenen Familien variiert in unterschiedlichen Spezies aber enorm. D Es gibt etwa 400 intakte

Rezeptorgene beim Menschen. Darüber hinaus findet sich eine ähnlich große Anzahl von nicht mehr funktionsfähigen Pseudogenen. Davon gehört die große Mehrheit (388) der OR-Familie an. Des Weiteren besitzen Menschen 5 intakte V1R und 6 intakte TAAR, aber keinen intakten V2R. Formylpeptidrezeptoren sind beim Menschen noch nicht beschrieben worden. Einzelne Sinneszellen exprimieren i. d. R. ein einziges Rezeptorgen aus einer der genannten Rezeptorfamilien. Die komplexen Mechanismen, die die Expression von Geruchsrezeptorgenen regulieren, sind noch weitestgehend unverstanden, auch wenn in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht wurden [19]. Diese – auch als „Ein-Neuron-einRezeptor-Regel“ bekannte – Genexpression impliziert, dass die Anzahl der Geruchsrezeptoren einer Spezies gleichzeitig die Anzahl ihrer Sinneszellsubpopulationen widerspiegelt [19]. Die Mehrzahl der gut erforschten Geruchsrezeptoren zeigt eine deutliche Spezifität für einige wenige, häufig chemisch verwandte Duftstoffe auf. Einzelne Duftstoffe werden aber i. d. R. durch mehrere Rezeptoren erkannt. Dies zeigt, dass einzelne

Zusammenfassung · Abstract Duftstoffe durch unterschiedliche Kombinationen von aktivierten Rezeptoren, und somit Sinneszellen, erkannt werden [20]. Einige Geruchsrezeptoren bei Nagern, hauptsächlich vomeronasale Rezeptoren, sind aber sehr spezifisch und erkennen nur einen einzigen oder sehr wenige Duftstoffe [20]. Die Erforschung der Wechselwirkung zwischen Geruchsstoffen und Rezeptoren steht insgesamt aber noch in den Anfängen. Duftstoffe können unterschiedlichster Natur sein. Die Bandbreite der Duftstoffe, die von Wirbeltieren wahrgenommen werden können, reicht von Gasen (z. B. Schwefelwasserstoff oder Kohlenstoffdioxid) über niedermolekulare organische Stoffe (Aldehyde, Amine, Aminosäuren, Alkohole, Steroide, Gallensäuren, Nukleotide) bis hin zu Peptiden und Proteinen (MHC-Peptide und „major urinary proteins“, kurz MUP). Viele dieser Duftstoffe werden auch vom Menschen wahrgenommen [21].

Signaltransduktion in Riechsinneszellen Nach Bindung eines Duftstoffs an einen Geruchsrezeptor entsteht in der Sinneszelle ein depolarisierendes Rezeptorpotenzial. Erreicht die Depolarisation einen gewissen Schwellenwert, wird eine Salve von Aktionspotenzialen ausgelöst. Die Rezeptor-Duftstoff-Interaktion führt zur Aktivierung eines spezifischen olfaktorischen G-Proteins (Golf ), welches daraufhin eine Adenylatzyklase des Typs III einschaltet, durch die der Second Messenger zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP) synthetisiert wird. Dieser wiederum öffnet nichtselektive CNG-Kanäle („cyclic nucleotide-gated“), durch welche in der Mukusschicht der Riechschleimhaut vorhandene Na+- und Ca2+-Ionen in das Innere der Zilien der Sinneszellen strömen. Dieser Vorgang führt zu einer Depolarisiation der Zilienmembran. Die einströmenden Ca2+-Ionen öffnen daraufhin Chloridkanäle (Anoctamin 2), durch die Cl− Ionen aus der Sinneszelle strömen, die eine Verstärkung des Transduktionssignals bewirken (Übersicht in . Abb. 2 und [18, 20]). In der Zilienmembran exprimierte Na+/K+/2Cl− Cotransporter (NKCC1) und Cl−/HCO3−-

HNO 2014 · [jvn]:[afp]–[alp]  DOI 10.1007/s00106-014-2925-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 I. Manzini · J. Frasnelli · I. Croy

Wie wir riechen und was es für uns bedeutet. Grundlagen des Geruchssinns Zusammenfassung Die Ursprünge des Geruchssinns liegen in der Wahrnehmung von Umgebungsmolekülen und reichen bis zu einzelligen Lebensformen wie Bakterien zurück. Gerüche liefern uns eine große Vielzahl von Informationen über die chemische Zusammensetzung unserer Umgebung. Der Geruchssinn trägt bei Menschen und Tieren zur Orientierung und Warnung bei Gefahren bei, beeinflusst die Wahl des Sexualpartners, kontrolliert die Nahrungsaufnahme und hat letztendlich Einfluss auf die gesamte Gefühlswelt und unser Sozialverhalten. Die Detektion von Duftstoffen beginnt in Sinneszellen im Riechepithel, die in ihrer Plasmamembran spezialisierte GProtein-gekoppelte Rezeptormoleküle, sog. Geruchsrezeptoren, exprimieren. Bindet ein Duftstoff an einen Rezeptor, wird eine Transduktionskaskade ausgelöst, die den Duft-

reiz in elektrische Signale umwandelt. Diese Signale werden über Axone der Sinneszellen in den Bulbus olfactorius, die erste zentrale olfaktorische Schaltstelle, weitergeleitet. Die dort aufgearbeitete Information wird dann von Mitralzellen, den Projektionsneuronen des Bulbus, an höhere olfaktorische Zentren übermittelt. Dieser Übersichtsartikel liefert einen Überblick der peripheren Vorgänge der Geruchsdetektion, beschreibt die zentrale Verarbeitung olfaktorischer Informationen und behandelt die allgemeine Bedeutung des Riechvermögens. Schlüsselwörter Sinneszellen · Signaltransduktion · Bulbus   olfactorius · Olfaktorische Wahrnehmung · Geruchssinn

How we smell and what it means to us. Basic principles of the sense of smell Abstract The origins of the sense of smell lie in the perception of environmental molecules and go back to unicellular organisms such as bacteria. Odors transmit a multitude of information about the chemical composition of our environment. The sense of smell helps people and animals with orientation in space, warns of potential threats, influences the choice of sexual partners, regulates food intake and influences feelings and social behavior in general. The perception of odors begins in sensory neurons residing in the olfactory epithelium that express G protein-coupled receptors, the so-called olfactory receptors. The binding of odor molecules to olfactory receptors initiates a signal transduction cascade that converts olfactory stimuli into electrical signals. These signals are then transmitted to the ol-

Austauscher (SLC4A1) transportieren Cl− Ionen wieder in das Zellinnere. Ein Na+/ Ca2+-Austauscher (NaCaX) transportiert Ca2+-Ionen wieder aus dem Zilienlumen. Dieser aktive Ionentransport gewährleistet die Aufrechterhaltung der für die Signaltransduktion notwendigen elektrochemischen Ionengradienten. Bei vielen Säugern, wie z. B. Nagern, gibt es mindestens einen weiteren bedeutenden Signaltransduktionsweg. In die-

factory bulb, the first relay center in the olfactory pathway, via the axons of the sensory neurons. The olfactory information is processed in the bulb and then transferred to higher olfactory centers via axons of mitral cells, the bulbar projection neurons. This review describes the mechanisms involved in peripheral detection of odorants, outlines the further processing of olfactory information in higher olfactory centers and finally gives an overview of the overall significance of the ability to smell. Keywords Sensory neurons · Signal transduction ·   Olfactory bulb · Olfactory perception ·   Sense of smell

sem alternativen Transduktionsweg, der hauptsächlich in Sinneszellen des vomeronasalen Organs vorkommt, spielt die Phospholipase C eine zentrale Rolle [18, 20]. In menschlichen Sinneszellen wurde dieser Signalweg noch nicht nachgewiesen. Es gibt aber Hinweise darauf, dass auch im menschlichen Riechepithel mehr als ein Transduktionsweg vorkommt [22]. Werden Sinneszellen kontinuierlich einem Duftstoff ausgesetzt, lässt deHNO 2014 

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Abb. 2 8 Signaltransduktionskaskade in olfaktorischen Sinneszellen. Schematische Darstellung einer olfaktorischen Sinneszelle und der Membran eines olfaktorischen Ziliums (Erläuterung s. Text). ANO2 Calciumaktivierter Chloridkanal, ACIII Adenylatzyklase Typ 3, ATP Adenosintriphosphat, AMP Adenosinmonophosphat, cAMP zyklisches Adenosinmonophosphat, CaM Calmodulin, CNG zyklisch-nukleotid-gesteuerter Ionenkanal, Golf olfaktorisches G-Protein, OR Geruchsrezeptor vom OR-Typ, PDE Phosphodiesterase

here olfaktorische Zentren weitergeleitet werden. Körnerzellen und periglomeruläre Zellen, lokale hemmende GABAerge und dopaminerge Interneuronen, modulieren die Riechinformation, bevor sie den Bulbus verlässt. Vermutlich begrenzen diese hemmenden Interneurone die Menge der Informationen, die in höhere Zentren gesendet werden und dienen somit einer Kontrastverschärfung des Riechsignals (detaillierte Übersicht in [19]).

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Hemmende Interneurone dienen der Kontrastverschärfung des Riechsignals In der Regel aktivieren einzelne Duftstoffe mehrere Glomeruli, und einzelne Glomeruli werden in den meisten Fällen von mehreren Duftstoffen aktiviert. Die Erkennung eines Geruchsstoffs erfolgt daher über ein komplexes Aktivitätsmuster mehrerer Glomeruli. Auch der zeitliche Verlauf der Aktivierung von Glomeruli spielt bei der Geruchserkennung eine wichtige Rolle. Die Kombination der räumlichen und zeitlichen Kodierung ermöglicht dem Riechsystem, wesentlich mehr Duftstoffe zu unterscheiden, als es Geruchsrezeptoren hat [19]. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass Menschen mehr als eine Billion Duftstoffe unterscheiden können [21].

Abb. 3 8 Riechbahn. Blick von basal auf das Gehirn. Der linksseitige Temporallappen ist auf der Höhe der Mandelkerne eröffnet. (Nach [30])

ren Reizantwort bereits nach kurzer Zeit nach. Dieser Prozess, bei dem Calmodulin eine zentrale Rolle spielt, wird über eine verminderte Empfindlichkeit gegenüber cAMP und Internalisierung von Rezeptoren vermittelt [20]. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Adaptation an Duftstoffe sehr rasch erfolgt.

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Geruchsantworten werden schon im Riechepithel moduliert Olfaktorische Sinneszellen exprimieren neben den Geruchsrezeptoren noch weitere G-Protein-gekoppelte und ionotrope Rezeptoren, wie Cannabinoidrezeptoren, purinerge Rezeptoren, adrenerge und

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cholinerge Rezeptoren. Eine Aktivierung dieser Rezeptoren führt schon im Riechepithel zu einer Modulierung der Geruchsantworten (Übersicht in [16]).

Bulbus olfactorius Die Axone der Riechsinneszellen formen den N. olfactorius und enden im Bulbus olfactorius. Die Synapsen zwischen den Sinneszellaxonen und den nachgeschalteten Projektionsneuronen, den Mitralzellen, liegen in sog. Glomeruli. Alle Sinneszellen, die denselben Geruchsrezeptortyp exprimieren, konvergieren in gemeinsame Glomeruli. Die Axone der Mitralzellen formen den Tractus olfactorius, durch den die olfaktorischen Informationen in hö-

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Menschen können mehr als eine Billion Duftstoffe unterscheiden Zentrale Verarbeitung von Gerüchen Die Riechinformation verlässt den Bulbus olfactorius über die Axone der Mitralzellen, die in ihrer Gesamtheit den beidseitig angelegten Tractus olfactorius bilden. Er liegt im Sulcus olfactorius, der sich zwischen Gyrus rectus und dem medialen orbitalen Gyrus an der orbitofrontalen Oberfläche des Gehirns befindet. Die Fasern bleiben dabei fast vollständig ipsilateral, nur einige wenige verbinden die Bulbi der beiden Hemisphären über den Nucleus olfactorius anterior und die anteriore Kommissur. Im Gegensatz zu den ande-

ren Sinnessystemen wird die Riechinformation nicht obligat im Thalamus verschaltet, sondern erreicht nach dem Trigonum olfactorium über den lateralen Ast des Tractus olfactorius verschiedene Kortexregionen auf der orbitalen Oberfläche des Frontallappens und auf der dorsomedialen Oberfläche des Temporallappens. Beim Menschen ist der mediale Ast des Tractus olfactorius im Gegensatz zu anderen Spezies nur selten nachweisbar. Die Bereiche, die direkten Input vom Bulbus olfactorius erhalten, werden in ihrer Gesamtheit zur primären Riechrinde zusammengefasst [23]. Dazu zählen der piriforme Kortex am Übergang zwischen Stirn- und Schläfenlappen, die Mandelkerne (Amygdala) und der rostrale entorhinale Kortex, die sich beide im Temporallappen befinden [24]. Außerdem erreichen einige Fasern das Tuberculum olfactorium, das beim Menschen im Gegensatz zu einigen Tieren nur rudimentär ausgebildet ist. D Der piriforme Kortex, die Mandel-

kerne und der rostrale entorhinale Kortex sind die wichtigsten Schaltstationen der Riechbahn. All diese Gehirnregionen zählen zum limbischen System und erfüllen noch andere, über die Riechverarbeitung hinausgehende Aufgaben, wie beispielsweise die Verarbeitung von Gefühlen. Daher unterscheidet sich der Geruchsinn von den anderen Sinnessystemen, die über exklusive primäre Hirnregionen verfügen. Beispiele exklusiver primärer Hirnregionen sind der primäre somatosensorische Kortex im Gyrus postcentralis, die primäre Hörrinde in den Heschl-Querwindungen und die primäre Sehrinde in V1 des Okzipitallappens. Vom primären Riechkortex führen höhergeordnete Fasern zu weiteren Strukturen, wozu der orbitale Teil des präfrontalen Kortex [25], der agranuläre Teil der Inselrinde, verschiedene Kerne der Amygdala, der Hypothalamus und der Thalamus, der Hippocampus und die Basalganglien zählen ([23], . Abb. 3). Die Aufgaben dieser Strukturen, die in ihrer Gesamtheit zum sekundären Riechkortex zusammengefasst werden [23], gehen ebenfalls über die Riechverarbeitung hinaus. So steuern diese Strukturen verschiedene wichtige Aufgaben, wie Kontrol-

le der Nahrungsaufnahme, Gefühle, Gedächtnis, Hormonhaushalt u. a. [26, 27, 28]. Dieses komplexe Netzwerk vermittelt somit die Grundlagen des geruchsinngesteuerten Verhaltens [23]. Drei konkrete Eigenschaften sind Alleinstellungsmerkmale des Geruchsinns: F Die Projektionen des Geruchsinns sind fast ausschließlich ipsilateral. F Sie werden nicht obligat im Thalamus verschaltet. F Der primäre und sekundäre Kortex weisen ein beträchtliches Maß an Überlappung mit dem limbischen System auf.

Ausblick Obwohl der Geruchsinn nicht nur von Laien häufig als niederer und somit unwichtiger Sinn angesehen wird, ist seine herausragende Rolle in der Nahrungsaufnahme und bei der Krankheitsvermeidung, aber auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation und für das psychische Gleichgewicht bei näherer Betrachtung unbestritten. Trotzdem ist unser Verständnis des Geruchsinns auf Ebene von Genen, Rezeptoren und Neuronen, aber auch der physiologischen und psychologischen Mechanismen im Vergleich zu anderen Sinnessystemen noch sehr lückenhaft, obwohl die Forschung weltweit insbesondere in den letzten 3 Jahrzehnten sehr große Fortschritte gemacht hat. Aufbauend auf diesen Ergebnissen können wir jedoch in naher und fernerer Zukunft weitere Durchbrüche im Verständnis dieses geheimnisvollen und mächtigen Sinnes erwarten.

Fazit für die Praxis F Beim Menschen spielt das Riechvermögen eine wichtige Rolle bei der Nahrungsaufnahme, der zwischenmenschlichen Kommunikation, der Vermeidung von Krankheiten und bei der Aufrechterhaltung des psychischen Gleichgewichts. F Einzelne Sinneszellen exprimieren beim Menschen nur ein einziges von 400 Rezeptorgenen. F Alle Sinneszellen, die denselben Geruchsrezeptortyp exprimieren, konvergieren in gemeinsame Glomeruli im Bulbus olfactorius. Das Zusam-

menspiel erlaubt die Wahrnehmung von fast unendlich vielen Gerüchen. F Einzelne Duftstoffe aktivieren mehrere Glomeruli, und einzelne Glomeruli werden von mehreren Duftstoffen aktiviert. F Gerüche werden in Gehirnregionen verarbeitet, in denen auch Gefühle, Erinnerung und Emotionen entstehen.

Korrespondenzadresse I. Manzini Ph.D. Institut für Neurophysiologie und zelluläre Biophysik, DFGForschungszentrum   Mikroskopie im   Nanometerbereich und   Molekularphysiologie des   Gehirns (CNMPB),   Universität Göttingen Humboldtallee 23,   37073 Göttingen [email protected] PD Dr. med. univ. J. Frasnelli Département d’Anatomie,   Université du Québec à TroisRivières 3351, boul. des Forges,   C.P. 500, G9A 5H7 Trois-Rivières (Québec) Kanada [email protected] Dr. rer. medic. I. Croy Department of Clinical   Neurophysiology,   University of Gothenburg Blå Stråket 5, 413 45 Göteborg Schweden [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  I. Manzini, J. Frasnelli und I. Croy geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Danksagung.  Für die Hilfe bei der Erstellung von . Abb. 3 danken wir dem „Anatomy Lab of UQTR“. Dieser Beitrag wurde gefördert durch: Installation grant von Centre de Recherche de l’Hôpital du Sacré-Coeur de Montréal (J. Frasnelli); Exzellenzcluster und DFG-Forschungszentrum Mikroskopie im Nanometerbereich und Molekularphysiologie des Gehirns (CNMPB; I. Manzini); DFG-Schwerpunktprogramm 1392 „Integrative Analysis of Olfaction“ (I. Manzini) und durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF; I. Manzini), DFG-Forschungsstipendium (DFG; CR 479/1-1; I. Croy).

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[How we smell and what it means to us: basic principles of the sense of smell].

The origins of the sense of smell lie in the perception of environmental molecules and go back to unicellular organisms such as bacteria. Odors transm...
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