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Wichtige Irrenhäuser in Frankreich, Deutschland und England (1800-1900) D. Jetter Direktor des Institutes für Geschichte der Medizin der Universität zu Köln

This study contains a list of the most significant institutions for the care of the insane and also, at a later date, for mentally ill patients. We had to restriet it to the 19th century only and to the areas ofEurope where French, German and English are spoken. Many of the most renowned psychiatrists and their publications are c1assified according to the asylums where they worked. The author refrained on purpose from any analysis or interpretation, glorifying encomiums or accusations, because from the scientific point of view it is more important to place on record the many names, dates and above all the architectural structures of monuments before they get fallen into oblivion.

Es war der Wunsch der Herausgeber dieser Zeitschrift, beim I50jährigen Jubiläum zurückzublicken. Dabei sollte dieses Mal nicht die Geschichte der Gesellschaft oder ihrer Präsidenten im Sinne einer Nabelschau im Mittelpunkt stehen, sondern mit alles umfassender Geste: "das Psychiatrische Hospital"! Zuerst mußte das Thema schärfer begrenzt werden auf drei Sprachgebiete und ein Jahrhundert. Dann aber zeigte es sich, daß bei der Fülle der Gründungen nur wenige markante Irrenhäuser deutlich gezeigt werden konnten. Andererseits mußte der Zusammenhang der zeitlichen wie der regionalen Entwicklung erhalten bleiben. Außerdem war zu versuchen, wichtige Ärzte und ihre Schriften mit in den Blick zu nehmen, um so eine öde Irrenhaus-Architekturgeschichte zu vermeiden. Ob es gleichzeitig möglich sein würde, auch noch die Patienten und ihre Pfleger, die Finanzen und die Irrengesetze wenigstens von Fall zu Fall zu beachten, blieb abzuwarten. Denn ins Auge gefaßt wurden drei Ziele: Der Leser sollte sich selbst davon überzeugen können, daß die Behauptungen der Scheuklappen-Geschichtsschreibung lächerlich falsch sind, wenn da betont wird, es gäbe vor 1800 "keine Irrenhäuser", Pinel habe die "Anstalt erfunden" und die englische Psychiatrie hätte außer Conolly nichts Wichtiges hervorgebracht. Fortsehr. Neuro!. Psychiat. 60 (1992) 329-348 © Georg Thierne Verlag Stuttgart . New York

Zusammenfassung Viele wichtige Häuser, in denen Irre und später auch geisteskranke Patienten behandelt oder auch nur gepflegt wurden, sind hier gesammelt und geordnet zusammengestellt. Leider mußte die Studie auf das 19. Jahrhundert begrenzt und auf jene Gebiete beschränkt werden, in denen man damals in Europa Französisch und Deutsch oder Englisch gesprochen hat. Außerdem sind viele wichtige Irrenärzte und ihre Schriften einzelnen Anstalten zugeordnet. Absichtlich wurde auf jede Analyse und Interpretation, auf jede Verherrlichung und besonders auf alle Anklagen verzichtet. Denn zunächst ist es viel wichtiger und viel wissenschaftlich richtiger, die Fülle der Namen und Jahreszahlen und vor allem auch die Formen der Baudenkmäler zu erfassen, bevor sie endgültig verloren sind.

Zweitens sollte der Leser ermuntert werden, wichtige Irrenhäuser in Zukunft selbständig zu finden und zu fotografieren, zu zeichnen und zu beschreiben und überhaupt auch im einzelnen mit Hilfe der Archive zu erforschen. Um mit dieser angenehmen Tätigkeit der Mußestunden beginnen zu können, muß man aber in der Lage sein, wenigstens in der näheren Umgebung einige der wichtigeren Gründungen wie Ostereier selbständig zu finden. Alte Irrenhäuser wollen (in fast touristischer Weise) besucht sein, wie Patienten, bei denen feststeht, daß sie nicht mehr lange leben werden. Das dritte Ziel dieser Seiten ist es, Ruinen zu erhalten oder noch besser ,,Denkmäler zu pflegen", damit sie gar nicht zu Steinhaufen werden. Denn gerade alte Irrenhäuser schmelzen dahin wie das Eis an der Sonne. Welch ein Jammer, daß man in Erlangen die einzige panoptische Irrenanstalt der Deutschen rigoros beseitigte, obwohl sie beide Weltkriege gut überstanden hatte. Eine barbarische Untat! Wie schön ist es andererseits, wenn in der Anstalt in Paris-Charenton immer noch wie eh und je ein Stein auf dem anderen steht und damit von einer versunkenen Welt kündet, in der es noch ,,Monomane" zu geben schien und Esquirol zeigte, wie man sich beim Umgang mit Irren dem Einzelnen zuwenden muß.

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Important Lunatic Asylums in France, Germany and England (1800 - 1900)

D. letter

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 60 (1992)

Gand 1852

IirrWslain

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Tournal 1881

~haJons-s. M.

184

.

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Abb.1 Irrenhäuser in Frankreich (1800-1900).

Überwindung von Fehlurteilen (1), breitere Irrenhauskenntnisse (2) und mehr Verantwortung für alte Bausubstanz (3) würden uns helfen, das, was wir nur ererbt haben, jenen weiterzugeben, die nach uns kommen. 1. Irrenhäuser in Frankreich (1800 -1900)

Fast vergessene Irrenhäuser (vor 1800) Die Behauptung, es hätte vor der Französischen Revolution (1789) und vor Philippe Pinel für Narren und Verwirrte nur entwürdigende "Ketten und Käfige" gegeben wie im angeblich "finsteren Mittelalter", ist heute gut widerlegbar. Man unterscheidet drei Gruppen von Zufluchtsstätten.

1. Einrichtungen der Bischöfe und des Königs: Heilbare Irre wurden in besondere Säle im "Hötel-Dieu" des Bischofs aufgenommen (in Paris: Frauen in der SaUe Sainte Genevieve, Männer in der Salle Saint Louis). Wenn wiederholte Kuren keine Besserung brachten, verlegte man die Patienten in besondere Abteilungen des - "Höpital general" des Königs (in Paris: Frauen in die Salpetriere, Männer ins Bicetre). Gefährliche Irre verschwanden erbarmungslos im Gefängnis, im

,,Prison" (in Paris: im Stadttor Bastille zusammen mit politisch verfolgten Straftätern). 2. Einrichtungen der Städte: An manchen Orten gab es aber weder ein Hötel-Dieu noch ein Höpital general. Die Irren wurden dann untergebracht in einer damals oft leerstehenden - "Leproserie" der Stadt (Nancy-Mareville), im "Höpital des Pestiferes" (Bordeaux) oder im "Depöt de Mendicite" (Lyon). Außerdem gab es 3. Einrichtungen besonderer Pflegegemeinschaften: Am besten war es vor 1789. wenn der Irre in ein "Höpital de la Charite" der Barmherzigen Brüder, der "Freres de Saint Jean de Dieu" (Charenton, Cadillac) aufgenommen und gepflegt wurde.

Frühe Irren-Behandlungsstätten (vor 1789) Die Behauptung, man hätte vor der Französischen Revolution (1789) und vor Philippe Pinel (1792) Narren und Verwirrte immer für unheilbar erachtet, ist ebenso völlig veraltet. In Paris gab es neben den Kuren im "Hötel-Dieu" des Bischofs auf der Seine-Insel und dem - .,Höpital de la Charite" der Barmherzigen Brüder sogar schon Neubauvorschläge Hir Heilanstalten und Behandlungsstätten. Aus diesen ragt heraus in 6. Paris das Projekt für ein ..höpital des fous curables", das (1788) von Jacques Rene Tenon vorgeschlagen wurde. - Für die Zeit des Anfalls sollten über 100 fast würfelförmige Zellen beiderseits einer Mitteldiele errichtet werden. Die Stunden der - ,,Remission" konnte man dagegen in Wandelhallen und in zwei Höfen verbringen, in denen Frauen und Männer getrennt waren. Es gab besondere - Krankenzimmer für fieberkranke und verletzte Irre. Außerdem hatte man Bäder und Strohkammem, Holzvorräte und Küchen eingeplant. Der Direktor saß schon damals eingangsnah im Zentrum. Leider verhinderten die Unruhen (1789), daß mit der Ausführung begonnen wurde.

In den ersten Jahren nach 1789 kam es nur zu Verwaltungsreformen und verwirrenden Umbenennungen. Die Erfindung des schmerzlosen Fallbeils (1792) und die Ermordung des Revolutionsarztes Jean Paul Marat in der Badewanne (1793) fielen bereits in jene Jahre, in denen die Revolution ihren Höhepunkt erreichte. Damals wurden sogar in der Salpetriere völlig sinnlos unschuldige Irre ermordet. um so das Töten zu üben und die Wut des Pöbels voll zu entfesseln. In diesen Jahren begann aber auch der wichtigste Irrenarzt jener Zeit sein segensreiches Werk, nämlich • Philippe Pinel (1745-1826) Bicetre 1792; Salpetriere 1794. Er wurde als Sohn eines Dorf-Baders bei Albi geboren, studierte katholische Theologie in Toulouse an der Ordensschule der Doktrinarier und dann Medizin in Montpellier, besonders beim Vitalisten Paul Joscph Barthez (1775). Dann lebte er in Paris (1778), wo er Privat-Unterricht erteilte, Werke von William Cullen in Edinburgh aus dem Englischen übersetzte und schließlich als Arzt in der privaten Irren-Pension des Tischlers Belhorne ein Zubrot verdiente. Seine Freundschaft mit Pierre Cabanis, der damals im Schatten von Mirabeau

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Wichtige Irrenhäuser in Frankreich, Deutschland und England (1800-1900)

Paris, Projekt Tenon 1788 ... Perls, SalpAtrlAre-NeubButen 1804 Perls, BlcAtre-NeubBulen 1806 Bordeaux, HospIee-Neubaulen 1808 Lyon, Anliquallle-NeubButen 1808

Rouen-Sl Yon, Aalle 1821 Montpeliler, HOp. lI'n. Qual1iers 1821 Parls-Charenton, Quartier 1823

Le Mans, Hc.pk:e dAp. des Aliene' 1828

P. Pinel, Salp.; Trail' medico-phil. 1801 ~

Napoloion l.. bis 1814

~

Rückkehr der Bourbonen, bis 1830

Fortschr. Neuro!' Psychiat. 60 (1992)

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Tab. 1 Irrenhäuser in Frankreich (1800-1900).

A.L. Bayle, Chanmlon: Pragr. Paralyse 1822 E. Georllel, SalpAtrlere: G

[Important asylums in France, Germany and England (1800-1900)].

This study contains a list of the most significant institutions for the care of the insane and also, at a later date, for mentally ill patients. We ha...
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