Stock: Chirurgische Therapie bei akuter Pankreatitis

Aktuelle Therapie

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 1570-1572 l Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die Indikation zur chirurgischen Therapie bei akuter Pankreatitis Die akute Pankreatitis ist mit 0,3% aller Autopsien und mit etwa 1% bei klinischen Patienten eine seltene Erkrankung (S). Chirurgische Behandlungsversuche bei Pankreatitis gehen auf Körte (1894), Moynihan (1925) und Schmieden (1927) zurück (Literatur: 12). Aufgrund der hohen Letalität der akuten Pankreatitis nach operativer Behandlung setzte sich die von Katsch im Jahre 1939 eingeführte »aktiv-internistische« Therapie durch und wurde seither auch von chirurgischer Seite unterstützt (11). Unter streng konservativer Behandlung ging die Letalität bei der akuten Pankreatitis von 56°!» auf 22% zurück und wird heute nach Schönborn und Mitarbeitern (11) mit 16°!» angegeben. Der Rückgang der Gesamtietalität bei akuter Pankreatitis ist durch erfolgreiche konservative Maßnahmen bei ödematöser Pankreatitis bedingt, die bei einzelnen Autoren (11) 0% beträgt. Den guten Erfolgen in der konservativen Behandlung der akuten ödematösen Pankreatitis stehen die enttäusehenden Behandlungsergebnisse bei den hämorrhagischnekrotisierenden Formen gegenüber, bei denen die Letalität weiterhin 80 bis 100% beträgt (7). Angesichts des Versagens der internistischen Therapie bei der nekrotisierenden Pankreatitis kamen Chirurgen wie Hollender (6), Kümmerle (7) und ihre Mitarbeiter auf den alten Vorschlag von Schmieden zurück, die Pankreatitis operativ zu behandeln. Unter der neuerdings geforderten vorzeitigen Operation versteht man den Zeitpunkt nach Ausbildung von Pankreasnekrosen, ohne daß bedrohliche Komplikationen eingetreten sind. Damit zeichnet sich bereits das Problem der Diagnostik und der Indikation zur Operation ab.

W. Stock Chirurgisthe Universitäts-Klisiik und -Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. Dr. H. Pichlmaier), Köln

Einteilung der akuten Pankreatitis Bezüglich der Ätiologie der akuten Pankreatitis liegen zwischen den alkohol-toxischen und den biliären Verlaufsformen erhebliche regionale Unterschiede vor. Der Versuch einer Differenzierung der Genese erscheint wichtig, da die alkohol-toxischen Pankreatitiden besonders schwer verlaufen. Es empfiehlt sich, nach den pathologisch-anatomischen Befunden die akute Pankreatitis nach Kümmerle in drei Stadien einzuteilen: Der Schweregrad I umfaßt die ödernatösen Formen mit Oberbauchschmerz, leichter Abwehrspannung und Ferrnententgleisung, die sich nach konservativer Therapie rasch bessern. Unter dem Schweregrad II werden die mittelschweren Verlaufsformen mit partiellen Pankreasnekrosen zusammengefaßt. Hier steht der schwere Oberbauchschmerz mit deutlicher

Abwehrspannung, Meteorismus, spärlicher Peristaltik und eventuell tastbarem Tumor im Oberbauch im Vordergrund neben Fermententgleisung, Leukozytose und diabetischer Stoffwechsellage. In diesem Stadium spricht die aktiv-internistische Therapie nur noch verzögert an. Die Symptomatik des Schweregrades III ist wie die von II, jedoch durch beginnende oder manifeste Komplikationen wie Schock, renale Insuffizienz, Enzephalopathie, respiratorische Insuffizienz oder gastrointestinale Blutung gekennzeichnet. In diesem Stadium mit Totalnekrose des Pankreas und tryptischem Zerfall des Organs können sich ausgedehnte peripankreatitische Nekrosen mit Nekrosestraßen in Richtung Muz, Magen, Duodenum oder Querkolon ausbilden. Bei Fortbestehen des Katastrophenherdes wird der Organismus kontinuier-

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lich mit Enzymen aus dem zerfallenden Parenchym mit

Auswirkung auf Kreislauf, Niere und Gehirn überschwemmt. Alle intensiv-medizinischen Maßnahmen zur Beherrschung der Komplikationen können in diesem Stadium nur noch dann wirksam sein, wenn der Herd beseitigt ist.

Diagnostische Abgrenzung der hämorrhagischnekrotisierenden Pankreatitis Mit der Diagnose akute Pankreatitis setzt die aktive konservative Therapie mit Nahrungskarenz, Dauerabsaugung des Magens, Infusionstherapie, Verabreichung bilanzierter Infusionen, Atropin oder Glucagon, Analgetika, Antibiotika sowie eines Proteaseninhibitors im Rahmen allgemeiner Intensivpflege ein. Voraussetzung für die Indikation zur operativen Behandlung der akuten Pankreatitis ist das rechtzeitige und zuverlässige Erkennen des Uberganges von einer ödematösen zu einer schweren hämorrhagisch-nekrotisierenden Verl aufsform. Bisher liegen keine zuverlässigen Methoden zum Nachweis einer nekrotisierenden Pankreatitis vor, so daß die Diagnose nur durch intensive Verlaufsbeobachtiingen der klinischen Symptome und chemischen Parameter während der ersten Stunden und Tage der Erkrankung gestellt werden kann. Der Ubergang von der therapeutisch beeinflußbaren ödematösen Pankreatitis zur hämorrhagisch-nekrotisierenden Form mit potentiell letalem Ausgang kündigt sich durch das Zusammentreffen akuter Abdominalsymptome mit den Zeichen des Schocks, pankreatitischer Enzephalopathie, akuter Niereninsuffizienz, gastrointestinaler Blutung und respiratorischer Insuffizienz an. Das Ansprechen oder Nichtansprechen auf intensive konservative Maßnahmen stellt ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung der Erkrankung dar. Unter den Laboratoriumswerten nehmen anhaltende Hyperglykämie, Hypocalciämie, metabolische Acidose und das Verhalten der Fermente Amylase und Lipase einen hohen diagnostischen Stellenwert ein (11). Tab. 1. Indikationen zur operativen Behandlung bei akuter Pankreatitis Gallensteinanamnese (Subikterus, Ikterus) unklare Diagnose (Differentialdiagnose: abdominale Perforation) postoperative Pankreatitis hämorrhagisch-nekrotisierende Pankreatitis

Probleme der Indikationsstellung Die Indikation zur operativen Behandlung der akuten Pankreatitis (Tabelle 1) ist nicht einheitlich. Die Empfehlungen reichen von der rein konservativen Behandlung bis hin zur aggressiven Frühoperation. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, daß bei Patienten mit akuter Pankreatitis, bei denen eine Gallensteinanamnese bekannt ist sowie ein Subikterus oder Ikterus vorliegt, die Frühoperation indiziert ist. Erkrankungen der Gallenwege sind ätiologisch in durchschnittlich 38% (5) der Fälle als Ursache anzusehen. Nach einer kurzen Vorbereitungszeit

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sollte der Eingriff planmäßig durchgeführt werden. Bei akutem Oberbauchschmerz mit unklarer Diagnose, besonders wenn eine abdominelle Perforation nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist die sofortige Operation angezeigt. Weiterhin sollte bei einer postoperativ auftretenden Pankreatitis, beispielsweise nach Magenresektion, frühzeitig relaparotomiert werden, da man hier immer an einen technischen Fehler denken muß. Besonders schwierig und noch umstritten ist die Indikation zur Operation bei hämorrhagisch-nekrotisierender Pankreatitis, die sich schnell entwickeln oder allmählich aus einer anfänglich ödematösen Pankreatitis entstehen kann. Die günstigen Resultate neuerer Arbeiten sprechen jedoch eindeutig für eine frühzeitige operative Behandlung. Unter dem Ziel, den Katastrophenherd auszuräurnen, ist die Wahl des Operationszeitpunktes von entscheidender Bedeutung. Durch sorgfältige Verlaufsbeobachtungen sollte vom Internisten und Chirurgen gemeinsam der »vorzeitige« Eingriff geplant werden, bevor es durch schwere Komplikationen wie Nierenversagen, Enzephalopathie oder respiratorische Insuffizieuz zur vitalen Bedrohung des Patienten kommt. Während Berchthold (2) weniger die Chirurgie als vielmehr die moderne Intensivmedizin bei der akuten Pankreatitis als lebensrettend ansieht, fordern Alexandre und Mitarbeiter (1) nach dem dritten und sechsten Tag, Hollender und Mitarbeiter (6) zwischen dem ersten und dritten Tag die operative Intervention. Kümmerle und Mitarbeiter (7) gehen aufgrund ihrer Erfahrungen so weit, die vorzeitige Operation nach Versagen der aktiv internistischen Therapie bereits nach 24 Stunden durchzuführen.

Operative Methoden und Ergebnisse Von einer querverlaufenden Oberbauchlaparotomie wird nach Eröffnung der Bursa omentalis die Pankreasloge inspiziert. Zur Erkennung einer biliären Ursache wird ein intraoperatives Cholangiogramm angefertigt und werden vorhandene Choledochussteine entfernt. Wird ein eingeklemmter Papillenstein gefunden und kann er durch eine Gallengangsrevision nicht entfernt werden, so ist eine transduodenale Papillotomie erforderlich. In jedem Fall wird eine T-Drainage zur Entlastung des Choledochus eingelegt. Das weitere Vorgehen richtet sich nach dem entsprechenden Schweregrad. Bei einer ödematösen Pankreatitis genügt die Drainage der Pankreasloge, möglichst als Spül-Saugdrainage. Es können sich jedoch unter einem subkapsulären Odem retropankreatische Nekrosen und Abszesse verbergen, so daß im Zweifelsfall die MiIz mit dem Pankreasschwanz nach medial mobilisiert werden muß. Entsprechend der Ausdehnung und Demarkierung partieller Nekrosen und Sequester werden diese entweder digital ausgeräumt (Digitokiasie) oder durch eine Teilresektion des Organs beseitigt. Bei nekrotisierenden Kopfprozessen sollte im Stadium der Demarkierung eine Ausräumung der Nekrosen mit anschließender SpülSaugdrainage durchgeführt werden. Bei Entfernung der Nekrosen ist zur Verhütung schwerer Blutungen darauf

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Nr. 43, 22. Oktober 1976,

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zu achten, daß ein schmaler Nekrosesaum zurückbleibt, der sich später abstößt. Die Indikation zur DuodenoPankreatektomie, wie sie vereinzelt vorgenommen wurde, sollte im akuten Entzündungsstadium zurück-

haltend gestellt werden. 4. Bei der Totalnekrose des Pankreas wird die Linksresektion zur subtotalen Resektion ausgedehnt, wobei ein schmaler Saum von Pankreasgewebe im Duodenalknie erhalten bleibt. Als Alternative zur Resektion bei hämorrhagisch-nekrotisierendcn Formen oder zusätzlich zur Nekrosenausräumung hat sich die Spül-Saugdrainage bzw. Peritonealdialyse, zum Teil unter Zusatz von Aprotinin (Trasylol®), bewährt (11). Tab.

2.

Operative Verfahren bei akuter Pankreatiris 1.

biliäre Form:

Cholezystektomie, intraoperative Cholangiographie, Sanierung der Gallenwege, T-Drain

ödematöse Pankreatitis: Drainage der Pankreasloge partiell nekrotisierende Pankreatiris: digitale Ausräumung der Nekrosen oder Sequester (Digitokiasie), Linksresektion, Spül-Saugdrainage

Totalnekrose:

subtotale Linksresektion, Sp iii-S a u gd rain age

Tabelle 2 faßt die operativen Verfahren bei akuter Pankrearitis zusammen. Ergebnisse nach vorzeitiger operativer Behandlung bei akuter Pankreatitis liegen bisher nur aus wenigen Zentren in kleiner Zahl vor. Als Grundlage dieser neuen aktiven Einstellung gilt eine französische Gemeinschaftsstudie (4) über 178 Patienten mit einer Letalität von 48%. Rettori und Mitarbeiter (10) geben bei 120 Patienten eine Letalität von 62,8% an. Alexandre und Mitarbeiter (1) verloren von neun Patienten zwei, Hollender und Mitarbeiter (6) von 23 Patienten acht. Bei Küm-

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merle und Mitarbeitern (7) liegt bei 51 Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad und verschiedenen Operationszeitpunkten die Letalität bei 17. Nach 17 vorzeitigen Operationen starben acht Patienten. In einer ersten randomisierten Studie an zehn Patienten mit schwerer akuter Pankreatitis konnten Ranson und Mitarbeiter (9) dagegen keine Vorteile durch eine Frühoperation gegenüber der rein konservativen Behandlung nachweisen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, daß die operative Behandlung der hämorrhagisch-nekrotisierenden Pankreatitis der Schwere des Krankheitsbildes entsprechend noch durch eine hohe Letalität belastet ist. Sie liegt jedoch eindeutig unter der bei konservativer Behandlung. Es steht der Vorschlag von Kümmerle zur Diskussion, Kranke mit schweren Verlaufsformen einer akuten Pankreatitis, bei denen die aktiv internistische Therapie erfolglos ist, rechtzeitig in chirurgische Kliniken zu verlégen, die Erfahrungen in der Pankreas-Chirurgie haben. Literatur Alexandre, J. H., H. Chambon, R. Assan: Total pancrc.itcctomy in the

treatment of acute necrotising and hemorrhagic pancreatitis. Langenbecks Arch. Chir. 340 (1976), 231.

Berchthold, R.: Die Eingriffe am Pankreas einschließlich der Eingriffe bei Geschwiilsten des Pankreas und des Duodenum. In: Zertker, R., G. Heherer, G. Hegemann (Hrsg.): Allgemeine und spezielle chirurgische Operationsiehre (Springer: BerlinHeidelbergNew York 1975).

Boutelier, Ph., G. Edeimann: Tactique chirurgicale dans les pancréatites aiguës nécrosantes. Plaidoyer en faveur des séquestrectomies. Ann. Chir. 26 (1972), 249.

Edelmann, G., Ph. Boutelier: Le traitement des pancréatites aiguës nécrosantes par l'ablation chirurgicale précoce des portions nécrosées. Chirurgie 100 (1974), 155.

Goebell, H., J. Hotz: Akute Pankreatitis. In: Forell, M. M. (Hrsg.): Handbuch der inneren Medizin, Bd. 3/ Teil 6: Pankreas (Spr:nger: BerlinHeidelbergNew York 1974). (S)

Hollender, L. F., F. Bur, A. Marrie: Chirurgie der akuten Pankreatitis. Langenbecks Arch. Chir. 334 (1973), 337. Kümmerle, F., M. Neher, H. Schönborn, G. Mangold: Vorzeitige Operation hei akuter härnorrhagisch. nekrotisierender Pankreatitis. Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 2241. Pross, E.: lntensivmedizirt bei akuter Pankreatitis. Langenbecks Arch. Chir. 337 (1974), 251.

Ranson, J. H. C., K. M. Rifkind, D. F. Roses, S. D. Fink, K. Eng, F. C. Spencer: Prognostic signs and the role of operative management in acute pancreatitis. Surg. Gynec. Obstet. 139 (1974), 69. Rettori, R., J. C. Plot, N. Tordeanu, J. Grenier, G. Sana: Résultat du traitement chirurgical et éléments du prognostic dans les pancréatites aiguës avec nécroses. Chirurgie 100 (19741, 168. Schönborn, H., E. Pross, M. Olbermann: Neuere Vorstellungen zur konservativen und operativen Therapie der akuten Pankreatitis. Internist (Berl.) 16 (1975), 108.

Schwemmle, K.: Die chirurgische Therapie der Pankreatitis. Klinikarzt 4

(1975), 469.

Privatdozent Dr. W. Stock Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität 5000 Köln 41, Joseph-Steizmann-Str. 9

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[Indication for surgical therapy of acute pancreatitis].

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