184 Originalarbeit

Individuelle und kontextbezogene Ursachen von Abbrüchen beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen

Autoren

A. Meschnig, S. Bartel, E. von Kardorff

Institut

Abteilung Rehabilitationssoziologie, Institut für Rehabilitationswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Schlüsselwörter ▶ Abbrüche beruflicher ● ­Bildungsmaßnahmen ▶ Faktoren und Risiken für ● Abbrüche ▶ Vergleich von Abbrechern ● und Nicht-Abbrechern

Zusammenfassung

Abstract

Hintergrund:  Ausgangspunkt der Studie waren die von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) erhobenen, bei ca. 20 % liegenden Abbruchraten bei beruflichen Bildungsmaßnahmen für Rehabilitanden. Ziele:  Analyse des Zusammenspiels individueller, verfahrensbedingter und institutioneller Faktoren für das Abbruchrisiko von Rehabilitanden in 2-jährigen beruflichen Bildungsmaßnahmen. Methoden:  In der explorativen Mixed-MethodStudie wurden 454 Teilnehmer von 2-jährigen Vollzeitmaßnahmen bei 3 Berufsförderungswerken und 3 freien Bildungsträgern mittels eines umfangreichen Fragebogens befragt. Darüber hinaus wurden Experten, Abbrecher und erfolgreiche Teilnehmer interviewt sowie jeweils 3 Gruppendiskussionen mit Teilnehmern und Experten durchgeführt. Ergebnisse:  Bei genauer Betrachtung erweist sich „Abbruch“ als ein mehrdeutiges, multidimensionales sowie von den einzelnen Beteiligten unterschiedlich bewertetes Geschehen. Als Prädiktoren für einen Abbruch wurden 3 zentrale personenbezogene Faktoren identifiziert: das Vorliegen einer Depression, eine negative Einschätzung der eigenen Gesundheit und mangelnde soziale Unterstützung. Der konkrete Abbruch einer Maßnahme erweist sich als vielschichtig und sehr oft situativ bedingt. Er lässt sich in der Regel nicht eindeutig und nur selten aus Personenmerkmalen, der bisherigen Berufsbiografie oder vorausgegangenen Zeiten von Arbeitslosigkeit vorhersagen. Verfahrensbedingte Abbruchrisiken liegen u. a. in der Zuweisungspraxis zu ­Ausbildungswegen bzw. zum Reha-Vorbereitungslehrgang (RVL) sowie in Qualität und Ausgestaltung der Praktika; institutionelle Risiken werden u. a. auf den auf 2 Jahre verdichteten Lehrstoff und auf gruppendynamische Prozesse zurückgeführt.1

Background and Aims:  The study focusses on the explanation of the individual, process-driven, and institutional factors and their interplay, and on the subjective accounts for the high drop-out rates in vocational retraining which are report­ ed by the German statutory pension insurance scheme. Methods:  454 participants of 2-year lasting vocational retraining schemes in 3 vocational promotion centers and 3 education providers took part in the questionnaire survey. Furthermore, experts, dropouts and participants were interviewed and group discussions with experts and participants were conducted. Results:  Drop-out is not a definite term. ­Instead, it consists of different dimensions. 3 personal factors for predicting a drop-out could be identified: suffering from depression, negative health assessment and lack of social support. Gen­erally speaking, drop-out of vocational ­retraining is a complex and mainly situational process which can hardly be predicted by ­personal factors, job-biographies or foregoing unemployment.

Key words ▶ Vocational retraining ● ▶ High-drop-out-rates ● ▶ Personal factors and risks ● for drop-out ▶ Drop outs and non-drop● outs by comparison

Bibliografie DOI  http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1394452 Online-Publikation: 26.2.2015 Rehabilitation 2015; 54: 184–189 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0034-3536 Korrespondenzadresse Dr. Alexander Meschnig Abteilung Rehabilitations­ soziologie Institut für Rehabilitations­ wissenschaften Humboldt-Universität zu Berlin Invalidenstraße 110 10115 Berlin [email protected]



Meschnig A et al. Individuelle und kontextbezogene Ursachen …  Rehabilitation 2015; 54: 184–189



1

 Die wichtigsten Ergebnisse der Studie wurden auf dem 22. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium vom 4. bis 6. März 2013 in Mainz vorgestellt (siehe: Bartel S, von Kardorff E, Kasten Y et al. Verläufe beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen. DRV Schriften 2013; (101): 276-278).

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Individual and Contextual Reasons for Drop-outs in Vocational Retraining

Hintergrund



Die Ausgaben für Rehabilitationsleistungen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) stiegen von 1995 bis 2010 von 5,0 auf 5,6 Mrd. Euro, wobei sich der Anteil der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) im selben Zeitraum von 370 auf 811 Mio. Euro mehr als verdoppelt hat. Damit geht der Anstieg der Gesamtausgaben für Rehabilitation wesentlich auf die Steigerung der LTA-Kosten zurück [1]. Von den im Jahr 2012 ca. 127 000 abgeschlossenen LTA-Leistungen (davon ca. 45 000 für Frauen) sind ca. 25 % berufliche Bildungsleistungen [2]. Bezogen auf die Gesamtzahl beruflicher Bildungsmaßnahmen zeigt sich, dass rund 75 % der Rehabilitanden ihre Maßnahme erfolgreich abschließen, rund 30 % davon mit einem staatlich anerkannten Abschluss, aber „etwa jeder Fünfte bricht die Bildungsleistung ab“ ([1], vgl. auch [3, 4])2. Das ist aber kein Spezifikum der beruflichen Rehabilitation, sondern ein auch in dieser Größenordnung in der Erwachsenen- und Berufsbildung allgemein belegtes Phänomen; z. B. wurden im Jahr 2009 22,1 % der Ausbildungsverträge vorzeitig aufgelöst [5]. Während der Umfang und die volkswirtschaftlichen Kosten von Abbrüchen weitgehend bekannt sind, steht die empirische Befundlage zu den Ursachen und ­Hintergründen von Abbrüchen bei beruflichen Bildungsmaßnahmen von Rehabilitanden erst am Anfang. Die wenigen, nur bedingt miteinander vergleichbaren Studien zu Berufsbildungswerken [6] und zu Berufsförderungswerken [7] sowie zu Qualifizierungsmaßnahmen der DRV [3, 4, 8, 9] kommen, wie auch internationale Studien (z. B. [10, 11]), zu der Einschätzung, dass vor allem medizinische und soziale Gründe, Aspekte im Verhalten der Personen, in geringerem Maße Überforderung durch den Lernstoff oder eine verfehlte Ausbildungswahl Gründe für Abbrüche darstellen. Mit Blick auf berufsbiografische Hintergründe und subjektive Motive des Abbruchs liegen bis auf eine ältere Studie [12] keine tiefergehenden Analysen vor. So wissen wir wenig darüber, wie berufliche Qualifizierungsmaßnahmen von Rehabilitanden tatsächlich wahrgenommen, in ihr Lebenskonzept eingebaut, psychisch verarbeitet und sozial organisiert werden. Wenig bekannt ist zudem der Einfluss beruflicher Bildung, von Erwerbsverläufen und Arbeitslosigkeit auf Teilnahmemotivation sowie die konkrete inhaltliche und emotionale Beurteilung der Inhalte und Formen der Maßnahmen durch die Teilnehmer.

Studienziele und Methodik



In der Forschung wurden subjektiven Sichtweisen und biografischen Hintergründen der Teilnehmer bislang nur eine geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Daher konzentrierte sich die vorliegende Untersuchung, die zwischen Februar 2012 und August 2013 durchgeführt wurde, auf folgende Frage: Welche personellen, institutionellen und verfahrensbedingten Gründe sind – aus Sicht der Teilnehmer und Experten – für den Erfolg bzw. den Abbruch einer beruflichen Bildungsmaßnahme entscheidend?3 . Unsere Studie fokussierte sich dabei auf die kostenintensiven 2-jährigen Vollzeitmaßnahmen, also die berufliche Neuqualifizierung mit IHK-Abschluss bei Berufsförderungswerken (BFW) und Freien Bildungsträgern (FBT). Insgesamt nahmen 6 Einrich2

 Die im Reha-Bericht 2012 genannten Abbruchquoten beziehen sich auf alle beruflichen Bildungsleistungen und sind deshalb nicht einfach auf unsere Gruppe, die nur 2-jährige Vollzeitmaßnahmen erfasst, übertragbar. Vergleichende Studien zu den Abbruchquoten unterschiedlicher Maßnahmen fehlen weitgehend oder sind bereits relativ alt [6].

tungen an der Untersuchung teil.4 Ihre Auswahl erfolgte nach im Vorhinein festgelegten, kontrastierenden Strukturmerkmalen: Stadt/Land, positive/negative Arbeitsmarktsituation, neue/alte Bundesländer, BFW/FBT. In der Praxis stellte es sich schließlich als schwierig und aufwändig heraus, Teilnehmer in den FBT zu erreichen, da – anders als in den BFWen – keine festen Gruppen vor Ort existieren, sodass nicht zuletzt aus forschungsökonomischen Gründen, anders als vorgesehen, keine Vergleichsgruppen zu allen Strukturmerkmalen gebildet werden konnten. Daher haben wir uns v. a. auf den Vergleich der Abbrecher mit den Nicht-Abbrechern konzentriert. Insgesamt nahmen 454 Teilnehmer (TN) an unserer Studie teil, 397 TN (87,4 %) kamen aus den beteiligten BFWen, 57 TN (12,6 %) aus einem der FBT. Diese ungleiche Verteilung ist bei der Interpretation aller Vergleiche zu berücksichtigen. Die Datenerhebung folgte einem Mixed-Method-Design [13, 14]: quantitativ mittels einer Fragebogenerhebung und qualitativ durch narrativ-episodische Interviews [15] mit Teilnehmern und Abbrechern, Experteninterviews [16] sowie Focusgruppen [17] mit Teilnehmern und Experten.

Fragebogenerhebung

Aufgrund fehlender standardisierter Instrumente für die konkrete Fragestellung des Projektes basierte der eingesetzte umfangreiche Fragebogen5 auch auf neu entwickelten theorie- und hypothesengeleiteten Fragekomplexen (z. B. zu Bildungs- und Berufsbiografie, Teilnahmemotivation, Zukunftserwartungen, Kurserleben und Gruppenklima) sowie auf modifizierten standardisierten Instrumenten, wie z. B. Items aus dem SOEP 2011 (Sozio-ökonomisches Panel [18]), dem IRES (Indikatoren des Reha-Status [19]), dem SCQ-D (Self-Administered Comorbidity Questionnaire, deutsche Version [20]) und dem SF-12 (Short Form Health Survey [21]). Eine weitere wichtige Quelle bildeten explorative Vorgespräche mit Teilnehmern der Kurse und mit Experten, die auf Problembereiche bei den Teilnehmern, wie z. B. Schulden, Familienstruktur, Gruppendynamik, sowie auf ablaufbezogene Aspekte wie Zuweisungsprozesse und institu­ tionelle Faktoren, z. B. auf das Abbruchmanagement in den ­Einrichtungen, aufmerksam machten. In der quantitativen Auswertung erfolgte die Darstellung von Gruppenunterschieden (z. B. Abbrecher vs. Nicht-Abbrecher) im Sample für kategoriale Merkmale mittels Chi2-Tests. Cramers V wurde als Maß für die Stärke der Unterschiede berechnet. Die Testung auf Gruppenunterschiede bei metrischen Variablen wurde mittels t-Tests für unabhängige Samples berechnet. Aufgrund der relativ kleinen Gruppe von Teilnehmern mit einem Abbruch wurden alle Ergebnisse der t-Tests zusätzlich mit dem Wilcoxon-Test für parameterfreie Stichproben abgesichert. Das Signifikanzniveau wurde für alle Analysen auf p = 0,05 gesetzt, 3

 Forschungsprojekt: „Abbrüche beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen in der Rehabilitation. Eine qualitative Studie zu individuellen und kontextbezogenen Ursachen“ (Förderer: DRV Bund, Projektleitung: Prof. Dr. Ernst von Kardorff und Dr. Heike Ohlbrecht; Laufzeit: Februar 2012 bis August 2013); verfügbar unter: www.reha.hu-berlin.de/lehrgebiete/rhs/ forschung/abbrueche-beruflicher-qualifizierungsmassnahmen-projektbe richt/at_download/file; Projektteam: Susanne Bartel; Yvonne Kasten; Dr. Alexander Meschnig; Susen Schmidt; Katja Spanier.

4

 Im Einzelnen waren das: Berufsförderungswerk Schömberg, Berufsförderungswerk Berlin-Brandenburg, Berufsförderungswerk Stralsund, Internationaler Bund (IB), Verbund Württemberg, Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW), Berlin, und bbw Akademie für Betriebswirtschaftliche Weiterbildung, Berlin.

5

 Der gesamte Fragebogen findet sich online unter: www.thieme-connect. de/products.

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Originalarbeit 185

186 Originalarbeit zur Beschreibung von statistischen Tendenzen wurde ein Niveau von p = 0,01 gewählt.

belastetes Selbstwertgefühl (1) Probleme in der Lebensbewältigung (2)

Interviews

Ergebnisse



Ausgewählte Ergebnisse der quantitativen Befragung

Insgesamt wurden 454 Teilnehmer im ersten und zweiten Ausbildungsjahr mittels Fragebogen befragt. Kostenträger waren zu 55,4 % die DRV (davon ca. 2 % Berufsgenossenschaften/Unfallversicherung), in 44,6 % der Fälle die Bundesagentur für Arbeit (BA). Die meisten TN (62,2 %) unserer Studie waren zwischen 30 und 45 Jahre alt; unter 30 Jahre waren 25,1 %, über 45 Jahre 12,8 %. Der Median lag bei 36 Jahren. Etwas mehr als zwei Drittel der Befragten (69,2 %) waren Männer. Der „typische“ TN der von uns untersuchten Vollzeitmaßnahmen besaß einen Haupt- oder Realschulabschluss (65,7 %) und hatte danach eine Lehre/Ausbil-

65.70 %

finanzielle Sorgen (2) wenig bis keine soziale Unterstützung (3) starke Sorgen über ihre Gesundheit (2) sehr stark belastet durch Ereignisse in der Vergangenheit (2) Schulden (2)

37.10 % 29.50 % 22.30 % 20.30 % 15.60 %

Prozentualer Anteil der Teilnehmer, die sich in den folgenden Kategorien als belastet einstufen

Abb. 1  Belastungsfaktoren der Teilnehmer. (1) Item aus IRES-Frage­ bogen; (2) Items aus PHQ-Stressmodul; (3) Item aus F-Sozu-K-7

dung (73,8 %) absolviert. Fachhochschulreife oder Abitur besaßen lediglich 12,6 % der Befragten. Annähernd 15 % der Befragten besaßen keinen Berufsabschluss, überdurchschnittlich viele davon bei den FBT. Fast zwei Drittel der TN (63,9 %) waren vor Beginn der Maßnahme arbeitslos gemeldet. Erwerbstätig waren dagegen 34,9 %, während ein kleiner Anteil (1,2 %) eine Erwerbsminderungsrente bezog. Über ein Drittel (36,4 %) der TN war vor der Maßnahme krankgeschrieben, 47,7 % davon bereits 1 Jahr oder länger. Die am häufigsten genannten Beschwerden waren mit weitem Abstand Muskel-Skelett-Erkrankungen (53,7 %), gefolgt von Depressionen (21,8 %). Über die Hälfte der Befragten gab an, schon einmal eine medizinische Reha in Anspruch genommen zu haben (55,9 %). Aufgrund dieser Merkmale kann unsere Stichprobe insgesamt als repräsentativ für die TN-Struktur beruflicher Vollzeitbildungsmaßnahmen für Rehabilitanden gelten. Zwar sind die TN der FBT im Schnitt etwas jünger, ihrer subjektiven Einschätzung nach gesünder und haben seltener eine abgeschlossene Berufsausbildung: die Differenzen sind aber, mit Ausnahme der fehlenden Berufsabschlüsse, statistisch nicht signifikant. Darüber hinaus werden die FBT aufgrund der Versicherungszeiten der jüngeren TN etwas stärker von der BA belegt.

Spezifische Problemlagen der Teilnehmer

Bei der untersuchten Gruppe handelt es sich um körperlich und psychisch stark belastete Personen. So verweist die körperliche Summenskala der Teilnehmer anhand des SF-12 (Selbstbeurteilungsfragebogen) auf eine stärkere Belastung als in der Normstichprobe. Noch ausgeprägter ist das Ergebnis für die psychische Summenskala, die für die TN einen Mittelwert von 46,2 ergibt. In der Normstichprobe liegt der Wert für Männer bei 53,3 und für Frauen bei 51,3.6 Diese starke Belastung trifft auch für Lebensbewältigung und Selbstwertgefühl zu: so gaben im IRES-Fragebogen immerhin 65 % der Teilnehmer Probleme in der Lebensbewältigung an, 89,0 % nannten ein belastetes Selbstwertgefühl, davon 73,8 % sogar ein gravierendes. Insgesamt unterschieden sich Frauen (n = 133) und Männer (n = 298) unserer Stichprobe hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes nicht voneinander. Teilnehmer in den FBT schätzten ihren Gesundheitszustand besser ein als solche aus den BFWen, was v. a. mit dem geringeren Lebensalter korrelierte. ●  ▶  Abb. 1 fasst charakteristische Ergebnisse zusammen. 6

 Ein höherer Skalenwert beim Selbstbeurteilungsfragebogen steht für geringere Beschwerden. Zur Normstichprobe: Ellert und Kurth ([25], bzw. [26]).

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Insgesamt wurden 12 Abbrecher-, 12 Teilnehmer- und 23 Experteninterviews sowie jeweils 3 Gruppendiskussionen mit Experten (n = 10) und Teilnehmern (n = 15) durchgeführt. Die Gruppe der Experten umfasste Mitarbeiter auf Leitungsebene (n = 8), Reha-Integrationsmanager/-coaches und Gruppenleiter (n = 12), Ausbilder (n = 8), Mitarbeiter des ärztlichen und psychologischen Dienstes (n = 2) sowie Rehafachberater der Rentenversicherung (n = 3); die Mehrzahl der Befragten besaß jahrelange Berufserfahrung. Die Auswahl der Interviewteilnehmer, die im Untersuchungszeitraum nicht abgebrochen hatten, erfolgte nach dem Theoretical Sampling [22]: aus der Fragebogenerhebung wurden Teilnehmer mit sehr positiven Indikatoren und solche mit hohen Risikoindikatoren befragt. Die Gruppendiskussionen mit den Teilnehmern wurden von den betreffenden Einrichtungen nach unseren Vorgaben (möglichst heterogene „Fälle“, Geschlecht, Alter; Ausbildung, soziale Herkunft usw.) organisiert und vor Ort von jeweils 2 Mitgliedern der Forschungsgruppe durchgeführt. Nach Abschluss der Fragebogenerhebung und den leitfadengestützten Experteninterviews wurden aus den Einrichtungen zeitnah Abbrüche von Teilnehmern gemeldet. Nach der vorab eingeholten Zustimmung wurde mit 12 Abbrechern ein Interview zu den Gründen für den frühzeitigen Abbruch der Maßnahme durchgeführt. Die narrativ-episodischen und um einen Leitfaden ergänzten Interviews mit Abbrechern und (bislang) erfolgreichen Teilnehmern (n = 12) beinhalteten Fragen zur Bildungs-, Berufs- und Erwerbsbiografie, zur Krankheitsgeschichte, zum Weg in die Qualifizierung, zum bisherigen Verlauf und Erleben der Maßnahme, zur sozialen Unterstützung und den beruflichen und persönlichen Zukunftsperspektiven. Alle Interviews wurden digital aufgezeichnet, transkribiert und im Anschluss mithilfe des Programms MAXQDA [23] kodiert. Die Auswertung erfolgte zunächst inhaltsanalytisch [24], um die zentralen Themen und Problembereiche zu identifizieren, anschließend erfolgte eine vertiefende Datenanalyse nach dem Codierverfahren der Grounded Theory [22]. Darauf aufbauend wurden Fallportraits erstellt, wobei ausgewählte Eckfälle typische Konstellationen verdeutlichen sollten. Diese wurden so ausgewählt, dass die Varianz des Datenmaterials möglichst umfassend ausgeschöpft und entsprechend der Grounded Theory mit maximalem und minimalem Kontrast einander gegenübergestellt werden konnten.

89.00 %

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keine signifikanten Unterschiede

Tab. 3  Teilnehmer-Eckfälle.

signifikante Unterschiede bei Abbrechern

Alter, Geschlecht, Bildungsstand, ­Kostenträger, Bildungsträger (BFW/FBT) körperliche Belastungen

Dauer der Arbeitslosigkeit vorherige Abbrüche von Ausbildungen oder Studium

erhöhte seelische Belastung (p = 0,009) geringere Werte für Selbstwirksamkeit in einzelnen Items (von p = 0,01–0,04) niedrigere Werte für soziale Unterstützung (p = 0,001) weniger positive Erwartungen an die Maßnahme (p = 0,009)

Prädiktion auf Abbruch

b  − 1,15 0,73 1,31

SE

Signifikanz

OR

0,45 0,26 0,39

0,010 0,005 0,001

0,32 2,07 3,71

b = Regressionskoeffizient, SE = Standardfehler, OR = Odds Ratio

Gruppenvergleich zwischen Abbrechern und NichtAbbrechern

Wie bereits erwähnt, war eine Differenzierung nach den ursprünglich angedachten Strukturmerkmalen aufgrund der ungleichen Verteilung und der geringen Fallzahlen in einzelnen Kategorien nicht möglich und sinnvoll. Deshalb wurden im Weiteren alle Abbrecher in einer Gruppe zusammengefasst und mit den „Nicht-Abbrechern“ kontrastiert. Bis kurz vor Projektende wurden insgesamt 35 Teilnehmer gemeldet, die aus verschiedensten Gründen ihre Maßnahme abgebrochen hatten; hinsichtlich des Zeitpunktes der Abbrüche gab es keine auffälligen Muster. Bei einem Vergleich der Abbrecher und Nicht-Abbrecher ergaben sich die aus ●  ▶  Tab. 1 ersichtlichen Ergebnisse. Um mögliche Prädiktoren für einen Abbruch zu ermitteln, wurden logistische Regressionen gerechnet. Grundlage für die Auswahl der Prädiktoren bildeten die Ergebnisse einer bivariaten Analyse. Das endgültige Modell enthält nur signifikante Einflussgrößen, die hinsichtlich der soziodemografischen Variablen ­adjustiert wurden. Alle Prädiktoren, die keinen signifikanten Einfluss aufwiesen, sowie Prädiktoren, die stark miteinander korrelierten, wurden aus dem Modell entfernt. Am Ende blieben 3 signifikante personenbezogene Prädiktoren für einen Abbruch ▶  Tab. 2). übrig ( ● Personen, die mit einem Partner zusammenlebten, hatten statistisch eine 0,32-fache, also etwa 3-mal geringere Wahrscheinlichkeit, die Maßnahme abzubrechen. Teilnehmer mit einem subjektiv als schlecht eingeschätztem Gesundheitszustand (Frage aus dem SF-12) haben eine 2-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Abbruch7. Beim Vorhandensein einer Depression (SCQ-D = Self-Administered Comorbidity Questionnaire zur Erfassung der Komorbidität) erhöht sich das statistische Risiko eines Abbruchs sogar um das 3,7-fache.

Ausgewählte Ergebnisse der qualitativen Befragung Typische Konstellationen – Eckfälle

Aus den Interviews wurden Eckfälle ausgewählt, die für typische Konstellationen aus der Bandbreite möglicher Abbruch7

Eckfall Frau Heller Eckfälle Herr Burg und Herr Pflug

 Die Angaben auf der Likert-Skala „schlecht“ und „weniger gut“ sowie „sehr gut“ und „ausgezeichnet“ wurden zu jeweils einem Wert zusammen­gefasst.

Realistische Anpassung der Qualifizierungsziele an das Leistungsvermögen der Teilnehmer, d. h. Qualifika­ tionsziele können auch nach unten oder oben korrigiert werden, um einen Abbruch zu vermeiden Hohe Motivation, sehr gute Passgenauigkeit und Zufriedenheit mit der Maßnahme Umschulung wird als letzte Chance wahrgenommen beruflich Fuß zu fassen, daher werden auch Entbehrungen (finanzieller, zeitlicher Art usw.) in Kauf genommen

Tab. 4  Abbrecher-Eckfälle. Eckfall Frau Pfeiffer

Tab. 2  Prädiktion auf Abbruch (n = 35 Abbrecher).

Partnerschaft subjekt. Gesundheit Depression vorhanden

Eckfall Frau Thomas

Eckfall Herr Franz Eckfall Herr Sander Eckfall Herr Sommer Eckfall Frau Rabe

Die verfehlte Zuweisungspraxis: Das Qualifikationsziel entspricht nicht den Erwartungen und passt nicht zum Leistungsprofil der Rehabilitandin. Der medizinisch induzierte Abbruch. Eine Verschlechterung der Erkrankung führt zum Abbruch der Maßnahme. Die „Abbruchkarriere“: Der Abbruch ist ein wiederkehrendes Ereignis in der Biografie. Der maßnahmeninduzierte Abbruchgrund: Unter- oder Überforderung und/oder Rahmenbedingungen sowie das Gruppenklima führen zum Abbruch. Kritisches Lebensereignis: Scheidung während der Maßnahme; oder auch: Umzug, Tod von Angehörigen, Unfall.

bzw. Durchhaltegründe stehen. Die Eckfälle unterscheiden sich in den analyserelevanten Dimensionen maximal (z. B. verfehlte Zuweisungspraxis, maßnahmeninduziert, kritisches Lebensereignis). In ●  ▶  Tab. 3 werden 4 Eckfälle von Teilnehmern dargestellt, an denen individuelle Gelingensbedingungen für einen wahrscheinlich erfolgreichen Abschluss der Maßnahme sichtbar werden. Die in ●  ▶  Tab. 4 dargestellten Eckfälle zeigen typische subjektive Misslingensbedingungen für einen Abbruch der Maßnahme. In einer detaillierten Auswertung der Interviews mit den Abbrechern zeigten sich nur wenige Unterschiede zu den Nicht-Abbrechern. So finden sich etwa bei den Teilnehmern aus beiden Gruppen gebrochene berufliche Entwicklungen sowie starke gesundheitliche Einschränkungen. Die Motivationslage, das Erleben der Maßnahme sowie die Gruppenwahrnehmung sind bei Abbrechern wie auch bei Nicht-Abbrechern praktisch identisch. Als wesentliches Unterscheidungskriterium erwies sich hingegen die individuelle Lebenslage, also die „Geschichte“ hinter dem Abbruch, wie z. B. Probleme in der Familie, finanzielle Sorgen oder eine geringe soziale Unterstützung. Dazu kommt die von allen TN genannte, besonders aber von den Abbrechern stark empfundene Doppelbelastung: gravierende Gesundheitsprobleme bei gleichzeitig hohen Anforderungen bei der von 3 auf 2 Jahren verkürzten Ausbildungszeit. In den Interviews bestätigte sich, dass für die Abbrecher die subjektive Bewertung der eigenen Krankheit und die dabei wahrgenommenen Belastungen eine relevante Einflussgröße für die Abbruchentscheidung darstellen.

Die Sicht der Experten

Fast einhellig stellen die befragten Experten eine Veränderung der Teilnehmerstruktur in den letzten 10 Jahren fest: eine Zunahme psychischer Erkrankungen, von Mehrfachdiagnosen und Verhaltensauffälligkeiten sowie eine vor allem bei jüngeren Teilnehmern auftretende Häufung sozialer Anpassungsschwierigkeiten, ein geringeres Leistungsniveau sowie allgemein eine Zunahme von Langzeitarbeitslosen.

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Tab. 1  Abbrecher (n = 35) und Nicht-Abbrecher (n = 419).

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Verfahrensbedingte und institutionelle Risikodimensionen für einen Abbruch

Überwiegend wird die Maßnahme von den meisten Teilnehmern positiv bewertet und als Chance zum beruflichen Neustart bzw. zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gesehen. Dennoch werden einige Aspekte kritisch gesehen: ▶ Probleme bei der Zuweisung: Dauer von der Antragstellung bis zum Beginn der Maßnahme, Passfähigkeit zum Berufswunsch oder zur bisherigen Ausbildung; Intransparenz bei der Bewilligung zum Reha-Vorbereitungslehrgang (RVL) bzw. zum Reha-Vorbereitungstraining (RVT) (z. B. gefühlte Ungerechtigkeiten wegen des gezahlten Übergangsgeldes); ▶ Zuweisung, Dauer und Betreuung des Praktikums: das Praktikum wird oft als wenig passend zur Ausbildung erlebt, die Arbeit teilweise als ausbeutend oder als Leerlauf mit Bezug auf die Anwendung von Lerninhalten gesehen; die bei einigen Anbietern bis zu 9 Monaten dauernden Praktika werden als zu lang und die Praktikumsbetreuung als unzureichend erlebt. ▶ Maßnahmengestaltung: –  RVL: eine auffallend polarisierende Bewertung, von „total sinnlos, Zeitverschwendung“ bis hin zu „sehr hilfreich“. –  Didaktik und Unterstützung in der Ausbildung: die auf 2 Jahre verdichtete Ausbildung, die zeitliche Taktung des Lernstoffs, teilweise auch das didaktische Vorgehen angesichts der Heterogenität der TN (unterschiedliches Vorwissen) wurde von vielen kritisiert. ▶ Gruppendynamik: als gravierendes Problem stellte sich die Heterogenität der Gruppenzusammensetzung in den BFWen mit Blick auf den unterschiedlichen Kenntnisstand und die berufliche Herkunft dar, nicht jedoch in Bezug auf Alter, Geschlecht oder Krankheit (mit Ausnahme psychischer Erkrankungen). Viele TN erlebten es als belastend, dass unterschiedliche Berufsausbildungen gemeinsam in einem Kurs unterrichtet werden.

Dimensionen von Abbruch

Schon zu Beginn der empirischen Erhebung zeigte sich, dass der Begriff „Abbruch“ – in der Statistik der DRV als Maßnahmenabbruch definiert – vielschichtiger ist und mehrere Facetten beinhaltet. Wir unterscheiden in unserer Studie zwischen 4 unter▶  Tab. 5). schiedlichen Typen von Abbrechern ( ● Ein wichtiges Ergebnis dieser Studie ist, dass ein großer Teil der untersuchten Abbrüche in die Kategorie der „Wiederkehrer“ fällt, d. h. viele TN kehren nach einer bestimmten Zeitspanne, etwa

Tab. 5  Typen von Abbrechern. Abbrecher nach oben

Umsetzer

Aufnahme einer Erwerbsarbeit vor Abschluss der Qualifizierung

Wechsel der Einrichtung oder Übergang in eine andere Qualifizierung innerhalb der Einrichtung „Echte“ Abbrecher Teilnehmer, die die Maßnahme von sich aus abbrechen oder bei denen die Maßnahme vom Kostenträger abgebrochen wird und die nicht wiederkehren

Wiederkehrer Abbrecher, die zu einem späteren Zeitpunkt, etwa nach einer längeren Krankheitsepisode, die Ausbildung wieder aufnehmen, meist beim bisherigen Bildungsträger

nach einer gesundheitlich oder psychisch bedingten Auszeit, in die Maßnahme zurück. Aus der Perspektive der Bildungsträger und der TN liegt hier im Gegensatz zur Dokumentation beim Kostenträger kein „echter“ Abbruch vor.

Diskussion



Die in der Literatur und von der DRV allgemein genannten Abbrüche von 20–25 % [1] weichen in einzelnen der von uns untersuchten Einrichtungen stark voneinander ab und legen kleinere Zahlen nahe. In unserer Studiengruppe lag die gemeldete Abbruchquote am Projektende bei 7,7 %. Dafür mag es mehrere Gründe geben: zum einem der Zeitpunkt der Untersuchung, bei der bereits während der laufenden Maßnahme abgebrochene Teilnehmer nicht mehr erfasst wurden; dasselbe gilt für krankgeschriebene Teilnehmer, die ebenfalls nicht zum Untersuchungszeitpunkt anwesend waren und evtl. vor einem Abbruch standen; zudem können auch fehlende Meldungen aus den beteiligten Einrichtungen die Zahl der Abbrecher geringer gehalten haben als zu erwarten war. Die Einschätzung der Zahl der Wiederkehrer von ca. 60 % der Abbrecher beruht auf den Aussagen der Experten vor Ort und den Interviews mit den Personen, die die Maßnahme bereits abgebrochen hatten. Der überwiegende Teil wollte zu einem späteren Zeitpunkt die Umschulung fortsetzen. Bezogen auf unsere Stichprobe der TN aus den laufenden Kursen kann eine präzisere Zahl der Wiederkehrer erst am Ende der gegenwärtig laufenden Folgestudie genannt werden.8 Unsere Daten deuten damit auf eine mögliche Überschätzung des Problems „Abbruch“ hin. Es handelt sich hier nicht allein um systematische Lücken in der Datenerfassung, die zu Problemen der Vergleichbarkeit führen, sondern um unterschiedliche, meist nicht explizit benannte Definitionen von Abbruch innerhalb und zwischen allen beteiligten Akteuren. Das richtet den Blick auf die Frage, welche Definition von Abbruch unter der Perspektive des Rehabilitationsziels sinnvoll ist. Davon hängt ab, was als Kriterium des Erfolgs der Maßnahme gewertet wird: so kann ein Teilnehmer eine Maßnahme unterbrechen und als „Wiederkehrer“ (administrativ: neue Maßnahme) erfolgreich sein. Fast einheitlich bewerten die Interviewpartner ihren Abbruch, unabhängig von dem konkreten Anlass oder Hintergrund, auch nicht als subjektives Scheitern. Besonders krankheitsbedingte Abbrüche werden mehrheitlich als zeitliche Unterbrechung und nicht als Abbruch bewertet. 8

 „Wege von der beruflichen Qualifizierungsmaßnahme in das Beschäftigungssystem – eine qualitative und quantitative Analyse individueller Verlaufskarrieren und ihrer biografischen und strukturellen Bedingungen“ (Laufzeit Feb. 2014–Feb. 2016).

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Qualifizierung und Integration werden, so der Konsens der Experten, immer mehr gleichwertige Pole der eigenen Arbeit. So gewinnt der Erwerb von Schlüsselkompetenzen neben der berufsfachlichen Qualifikation zunehmend an Bedeutung. Dies gilt besonders für die Förderung sozialer, personaler und Gesundheitskompetenzen. Diese Entwicklung wird als neue Herausforderung sowohl für die Weiterqualifizierung der Fachkräfte (z. B. Umgang mit psychosozialen Problemen) als auch für die alltägliche Problembewältigung in den Einrichtungen gesehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Thema des Abbruchs als durchaus relevant dar, wird aber als weniger dramatisch wahrgenommen als zu Beginn der Studie erwartet und gilt als Teil des „­normalen Betriebes“. Alle Einrichtungen haben bereits mit verbesserten Eingangsassessements sowie mit einem ausdifferenzierten Abbruchmanagement, für das in der Regel die Reintegrationsmanager zuständig sind, auf die bislang bekannten Abbruchrisiken reagiert.

Originalarbeit 189

Kernbotschaft Abbruch als Begriff ist weder eindeutig definiert noch wird er von den relevanten Akteuren verbindlich verwendet. Ein Abbruch beruflicher Bildungsleistungen ist in der Regel ein vielschichtiger und komplexer Prozess, der nur begrenzt vorhersag- und beeinflussbar ist. Verbesserungspotenziale liegen in der Zuweisungspraxis, dem Maßnahmenverlauf und der Aufgabenverteilung der unterschiedlichen Professionen und ­Institutionen.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Ergänzendes Material



Ausblick



tur lassen präventive und allgemeine Interventionsstrategien nur äußerst begrenzt zu. Die Frage, welche individuellen und umweltbezogenen Bedingungen einen nachhaltigen Eingliederungserfolg sichern, ist von zentraler Bedeutung für die Bewertung einer Maßnahme über den rein administrativen Erfolg (Bestehen der Abschlussprüfung) hinaus. Im Unterschied zu einer Verlaufsstatistik, die lediglich die formale Beendigung einer Maßnahme (Erfolg/Abbruch) und die punktuelle Integration in das Beschäftigungssystem für den Kostenträger dokumentiert, wäre es wichtig, die individuellen Wege in den Arbeitsmarkt mithilfe biografischer Längsschnittuntersuchungen zu rekonstruieren.9

Der Abbruch einer Umschulungsmaßnahme ist und bleibt ein vielschichtiger und oft situativer Prozess. Die vielfältigen und durch eigene Erfahrungen vorgeprägten Reaktionsweisen und Verhaltensmuster und die Heterogenität der Teilnehmerstruk-

Die Literatur und den Fragebogen zu diesem Beitrag finden Sie online unter www.thieme-connect.de/products.

9

 In der aktuellen Folgestudie (Laufzeit Feb. 2014–Feb. 2016) beschäftigen wir uns deshalb mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit beruflicher Rehabilitation im biografischen Verlauf ehemaliger Teilnehmer.

Meschnig A et al. Individuelle und kontextbezogene Ursachen …  Rehabilitation 2015; 54: 184–189

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Persönlichkeitsdispositionen, individuelle Vulnerabilität, das subjektive Gesundheitserleben, individuelle Lebenskonstruktionen und Zukunftsentwürfe beeinflussen den Erfolg der Maßnahme. So zeigt eine Studie von Arling et al., dass Merkmale wie Beharrlichkeit, positive Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeitserwartungen sowie eine hohe Leistungsmotivation die Wahrscheinlichkeit für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erhöhen [27]. Für einen individuellen Abbruch stellen sie auf der Basis unserer Daten aber kein belastbares prognostisches Kriterium dar. So fanden wir weder eine Korrelation ­zwischen Abbruchgedanken – die von fast allen Teilnehmern im Verlauf der Maßnahme benannt wurden – und tatsächlichem Abbruch noch zwischen der Ausprägung der Kontrollüberzeugung und einem Abbruch. Ob ein Teilnehmer tatsächlich abbricht oder nur unterbricht lässt sich, so unsere Folgerung, nur im Einzelfall und meist erst nachträglich rekonstruieren, da situative Momente wie fehlende Anerkennung in der Gruppe, kritische Lebensereignisse, temporäre familiäre Belastungen, körperliche oder psychische Krankheitsepisoden usw. eine entscheidendere Rolle als z. B. Persönlichkeitsmerkmale zu spielen scheinen. Ein individueller Abbruch lässt sich – zumindest aus den Ergebnissen unserer Studie – nicht eindeutig prognostizieren. Das führt zur Frage nach dem Zusatznutzen von aufwändigen Assessment-Instrumenten zur Identifikation abbruchgefährdeter Teilnehmer. Wir würden hier stärker auf die Berücksichtigung biografischer Aspekte und verlaufsbegleitende Unterstützung setzen.

[Individual and Contextual Reasons for Drop-outs in Vocational Retraining].

The study focusses on the explanation of the individual, process-driven, and institutional factors and their interplay, and on the subjective accounts...
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