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Vöhringer u. a.: Einfluß von Antacida auf die Digoxin-Plasmakonzentration

Deutschc Medizinische Wochenschrift

Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 106-108

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Der Einfluß von Antacida auf die Plasmakonzentration von Digoxin beim Menschen

Influence of antacids on plasma concentration of digoxin in man

H.-F. Vöhringer, J. Kuhlmann und N. Rietbrock Institut für Klinische Pharmakologie, Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin

Bei neun gesunden Versuchspersonen wurden die Plasmakonzentrationen von Digoxin im gepaarten Versuch nach oraler Verabfolgung von Digoxin unter Kontroilbedingungen und nach Gabe von Magnesiumaluminium-Silikathydrat und Dimagnesiumaluminium-Trisilikat radioimmunologisch bestimmt. Die Verabreichung von je 0,75 mg Digoxin über 3 Tage und je 0,375 mg über 2 Tage ergibt nach simultaner Medikation von 1100 mg Magnesiumaluminium-Silikathydrat (n = 4) einen um 17°/o erniedrigten und nach simultaner Gabe von 1000 mg Dimagnesiumaluminium-Trisilikat (n = 5) einen um 24°/o erhöhten Digoxin-Plasmaspiegel. Die jeweiligen Unterschiede sind nicht signifikant. Die Untersuchungen lassen den Schluß zu, daß die Resorption von Digoxin durch magnesiumaluminium-silikat-haltige Antacida nicht beeinflußt wird. Wechselwirkungen von Antacida mit anderen Pharmaka können im Magen-Darm-Trakt sowohl nach einmaliger

als auch nach mehrfacher Applikation zu einer unterschiedlichen Wirksamkeit dieser Medikamente führen (14). Garb (S) nennt folgende Medikamente, deren Wirksamkeit durch simultane Verabfolgung eines Antacidums beeinträchtigt wird: orale Antikoagulantien, Penicillin G, Tetracycline, Nitrofurantoin, Nalidixinsäure, Sulfonamide und Phenylbutazon. Hinsichtlich der Digitalisglykoside ist bisher bekannt, daß so unterschiedliche Substanzen wie Aktivkohle (1, 7), KaopectateB (2), Cholestyramin (6), Diphenylhydan-

(10) und das Aminoglykosid Neomycin (12) die gastrointestinale Absorption von Digoxin zu beeinflussen vermögen. Darüber hinaus können die durch Metoclopramid und Propanthelin hervorgerufenen Änderungen der gastrointestinalen Motilität eine Veränderung der biologischen Verfügbarkeit bewirken (15). Interaktionen von Antacida mit Digoxin führen nach In-vitro-Untersuchungen (9) zu einer verminderten Lösungsgeschwindigkeit von Digoxin in Gegenwart eines magnesium-trisilikathaltigen Lösungsmittels. Das amerikanische Präparat »Maalox« (eine kolloidale Suspension von Magnesium- und Aluminium-hydroxid) bindet in vitro 12,4% tritium-markiertes Digoxin; unter In-vivoBedingungen ist die Fläche unter der Digoxinkonzentrations-Zeit-Kurve bei gleichzeitiger »Maalox«-Verabfoltom

gung gegenüber dem Leerversuch um 37% vermindert (3). * Mit Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft

In a cross-over trial the plasma concentrations of digoxin have been studied in nine healthy subjects given oral doses of digoxin alone and simultaneously with magnesium-aluminium-silicatehydrate and dimagnesium-aluminium-trisilicate. The administration of 0.75 mg digoxin on each of 3 days and 0.375 mg on each of 2 days caused a 17 per cent decrease of digoxin plasma level when given simultaneously with 1100 eng magnesium-aluminium-silicate-hydrate (n = 4) and a 24 per cent increase when given with 1000 mg diniagnesium-aluminium-trisilicate (n = S), respectively. The differences are flot significant. The experiments suggest that antacids containing magnesium-aluminium-silicate

do not impair the absorption of digoxin in man.

Wir untersuchten daher die Frage, inwieweit in Deutschland verbreitete Antacida-Präparate die Plasma-

konzentrationen von Digoxin nach repetierter Verabreichung verändern können.

Probanden und Methodik Die Untersuchung wurde an neun freiwilligen, gesunden Versuchspersonen (S weiblichen, 4 männlichen) durchgeführt. Nach eingehender Aufklärung über Art und Zweck der Experimente wurden die Probanden in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe (n = 4, 28-38 Jahre, 60-75 kg Körpergewicht) erhielt jeden Morgen etwa eine Stunde nach dem Frühstück über 3 Tage je 0,75 mg Digoxin und während der darauffolgenden zwei Tage je 0,375 mg Digoxin (Lanicor®, Charge-Nr. 709850) per os mit einem Schluck Leitungswasser. Nach l4tägigem Intervall erfolgte dieselbe Digoxin-Medikation mit zusätzlicher oraler Verabfolgung von 1100 mg Magnesiumaluminiuin-Silikathydrat (2 Tabletten Gelusil® zum Lutschen, Charge-Nr. 1093 24) etwa 10 Minuten vor der Digoxin-Einnahme. Jeweils vor und 24 Stunden nach der letzten Digoxin-Verabfolgung wurden 6 ml venöses Vollblut aus den Armvenen entnommen. Die zweite Gruppe (n 5, 28-44 Jahre, 54-78 kg Körpergewicht) erhielt dieselbe Digoxin-Medikation wie die erste Gruppe, als Antacidum wurde 1000 mg Dimagnesiumaluminium-Trisilikat (2 Tabletten Masigel®, Charge-Nr. 2052) verabfolgt. Die Messung der Digoxinkonzentration im Plasma erfolgte radioimmunologisch im Doppelansatz nach dem von Larbig und Kochsick (11) angegebenen Verfahren. Die Bindungskapazität des Kaninchen-Antikörpers betrug bei einer Endverdünnung von 1: 140 000

50°/o, die spezifische Aktivität von 'H-Digoxin (NEN, Boston) 8 Ci/mmol. Untere Nachweisgrenze der Methode: 0,25 ng/ml Plasma.

Die statistische Analyse der Daten wurde mit Hilfe des Studentt-Tests für gepaarte Proben durchgeführt, wobei eine Irrtumswahrscheinlichkeit von P = S°/o zugelassen wurde. Die Bestimmung der

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*

Vöhringer u. a.: Einfluß von Antacida auf die Digoxin-Plasmakonzentration

Flächen unter den Konzentrations-Zeit-Kurven erfolgte mittels eines Polarplanimeters.

Ergebnisse Die Abbildung 1 zeigt die verschiedenen Digoxin-Plas-

maspiegel nach repetierter Gabe von Lanicor und bei gleichzeitiger Applikation von Gelusil oder Masigel. Nach dreitägiger Medikation von je 0,75 mg Lanicor werden mittlere Digoxinspiegel zwischen 0,82 und 0,94 ng/ml Plasma erreicht. Die Dosisreduzierung auf zweimal je 0,375 mg Lanicor bewirkt nach 120 Stunden ein Absinken des mittleren Digoxinspiegels auf 0,7 ng/ml Plasma. Bei simultaner Verabfolgung von 1100 mg Gelusil und Digoxin sind die Digoxin-Plasmaspiegel um

durchschnittlich 17% erniedrigt, jedoch läßt sich zu keinem Zeitpunkt ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Digoxinkonzentrationen ermitteln. Die Fläche unter der Konzentrations-ZeitKurve beträgt für Digoxin 29,1 ± 1,4 cm2 und für Digoxin nach Gelusil 24,9 ± 3,6 cm2 (P < 0,5). Bei gleichzeitiger Verabreichung von 1000 mg Masigel und Lanicor ist der mittlere Digoxin-Plasmaspiegel nach 48, 72,

96 und 120 Stunden gegenüber dem Leerversuch im Durchschnitt um 24% erhöht, aber nicht signifikant ver-

schieden. Ebenso sind die Unterschiede der Flächen unter der Konzentrations-Zeit-Kurve im Rahmen der vorgegebenen Irrtumswahrscheinlichkeit statistisch nicht zu sichern (Digoxin: 34,7 ± 5,0 cm2; Digoxin nach Masigel: 40,7 ± 7,7 cm2; P < 0,2).

j0.75

075

10.75

0.375

0.375

[mgl

LANICOR e

Digoxin

Digoxin noch

107

Diskussion Wechselwirkungen von Pharmaka im Magen-DarmTrakt können nach repetierter Gabe im Blut zu einer Veränderung der »Steady-state«-Konzentration eines der Medikamente führen (17). Im Dissolution-Test gehen in Gegenwart von Magnesiumtrisilikat innerhalb von einer Stunde nur etwa 5% Digoxin aus einer festen Zubereitung in Lösung, während unter Kontrollbedingungen bereits 99% Digoxin in gelöster Form vorliegen

(9). Da die Lösungsgeschwindigkeit von Digoxin in einer engen Korrelation zu dessen biologischer Verfüg-

barkeit steht (8, 13, 19), war zu erwarten, daß in vivo bei simultaner Verabfolgung von Antacida und Digoxin eine Verminderung des Digoxin-Plasmaspiegels eintreten würde. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, daß nach repetierter Gabe von Lanicor die gleichzeitige Gelusil- bzw. Masigel-Medikation keine statistisch signifikante Veränderung des Digoxin-Plasmaspiegels zur Folge hat. Die Digoxin-Plasmakonzentrationen liegen nach simultaner Gelusil-Verabfolgung im Durchschnitt um 17% niedriger und nach simultaner Masigel-Gabe um 24% höher als nach alleiniger Lanicor-Medikation. Gelusil als Magnesiumaluminium-Silikathydrat und Masigel als Dimagnesiumaluminium-Trisilikat unterscheiden sich

nur geringfügig in ihrer molekularen Struktur, so daß keine prinzipiell andersgeartete Beeinflussung des Digoxin-Plasmaspiegels angenommen werden kann. Die Ursache dafür, daß keine Interaktion dieser Antacida mit Digoxin stattfindet, liegt möglicherweise in dem Befund, daß die Resorption von Digoxin in erster Linie im Dünndarm und nur zu einem kleineren Teil auch im Magen erfolgt (16). Die Antacida werden dagegen be-

reits im Magen durch Reaktion mit der Salzsäure in

GELUSIL °

nicht mehr für Digoxin adsorptionsfähige Verbindungen

[n.4J

überführt. Das Endprodukt der Reaktion mit der Magen-HC1 stellt das Siliciumdioxid dar (4). Nach Untersuchungen über die biologische Verfügbarkeit von Digoxin-Kombinationspräparaten bewirkt die Inkorporation

24

48

72

96

120

von Digoxin in eine aus Siliciumdioxid bestehende Aerosilmatrix als Trägersubstanz eine Verfügbarkeit

[h]

von Digoxin, die mit derjenigen von wäßrig-alkoholischen Lösungen nahezu identisch ist (18). 1.5

Digoxin

- Digoxin noch MASIGEL e

[n.5]

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0

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[h]

Abb. 1. Glykosidkonzentrationen im Plasma nach oraler Gabe von je 0,75 mg (über 3 Tage) und je 0,375 mg (über 2 Tage) Lanicor.

Zusätzliche Verabfolgung von 1100 mg Gelusil (n = 4) bzw. 1000 mg Masigel (n 5) etwa 10 Minuten vor Lanicor. Gepaarte Versuchsordnung; Mittelwerte mit Standardabweichungen.

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[Influence of antacids on plasma concentration of digoxin in man (author's transl)].

In a cross-over trial the plasma concentrations of digoxin have been studied in nine healthy subjects given oral doses of digoxin alone and simultaneo...
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