Langenbecks Arch. Chir. 345 (KongreBbericht 1977)

I.angontm~.s Arehiv f0r Chirurgio © by Springer-Verlag 1977

71. Tibiakopffrakturen W. Spier und E. Muggler Abteilung fiir Unfallchirurgie (Leiter: Prof. Dr. C. Burri), des Departments fiir Chirurgie der Universitiit, Steinh6velstr. 9, D-7900 Ulm

Injuries to the Tibial Plateau Summary. Conservative management of considerably displaced tibial head fractures tends to stretch the ligaments and damage the soft tissue. Plateau steps impair mobility and lead to secondary osteoarthritis. Therefore operative procedures are prefered: A buttressing plate supports the displaced condyle after exposure and immaculate reduction. Impacted fragments call for elevation and underlining by cancellous graft. Postoperatively, early active motion and late weight bearing is the rule. Operative procedures will only produce satisfactory results when performed by an experienced surgeon. Key words: Tibial head, stable fixation. Zusammenfassung. Konservative Repositionsversuche stark verschobener Tibiakopffrakturen iiberdehnen h~iufig den Bandapparat und schiidigen die Weichteile. Stufen im Gelenkplateau behindern die Beweglichkeit und fiihren zu Arthrosen. Eine operative Behandlung verdient den Vorzug. Nach sorgfiiltiger Reposition unter Sicht wird ein abgebrochener Condylus dutch eine Abstiitzplatte gehalten. Imprimate bediirfen der Hebung und Unterfiitterung mit Spongiosa. In der Nachbehandlung gilt das Prinzip frfiher aktiver Bewegung, abet sp~iter Belastung. Eine Operation bringt nut in der Hand der Erfahrenen befriedigende Ergebnisse. Sehliisselwiirter: Tibiakopffraktur-Rekonstruktion-Spongiosaplastik- Osteosynthese.

Reponiert man eine stark dislozierte Tibiakopffraktur nicht, so muB der Patient friiher oder sp~iter mit einer schmerzhaften Arthrose rechnen. Konservative Repositionsversuche iiberdehnen nicht selten den Bandapparat und schiidigen die Weichteile, sie sind auch meist nicht geeignet, die Fraktur stufenlos einzurichten. Eine operative Behandlung liefert neueren Statistiken zufolge auch nicht immer ideale

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Ergebnisse und triigt zudem die Gefahr einer Infektion in sich (Abb. 1). Nur das chirurgische Vorgehen aber ist in der Lage, Gelenkstufen unter Sicht zu beseitigen und eine tibungsstabile Fixation zu gew~ihrleisten. Es ist daher heute bei dislozierten Frakturen eine operative Therapie unter gr6f3ter Schonung der Weichteile zu empfehlen. Folgende Richtlinien sind zu beachten: Nach chirurgischen Gesichtspunkten unterteilen wir die Brtiche des Schienbeinkopfes in undislozierte Condylenfrakturen, verschiedene Formen der Eminentiaausrisse, mono- und bicondyl~ire Depressionen, Impressionsfrakturen und Kombinationsformen (Abb. 2).

Abb. 1. UngeniigendeOsteosynthese,schlechteRekonstruktion, fehlende Stabilit/it,sekundiire Dislokation

Abb. 2. Bruchformen

Spaltbruch monocondyl~ire Impression Depression

Mischformen

Tibiakopffrakturen

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Einen unverschobenen Sehaftbruch des Schienbeinkopfes kann man konservativ behandeln, allerdings mul3 der Patient bis zum kn6chernen Durchbau ffir 6-8 Wochen entlasten. In gewissen Fiillen erscheint jedoch eine Osteosynthese mit Spongiosaschrauben und Unterlagscheiben gfinstiger. Gr6Bere Fragmente sollte man zur Vermeidung von Rotationen dabei stets an zwei oder mehr Fixationspunkten fassen. Beim dislozierten Ausri8 des Kreuzbandh6ckers besteht u. E. eine Operationsindikation. Er l~il3t sich ebensowenig wie der verschobene Condylenabbruch konservativ ausreichend reponieren und stabilisieren. Ein kleines intercondyliires Fragment wird durch eine transossiire Drahtnaht reinseriert. Manchmal ist es auch m6glich, einen AusriB des vorderen Kreuzbandh6kkers mit einer Kleinfragmentenschraube zu fassen. Gr6Bere Fragmente kann man nach dem Zuschraubenprinzip mit einer von distal nach proximal eingelegten Schraube retinieren. Dislozierte monocondyliire Depressionsfrakturen werden nach Rekonstruktion der Gelenkfliiche mit einer Abstiitzplatte in T- oder in L-Form gehalten. Die Schrauben im Frakturbereich erffillen dabei das Zugschraubenprinzip und die gesamte Montage vermag schleichend auftretende Fehlstellungen zu vermeiden. Bicondylfire Depressionen stellen oft operationstechnische Probleme. Die Reposition erfordert breite Freilegung. Zur Fixation sind gelegentlich zwei AbstiJtzplatten notwendig. Impressionsfrakturen bed/irfen der Hebung und Unterffitterung, da die alleinige Wiederherstellung der Gelenkfliiche keine sichere Bewegungs- und Belastungsstabilitfit bringt. Der erste operative Schritt bei diesem Frakturtyp besteht in der stufenfreien Anhebung der Gelenkfliiche. Der dadurch entstehende subchondrale Defekt wird mit autologer Spongiosa aus Beckenkamm oder Trochanter major aufgefiillt. Nach Reposition des randstiindigen Fragmentes erfolgt die bewegungsstabile AbstiJtzung mit einer T-Platte (Abb. 3). Impressionen im hinteren Anteil des Tibiakopfes lassen sich oft nicht direkt einsehen. Sie werden durch Anlegen eines Fensters in der Corticalis 5-6 cm distal der Gelenkfliiche zugiinglich gemacht. Das Imprimat wird unter Bildverstiirkerkontrolle mit einem St/513el gehoben, unterffittert und abgestiitzt. Da die wahre Ausdehnung der Impression auf konventionellen R6ntgenaufnahmen nicht immergut sichtbar wird, empfehlen wit Schr~ig- und Schichtaufnahmen. Postoperativ lassen vergleichbare Schichttiefen das Repositionsergebnis festhalten. Annehmbare Weichteilverh~iltnisse sind eine wichtige Voraussetzung ffir das operative Vorgehen. Bei gequetschter Haut mul3 man bis zur Erholung warten. In allen anderen F~illen ist die dislozierte Tibiakopffraktur eine Indikation zur Sofortoperation. Kann man nicht sofort operieren, ist ein Hamarthros unter hochaseptischen Verhiiltnissen zu entleeren. Der Hautschnitt verliiuft bogenf6rmig fiber dem verletzten Condylus, sollte peripher jedoch stets lateral der Tibiakante enden. Die Haut ist dabei nicht v o n d e r darunterliegenden Fascie abzul6sen. Bicondyl/ire Frakturen lassen sich gut von einem lateralen Bogenschnitt, kombiniert mit einem kurzen, weiter dorsal gelegenen medialen Liingsschnitt darstellen. M6glich ist auch ein becherf6rmiger Schnitt mit einem Winkel von je 120 ° zwischen den einzelnen Schenkeln. Die Narbe soil nicht fiber

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Abb. 3. KombinierteImpressions-und Depressionsfraktur,Hebungdes Imprimates,Unterfiitterung mit Spongiosa,Repositiondes randstiindigenFragmentesund stabile Osteosynthesedurch Abstiitzplatte

ein Metallimplantat zu liegen kommen, damit nicht schlieBlich eine Hautnekrose das Osteosynthesematerial freilegt. Das Gelenk wird er6ffnet, wobei wir stets unterhalb der Meniscen eingehen, die zum SehluB der Operation reinseriert werden. Eine Immobilisierung des operierten Knies ist nur n6tig, wenn keine iibungsstabile Osteosynthese gelang. Die Lagerung effolgt auf einer Schaumgummisehiene in ca. 60 °-Beugung, die funktionelle Nachbehandlung beginnt unmittelbar postoperativ mit Spannungsiibungen fiir die Obersehenkelmuskulatur. Aktiv gefiihrte Bewegungsiibungen unter krankengymnastiseher Leitung sind erlaubt, sobald der akute Wundschmerz abgeldungen ist. Der Patient steht nach 5 Tagen auf. Die Dauer der Entlastung betr~igt beim undislozierten Spaltbrueh 6 Woehen, beim verschobenen mono- oder bicondyl~iren Depressionsbruch mit Abstiitzplatte 8-10 Wochen, bei der Impression mit Spongiosaunterfiitterung 10-16 Wochen. In letzter Zeit zeigte insbesondere die Sammelstatistik von Muggler, dab die Ergebnisse naeh der Operation von Tibiakopffrakturen nieht in jedem Falle befriedigen. Wir sahen uns daher veranla6t, jenes Krankengut noch einmal durchzuarbeiten und nach Unterschieden in der Therapie an den verschiedenen beteiligten Kliniken zu suchen. Es wurde eine Gruppe A gebildet, in der relativ viele Operateure

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Tibiakopffrakturen q[abelle 1. Angaben in % Gruppe

n F~ille

n Opera- F~ille/ teure Operateur

Nachkontrolle Spalt/ ImKombi- offene n % Depres- pression niert sion % % Trtimmer %

A B

163 179

24 10

127 151

6,7 17,9

77,9 84,4

60,6 39,7

35,4 51,6

3,9 8,6

7,9 7,3

Tabelle 2. Angaben in %; bei einem Teil der Patienten lagen keine entsprechenden Angaben vor Kriterium

A

B

91,3 72,4

86,7 80,7

Stufen (R6.) Achsenabweichungen (R6.)

23,6 6,4

15,2 2,6

H~imatom/HSanarthros/Reizergul3

14,2

5,9

5,5 9,5

0 0,7

2,4

1,3

gut-befriedigend

Infekt

Operateur R6ntgen

oberfl~ichlich Knochen

Peronaeusl~ision Streckausfall

< >

5° 5°

84,7 15,3

89,1 10,9

Beugung

< 60 ° > 100°

2,4 83,1

0 92,5

Gang frei

63,5

75,3

Mit Stock

22,2

6,7

57,3 19,1

30,9 43,2

Gehstrecke

< 5 km > 10 km

wenige F~ille operierten und einer Gruppe B gegeniibergestellt, an denen wenige Operateure relativ viele F~ille versorgten. In der zweiten Gruppe wurden mehr technisch schwierige Frakturen, n~imlich Impressionen und Trtimmerbriiche operiert (Tabelle 1). Der Vergleich der Ergebnisse brachte folgende Erkenntnisse: In der Gruppe A wurden mehr Meniseektomien vorgenommen, w~ihrend man in der Gruppe B 6fter reinserierte und Bandrekonstruktionen vornahm. Trotz der einfacheren Bruchtypen und der optimistischen Beurteilung der Reposition durch den Operateur waren postoperative Stufen und Achsenabweichungen in der Gruppe A h~iufiger, entsprechend schlechter waren auch die R6ntgenbefunde bei der Kontrolluntersuchung.

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W. Spier und E. Muggier

Abb. 4. Reosteosynthese des Schienbeinkopfbruches, den Abbildung 1 zeigt

Postoperative Komplikationen, insbesondere Infektionen, iiberwogen in der Gruppe A erheblich. Das klinische Ergebnis sprach erwartungsgem~iB eindeutig fiir die Gruppe B, sowohl was die Beweglichkeit als auch was die Gehf~ihigkeit betrifft (Tabelle 2). Die AufschliJsselung zeigt, dab die Therapie der Wahl beim stark dislozierten Schienbeinkopfbruch nicht die Operation schlechthin ist, sondern die operative Rekonstruktion durch den ge~ibtesten und erfahrensten Traumatologen, den man erreichen kann (Abb. 4).

Literatur

B6hler, J.: Frakturen im Kniegelenk. Langenbecks Arch. Klin. Chir. 313, 502 (1965) Courvoisier, E.: Die Behandlung der Tibiakopffrakturen, vergleichende Ergebnisse. Hefte Urdallheilk. 120, 137 (1974) Dustmann, H. O., Schulitz, K. P.: Das Problem der Arthrose nach Schienbeinkopffrakturen. Chirurg 46, 358 (1975) Miiller, M. E., Allg6wer, M., Willenegger, H.: Manual der Osteosynthese. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1969 Muggier, E., Hell, K., Huber, D.: Sp~itergebnisse von 160 operativ versorgten Tibiakopffrakturen. Hefte Unfallheilk. 120, 122 (1974) Muggier, E., Huber, D., Burri, C.: Ergebnisse nach operativer Versorgung von 225 Tibiakopffrakturen. Chirurg. 46, 348 (1975) Spier, W., Burri, C.: Behandlungsprinzipien bei Tibiakopffrakturen. Chirurg. 46, 345 (1975) Spier, W., Riiter, A.: Tibiakopffrakturen. Hefte Unfallheilk. 120, 114 (1974)

[Injuries to the tibial plateau (author's transl)].

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