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Die Instabilität des distalen Radioulnargelenks – Zur Wertigkeit klinischer und röntgenologischer Testverfahren – eine Literaturübersicht Instability of the Distal Radioulnar Joint – an Overview of Clinical and Radiological Procedures Regarding their Efficacies

Institute

Schlüsselwörter ▶ distales Radioulnargelenk ● ▶ bildgebende Verfahren ● ▶ Luxation ● ▶ Instabilität ● Key words ▶ distal radio-ulnar joint ● ▶ imaging ● ▶ dislocation ● ▶ instability ●

eingereicht 29.9.2013 akzeptiert 25.11.2013 Bibliografie DOI  http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1363662 Online-Publikation: 18.2.2014 Handchir Mikrochir Plast Chir 2014; 46: 137–150 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0722-1819 Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Frank Unglaub Handchirurgie Vulpiusklinik Vulpiusstraße 29 74906 Bad Rappenau [email protected]

C. K. Spies1, L. P. Müller2, J. Oppermann2, P. Hahn1, F. Unglaub1, 3 1

 Handchirurgie, Vulpiusklinik, Bad Rappenau  Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinik Köln, Köln 3  Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg 2

Zusammenfassung

Abstract

Das distale Radioulnargelenk (DRUG) hat eine her­ ausragende Bedeutung für die Funktionalität der oberen Extremität. Verletzungen bzw. Einschrän­ kungen des DRUG können entscheidend die Ge­ brauchsfähigkeit der oberen Extremität limitieren. Zahlreiche klinische und röntgenologische Testver­ fahren zur DRUG-Instabilität wurden beschrieben. Es besteht allerdings noch keine Standardisierung der Evaluation einer Instabilität. Der TFCC (trian­ guläre fibrokartilaginäre Komplex) mit seinen Ver­ ankerungen über das Ligamentum subcruentum in der Fovea ulnaris und an der Basis des Processus styloideus ulnae stellt neben der Membrana inte­ rossea zweifelsohne einen wichtigen Stabilisator des DRUG dar. Oftmals führt ein Sturz auf die aus­ gestreckte und extendierte Hand oder eine forcier­ te Rotationsbewegung unter Last zu Verletzungen der Stabilisatoren. Klinisch zeigen sich in der Regel ein ulnarseitiger Schmerz, eine eingeschränkte Umwendbewegung und ein Kraftverlust. Sowohl die klinischen Testverfahren als auch die röntgeno­ logischen Untersuchungen müssen nach den Gü­ tekriterien der Validität und Reliabilität beurteilt werden. Es zeigen sich sehr variierende Ergebnisse, die sich mit dem Goldstandard der Handgelenks­ arthroskopie messen lassen müssen. Für sich ge­ nommen kann kein einzelner Test verlässlich eine DRUG-Instabilität beweisen. Die Einführung einer standardisierten Untersuchungsmethodik, die mit der Anamnese des Patienten beginnen sollte und sowohl spezifische klinische als auch röntgenologi­ sche Untersuchungsverfahren beinhaltet, wäre an zu streben. Die Standardisierung sollte konsequent umgesetzt werden, damit durch den Übungseffekt der Untersucher eine zunehmende Diagnosesi­ cherheit aufbauen kann. Letztlich kann nur eine differenzierte Untersuchung, die komplementäre klinische und röntgenologische Untersuchungs­ verfahren beinhaltet, die Diagnosesicherheit erhö­ hen.

The distal radioulnar joint (DRUJ) plays a tre­ mendous role regarding the functionality of the upper extremity. Lesions of the DRUJ can limit the functionality of the upper extremity decisi­ vely. Many clinical and radiological procedures are used to diagnose instability of the DRUJ. Up to now, there has not been a general consensus concerning the standardisation of the evaluation of DRUJ instability. The TFCC (triangular fibro­ cartilage complex) with its ligamentum subcru­ entum insertions at the fovea ulnaris and at the basis of the processus styloideus ulnae is in con­ junction with the membrana interossea a very important stabiliser of the DRUJ. A fall on the extended hand or a forceful wrist rotation can usually cause injuries to the stabilisers. Ulnarsided pain, limited pronosupination and loss of grip strength are clinically apparent. Both clini­ cal tests and radiological procedures should be judged regarding their specific efficacies. These tests have to be evaluated in comparison to the gold standard of wrist arthroscopy. Each test alone is not able to verify DRUJ instability on a regular basis. The introduction of a standardised diagnostic procedure including anamnesis and specific clinical and radiological tests should be established. The standardisation ought to be maintained strictly in order to guarantee a gro­ wing test efficacy. Finally, high diagnostic relia­ bility is based on a thorough examination which includes complementary clinical and radiologi­ cal procedures.





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Autoren

Einleitung



Die vielfältigen und differenzierten Einsatzmöglichkeiten der oberen Extremität des Menschen basieren unter anderem ganz wesentlich auf der Umwendbewegung des Unterarmes und da­ mit auch auf dem Bewegungsausmaß des distalen Radioulnar­ gelenkes (DRUG) [1]. Während der Differenzierung der oberen Extremität über die Entwicklungsstufe der Brachiation nahm das DRUG eine herausragende Stellung ein [2]. Erst durch die Umwendbewegungen im DRUG kann die Hand vollständig ihre Funktion als Greiforgan ausspielen, sodass eine reibungslose Be­ wältigung der alltäglichen Aktivitäten gewährleistet werden kann [3, 4]. Nur ein stabiles Gelenk ist funktionstüchtig. Stabili­ tät ist definiert als Gleichgewicht der Kraftvektoren, welche an einem Fixpunkt ansetzen. Wenn die Hand einer Belastung aus­ gesetzt wird, dann ist das DRUG der Fixpunkt der ansetzenden Kraftvektoren [5]. Verletzungen, die das DRUG betreffen, führen zu einer ausge­ prägten Einschränkung der gesamten oberen Extremität. Vor allem Instabilitäten im DRUG spielen diesbezüglich eine bedeu­ tende Rolle [6, 7]. Da das klinische Erscheinungsbild einer Insta­ bilität sehr variieren kann, erschwert dies die Diagnosestellung. Das translatorische Bewegungsausmaß zwischen Elle und Spei­ che im DRUG ist die klinisch nützlichste Größe zur Erfassung einer Instabilität [8]. Eine Vielzahl von klinischen Tests und rönt­ genologischen Verfahren zur Prüfung der Stabilität bzw. Bestim­ mung des Ausmasses der Instabilität im DRUG wurden beschrie­ ben. Die Angaben zu den Gütekriterien der einzelnen Testver­ fahren variieren außerordentlich, sodass eine eindeutige An­ wendungsempfehlung nicht zu geben ist [9]. Kriterien zur Evalu­ ierung einer DRUG-Instabilität sind bis heute noch nicht standardisiert [8–13]. Die gebräuchlichen klinischen und rönt­ genologischen Testverfahren mit ihren publizierten Wertigkei­ ten sollen in dieser Übersicht vorgestellt werden.

Stabilitätsrelevante, anatomische Strukturen des DRUG



Das DRUG muss immer im Zusammenhang mit dem proximalen Radioulnargelenk (PRUG) und der Membrana interossea gese­ hen werden [14, 15]. Diese Gelenke ermöglichen die Umwend­ bewegungen der Speiche um die Elle entlang der Bewegungs­ achse, welche vom Zentrum des Speichenkopfes nach distal durch das Ellenkopfgrübchen zieht [16]. Sie werden gemeinsam als bikondyläres Gelenk bezeichnet [17]. Obwohl während den Umwendbewegungen die Speiche um die Elle rotiert und die Elle der fixierte Knochen ist, wird die Translationsrichtung der Elle zur Speiche beschrieben [18]. Das DRUG wird durch den El­ lenkopf und die Incisura ulnaris (engl. sigmoid notch) gebildet. Aufgrund der deutlich differierenden Gelenkflächenkrümmun­ gen handelt es sich vordergründig um ein inkongruentes Gelenk mit sehr kleiner Kontaktfläche der Gelenkpartner [4]. Größt­ möglicher Kontakt der Gelenkpartner besteht zwischen 30 ° und 60 ° Supination [19]. Dies ermöglicht eine Roll-Gleitbewegung zur Durchführung der Umwendbewegung des Unterarms mit palmarer Translation der Speiche in Pronation und entsprechen­ der dorsaler Translation in Supination im Verhältnis zur Elle [4, 6, 16, 17, 20, 21]. Die Gelenkfläche des Ellenkopfes kann entweder zylindrisch, ke­ gel- oder kugelförmig sein. Dementsprechend ist auch die Ge­ lenkfläche der Incisura ulnaris geneigt [4]. In einer Studie an 50

Leichenpräparaten wurde eine Ulna-plus-Variante am häufigs­ ten festgestellt, während gleich lange Unterarmknochen am sel­ tensten zu beobachten waren [4]. Es wurden 4 Incisura ulnarisKonfigurationen identifiziert. Die flache Konfiguration wurde am häufigsten beobachtet, gefolgt von der „C“ und den beiden „S“ bzw. „Ski-slope“-Ausformungen [4]. Es wird vermutet, dass eine kegelförmige Gelenkflächenkonfiguration der Elle im DRUG in Kombination mit einer flachen Ausformung der Incisura ulna­ ris eine erhöhte translatorische Bewegung erlaubt. Andererseits soll eine C-förmige Konfiguration der Incisura ulnaris in Kombi­ nation mit einer kugelförmigen Gelenkflächenkonfiguration zu einer vergleichsweise eingeschränkten Translation führen [4]. Die Gelenkstabilität beruht im Allgemeinen sowohl auf der Ge­ lenkgeometrie als auch auf einem intakten Bandapparat [17]. Bezüglich der Stabilität ist die anatomische Kontur der Ränder der Incisura ulnaris von Bedeutung. Die dorsale Kontur läuft knöchern in einem spitzen Winkel aus. Im Zusammenhang mit dem angehefteten Kapsel-Band-Apparat in Pronation verhindert dies die palmare Subluxation der Elle [22]. Der palmare Rand ist dagegen knöchern wesentlich weniger ausgeformt und läuft in der Regel in einer osteokartilaginären Lippe aus. An dieser set­ zen sowohl die palmare Gelenkkapsel als auch das palmare Liga­ mentum radioulnare an. Diese Lippe soll bei intakter Membrana interossea eine stabilisierende Wirkung gegen eine palmare Dis­ lokation des Ellenkopfs ausüben [4]. Biomechanische Untersu­ chungen quantifizierten die stabilisierende Wirkung der Ge­ lenkgeometrie des DRUG auf bis zu 30 % der Gesamtstabilität aller Strukturen [23]. Die palmaren und dorsalen Ligamenta radioulnaria sind Teil des ulnokarpalen Komplexes und umfassen die zentrale Knorpel­ platte, mit der sie verschmolzen sind [3, 24]. Die oberflächlichen und tiefen Verankerungsfasern des ulnokarpalen Komplexes ga­ rantieren die „intrinsische“ Stabilität des Gelenks in jeder Stel­ lung während den Umwendbewegungen. Die tiefen Fasern (Li­ gamentum subcruentum) setzen in einem stumpfen Winkel im Ellenkopfgrübchen an, während die oberflächlichen Fasern in einem spitzen Winkel an der Basis des Griffelfortsatzes der Elle inserieren [16]. In Supination stehen die oberflächlichen palma­ ren Verankerungszügel unter Spannung. Korrespondierend hier­ zu sind in Pronation die oberflächlichen dorsalen Verankerungs­ zügel gespannt [25, 26]. Die tiefen palmaren Fasern sind dagegen in Pronation und die tiefen dorsalen Fasern in Supination unter Spannung [6, 23, 26]. Aufgrund der Ansatzgeometrie wird den tiefen Fasern eine biomechanisch wesentlich effektivere Wir­ kung im Vergleich zu den oberflächlichen zu gesprochen [16, 26, 27]. Die Stabilität wird durch gespannte Bänder und die Kompres­ sion der Gelenkpartner gegeneinander erreicht [17, 28]. Das DRUG wird in Supination durch die gespannten tiefen dorsalen Zügel und die Kompression des Ellenkopfes gegen den palmaren Rand der Incisura ulnaris stabilisiert. Komplementär erfolgt die Stabilisierung in Pronation durch die tiefen palmaren Zügel und die Kompression des Ellenkopfs gegen den dorsalen Rand der Incisura ulnaris [6]. Aufgrund der spiralförmigen Ausrichtung der oberflächlichen und tiefen Zügel mit den zentrischen Inser­ tionen der tiefen und epizentrischen Ansätzen der oberflächli­ chen Zügel erfolgt während den Umwendbewegungen eine kon­ tinuierliche Spannungsverschiebung innerhalb dieser Bänder [28]. Die maximale Bandspannung wird in endgradiger Pronati­ on bzw. Supination erreicht. Externe Krafteinwirkung erhöht sie nicht [14]. Die oberflächlichen Zügel stabilisieren vor allem den avaskulären zentralen Anteil des ulnokarpalen Komplexes bei

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der Lastaufnahme [16]. Zum ulnokarpalen Komplex gehören zu­ dem die Ligamenta ulnolunatum und ulnotriquetrum sowie der Boden des sechsten Strecksehnenfachs mit der Sehnenscheide des Extensor carpi ulnaris und die biomechanisch unbedeuten­ den Strukturen des ulnokarpalen Meniskus und das Ligamen­ tum collaterale carpi ulnare [3]. Dieser Komplex stabilisiert auch entlang der Unterarmlängsachse gegen eine proximale Migra­ tion der Speiche [29]. In biomechanischen Untersuchungen konnte die stabilisierende Wirkung der Membrana interossea für das DRUG nachgewiesen werden. Die Membrana interossea stabilisiert das DRUG gegen eine palmare Dislokation der Elle hauptsächlich in Pronation [3]. Differenzierte Untersuchungen zur Membrana interossea zeig­ ten allerdings durch ihren distalen Anteil auch eine Restriktion gegen die palmare Dislokation der Elle in Supination [23]. Des Weiteren stabilisiert der distale Anteil der Membrana interossea das DRUG sowohl gegen die palmare als auch die dorsale Trans­ lation [30, 31]. Der distale Anteil der Membrana interossea ist sowohl in Pronation als auch in Supination jederzeit gespannt. Dieser permanente Spannungszustand des distalen Anteils der Membrana interossea unterscheidet diesen vom zentralen und vom proximalen Anteil [31]. Der distale Anteil der Membrana interossea konnte weiter morphologisch klassifiziert werden. Das distale schräge Band der Membrana interossea entspringt vom distalen Sechstel der Elle und setzt am proximalen Rand der Incisura ulnaris an. Es vereinigt sich mit der DRUG-Kapsel, ein­ zelne Fasern verschmelzen mit den dorsalen und palmaren Liga­ menta radioulnaria [32]. Bei intakter Membrana interossea konnten Verletzungen der Li­ gamenta radioulnaria kompensiert werden [33]. Andererseits konnte eine insuffiziente Membrana interossea bei intaktem ul­ nokarpalen Komplex keine Instabilität im DRUG hervorrufen [33]. Die Ligamenta radioulnaria scheinen im Vergleich zur Membrana interossea somit einen größeren Beitrag zur Stabili­ tät des DRUG zu leisten [34]. Diese Stabilisatoren sind in der Lage einzelne insuffiziente stabilisierende Strukturen zu kom­ pensieren [34, 35]. Von untergeordneter Rolle scheinen aller­ dings die palmare und dorsale DRUG-Gelenkkapsel, das Liga­ mentum collaterale carpi ulnare und das sechste Strecksehnen­ fach mit der Sehnenscheide zu sein [34, 36]. Das Ligamentum collaterale carpi ulnare entfaltet vor allem seine stabilisierende Wirkung in Handgelenksextension bei gleichzeitiger Pronation und Radialduktion der Hand [37]. Zu den „extrinsischen“ dynamischen Stabilisatoren des DRUG werden der M. pronator quadratus und die Sehnen der Flexoren und Extensoren gezählt [38]. Diese Muskeln sind in Faszien ein­ gebettet, die sich mit den palmaren und dorsalen Ligamenta ra­ dioulnaria vereinigen, und somit eine direkte Stabilisierung des DRUG bewirken [20]. Der tiefe Kopf des M. pronator quadratus stabilisiert hauptsächlich in Supination gegen eine palmare Dis­ lokation der Elle, wogegen der oberflächliche Kopf des Muskels in erster Linie die Pronation durchführt [3, 20].

Klinische Erscheinung der DRUG-Instabilität



Ätiologie der DRUG-Instabilität



wird. Dagegen tritt die dynamische Instabilität während den Umwendbewegungen auf [5]. Außerdem wird zwischen akuten und chronischen Instabilitäten unterschieden, die entweder auf knöchernen oder weichteiligen Läsionen beruhen. Der ulnare Abriss des TFCC ist klinisch die häufigste und relevanteste Lä­ sion, die zur DRUG-Instabilität führt [35, 39]. Frakturen der Speiche und Elle verändern die Anatomie des DRUG und damit die biomechanischen Verhältnisse. Frakturen der Unterarmkno­ chen können mit Instabilitäten bzw. Dislokationen im DRUG vergesellschaftet sein [40]. Je höher der Zertrümmerungsgrad einer Fraktur, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Insta­ bilität im DRUG [41]. Je größer das Fragment des Processus sty­ loideus ulnae und je höher dessen Dislokationsgrad, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Instabilität im DRUG [41]. Der ellenseitige Handgelenksschmerz kann durch akute trauma­ tische Läsionen, durch chronische Überanstrengungen und durch chronische degenerative Veränderungen verursacht wer­ den [42, 43]. Akute traumatische Verletzungen werden in der Regel durch Stürze auf die pronierte Hand mit ausgestrecktem Arm oder durch eine torquierende Krafteinwirkung mit Ulnaroder Radialduktion bzw. Extension der Hand verursacht [18, 38, 42]. Dabei kann die angespannte Sehne des Extensor car­ pi ulnaris über die ulnokarpalen Bänder die Elle wie eine Schlin­ ge aus der Gelenkartikulation heraushebeln [38]. Die palmare Dislokation der Elle kann durch einen Sturz auf die supinierte Hand oder durch ein forciertes Anhebemanöver des Unterarms in Supination verursacht werden [38]. Entzündungen der Extensor bzw. Flexor carpi ulnaris-Sehnen können häufig einen chronischen, ulnarseitigen Handgelenks­ schmerz verursachen. Diese Entitäten spielen aber in dieser Ab­ handlung eine untergeordnete Rolle. Distale Speichenbrüche können sowohl durch die zerstörte Gelenkgeometrie des DRUG als auch durch die Verletzung des ulnokarpalen Komplexes zur Instabilität im DRUG mit eingeschränktem Bewegungsspiel füh­ ren [17]. Bei dorsaler Abkippung des distalen Speichenfragments vermindert sich die Kontaktfläche der Incisura ulnaris mit dem Ellenkopf und die tiefen dorsalen Verankerungszügel (Ligamen­ tum subcruentum) können abreißen, sodass eine Instabilität in Supination im DRUG entstehen kann [17]. Ein Radialversatz bei distalen Speichenbrüchen wird ebenfalls häufig beobachtet und führt zu einer distalen Divergenz der Gelenkpartner im DRUG. Damit vergesellschaftet ist oftmals ein basisnaher Abriss des Griffelfortsatzes der Elle mit zusätzlichem Abriss des Ligamen­ tum subcruentum aus dem Ellenkopfgrübchen oder lediglich ein ligamentärer Ausriss des ulnokarpalen Komplexes aus den Inser­ tionsstellen [16, 17]. Basisnahe Abrisse des Griffelfortsatzes der Elle mit Dislokation im Ausmaß des radialen Versatzes des radia­ len Fragments sind in der Regel das radiologische Erscheinungs­ bild intakter oberflächlicher Ligamenta radioulnaria, welche an der Basis des Griffelfortsatzes inserieren [16].

Angeborene Veränderungen des DRUG, entzündliche Prozesse, Wachstumsstörungen und Deformierungen, die zur Instabilität führen, werden in diesem Zusammenhang nicht abgehandelt, da eine physiologische, anatomische Bezugsgröße nicht herangezo­ gen werden kann. Statische Instabilität ist definiert als Laxizität im DRUG im Seitenvergleich, wenn keine Rotation ausgeübt

Akute und isolierte Dislokationen des DRUG zeigen sich häufig mit umschriebener Schwellung ulnar, mit eingeschränktem Be­ wegungsspiel und Fehlstellung des Ellenkopfes. Häufig ist der Ellenkopf dorsal prominent und die Handwurzel imponiert zum Unterarm supiniert [5, 37]. Ein „Schnapp“-Geräusch oder eine Luxation der Extensor carpi ulnaris-Sehne können ebenfalls festgestellt werden [44, 45]. Schmerzexazerbationen im Bereich der distalen Elle mit Greifschwäche treten in der Regel bei Um­

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wendbewegungen auf [5, 37, 44, 45]. Häufig zu beobachten sind eingeschränkte Umwendbewegungen, dorsale Prominenz des Ellenkopfes bei dorsaler Dislokation mit Supinationsblockade bzw. palmare Prominenz des Ellenkopfes mit Pronationsblocka­ de [20, 38, 45]. Bei der palmaren Dislokation des Ellenkopfes können auch Irritationen des Nervus ulnaris durch Kompression aufreten [38]. Auch eine subluxierte Extensor carpi ulnaris-Seh­ ne kann klinisch in diesem Zusammenhang auftreten [20]. In Fehlstellung verheilte Radiusfrakturen können Schmerzen und eine eingeschränkte Bewegung im DRUG verursachen. Dorsal abgekippte Radiusfrakturen führen gewöhnlich zur palmaren Dislokation des Ellenkopfes mit korrespondierender Instabilität und eingeschränkter Pronation [12]. Radiusfrakturen mit Ver­ kürzung führen zu einer Ulna-plus-Variante, die oftmals eine eingeschränkte Supination bei dorsaler Dislokation des Ellen­ kopfes verursachen [12]. Beschwerden aufgrund chronischer Instabilitäten sind für ge­ wöhnlich durch Bewegungen, die den Unfallmechanismus imi­ tieren, zu reproduzieren.

Klinische Testverfahren für die DRUG-Stabilisatoren



Die Durchführung der klinischen Untersuchung stellt den wich­ tigsten Pfeiler in der Diagnostik des Symptomenkomplexes des ulnaren Handgelenksschmerzes dar. Manche Autoren betrach­ ten die DRUG-Instabilität als eine ausschließlich klinische Diag­ nose [28]. Der Vorteil einer klinischen Untersuchung ist die Möglichkeit des Seitenvergleichs und der jederzeit durchführba­ ren statischen und dynamischen Prüfung. Selbstverständlich muss diese Untersuchung trainiert werden und unterliegt somit einer Lernkurve. Zahlreiche klinische Testverfahren sind be­ schrieben worden. Die meisten sind nicht wissenschaftlich eva­ luiert, ihre Ergebnisse basieren ausschließlich auf der Erfahrung des jeweiligen Anwenders. Im Folgenden sollen die einzelnen Testverfahren gemäß der publizierten Wertigkeit vorgestellt werden.

xizität ohne Funktionsverlust mit festem Anschlag, Grad 2 als dy­ namische Instabilität mit Funktionsverlust und fehlendem Band­ anschlag und Grad 3 als spontane Subluxation mit Reposition unter aktiver Unterarmrotation definiert [46]. Untersuchungen dieses Tests ergaben eine Sensitivität von 59 %, eine Spezifität von 96 %, einen positiven prädiktiven Wert von 91 % und einen negativen prädiktiven Wert von 78 % gemessen am Goldstandard der Handgelenksarthroskopie [47]. Eine Un­ tersuchung mit 34 Patienten korrelierte den dorso-palmaren Stresstest zu computertomografischen Messmethoden bei Insta­ bilität des DRUG. Eine im Seitenvergleich festgestellte Disloka­ tion, fehlender harter Bandanschlag und Schmerzen während der Testdurchführung wurden als klinische Instabilitätszeichen gewertet. Die Bewertung nach Landis und Koch für die Überein­ kunft der Ergebnisse zwischen klinischem Test und CT-Untersu­ chung lag bei 0,33 ( = mäßig) für die modifizierte Radioulnare Linien-Methode, 0,56 ( = moderat) für die Epicenter-Methode und 0,41 ( = moderat) für die Radioulnare Quotienten-Methode [11, 48]. Es muss allerdings angemerkt werden, dass die compu­ tertomografischen Messmethoden ebenfalls starken Schwan­ kungen hinsichtlich Validität und Reliabilität ausgesetzt sind und nicht als Goldstandard angesehen werden können.

Press-Test

Der sitzende Patient drückt sich beim Aufstehen mit beiden Hän­ ▶  Abb. 2). den von der Sitzfläche bzw. Armlehne des Stuhls ab ( ● Bei einem positiven Test werden reproduzierbare Schmerzen am Ellenkopf angegeben [49]. Die Autoren untersuchten 27 Patienten mit Verdacht auf eine TFCC-Läsion mit diesem Test. Davon wurden allerdings nur 14 Patienten aufgrund refraktärer Schmerzen arthroskopiert. Diese Abb. 1  Ulna-FoveaZeichen.

Ulna-Fovea-Zeichen

Der Untersucher sitzt dem Patienten gegenüber. Der Ellenbogen ist in 90 °–110 ° Beugung. Der Unterarm und die Hand sind in Neutralstellung. Der Daumen des Untersuchers drückt forciert in den „soft spot“ zwischen Flexor carpi ulnaris-Sehne, Griffel­ ▶  Abb. 1). Das Ulna-Foveafortsatz, Erbsenbein und Ellenkopf ( ● Zeichen ist positiv, wenn eine dezidierte Schmerzsymptomatik im Seitenvergleich hervorgerufen werden kann. Diese Sympto­ matik sollte dem im Vorfeld beklagten Schmerzcharakter ent­ sprechen [13]. Eine Studie mit 272 Patienten korrelierte diesen klinischen Test mit dem Goldstandard der Arthroskopie. Es ergaben sich eine Sensitivität 96,2 % und Spezifität von 85,8 % bezüglich eines an­ satznahen Abrisses der Ligamenta radioulnaria, die zu den Hauptstabilisatoren des DRUG zählen [13].

Dorso-palmarer Stress-Test

Der Unterarm wird in Neutralstellung überführt. Der Untersucher fasst die Speiche fest mit der einen Hand und fixiert den Ellenkopf mit der anderen, während eine abwechselnd dorso-palmare Kraft ausgeübt wird. In Abhängigkeit des translatorischen Bewegungs­ ausmaßes und der provozierten Schmerzen im Vergleich zur Ge­ genseite wird die Translation in 4 Grade eingeteilt: Grad 0 be­ zeichnet eine physiologische Artikulation, Grad 1 wird als Bandla­ Spies CK et al. Die Instabilität des distalen …  Handchir Mikrochir Plast Chir 2014; 46: 137–150

Abb. 2  Press-Test mit Aufstützen auf der Armlehne.

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Übersichtsarbeit 141 Patienten hatten eine arthroskopisch nachgewiesene TFCC-Lä­ sion. Davon ausgehend wurde eine 100 % Sensitivität des Tests bezüglich einer TFCC-Läsion angegeben. 100 beschwerdefreie Probanden und 100 Patienten mit anderen Pathologien als TFCCLäsionen wurden ebenfalls mit dem Press-Test untersucht. Es zeigten sich keine positiven Tests. Es wurde folglich von einer 100 % Spezifität dieses Tests ausgegangen [49]. Es ist anzumer­ ken, dass nicht alle Patienten arthroskopiert wurden, somit ist die Angabe einer 100 % Sensitivität unter Vorbehalt zu interpre­ tieren. Weiterhin wurde nicht dargelegt, wie die Pathologien der Kontrollpatienten gesichert wurden. Die vorbehaltlose Übertra­ gung der Spezifität kann in diesem Zusammenhang nicht unein­ geschränkt übernommen werden.

Abb. 3  TFCC-ShearTest mit Scherbelastung des TFCC zwischen Daumen und Zeigefinger.

Der Untersucher platziert seinen Daumen über die palmare Fa­ cette des Erbsenbeins, während der Zeige- und Mittelfinger der gleichen Hand von dorsal auf dem Ellenkopf liegen. Es wird eine translatorische Bewegung zwischen Ellenkopf und Erbsenbein durch die Untersucherfinger bzw. -daumen ausgeübt. Dadurch wird der pisotriquetrale Komplex nach dorsal und der Ellenkopf ▶  Abb. 3). Dies setzt den TFCC einer Scher­ nach palmar bewegt ( ● belastung aus. Ein positiver Test verursacht reproduzierbare Schmerzen und Krepitationen. Bei DRUG-Instabilität zeigt sich eine erhöhte Translation. Eine Untersuchung dieses Tests an 50 Patienten im Vergleich zur Arthroskopie erbrachte eine Sensitivität von 66 %, eine Spezifität 64 %, einen positiven prädiktiven Wert von 58 % und einen nega­ tiven prädiktiven Wert von 69 % hinsichtlich einer TFCC-Läsion [50].

Abb. 4  Kleinman-Test in Supination.

DRUG-Stabilitätstest nach Kleinman [16]

Der Untersucher sitzt dem Patienten gegenüber. Die Ellenbogen des Patienten sind auf dem Untersuchungstisch aufgestützt und die Finger zeigen deckenwärts. Der Unterarm wird vollständig supiniert. In dieser Position ist das dorsale Ligamentum subcru­ entum maximal gespannt. Der Untersucher drückt die Elle zum Patienten und somit nach palmar. Gleichzeitig wird die Speiche in die entgegengesetzte Richtung manipuliert, wodurch eine ▶  Abb. 4). Translation im DRUG provoziert wird ( ● Diese provozierte Translation sollte im gesunden Zustand schmerzfrei toleriert werden. Bei Entzündungen und Irritatio­ nen der betreffenden Bandstrukturen treten zwar keine Instabi­ litäten auf, in der Regel werden dadurch aber Schmerzen provo­ ziert. Bei einem Riss des dorsalen Ligamentum subcruentum sind sowohl Schmerzen als auch eine erhöhte Translation bzw. Subluxation der Elle im Seitenvergleich nach palmar zu erwar­ ten. Die Untersuchung des palmaren Ligamentum subcruentum wird in Pronation des Unterarms ausgeführt. In diesem Fall wird die Elle aus der endgradigen Pronation Richtung Patient bzw. nach dorsal gedrückt. Währenddessen wird die Speiche in die ▶  Abb. 5). Die Interpreta­ entgegengesetzte Richtung gezogen ( ● tion der Symptome ist analog zur Untersuchung des dorsalen Ligamentum subcruentum. Kleinman beschreibt den Test als sehr zuverlässig ohne dies statis­ tisch zu untermauern. Der Vorteil dieser Untersuchung soll in der differenzierten Überprüfung des Ligamentum subcruentum als dem wichtigsten „intrinsischen“ Stabilisator liegen. Eine ­erhöhte Translation im Fall eines Bandrisses wird allerdings nicht quantifi­ ziert, sondern lediglich im Seitenvergleich interpretiert. Kleinman bezeichnet die differenzierte Untersuchung des Ligamentum sub­

Abb. 5  Kleinman-Test in Pronation.

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TFCC-Shear-Test

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Abb. 6  Bilateraler Test für potenzielle Subluxation im DRUG im Seitenvergleich.

den. Das Augenmerk sollte auf ein verzögertes bzw. vorschnelles Bewegungsmuster des symptomatischen DRUG im Seitenver­ gleich gelegt werden [51]. Die Autoren berichten über eine Sensitivität von 100 % im Ver­ gleich zur computertomografischen Begutachtung, wobei aller­ dings nicht die computertomografische Messmethode zur DRUG-Instabilität angegeben wurde [51]. Der Vorteil liegt si­ cherlich in der Möglichkeit der dynamischen Untersuchung im Seitenvergleich.

Extensor carpi ulnaris-Luxationstest

Der Ellenbogen wird 90 ° flektiert. Der Unterarm wird abwech­ selnd aktiv supiniert und proniert, während die Hand in leichte Ulnarduktion und Extension überführt wird. Durch dieses Ma­ növer kann eine Luxation der Extensor carpi ulnaris-Sehne aus dem Sehnenfach vor allem in Supination provoziert werden [38, 52]. Dieser Test ist nur als Ergänzung sinnvoll, da lediglich sekundäre Stabilisatoren untersucht werden können.

Ballottement-Test der distalen Elle

Abb. 8  Klaviertastenphänomen bei aktivem Aufstützen des Patienten.

Der Untersucher fixiert mit einer Hand die Elle und mit der an­ deren Hand wird die Speiche dorso-palmar manipuliert. Der Test wird in unterschiedlichen Rotationsstellungen des Unterar­ mes durchgeführt, wobei ein translatorisches Bewegungsspiel von 5 mm in Neutralstellung als physiologisch angesehen wird ▶  Abb. 7). Die stufenlosen Rotationsstellungen des Unterarmes ( ● während den Prüfungen grenzen diesen Test vom KleinmanTest, der nur in den endgradigen Umwendstellungen durchge­ führt wird, ab. In endgradiger Supination und Pronation sollte das Translationsausmaß merklich abnehmen. Auch eine Radial­ duktion der Hand sollte das Translationsausmaß aufgrund der angespannten ulnokarpalen Bänder begrenzen. Wenn eine er­ höhte Translation im DRUG in den endgradigen Rotationsstel­ lungen und unter Radialduktion der Hand feststellbar ist, sollte dies als DRUG-Instabilität interpretiert werden [53]. Eine biomechanische Untersuchung an Leichenpräparaten konnte eine signifikante (Signifikanzniveau: p 

[Instability of the distal radioulnar joint - an overview of clinical and radiological procedures regarding their efficacies].

The distal radioulnar joint (DRUJ) plays a tremendous role regarding the functionality of the upper extremity. Lesions of the DRUJ can limit the funct...
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