Nr. 19, 9. Mai 1975, 100. Jg.

Aktuelle Diagnostik

Renini: Claudicatio intermittens intermttens der Cauda equina

1069

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

(1973), 1069-1070 Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Claudicatio intermittens der Cauda equina

A. Benini Neurochirurgisch-neurologische Neurochirurgusch-neurologische Klinik des Kantonsspitals (Chefärzte: Prof. Dr. G. Weber, St. Gallen (Chefdrzte: Privatdozent Dr. F. Scharfetter)

Klinische Merkmale Die Claudicatio intermittens der Cauda equina äußert sich mit Parästhesien, später mit Schmerzen und Krämpfen der unteren Extremitäten, die entweder nach einer bestimmten Gehstrecke oder aber auch nach langem Stehen auftreten. Die Symptome treten meistens in den Füßen auf und strahlen proximalwärts mit überwiegend umgestrenger Dermatomverteilung aus; selten wird die umgekehrte Ausbreitung angegeben. Die Patienten klagen über »Einschlafen« oder »Prickeln«, aber auch »Brennen«, später auch über Ischiasschmerzen und Krämpfe. Hauptsächlich sind die Waden betroffen. Geht oder steht der Patient trotz der Symptome weiter, so tritt so gut wie immer eine Schwäche der unteren Extremitäten, meistens der Füße, aber auch der Knie mit dem Gefühl des drohenden Einknickens (8) auf. Der Patient lernt rasch anzuhalten oder sich hinzulegen, bevor sich die Schwäche bemerkbar Es kann nur ein Bein betroffen sein, doch sind in macht. Es der Regel beide, wenn auch nicht gleichmäßig, betroffen. Das Anhalten, das Sich-Hinlegen oder der Positionswechsel, wobei die Lendenlordose vermindert werden muß (1), bringt die Beschwerden rasch zum Abklingen. Während der beschwerdefreien Intervalle sind kaum pathologische Befunde zu erheben: Reflexunterschiede, leichte, segmental angeordnete Sensibilitätsstörungen, seltener Myatrophien und Faszikulationen der Wadenmuskulatur sind beschrieben worden. Betroffen sind vor allem reiferem Männer in reif erem Alter.

Auslösende Erkrankungen und Pathogenese Die Claudicatio intermittens der Cauda equina kann sich Wirbelgleiten, bei lumbalen Diskushernien, bei lumbalem Wirbeigleiten, bei dorsalen spondylotischen Randwülsten der Lendenwirbelsäule, bei Leptomeningiris Leptomeningitis chronica fibroplastica der Cauda equina, vorwiegend aber bei Stenose des lumbalen Wirbelkanals (9) bemerkbar machen. Die Stenose des Wirbelkanals wird durch kurze Bogenwurzeln, breite und plumpe Gelenkfortsätze und dicke Bögen bedingt. Sie kann auf ein Segment der Lendenwirbelsäule beschränkt sein. Bei Asymmetrie der Gelenkfortsätze kann unter Umständen nur die Wurzel einer Seite in einem engen Recessus lateralis in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Pathogenese des Leidens ist nicht geklärt. Blau und Rusworth (2) haben 1958 1958 bei 33 Mäusen nachgewiesen, daß eine rhythmische, elektrisch gesteuerte Bewegung eines Beines die Erweiterung und Vermehrung der Gefäße der homolateralen Region des Rückenmarkes bewirkt. Anhand dieses experimentellen Ergebnisses glauben Blau und Loque (3) den pathogenetischen Mechanismus der Claudicatio intermittens der Cauda equina in einer mangelhaften Erhöhung des Blutstromes in den Endarterien der beanspruchten Lumbalwurzeln zu sehen. Nach dieser Auffassung wurde die Pathogenese der Claudicatio intermittens der Cauda equina von Gandolfi und Mitarbeitern (S) entsprechend dem in Tabelle 1 wiedergegebenen Schema dargestellt.

Daß der Claudicatio intermittens der Cauda equina ein ischämischer Prozeß zugrunde liegt, scheint auch von der Beobachtung von Evans (4) bestätigt zu werden, wonach die Beschwerden auslösende Gehstrecke wesentlich kürzer wird, wenn sich die Patienten in einer Atmosphäre von 12% O ist die Stenose des Wirbelkanals °2 bewegen. ¡st und (oder) der Recessi laterales ausgeprägt, so genügt die von der im Stehen vermehrten Lordose der LendenwirbelLendenwirbelsäule bedingte Schmälerung des Lumens, um die Ischämie

der Wurzeln der Cauda equina hervorzurufen.

Differentialdiagnose Okklusiue Arteriopathien der unteren Extremitäten. Am wichtigsten ist die differentialdiagnostische Abgrenzung der Claudicatio intermittens der Cauda equina von der-

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Unter »Claudicatio intermittens« versteht Versteht man das Aufin den Waden, nach treten von Beinschmerzen, vor allem in einer bestimmten, mit der Zeit kürzer werdenden Gehstrecke, die in der Regel beim Stehenbleiben rasch zurückgehen und nach der gleichen Gehstrecke wieder aufin der Mehrzahl der Fälle treten. Dem Leiden liegen in Kreislaufstörungen der unteren Extremitäten zugrunde. Meistens handelt es sich sich um okklusive Arteriopathien (Arteriosklerose, Morbus Bürger, Arteriitis diabetica, luetica usw.). Die Schmerzen sind als Ausdruck der durch das Gehen bedingten Ischämie der mangelhaft durchbluteten Muskulatur zu verstehen. Ein ähnliches Bild kann bei 1einer »latenten« Kompression einer oder mehrerer Wurzeln der Cauda equina beobachtet werden. Man spricht hierbei von »Claudicatio intermittens der Cauda equina«.

Benni: Claudicatio intermittens der Cauda equina Benini:

Deutsche Medizinische Wochenschrift

jenigen, der eine okklusive Arteriopathie zugrunde liegt. Hierfür können folgende Uberlegungen behilflich sein: 1. Der durch die muskuläre Ischämie hervorgerufene Schmerz ist in der Regel diffus und nicht dermatommäßig ausgebreitet. Er ist meistens so stark, daß der Patient die Beine Beine nicht mehr bewegen kann. Bei der Claudicatio der Cauda equina sind die Schmerzen stets erträglich.

Tab.

1.

Pathogenese der Claudicatio intermittens der Cauda equina

muskuläre TätigTätigkeit der unteren Extremitäten

y

Erweiterung und < Vermehrung der Wurzelgefäße

Stenose des Wirbelkanals und (oder) der Recessi laterales I

mangelhafte oder >fehlende Erweite>rung der Gefäße

Claudicatio intermittens intermittens

Erhöhung des Blutflusses der motorischen Wurzeln der Cauda equina equina

'j,

Ruhepause 1

Wiederaufnahme der......Verminderung der_Verminderung des Blutbedarfes Muskeltätgkeit Muskeltätigkeit

Beschwerden im Lendenbereich (Lumbago, steife Lendenwirbelsäule, Muskelverspannungen usw.) kommen häufig bei der Claudicatio der Cauda equina vor. In manchen Fällen der Claudicatio der Cauda equina treten die Beschwerden nur beim Abwärtsgehen auf, weil dabei die Lendenlordose verstärkt ist. Bei den Kranken mit Claudicatio der Cauda equina beim Stehen lassen die Beschwerden mehrmals schon durch Flexion der Lendenwirbelsäule oder Kniebeuge (10) nach. Nur bei den vaskulären Formen werden die unteren Extremitäten als kalt empfunden. S. Bei der klinischen Untersuchung ist auf die peripheperipheren Pulse zu achten. Bei Gefäßstenosen kann unter Umständen ein systolisches Geräusch wahrgenommen werden. Das mangelh3ft durchblutete Bein ist mehrmals kalt und blaß (7). (7).

Der neurologische Befund an den unteren Extremitäten deutet auf ein neurogenes Leiden hin. 6. Von entscheidender differentialdiagnostischer Bedeutung sind Oszillometrie der Ober- und Unterschenkel, das Angiogramm und das Myelogramm. Ob die beibeiden letzten Untersuchungen durchzuführen sind und in welcher Reihenfolge, hängt vom Krankheitsbild ab. Andere Erkrankungen. Andere Kreislaufstörungen die eine Claudicatio intermittens hervorrufen können, sind die seltene chronische Form des Tibialis-anterior-Syndroms, Intoxikationen von Ergotamin, Alkohol und Nikotin, chronische Anämien (6). .Polyradikuloneuritis der unteren Extremitäten, vaskuläre Mißbildungen des Rükkenmarkes (12), Coxarthrose und der schon in der Kindheit manifeste erbliche Phosphorylasemangel in in den Muskeln (McArdle-Syndrom) können in in vereinzelten Fällen differentialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten. Die Behandlung der Claudicatio intermittens der Cauda equina besteht in der operativen Beseitigung der Kompression der Wurzel der Cauda equina. Literatur

13. Aufl., hrsg. von W. Siegenthaler siegenthaler (Thieme: Stuttgart stuttgart 1975), 69. 69.

(1) Auquier, L., J. B. Paolaggi, C. C. Rouques: Claudication intermittente des racines nerveuses lombosacrées. Iombosacrées. Rôle de la sténose stenose du canal canal rachidien. rachidien. A propos de 6 cas, cas, dont deux opérés. 23 belge Rhum. Méd. phys. J. (1968), 229.

(7) Kavanaugh, G. G. J., H. H. J. Seien, 5vien, C. B. Holman, M. Johnson: Holman, R. M. Johnson: .Pseudociaudi.Pseudoclaudication syndrome produced by cooscation, compression of the cauda equina. J. J. Amer.

med. Ass. 206 2% (1968), 2477. 2477. (8> Rau, H., E. Esslen: Die neurogene Claudicatio intermittens. Dtsch. med. >2) 2) Blau, J. N., G. Rusworth: Obser. ObserWschr. 98 (1973), 2057. vations on the blood vessels vessds of the (9) Verbiest, verbkst, H.: Neurogenic Neurogenic intermittent intermittent spinal cord and their responses to motor claudication in cases with absolute and cLaudication activity. Brain 81(1958), 81(1958), 354. relative relative stenosis of the lumbar tumbar vertebral (3> Blau, j. y. Loque: Intermittent Intermktent canal, in cases with narrow lumbar J. N., V. claudication of cauda equina. An of the cauda inttrvertebral intervertebral foramina and in cases with unusual unusual syndrome resulting from central both entities. Clin. Neurosurg. 20 20 protrusion of of a lumbar intervertebral (1973), (1973), 204. disc. Lancet 1961/I, 1081. >10) Weiser, H. I.: L: Neurogene ClaudiEvans, J. J. G.: Neurogenic intermittent catio intermittens. Z. Orthop. 108 (1971), 689. (1971>, claudication. Brit. med. J. 1964/2, 985. (ii) Wilson, C. B.: Significance of of the (S) Gandolfi, M., F. Demartini, P. Figna: small lumbar spinal canal.: cauda equina canai: cauda Contributo alio studio della claudicatio compression syndromes due to spondyintermittens spinalis (sindrome di di losis. Part 3: Intermittent intermittent claudication. claudication. verbiest). Arch. Puni Verbiest). Putti Chir. Organi Neurosurg. 31(1969), 499. J. J. Mo,'. Mov. 56 (1967), 81. M. G.: Diagnosis and (12) Yasargil, M. >6) Ganzoni, A.: Anämien. In: in: Hegglin, R. R. Differentialdiagnose innerer treatment of spinal cord arteriovenous malformations. matformations. Progr. Progr. Neurol. 5urg Surg 4 Krankheiten für für Arzte Ärzte und 5tudierende. Studierende. >1971), (1971), 355.

Dr. A. Benini Neurochirurgisch-neurologische Klinik des des Kantonsspitals CH-9006 St. Gallen, Rorschacher Str. 95

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[Intermittent claudication of cauda equina].

Nr. 19, 9. Mai 1975, 100. Jg. Aktuelle Diagnostik Renini: Claudicatio intermittens intermttens der Cauda equina 1069 Redaktion: Prof. Dr. H. Hornb...
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