Kommentare Ist die Colitis ulcerosa eine Autoimrnunerkrankung? A. Raedler und S. Schreiber

Kriterien von Autoimmunerkrankungen Als Autoimmunerkrankungen wird eine Gruppe von Krankheiten bezeichnet. für deren Ätiologie und Pathogenese eine immunologische Reaktion gegen gewebs- oder zellspezifische Determinanten des eigenen Organismus als entscheidend angenommen werden kann. Ein solcher Pathomechanismus war als »Horror autotoxicus« schon Anfang dieses Jahrhunderts von Paul Ehrlich vermutet und in der Folge als Ursache verschiedener Krankheiten angesehen, teils sogar nachgewiesen worden. Um ein klinisches Syndrom als autoimmunes Geschehen zu charakterisieren, müssen mehrere Kriterien erfüllt sein. Als wichtiger Hinweis auf einen autoimmunologischen Prozeß gilt der Nachweis eines Autoantigen-Autoantikörper-Systems. Beispiele solcher Autoimmunreaktionen, die vermutlich für die Pathogenese der Krankheit von Bedeutung sind, sind die Myasthenia gravis und der Morbus Basedow. Patienten mit einem Morbus Basedow weisen Thyreotropin (TSH)-analoge Autoantikörper auf, die sich an den TSH-Rezeptor binden und dadurch die Krankheit auslösen und aufrechterhalten (37). Das Autoimmunphänomen dient also nicht nur als diagnostisches Merkmal, sondern erweist sich darüber hinaus als pathogenetisches Prinzip. Warum die Toleranz gegenüber diesem Autoantigen mit so hoher Inzidenz in der Bevölkerung durchbrochen werden kann. ist unklar. Einer neueren Vorstellung zufolge ist nicht die Aufhebung der Toleranz das wesentliche Prinzip. sondern vielmehr ein Ungleichgewicht im Immunsystem. das zu pathologisch hohen Titern dieser Autoantikörper fuhrt. In niedrigen Titern sind Autoantikörper mitunter auch bei Gesunden nachweisbar.

Msch. rned. Wschr. 117 (1992). 1333-1338 O Georg Thieme Verlag Stuttgart . New York

Die Autoimmunreaktion bei Morbus Basedow führt zu einer funktionellen Veränderung: Der TSH-Rezeptor wird stimuliert, Zellen und Gewebe werden jedoch nicht geschädigt. Bei einer Reihe anderer Autoimmunsysteme ist die pathogenetische Bedeutung weniger deutlich: zum Beispiel Autoantikörper gegen mikrosomale Antigene bei Hashimoto-Thyreoiditis, gegen native DoppelstrangDNA bei Lupus erythematodes, gegen Kernantigene bei anderen rheumatischen Erkrankungen, Rheumafaktor (Autoantigen: Immunglobuline), Autoantikörper gegen zytoplasmatische Antigene neutrophiler Granulozyten (ANCA) bei Morbus Wegener sowie Autoantikörper-Systeme bei Autoimmun-Hepatitis und sklerosierender Cholangitis. Obwohl der pathogenetische Stellenwert dieser Autoimmunreaktionen unklar ist, kommt dem Nachweis der Autoantikörper im Einzelfall große diagnostische Bedeutung zu (35). Das gilt in zunehmendem Maß auch für die Diagnostik von Insulin-Antikörpern, Insulinrezeptor-Antikörpern. Inselzell-Antikörpern und anderen Immunphänomenen, die im Zusammenhang mit Endokrinopathien und Anämien auftreten können (39). Die Diagnose wird allerdings oft dadurch erschwert, daß Autoantikörper auch bei sicherem Nachweis einer Autoimmunerkrankung nicht immer festzustellen sind. Das gilt besonders für Patienten, bei denen eine Remission eingetreten ist oder die immunsuppressiv behandelt werden. Andererseits kommen Autoantikörper auch bei chronischen Entzündungen vor. bedingt durch eine persistierende polyklonale B-ZellStimulation, sowie bei älteren Menschen, verursacht durch den Wirkungsverlust suppressiver Einflüsse. In beiden Fällen haben sie keine pathogenetische Bedeutung. Als weitere. weniger wichtige Kriterien gelten die Koinzidenz mit anderen Autoimmunerkrankungen, das Auftreten von klinischen Autoimmunphänomenen. die Wirksamkeit einer immunsuppressiven Therapie, ein gemeinsamer genetischer Hintergrund und eventuell das histologische

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Medizinische Kernklinik und Poliklinik (Direktor:Prof. Dr. tl. Creten) des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf, Harnburg

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Entzündliche Veränderungen an den Schleimhäuten wie Konjunktivitis und Iritis sowie an der Haut (Erythema nodosum) und der Gelenkhaut (Arthritis) sind als klinische Autoimmunphänomene häufig nachweisbar, kommen aber auch bei chronischen Infektionen vor. Als pathogenetische Grundlage wird dabei in beiden Fällen das Auftreten von Immunkomplexen angesehen. Die Wirksamkeit einer immunsuppressiven Therapie ist ein gewichtiger Hinweis, wenn auch kein Beweis für eine Autoimmunerkrankung (33, 36). Zum einen hilft eine Immuns~ppression auch bei exogenen Antigenen (Allergenen), zum anderen konnte vielfach gezeigt werden, daß sie auch bei chronischen Infektionen klinisch wirksam sein kann. Das ist immer dann der Fall, wenn die Krankheit überwiegend durch die zell- und gewebstoxischen Wirkungen des um Elimination der ursächlichen Noxen bemühten Immunsytems aufrechterhalten wird und nicht durch die pathogenetische Wirkung der Mikroorganismen, Toxine und Allergene selbst. Die Grenzen zwischen Autoimmunerkrankungen und chronischen infektiös-allergischen Krankheiten sind also nicht immer eindeutig zu ziehen. Das mag auch damit zusammenhängen, daß viele Autoimmunerkrankungen durch infektiöse, meist virale Erreger ausgelöst zu werden scheinen. Einem vieldiskutierten Modell zufolge entstehen Autoimmunerkrankungen dadurch, daß die antiviralen Antikörper mit körpereigenen Antigenen kreuzreagieren und so das immunologische Gleichgewicht stören und die Toleranz gegenüber eigenen Antigenen aufheben. Retrospektiv können diese Virusinfekte oft weder serologisch noch klinisch als Auslöser des autoimmunen Prozesses erkannt werden. Vereinbar mit diesem pathogenetischen Modell ist die Tatsache, daß Patienten mit Autoimmunerkrankungen bestimmte genetische Merkmale, nämlich Haplotypen von Histokompatibilitätsdeterminanten (sogenannte Transplantationsantigene) der Klassen HLA B8/DR3, gehäuft exprimieren. Generell hat sich nachweisen lassen, daß das Vorhandensein bestimmter HLA-Muster zu einer Autoimmunerkrankung prädisponiert (8). Histologische Untersuchungen tragen meist wenig dazu bei, eine Autoimmunerkrankung zu sichern oder auszuschließen. Mikrobiologischserologische Analysen machen indirekt - durch ein negatives Ergebnis - den immunologischen Charakter der Krankheit wahrscheinlicher.

Um beantworten zu können, ob die Colitis ulcerosa eine Autoimmunerkrankung ist oder nicht. wird zu prüfen sein, ob Pathophysiologie und Klinik der Krankheit die genannten Kriterien von Autoimmunerkrankungen (Autoantigen-System, Koinzidenz mit anderen Autoimmunprozessen, klinische Autoimmunphänomene, Wirksamkeit einer immunsuppressiven Therapie, genetische Marker) erfüllen.

Autoantigene und Autoantikörper bei Colitis ulcerosa Schon in den fünfziger Jahren wurden von verschiedenen Autoren, maßgeblich aber von der Gruppe um Broberger und Perlman, Antikörper gegen Kolonepithelien nachgewiesen. Diese Antikörper zeigten zumindest teilweise eine Kreuzreaktion mit Determinanten von Coli-Bakterien, so daß man glaubte, den Pathomechanismus der Colitis ulcerosa erkannt zu haben (3, 4. 15, 32). Die Antikörper waren zwar nicht in der Lage, über die Fixierung von Komplement zytotoxisch und damit gewebsschädigend zu wirken, es gab aber experimentelle Hinweise darauf, daß sie sich a n Zellen binden können, die ihrerseits zytotoxisch wirken. Tatsächlich fand die Arbeitsgruppe um Shorter später Zellen im peripheren Blut und in der befallenen Darmschleimhaut, die, mit den entsprechenden Antikörpern beladen, auf Kolonepithelien zytotoxisch wirkten (5, 29). In der Folge wurden diese Berichte aber deutlich relativiert. Der Nachweis von Autoantikörpern gelang zwar verschiedenen Arbeitsgmppen unabhängig voneinander, die Befunde erwiesen sich jedoch als nicht vergleichbar. Ferner zeigte sich, daß die Spezifität der Antikörper für die Colitis ulcerosa viel geringer als ursprünglich angenommen war. Mit Kolonepithel reagierende Antikörper wurden auch bei Morbus Crohn (selbst bei ausschließlichem Dünndarmbefall), Divertikulitis, Harnwegsinfekten und anderen entzündlichen Darmerkrankungen festgestellt (18). Bei der Colitis ulcerosa, noch häufiger aber bei Morbus Crohn, wurden lymphozytotoxische Antikörper beschrieben (14). Das Auftreten solcher Antikörper konnte zwar nicht unmittelbar die Pathogenese chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen erklären. Es wurde aber als Hinweis für den autoirnmunen Charakter dieser Krankheiten gewertet, da lymphozytotoxische Antikörper auch bei anderen Autoimmunprozessen wie dem Lupus erythematodes vorkommen. Diese Antikörper ließen sich nicht nur bei den Patienten selbst, sondern auch bei Verwandten ersten Grades feststellen, was als Hinweis auf eine genetische Komponente gewertet wurde. Die Inzidenz der Antikörper war allerdings auch bei den Patienten selbst eher gering und ihre Spezifität unzureichend. Ferner wurde das lymphozytäre Zielanti-

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Bild. Die Koinzidenz mit anderen Autoimmunerkrankungen könnte darauf beruhen, daß in vielen Fällen ein übergreifender Regulationsdefekt immunologischer Reaktionen mehrere Organsysteme betrifft (8).

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gen der Antikörper nie zweifelsfrei charakterisiert (18). In den letzten Jahren sind neue, vielversprechende Versuche unternommen worden. Autoantigene bei der Colitis ulcerosa zu definieren. Das und Mitarbeitern (6) gelang der Nachweis eines Moleküls mit einer relativen Molekülmasse von 40000, das auf Kolonepithelien, nicht aber auf Enterozyten des Dünndarms exprimiert wird. Antikörper, die mit Determinanten dieses Proteins reagierten, wurden sowohl aus dem Blut als auch aus dem entzündeten Gewebe isoliert. Interessanterweise war es ausschließlich auf den Enterozyten des Kolons, auf Stmkturen der Epidermis und auf dem Gallengangsepithel nachweisbar (6). Das ist von großer Bedeutung, da die Colitis ulcerosa oft mit Hautkrankheiten (Pyoderma gangraenosum) und Krankheiten der Gallengänge (sklerosierende Cholangitis) assoziiert ist. Möglicherweise handelt es sich also um ein sehr spezifisches Autoantikörper- bzw. AutoantigenSystem, das allerdings noch durch weitere Studien bestätigt werden muß. In einem experimentellen Ansatz sind bei Colitis ulcerosa noch andere Antikörper beschrieben worden, deren Ziel-Autoantigen im Zytoplasma nahe der Kernmembran peripherer neutrophiler Leukozyten lokalisiert ist (11, 24, 25). Diese als ANCA (Anti-Neutrophil-Cytoplasmatic-Antibodies) bezeichneten Autoantikörper sind offenbar verwandt, aber nicht identisch mit den Antikörpern, die man bei Morbus Wegener und anderen immunologischen Krankheiten findet. Vor allem scheinen die Zielantigene der ANCA bei beiden Krankheiten unterschiedlich zu sein. Die molekulare Charakterisierung des Colitis-assoziierten Autoantigens in neutrophilen Granulozyten steht allerdings noch aus, so daß auch über seine pathogenetische Bedeutung zur Zeit nur spekuliert werden kann. Die klinische Inzidenz und Prävalenz dieser Autoantikörper ist eingehend untersucht worden. Sie treten bei etwa 30-70% der Patienten mit Colitis ulcerosa auf. Bei Morbus Crohn oder Divertikulitis ist die Inzidenz viel geringer. Über eine Korrelation der Titerhöhe zur klinischen Aktivität der Krankheit sind die Aussagen widersprüchlich.

Koinzidenz mit anderen Autoimmunerkrankungen und klinischen Autoimmunphänomenen Die Colitis ulcerosa tritt mehr noch als der Morbus Crohn zusammen mit anderen Autoimmunerkrankungen in Erscheinung, und zwar besonders häufig mit der sklerosierenden Cholangitis und dem Pyoderma gangraenosum. Die sklerosierende Cholangitis ist gekennzeichnet durch ein überwie-

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gend mononukleäres Infiltrat, das von seinem pathologisch-anatomischen Aspekt her der entzündlichen Infiltration der Darmschleimhaut bei Colitis ulcerosa ähnelt. Histologische Analogien bestehen auch zur primär biliären Zirrhose, allerdings sind bei der sklerosierenden Cholangitis eher die größeren intra- und extrahepatischen Gallengänge befallen (32). In bis zu 25% der Fälle ist auch der Pankreasgang betroffen. Bei über 90% der Patienten mit sklerosierender Cholangitis besteht auch eine Colitis ulcerosa. Umgekehrt leiden etwa 4-6% der Patienten mit Colitis ulcerosa an einer sklerosierenden Cholangitis (19). Das zeitliche Auftreten des entzündlichen Prozesses a n beiden Organen ist unabhängig voneinander. Die sklerosierende Cholangitis kann auch nach einer Kolektomie auftreten; sie kann der Colitis ulcerosa vorausgehen oder ihr nachfolgen und gilt ebenfalls als Autoimmunerkrankung. Antineutrophilen-Antikörper, von denen nicht bekannt ist, ob sie mit den von Saxon und Mitarbeitern (25) beschriebenen identisch sind, können als Marker dieser Krankheit benützt werden (30). Das Pyoderma gangraenosum (oder Dermatitis ulcerosa) erscheint als flächenhaftes Geschwür und besteht histologisch aus dichten leukozytären Infiltraten. Die Mehrzahl der Patienten mit Pyoderma gangraenosum leidet gleichzeitig an einer Colitis ulcerosa, während umgekehrt die Inzidenz dieser Hautkrankheit bei Colitis-Patienten gering ist (1 6). Wie die sklerosierende Cholangitis gilt auch das Pyoderma gangraenosum als Autoimmungeschehen. Das gleichzeitige Auftreten solcher extraintestinalen Manifestationen an verschiedenen Organen unterstreicht dabei die systemische Natur der Krankheit. Bei Colitis ulcerosa sind wie bei Morbus Crohn Haut und Schleimhäute noch in anderer Form in den entzündlichen Prozeß einbezogen: als Erythema nodosum und als Iritis sowie Konjunktivitis. Die Spezifität für die Colitis ulcerosa ist allerdings gering. Analoge Phänomene kommen auch bei Yersiniose und anderen chronisch-entzündlichen Krankheiten vor.

Wirksamkeit einer immunsuppressiven Therapie Schon in Studien der fünfziger und sechziger Jahre konnte die Wirksamkeit einer Cortisonbehandlung der Colitis ulcerosa nachgewiesen werden (9). Dabei stellte sich eine deutliche DosisWirkungs-Beziehung ein. Steroide wirkten therapeutisch sowohl systemisch als auch lokal in Form von Klysmen. Die Standardtherapie der leichten oder mittelschweren Colitis ulcerosa basiert auf der Gabe von 5-Amino-Salicylaten, die durch den Einfluß auf die intestinale Immunglobulinproduktion weniger immunsuppressiv als vielmehr immunmodulierend wirken sollen. Ferner hemmen diese Substanzen die

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Virusinfektion?

Autoanttgen exposition?

L /=

+ Antigen+

&

Phagozyten

I

I

molekulares ~ i m i k r y '

durch Pathogene?

Antigenprasentation pro inllarnmatorische Zytokine (IL 1 IL 6 TNF U )

@

T &I1 Akt~vierung

Interleukin 2

T Zell Prolileration IL 2 Rezeptoi

B Zell Prolileratiori und Differenzierung

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tis ulcerosa bei ashkenasischen Juden in Israel und auch in bestimmten Regionen der Vereinigten Staaten deutlich höher ist als bei sephardischen Juden (7, 23, 40). Ein Problem dieser epidemiologischen Studien ist die Überlagerung von genetischen Einflüssen und Umweltfaktoren. So sind Colitis ulcerosa und Morbus Crohn häufiger bei Kaukasiern als bei Afrikanern und Asiaten und häufiger auf der nördlichen als auf der südlichen Hemisphäre, wobei die InzidenZen sich annähern, wenn man die Krankheitshäufigkeit für Farbige in Europa und Nordamerika betrachtet (2). Aufgrund dieser Untersuchungen muß ein komplexer polygenetischer Hintergrund mit einer sehr unterschiedlichen Penetranz einzelner genetischer Einflüsse angenommen werden.

IL 4 IL 5

Histologie

lgGl

und IgGJ- sezernierende Plasrnazellen

zytotoxische Elfektorzellen7

Kornplernentaktivi~rung

-

Mediatorenfreisetzung (Prostaglandine Leukotriene PAF)

Gewebsstörung

-

Abb. 1 Hypothesen zur Atiopathogenese der Colitis ulcerosa. CD, =THelferzellen, IL = lnterleukin, TNF = Tumornekrosefaktor, IFN = Interferon, TGF = Transforming-Growth-Factor, PAF = plattchenaktivierender Faktor.

Synthese von Entzündungsmediatoren, besonders der Leukotriene. In jüngster Zeit mehren sich Berichte über die klinische Wirksamkeit zytostatischer Immunsuppressiva wie 6-Mercaptopurin oder neuerer Strategien einer immunsuppressiven Therapie wie Ciclosporin (21). Antibiotika sind bei der Colitis ulcerosa dagegen nicht wirksam, was gegen eine bakterielle Ätiologie der Krankheit spricht (10).

Genetik Patientengruppen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind intensiv hinsichtlich der Prädominanz unterschiedlicher HLAMuster analysiert worden. Ausgangspunkt waren die Häufung bestimmter HLA-Phänotypen bei anderen Autoimmunerkrankungen und die erhöhte Inzidenz bei Verwandten ersten Grades von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Wenn auch tatsächlich signifikante Prävalenzen in einzelnen ethnischen Gruppen nachweisbar waren - etwa die erhöhte Inzidenz des HLA-B5-Haplotyps bei Japanern -, so ließen sich die Befunde jedoch nicht auf die Mehrzahl der Betroffenen übertragen. Für einen genetischen Hintergrund spricht auch die Tatsache, daß die Inzidenz der Coli-

Die Colitis ulcerosa zeigt ein charakteristisches mikroskopisches Bild, das in der Mehrzahl der Fälle eine histologische Diagnose zuläßt. Im Einzelfall kann die Abgrenzung zum Morbus Crohn und zu bakteriellen und viralen Enteritiden jedoch schwierig sein. Die Infiltration der Mucosa durch lymphozytäre und monozytäre Zellen ist zwar vereinbar mit der Diagnose »Autoimmunerkrankung«. jedoch keineswegs beweisend (17).

Immunpathologie Die intensiven Analysen der Immunreaktionen, die in der Darmmucosa vor sich gehen, haben wichtige Aufschlüsse über die Pathogenese der Colitis ulcerosa gegeben, obwohl die Ergebnisse hinter den Erwartungen weit zurückgeblieben sind. Beiden, Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, ist eine starke Aktivierung der T-Zellen, B-Zellen und monozytären Zellen in der Darmmucosa gemeinsam (26, 27, 38). die sich in der Aktivierung auch peripherer T-Zellen widerspiegelt (20). Es konnte ferner gezeigt werden, daß die unter physiologischen Bedingungen IgA-vermittelte, die Schleimhaut schützende »firstline-of-defensea bei diesen Patienten durch einen großen Anteil IgG-vermittelter Immunantwort im Sinne einer nsecond-line-of-defensea ergänzt wird. Diese IgG-Antikörper sind potentiell entzündungsfördernd und gewebstoxisch. Die IgC-Antikörper bei Colitis ulcerosa gehören interessanterweise übenviegend der IgG1-(und IgG3-)Subklasse an, während Patienten mit Morbus Crohn ein anderes Subklassenmuster aufweisen (13, 28). Es ist bemerkenswert, daß in der IgC1-Subklasse auch andere Autoantikörper, zum Beispiel die bei Lupus erythematodes nachweisbaren Anti-DNA-Antikörper, stark prädominant sind. In jüngster Zeit wurde festgestellt, daß mononukleäre Zellen aus der Mucosa von Colitisulcerosa-Patienten vermehrt entzündungsfordernde Zytokine freisetzen, unabhängig davon, ob die Zellen aus befallenen oder nicht-befallenen Arealen stam-

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men. Insbesondere zeigen die Zellen ein charakteristisches Muster der Interleukin-6-Sekretion (22. 34). Dieses Zytokin ist auch im peripheren Blut von Colitis-ulcerosa-Patienten nachweisbar und wurde darüber hinaus bei anderen Autoimmunerkrankungen beschrieben (12). Allerdings gehen auch andere, nicht autoimmunologisch verursachte Krankheiten wie die akute Pankreatitis mit erhöhten Interleukin6-Spiegeln einher.

Resümee und Ausblick Die Colitis ulcerosa wird heute mehrheitlich als eine Autoimmunerkrankung aufgefaßt. Diese Klassifizierung entspricht aber eher einer Arbeitshypothese und kann keinesfalls als endgültig angesehen werden (1.31). Für eine solche Einschätzung sprechen der Nachweis eines Autoantigen-Systems auf KolonBnterozyten (Glykoprotein mit einer relativen Molekülmasse von 40000), der Nachweis von Autoantikörpern (ANCA), die Koinzidenz mit anderen Autoimmunerkrankungen (sklerosierende Cholangitis, Pyoderma gangraenosum), die Prädominanz von IgC1-Antikörpern in der befallenen Mucosa und die Wirksamkeit einer immunsuppressiven Therapie. Alierdings konnte eine charakteristische Häufung bestimmter Histokompatibilitätsantigene, wie sie für einige andere Autoimmunprozesse nachweisbar ist, bisher nicht gefunden werden. Entscheidende Impulse für die weitere Klärung der Ätiopathogenese der Colitis ulcerosa sind unter anderem von einer Identifizierung der Zielantigene der antineutrophilen Autoantikörper im Semm dieser Patienten sowie von der weiteren Charakterisierung des genannten antigenen Glykoproteins zu erwarten.

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Prof. Dr. A. Raedler, Dr. S. Schreiber Medizinische Kernklinik und Poliklinik Universitäts-Krankenhaus Eppendorf Martinistr. 52 W-2000 ~ ~ ~ b ~ ~

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[Is ulcerative colitis an autoimmune disease?].

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