Klinische Wochenschrift

Klin. Wschr. 54, 239-241 (1976)

~C) by Springer-Verlag 1976

Laxantienabusus, Plasma-Kalium und chronische interstitielle Nephritis durch Phenacetinabusus K.D.Bock

u n d T. N i t z s c h e

Abteilung ffir Nieren- und Hochdruckkranke, Medizinische Klinik und Potiklinik der Universit~it Essen (GHS)

Laxative Abuse, Plasma Potassium Levels and Chronic Interstitial Nephritis due to Phenacetin Abuse Summary. In i54 patients with phenacetin nephropathy and in 26 patients with phenacetin abuse but without nephropathy a laxative abuse was observed in 3.2% and I5.4%, hypokalemia (3,5 maequ/l or less) in 9.1% and 3.9%, respectively. The mean plasma potassium concentration was normal in both groups (4.45 and 4.22 maequ/1, respectively). These data do not support the recently proposed hypothesis that the simultaneous abuse of laxatives contributes to the development of analgesic nephropathy, and that the absence of laxative intake might explain the lack of renal damage in some phenacetin abusers. Although it cannot be excluded that long-standing potassium deficiency in consequence of an abuse of laxatives or diuretics exerts an additional nephrotoxic effect in some cases, this mechanism seems not to be involved in the majority of patients with phenacetin nephropathy. Key words: Analgesic nephropathy - hypokalemia - interstitial nephritis - laxative abuse - phenacetin. Zusammenfassung. Bei 154 Patienten mit Phenacetin-Nephropathie und 26 Patienten mit Phenacetin-Abusus, jedoch ohne Nephropathie, fanden sich in 3,2% bzw. 15,4% ein Laxantienabusus und in 9, 1% bzw. 3,9% eine Hypokalifimie ( < 3,5 m/iqu/i). Die durchschnittlichen Plasma-Kaliumkonzentrationen Iagen mit 4,45 bzw. 4,22 mfiqu/I im Normbereich. Die kiirzlich gefiugerte Vermutung, dab ein gleichzeitiger Laxantienabusus die Entwicklung einer Phenacetin-Nephropathie begtinstige und sein Fehlen erkl~ire, dab nicht in allen F/illen yon Phenacetin-Abusus eine Nierenerkrankung entsteht, lfigt sich aufgrund dieser Daten nicht best~itigen. Obwohl denkbar ist, dab ein chronischer Kaliummangel durch Laxantienoder Diuretika-Abusus an der Entstehung der Nierensch/idigung mitwirkt, ist dies offenbar bei der Mehrzahl der F~ille yon Phenacetin-Nephropathie nicht der Fall. Schliisselwiirter: Analgetica-Nephropathie - chronische interstitielle Nephritis - Hypokali/imie - Laxantienabusus - Phenacetin.

Seit der ersten Mitteilung yon Sp~hler und ZoIlinger 1953 [5] ist eine kaum noch iibersehbare Zahl yon Ver6ffentlichungen erschienen (Zusammenfassung bei GselI [2]), die es wahrscheinlich machen, dab durch Iangdauernde F.innahme phenacetinhaltiger Analgetika oder Antiasthmatika eine chronische interstitielle Nephritis hervorgerufen werden kann. Nicht absolut sicher gekl~irt ist, ob Phenacetin (oder einer seiner Metaboliten) allein das toxische

Agens darstellt, ob andere zusammen mit dem fast stets als Kombinationspr~iparat verwendeten Phenacetin eingenommene Pharmaka ffir die Pathogenese dieser Nephropathie mitverantwortlich sind, und ob eine gleichzeitige bakterielle Infektion eine Rolle spielt. Letzteres ist allerdings wenig wahrscheinlich, da ein Harnwegsinfekt in den meisten Serien nur bei weniger als der H/ilfte der Patienten gefunden wird. Ktirzlich haben Wainscoat und Finn [6] aufgrund yon Beobachtungen an 10 Patienten die Meinung geS.ul3ert, dab chronischer Laxantiengebrauch die Nephrotoxizit/it von Analgetika erh6hen k6nnte und dab sich hierdurch erklfiren lasse, warum nicht alle Patienten mit chronischem Analgetikaabusus an einer Nephropathie erkranken. Wir halten die Beobachtungen, auf die die Autoren ihre Hypothese sttitzen, nicht f~r beweiskrfiftig (s, Diskussion). Jedoch hat uns diese Mitteitung zu einer Nachpr~fung angeregt, weft auch langdauernder Kaliummangel Nierenver/inderungen im Sinne einer chronischen interstitiellen Nephritis hervorrufen kann. Wir haben daher unser Krankengut an chronisch-interstitieller Nephritis durch Phenacetinabusus unter dem Gesichtspunkt analysiert, wie h/iufig ein Laxantienabusus und/ oder Verfinderungen im Kaliumhaushalt vorkommen.

Patienten und Methodik

Von 1962 bis August 1975 wurden an der Medizinischen Universit/itsklinik und Poliklinik Essen insgesamt 180 Patienten mit chronischem Phenacetinabusus beobachtet. Bei 154 dieser F/ille wurde eine chronische interstitielle Nephritis diagnostiziert. Bei 26 F/illen wurde trotz eines eindeutigen, im Mittel abet etwas geringeren Phenacetinabusus (vgi. Tabelle 1) keine Nephropathie nachgewiesen. Neben der detaillierten Medikamentenanamnese und der Minischen Untersuchung (einschtiel31ich Blutdruckmessung und Fundusskopie) wurden in jedem Fall folgende diagnostische Mal3nahmen vorgenommen: Harnuntersuchung auf EiweiB und geformte Bestandteile, bakteriologische Harnuntersuchung, Bestimmung yon Harnstoff-N, Kreatinin, Natrium, Kalium, Chlor, Calcium, anorganischem Phosphat, pH und Standardbicarbonat im Plasma, endogene Kreatininctearance (teilweise auch Inulin- und PAH-Ctearance), Phenolrottest, r6ntgenologische Untersuchung der Nieren (Infusions-Urogramm einschlieNich Zonographie, gegebenenfalls mit Conray 70, in einzelnen FS_llen auch retrograde Pyelographie). sowie in 24 F/illen eine Nierenbiopsie bzw. histologische Untersuchung der Niere bei der Autopsie. Daneben erfolgten weitere biochemische und r6ntgenologische Untersuchungen, die bei allen Patienten der Klinik routinem/iBig vorgenommen werden. Die bier vorgelegten Daten beziehen sich auf die bei der Erstuntersuchung

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Kurze wissenschaftliche Mitteilungen

Tabelle 1. Phenacetinverbrauch, Laxantien-Abusus und Plasma-Kalium bei 180 Patienten mit chronischem Phenacetinabusus mit und ohne Nephropathie. Zum Vergleich die entsprechenden Daten von Wainscoat und Finn [6]. n.s. = Keine statistisch signifikante Differenz der H~iufigkeiten bzw. Mittelwerte (p > 0,05) Anzahl Patienten

Phenacetn ephropathe 154

~ :3

Geschfitzter Gesamtverbrauch an Phenacetin (kg) (Bereich)

054 455

(0,75-30)

Phenacetin-Abusus ohne Nephropathie

26

14:12

Wainscoat und Finn

10

4:6

LaxantienAbusus % FNle

32}

n.s.

Plasma-Kalium m/iqufl )7_+s

445+0761 911 n.s.

3,82 (1 - 7)

15,4

4,22 + 0,45

?

80

3,38 + 0,68

in der hiesigen Klinik erhobenen Befunde, wobei zu diesem Zeitpunkt auch bei der tiberwiegenden Mehrzahl der F~tlle die Diagnose der Phenacetin-Nephropathie erstmals gestellt wurde. Ein Laxantienabusus wurde angenommen, wenn t/iglich oder an jedem 2. oder 3. Tag ein oder mehrere Abfiihrmittel eingenommen wurden, Eine nur ein- bis h6chstens zweimal w6chentlich erfolgende Einnahme wurde nicht als Abusus klassifiziert.

Ergebnisse In Tabelle l sind die Ergebnisse zusammengefagt. Zum Vergleich sind im unteren Tell der Tabelle die yon Wainscoat und Finn mitgeteilten Beobachtungen aufgeffihrt, soweit sich der Publikation die entsprechenden Daten entnehmen lieBen. Das Geschlechtsverh~iltnis weiblich:mfinnlich betrggt bei unseren Fgllen mit Phenacetin- Nephropathie 105 : 49 ~ 2:1, bei den Fftllen ohne Nephropathie 14:12 g 1:1. Der aufgrund anamnestischer Angaben gesch~tzte Gesamtverbrauch an Phenacetin war mit durchschnittlich 3,82 kg bei den Patienten ohne Nephropathie geringffigig niedriger als bei den F/illen mit Nephropathie (durchschnittlich 4,55 kg). Die durchschnittliche Plasma-Kaliumkonzentration lag bei den Patienten mit Nephropathie mit 4,45 mhqu/1 ebenso im Normbereich wie bei den Patienten ohne Nephropathie (4,22 m~iqu/1). Eine Hypokalifimie (3,5 mfiqu/1 oder weniger) hatten bei der Aufnahme 9,1% der Patienten mit Phenacetin-Nephropathie nnd 3,9% der Ffille ohne Nephropathie. Demgegeniiber betrug der Prozentsatz der Patienten mit Laxantienabusus in der Gruppe mit Nephropathie 3,2%, in der Gruppe ohne Nephropathie 15,4%. Keine der genannten Differenzen ist statistisch signifikant

(p>O,O5). Diskussion Im Gegensatz zu den 10 Patienten von Wainscoat und Finn [6], bei denen in 80% ein Laxantienabusus angenommen wurde (vgl. Tabelle 1), bestand bei unseren 154 Ffillen mit Phenacetin-Nephropathie nur in 3,2%, bei den 26 F~illen mit Phenacetinabusus, aber ohne Nephropathie, in 15,4% ein Laxantienabusus. Die Pr~ivalenz des Laxantienabusus in unserem Material insgesamt liegt in der gleichen Gr6genordnung wie in den verschiedenen Kontrollgrappen von Wainscoat und Finn. W/ihrend 70% der Patienten dieser Autoren eine eindeutige Hypokali~imie aufwiesen, war dies nur in 9,1% unserer Nephropathien der Fall. Bei genauerer Betrachtung dieser hypokaliblmischen Patienten zeigte sich, dab die meisten einen polyvalenten Abusus betrieben, der auger phenacetinhaltigen Analgetika und Laxantien auch Diuretika umfagte. Hierdurch wird

3,5 m~iqu/1 od. weniger % F~ille

n.s.

3,9

70

erkl/irt, dab der Prozentsatz der Fftlle mit eindeutiger Hypokali~imie h6her liegt als der der Patienten mit Laxantienabusus. Andererseits ist trotz des relativ h/iufigeren Vorkommens eines Laxantienabusus bei den Patienten ohne Nephropathie in dieser Gruppe nur eine einzige Hypokalihmie beobachtet worden, wenngleich die durchschnittliche Plasma-Kaliumkonzentration geringffigig niedriger lag. Wainscoat und Finn haben als weiteren Beleg ffir ihre Hypothese die Plasma-Kreatininwerte bei 40 Patienten mit rheumatoider Arthritis und mit Einnahme ,,gr6gerer Mengen yon Analgetika ffir die Dauer yon mindestens 5 Jahren" (..... einschlieglich Phenacetin in vielen Fgllen . ..") untersucht. Das durchschnittliche Plasma-Kreatinin bei 25 dieser F/ille ohne Laxantieneinnahme betrug 0,74 rag/100 ml, bei 15 F/illen, die gelegentlich Laxantien eingenommen hatten, 0.97 rag/100 rot. Die Differenz war statistisch signifikant. Keiner dieser Patienten hatte eine Analgetika-Nephropathie. Nach Meinung der Autoren spricht die Differenz der durchschnittlichen Plasma-Kreatininkonzentrationen in diesen beiden Gruppen daf/ir, dab Laxantien potentiell nephrotoxisch sind, dab aber das Fehlen einer Nephropathie bei ihren Patienten mit rheumatoider Arthritis darauf zurtickzuftihren sei, dab kein einziger Fall mit regelmiifliger Laxantieneinnahme darin enthalten ist. Schon a priori ist wenig wahrscheintich, dag die gelegentliche Laxantieneinnahme (nach der Definition der Autoren weniger als zweimal pro Woche, aber mehr als einmal pro Monat) eine Nierensch~idigung hervorruft, die sich in einem Anstieg des Plasma-Kreatinins manifestiert. Vor allem aber erfordert der statistische Vergleich yon durchschnittlichen Plasma-Kreatininwerten, die innerhalb des Normbereiches liegen, da$ die zugrundeliegenden Kollekrive in bezug auf das Geschlecht, aber auch hinsichtlich sonstiger Faktoren, bier also vor allem der Dauer der rheumatoiden Arthritis und ihrer Behandlung, fihnlich zusammengesetzt sind. Dies aber wurde nicht dargelegt. Die Tatsache, dag bei diesen Patienten mit rheumatoider Arthritis keine Nephropathien gefunden wurden, l[igt sich einfacher damit erklhren, dab die chronische Nephrotoxizitfit von Aspirin beina Menschen sehr gering ist, und dab ein echter Phenacetinabusus bei rheumatoider Arthritis offenbar selten vorkommt. Unter unseren insgesamt 180 Patienten mit chronischem Phenacetinabusus befand sich nur ein einziger Fall mit rheumatoider Arthritis. Die Diskrepanz zwischen unseren Befunden und den Beobachtungen yon Wainscoat und Finn beruht wahrscheinlich darauf, dai3 es sich bei den 10 angeblichen Analgetika-Nephropathien dieser Autoren um ein besonderes Krankengut handelt. Im Gegensatz zu den Angaben in der Weltliteratur tiberwiegt das m~innliche Geschlecht das weibliche. 2 der Patienten hatten lediglich Aspirin gebraucht, die fibrigen 8 batten auger Aspirin oder anderen Analgetika auch Phenacetin eingenommen, jedoch geht die Gesamtmenge des konsumierten Phenacetins aus der Ver6ffentlichung nicht genau

Kurze wissenschaftliche Mitteilungen hervor (,,... mindestens 5 kg Aspirin oder Phenacetin"). Nach vorherrschender Meinung, die auch unserer Auffassung entspricht, ist aber Phenacetin (und/oder einer seiner Metaboliten) die flit die Entstehung der typischen Analgetika-Nephropathie des Menschen entscheidende Noxe, w/ihrend dies ffir Salicylsfiure bisher nicht fiberzeugend dargelegt werden konnte (Lit. bei [2]). Wir vermuten daher, dal3 die 10 angeblichen Analgetika-Nephropathien yon Wainscoat und Finn ein gemischtes Kollektiv yon Patienten mit Aspirin-, Phenacet~n- und Laxantienabusus darstellen, das •r die Phenacetin-Nephropathie nicht repr/isentativ ist. Es bleibt die Frage, warum nicht alle Patienten mit Phenacetinabusus eine Nephropathie entwickeln. Die Annahme einer allergischen Sch~idigung dutch Phenacetinmetaboliten vom Typ des Phenetidins [3, 4] ist ebensowenig gesichert wie die Vermutung individueller Abweichungen des Phenacetin-Metabolismus oder Besonderheiten des Wasserhaushalts (z.B. groBe Trinkmengen verhindern, Dehydration, etwa dutch extremes Schwitzen, begfinstigt die Entwicklung der Nephropathie). DaB ein jahrelang bestehender Kaliummangel eine NierenscNidigung im Sinne einer chronischen interstitiellen Nephitis hervorrufen kann, ist bekannt und wird auch durch eigene Beobachtungen an 23 FNlen belegt, fiber die in anderem Zusammenhang berichtet wird [1]. Das rund doppelt so h~iufige Vorkommen einer Hypokali/imie bei unseren Patienten mit Phenacetin-Nephropathie im Vergleich zu den F/illen ohne Nephropathie k6nnte daffir sprechen, dab bei einzelnen Patienten ein chronischer Kaliummangel infolge gleichzeitigen Laxantien- oder Diureticaabusus bei der Entstehung der Nierenerkrankung mitgewirkt hat. Unsere Befunde liefern aber keine Anhaltspunkte daffir, dab dies hfiufig vorkommt oder gar die Regel ist.

241 Literatur

1. Cremer, W., Wallner, R., Bock, K.D. : Klinik und Vertauf der kaliopenischen Nephropathie. (im Druck) 2. Gsell, O.: Nephropathie durch Analgetica. Ergebn. inn. Med. Kinderheilk. 35, 67 (I974) 3. Raaflaub, J., Dubach, U.C.: Zur Frage der Pathogenese der chronisch-interstitiellen Nephritis nach protrahiertem Schmerzmittelabusus. Klin. Wschr. 55, 489 (1972) 4. Rfiegger, R., Spengler, H., Weck, A.L. de, Dubach, U.C. : hnmunologische Aspekte der Sensibilisierung auf Phenacetin. Dtsch. reed. Wschr. 98, 762 (1973) 5. Spfihter, O., Zollinger, H.U. : Die chronisch-interstitielle Nephritis. Z. klin. Med. 151, I (1953) 6. Wainscoat, J.S., Finn, R. : Possible rote of laxatives in analgesic nephropathy. Brit. reed. J. 4, 697 (1974)

Eingegangen am 28. August 1975

Professor Dr. K.D. Bock Dr. T. Nitzsche Abteilung ffir Nieren- und Hochdruckkranke, Medizinische Klinik und Poliklinik der Universit/it Essen (GHS) Hufelandstr. 55 D-4300 Essen Bundesrepublik Deutschland

[Laxative abuse, plasma potassium levels and chronic interstitial nephritis due to phenacetin abuse (author's transl)].

In 154 patients with phenacetin nephropathy and in 26 patients with phenacetin abuse but without nephropathy a laxative abuse was observed in 3.2% and...
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