Bild und Fall Ophthalmologe 2013 DOI 10.1007/s00347-013-2955-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

A. Fieß · S. Kehrein · Ö. Cal · I. Frisch · U.H. Steinhorst Klinik für Augenheilkunde, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken Wiesbaden

Visusverlust nach Kataraktoperation Anamnese

Befund

Eine 87-jährige Patientin stellte sich zur Kataraktoperation in unserer Klinik vor. Sie beklagte beidseits eine zunehmende Visusminderung sowie eine progrediente Photophobie. Die sonstige Augenanamnese war unauffällig. Eine systemische Antikoagulation wurde nicht durchgeführt. Der korrigierte präoperative Visus betrug rechts 0,3 und links 0,5. Der intraokulare Druck lag rechts bei 16 mmHg (appl.) und links bei 13 mmHg (appl.). Aufgrund eines Aderhautnävus am rechten Auge wurde eine präoperative Fluoreszenzangiographie durchgeführt (. Abb. 1, 2). Anschließend fand eine komplikationslose Kataraktoperation am rechten Auge in Retrobulbäranästhesie statt. Die Retrobulbäranästhesie erfolgte ohne Auffälligkeiten 30 min vor der Operation mittels einer 25-Gauge-Kanüle (0,5×40 mm) und der Applikation von 5 ml eines Gemisches aus 50 ml Lidocain-Hydrochlorid (Xylocain 2%®) und 150 I.E. Hyaluronidase (Hylase Dessau 150 IE Vial®), das ausgehend vom lateralen Unterliddrittel in den retrobulbären Muskeltrichter appliziert wurde.

Am ersten postoperativen Tag nach Kataraktoperation war die Sehschärfe am rechten Auge auf Handbewegungen vermindert. Der intraokulare Druck lag am rechten Auge bei 16 mmHg (appl.). Am vorderen Augenabschnitt zeigte sich eine regelrechte und reizfreie Pseudophakie ohne Hinweis auf ein Lid- oder Retrobulbärhämatom. Funduskopisch imponierten eine zentrale Netzhautablösung, eine randunscharfe Papille, retinale Gefäßverschlüsse sowie multiple Sanguinationen am hinteren Pol (. Abb. 3). Fluoreszenzangiographisch fand sich eine etwas verzögerte arterielle Füllung mit anschließender zeitlich regelrechter venöser Füllung. Im Verlauf waren weiter eine hyperfluoreszente Papille sowie perivasale fleckförmige Hyperfluoreszenzen auffällig. In der Spätphase zeigte sich eine ausgeprägte Leckage im Bereich des hinteren Pols (. Abb. 4). Im OCT bestätigte sich die seröse Netzhautablösung (. Abb. 5). Das sofort durchgeführte MRT war unauffällig, ein Retrobulbärhämatom konnte auch hier ausgeschlossen werden.

Abb. 1 8 Fundusfoto, rechtes Auge/linkes Auge: beidseits trockene altersbedingte Makuladegene­ ration, ein Aderhautnävus am rechten Auge am oberen Gefäßbogen Der Ophthalmologe 2013 

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Abb. 2 8 Fluoreszenzangiographie, rechtes Auge/linkes Auge: beidseits trockene altersbedingte Makuladegeneration, Abschattung im Bereich des Aderhautnävus am rechten Auge

Abb. 3 8 Funduskopisch imponierten am rechten Auge nach Kataraktoperation eine zentrale Ablatio retinae, ein Papillenödem sowie multiple Sanguinationen am hinteren Pol

Abb. 4 8 Fluoreszenzangiographisch zeigte sich am rechten Auge eine etwas verzögerte arterielle Füllung mit anschließender regelrechter venöser Füllung. Im Verlauf waren eine hyperfluoreszente Papille sowie perivasale fleckförmige Hyperfluoreszenzen auffällig. In der Spätphase zeigte sich ein intraretinales Makulaödem. Am linken Auge zeigte sich eine regelrechte arterielle und venöse Füllung der Gefäße ohne pathologischen Befund

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Der Ophthalmologe 2013

Abb. 5 8 Im OCT am rechten Auge bestätigte sich die seröse Netzhautabhebung



D Wie lautet Ihre Diagnose?

Therapie und Verlauf

Diskussion

Zur Perfusionsverbesserung der Netzhaut wurde eine sofortige maximale drucksenkende Therapie mit 2-mal täglich 250 mg Acetazolamid (Glaupax®) p.o. durchgeführt. Zusätzlich erfolgten eine systemische Therapie mit 1-mal täglich 145,6 mg Diclofenac-Colestyramin (Voltaren resinat®) sowie eine lokale Therapie mit 4-mal täglich Diclofenac AT 1 mg (Voltaren optha®). Ergänzend wurde eine tägliche Therapie mit 60 mg Methylprednisolon (Urbason®) angesetzt. Unter dieser Therapie war die zentrale Ablatio retinae innerhalb der ersten 7 Tage deutlich rückläufig, und die Sehschärfe verbesserte sich auf 1/20 Tafelvisus. Nach weiteren 2 Wochen lag nun funduskopisch die Netzhaut wieder vollständig an, die bestkorrigierte Sehschärfe war inzwischen auf 0,3 angestiegen. Die präoperative Sehschärfe wurde somit wieder erreicht. Auch nach 6 Monaten lag die bestkorrigierte Sehschärfe bei 0,3.

Die Retrobulbäranästhesie findet heute bei vielfältigen Eingriffen am Auge und so auch im Rahmen der Kataraktchirurgie Anwendung. Gerade die häufige Indikationsstellung dieser Methode belegt, dass es sich um ein komplikationsarmes Verfahren handelt. Doch sollten, wie dieser Fall zeigt, auch die seltenen und meist besonders schwerwiegenden Komplikationen bei der Indikationsstellung berücksichtigt und ggf. die Tropf- und Intubationsanästhesie bevorzugt werden.

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Diagnose: multiple retinale Gefäßverschlüsse und zentrale seröse Ablatio retinae nach Retrobulbäranästhesie In der vorliegenden Arbeit beschreiben wir den Fall einer Patientin mit multiplen retinalen Gefäßverschlüssen und einer zentralen serösen Netzhautablösung am hinteren Pol nach einer Kataraktoperation in Retrobulbäranästhesie.

Die großen Gefahren der Retrobulbäranästhesie sind vor allem die Injektion des Lokalanästhetikums in den Sehnerv sowie die unbeabsichtigte Embolisation der Zentralarterie. Durch die Injektion des Lokalanästhetikums in den Sehnerv konnten bisher 2 verschiedene Pathomechanismen beschrieben werden [2]. Einerseits kann es im Rahmen der Injektion zu lokalen Veränderungen am Sehnerv direkt kommen. Andererseits besteht die Möglichkeit einer Affektion des zentralen Nervensystems. Der vorliegende Fall ist wie einige andere dokumentierte Fälle [2, 3, 4, 5] eher ein Beispiel für eine lokale Optikusaffektion. Eine direkte meningeale Injektion ist aufgrund fehlender zentralnervöser Komplikationen eher unwahrscheinlich. Es ist davon auszugehen, dass es bei einer direkten Verletzung des Sehnervs zu einer Optikusatrophie sowie zu zahlreichen Gesichtsfelddefekten im weiteren Verlauf gekommen wäre. Der postoperative Visusanstieg auf den präoperativen Visus, der auch noch nach 6 Monaten stabil bei 0,3 lag, spricht deshalb eher gegen eine direkte Schädigung des Der Ophthalmologe 2013 

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Bild und Fall Sehnervs. Eine postoperative Gesichtsfelduntersuchung wurde nicht durchgeführt. Außerdem war die Darstellung der Nn. optici im Standard-MRT unauffällig. Eine detaillierte Darstellung (FeinschichtMRT) des Sehnervs war während des klinischen Aufenthalts nicht erfolgt. Deshalb kann eine Verletzung des Sehnervs, welche als Eintrittspforte für das Lokalanästhetikum gedient haben könnte, auch nicht sicher ausgeschlossen werden. Bereits früh wurde beschrieben, dass die Zentralarterie an der unteren Seite des Sehnervs verlaufen kann, bevor sie in diesen eintritt [3]. In einem der wenigen Fallberichte mit ebenfalls multiplen retinalen Embolien und einer lokalen Netzhautablösung nach Retrobulbäranästhesie wird als eine Ursache die direkte Injektion des Lokalanästhetikums in die Zentralarterie vermutet [1]. Aufgrund der Tatsache, dass im Standard-MRT ein seitengleicher Befund des Sehnervs darstellbar war, wurde nicht von einer Embolisation der Zentralarterie ausgegangen. Eine mögliche Ursache der zahlreichen retinalen Okklusionen und Sanguinationen könnte durch einen vaskulären Stress bedingt sein, der durch die Applikation des Lokalanästhetikums in den Retrobulbärraum ausgelöst wurde. Dass dieser Mechanismus jedoch zu einer zentralen Netzhautablösung geführt hat, ist eher unwahrscheinlich. Ein Retrobulbärhämatom konnte mittels MRT ausgeschlossen werden. Die aufgetretene zentrale Netzhautablösung könnte durch den von Mieler et al. [2] beschriebenen Pathomechanismus ausgelöst worden sein. Die Autoren vermuten, dass das Anästhetikum, sich entlang des N. opticus aszendierend, Zugang zum subretinalen Raum findet und somit zu einer lokalen serösen Netzhautablösung führen kann. Die fehlenden zentralnervösen Komplikationen lassen auf eine vermutlich sehr distale Eintrittpforte mit aszendierender Flüssigkeitsverschiebung in den subretinalen Raum in der Nähe der Lamina cribrosa schließen. Im vorliegenden Fall bildete sich die seröse Ablatio retinae nach wenigen Wochen wieder vollständig zurück. Von Mameletzi et al. [1] wurde ebenfalls beschrieben, dass sich die seröse Ablatio retinae nach 1 Monat vollständig zurückgebildet

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hat und auch eine Regression der retinalen Blutungen zu beobachten war. Der Visus lag nach 6 Monaten nur bei Handbewegungen. In dem Fallbericht von Mieler et al. [2] zeigte sich nach 3 Wochen ebenfalls eine jetzt wieder anliegende Netzhaut. Die Sehschärfe betrug jedoch nur Handbewegungen. Im Gegensatz zu den beschriebenen Fallberichten verbesserte sich der Visus im hier vorliegenden Fallbericht und erreichte bereits nach 3 Wochen den präoperativen Ausgangsvisus.

Fazit für die Praxis F Der vorgestellte Fall belegt, dass schwerwiegende Komplikationen mit deutlichem Visusverlust nach Retrobulbäranästhesie nicht auszuschließen sind. Deshalb sollten sich Ophthalmologen bei Durchführung der Retrobulbäranästhesie dieser möglichen Komplikationen stets bewusst sein und ggf. die ophthalmologisch komplikationsärmeren Anästhesieverfahren (Tropf- und Intubationsanästhesie) nach individueller Indikationsstellung bevorzugen. F Erfreulicherweise wird ebenfalls demonstriert, dass trotz massiven Befundes die morphologischen und funktionellen Befunde reversibel sein können. Dieser Fall ergänzt die bereits beschriebenen vielfältigen Komplikationen nach Retrobulbäranästhesie um einen weiteren sehr seltenen Fall.

Korrespondenzadresse Dr. A. Fieß Klinik für Augenheilkunde, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken Wiesbaden Ludwig-Erhard-Str. 100, 65199 Wiesbaden [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  A. Fieß, S. Kehrein, Ö. Cal, I. Frisch und U.H. Steinhorst geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Mameletzi E, Pournaras JA, Ambresin A et al (2008) Retinal embolisation with localised retinal detachment following retrobulbar anaesthesia. Klin Monatsbl Augenheilkd 225:476–478   2. Mieler WF, Bennett SR, Platt LW et al (1990) Localized retinal detachment with combined central retinal artery and vein occlusion after retrobulbar anesthesia. Retina 10:278–283   3. Morgan CM, Schatz H, Vine AK et al (1988) Ocular complications associated with retrobulbar injections. Ophthalmology 95:660–665   4. Pautler SE, Grizzard WS, Thompson LN et al (1986) Blindness from retrobulbar injection into the optic nerve. Ophthalmic Surg 17:334–337   5. Sullivan KL, Brown GC, Forman AR et al (1983) Retrobulbar anesthesia and retinal vascular obstruction. Ophthalmology 90:373–377

[Loss of visual acuity after cataract surgery].

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