Pro und Kontra Nervenarzt 2014 · 85:476–477 DOI 10.1007/s00115-013-3973-7 Online publiziert: 17. Januar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J.B. Schulz

Lumbalpunktion und Liquordiagnostik sind heute bei der Neudiagnose einer milden kognitiven Beeinträchtigung und einer Demenz unverzichtbarer Bestandteil der differenzialdiagnostischen Abklärung. Bei der differenzialdiagnostischen Demenzabklärung wurde die Liquoranalyse bisher primär zum Ausschluss bestimmter, behandelbarer Ursachen einer Demenz empfohlen. Dazu zählen u. a. die Lues und die Borreliose. Ferner helfen die Messung des Liquordrucks und die Entnahme von Liquor bei der Diagnose eines Nomaldruckhydrozephalus. Durch die Entwicklung spezifischer liquorbasierter Biomarker ist es heute allerdings möglich, die zugrunde liegende Pathologie einer Alzheimer-Krankheit bei Erhöhung der Konzentration von Tau und phosphoryliertem Tau bei gleichzeitig reduziertem Aβ42 ohne direkte, neuropathologische Untersuchung des Gehirns zu Lebzeiten vorherzusagen. Ferner besteht die Möglichkeit, bei klinischem und bildgebendem Verdacht durch Bestimmung des Proteins 14-3-3 eine mögliche Prionerkrankung mit hoher Sensitivität zu bestätigen. Die 2009 verabschiedete S3-Leitlinie „Demenzen“ bewertet die Liquordiagnose zur Differenzialdiagnose von Demenzen daher mit einer „B“-Empfehlung („sollte durchgeführt werden“; [1]). Die differenzialdiagnostische Aufarbeitung eines Demenzsyndroms führt mit klinischen, neuropsychologischen und strukturell-bildgebenden Verfahren zur klinisch wahrscheinlichen Diagnose einer spezifischen Erkrankung, z. B.

zur Diagnose einer Alzheimer-Krankheit. Die finale (sichere) Diagnose, die den Nachweis Alzheimer-typischer pathologischer Veränderungen vorsieht, blieb bisher der neuropathologischen Begutachtung post mortem vorbehalten. Dieses hat sich in den vergangenen Jahren entscheidend verändert. Mithilfe PET(Positronenemissionstomographie)-spezifischer Liganden gelingt der bildgebende Nachweis von Amyloidplaques im Gehirn von Patienten mit einer Alzheimer-Demenz bereits zu Lebzeiten. Da in Deutschland diese Liganden bisher noch nicht offiziell zum Einsatz in der Klinik zugelassen sind, bleibt ihre Anwendung derzeit noch der Forschung vorbehalten. Für die klinische Routine steht hingegen bereits die Liquoranalyse zum Nachweis Alzheimer-typischer pathologischer Veränderungen des Gehirns zur Verfügung.

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Der Nervenarzt 4 · 2014

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen

Lumbalpunktion in der Demenzabklärung:   Die Liquorpunktion ist unentbehrlich. Pro

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Alzheimer-typische Liquorveränderungen gehen den ersten Symptomen um Jahre voraus Zahlreiche Studien belegen die Sensitivität und Spezifität, aus dem Liquor die Pathologie einer Alzheimer-Krankheit vorherzusagen [2]. Diese Daten sind durch Post-mortem-Untersuchungen und einen Vergleich mit dem Amyloid-PET validiert. Untersuchungen von Patienten mit familiären Formen einer Alzheimer-Krankheit, aber auch longitudinale Untersuchungen zeigen, dass Alzheimer-

typische Liquorveränderungen den ersten testpsychologisch objektivierbaren kognitiven Symptomen, der klinischen Diagnose einer Demenz und auch strukturellen, mit der Magnetresonanztomographie (MRT) fassbaren Symptomen um Jahre vorausgehen [3]. Im Stadium der subjektiven und milden kognitiven Beeinträchtigung ist die Liquoranalyse die sensitivste Möglichkeit, Alzheimer-typische Veränderungen des Gehirns und damit die hohe Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Alzheimer-Demenz in den nächsten Jahren vorherzusagen [4]. In manchen Studien wurde das MRtomographische Volumen des Hippokampus als ähnlich sensitiver Parameter für die Konversion der milden kognitiven Beeinträchtigung zu einer Alzheimer-Demenz identifiziert. Einschränkend muss darauf hingewiesen werden, dass in der Routine keine volumetrische Messung des Hippokampus durchgeführt wird, aber eine Messung der Biomarker aus dem Liquor in der Routine zur Verfügung steht. Kritiker weisen zwar darauf hin, dass es für dieses Stadium der Erkrankung keine Therapien gibt, für die zuverlässig eine Verhinderung der Progression zur Alzheimer-Demenz nachgewiesen worden sei. Dem muss man entgegen halten, dass in diesen Studien nicht zwischen einer milden kognitiven Beeinträchtigung mit und ohne AlzheimerPathologie unterschieden wurde und sich somit möglicherweise protektive Effekte wegen eines hohen Anteils von Patien-

Erratum ten ohne Alzheimer-Pathologie nicht gezeigt haben. Ein Nachteil der Liquoranalyse besteht darin, dass es zwar Biomarker gibt, die mit hoher Sensitivität und Spezifität auf die Pathologie einer Alzheimer-Krankheit oder einer Prionerkrankung hinweisen, vergleichbare Vorhersagemöglichkeiten für andere neurodegenerative Erkrankungen hingegen fehlen. Erste Arbeiten zeigen aber jetzt, dass möglicherweise auch bei Synukleinopathien, zu denen das idiopathische Parkinson-Syndrom, die Demenz mit Lewy-Körpern und die Multisystematrophie zählen, pathologische Veränderungen im Gehirn mit Biomarkern nachweisbar sind [5]. Letztlich ist eine Biomarkerdiagnostik aus einfacher als Liquor zu gewinnenden Geweben oder Körperflüssigkeiten, z. B. Urin oder Blut, anzustreben. Solange diese nicht zur Verfügung stehen, bleibt die Analyse des Liquors zur Demenzabklärung unentbehrlich.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. J.B. Schulz Klinik für Neurologie,   Universitätsklinikum der RWTH Aachen Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen [email protected]

Interessenkonflikt.  J.B. Schulz gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur 1. Deuschl G, Dodel R, Jessen F et al (2012) Diagnose und Therapie der Demenzen. S3 Leitline der DGN und DGPPN. In: Diener H-C, Weimar C (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart 2. Hansson O, Zetterberg H, Buchhave P et al (2006) Association between CSF biomarkers and incipient Alzheimer’s disease in patients with mild cogni-  tive impairment: a follow-up study. Lancet Neurol 5:228–234 3. Bateman RJ, Xiong C, Benzinger TL et al (2012) Clinical and biomarker changes in dominantly inherited Alzheimer’s disease. N Engl J Med 367:  795–804 4. Harten AC van, Visser PJ, Pijnenburg YAL et al (2013) Cerebrospinal fluid Aβ42 is the best predictor of clinical progression in patients with subjec-  tive complaints. Alzheimers Dement 9:481–487

5. Mollenhauer B, Locascio JJ, Schulz-Schaeffer W et al (2011) Schlossmacher MG. α-Synuclein and tau concentrations in cerebrospinal fluid of patients presenting with parkinsonism: a cohort study.   Lancet Neurol 10:230–240

Pro und Kontra In der Rubrik „Pro und Kontra“ werden offene oder strittige Fragen aus den Bereichen Dia­gnostik, Therapie oder Versorgung psychischer und neurologischer Erkrankungen kontrovers diskutiert. In einem Pro- und einem Kontra-Beitrag beziehen zwei Experten Position zur Fragestellung.

Nervenarzt 2014 · 85:478–479   DOI 10.1007/s00115-014-4032-8 Online publiziert: 15. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

T. Reiff1 · H. Amiri1 · P.A. Ringleb1 · O. Jansen2 · W. Hacke1 · H.H. Eckstein3 1 Neurologische Klinik,

Universitätsklinikum Heidelberg 2 Insititut für Neuroradiologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel 3 Klinik und Poliklinik für Vaskuläre und Endovaskuläre Chirurgie, Klinikum rechts der Isar, TU München

Erratum zu: Therapie asymptomatischer Karotisstenosen. Notwendige Klärung der Evidenz mit neuem SPACE-2-Design In diesem Beitrag wurden durch einen technischen Fehler nicht alle Autorennamen aufgelistet. Weitere Beitragsautoren sind: H. Amiri, P.A. Ringleb, O. Jansen, W. Hacke, H.H. Eckstein. Wir bitten, dies zu entschuldigen und die korrigierte Autorenschaft zu beachten.

Korrespondenzadresse Dr. T. Reiff Neurologische Klinik,   Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg [email protected]

Die Online-Version des Originalartikels können Sie unter http://dx.doi.org/10.1007/s00115-0133906-5 finden. Der Nervenarzt 4 · 2014 

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[Lumbar puncture for diagnosis of dementia: liquor puncture is indispensable. For].

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