282 Klin. Pädiatr. 202 (1990)

Malignome in Familien mit krebskranken Kindern* N. Graf, M. Breitenmoser', A. Jobkl!, P. Kaatsch J

Zusammenfassung An den Universitätskinderkliniken Homburg/Saar und Freiburg, sowie dem Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wurde die familiäre Häufung von Malignomen in Familien krebskranker Kinder analysiert. Durch den Vergleich dieser drei Erhebungen konnte gezeigt werden, 1. daß die Verteilung der Diagnosen krebskranker Kinder mit familiärer Belastung sich nicht wesentlich von der ohne familiäre Belastung unterscheidet, 2. daß eine wiederholte Befragung der Familien notwendig ist, um die Anzahl und die Art der Krebserkrankungen sowie die betroffenen Familienmitglieder möglichst genau zu erfassen, 3. daß durchschnittlich in jeder dritten Familie mit einem krebskranken Kind mindestens ein weiteres Familienmitglied an einem Malignom erkrankt ist, 4. daß unabhängig von der Diagnose des krebskranken Kindes in diesen Familien meistens nur ein weiteres Familienmitglied an einem Malignom erkrankt ist, 5. daß der weitaus größte Anteil krebskranker Verwandter der Großelterngeneration angehört, 6. daß das Lungenkarzinom, das Mammakarzinom und die Leukämie die drei häufigsten bösartigen Erkrankungen der Verwandten sind, 7. daß, verglichen mit den häufigsten Malignomen im Erwachsenenalter , Familienmitglieder gehäuft an Leukämien und Hirntumoren erkranken, und 8. daß in diesen Familien verschiedene Tumorkombinationen auftreten, wie zum Beispiel die Kombination Mammakarzinom und Weichteilsarkom.

Cancer in families of children with a malignant disease We examined the frequency and kind of cancer in families with a child having a neoplasm at the Universitätskinderklinik Homburg/Saar, at the Universitätskinderklinik Freiburg and at the Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. The following could be shown: 1. There is no difference in the distribution of various kinds of cancer in children, whether they have relatives with cancer or not. 2. It is necessary to examine the family history repeatedly to obtain an accurate documentation of familial cancer. 3. Cancer in familial members did occur in a third of aB families on an average. 4. Independantly of the diagnosis of the child, in most families only one additional family member did have cancer. 5. The majority of relatives with cancer are grandparents. 6. Cancer of the lung and of the breast are the most frequent kinds of neoplasms occuring in family members. 7. Comparing the most frequent kinds of neoplasms in family members in this study with the distribution of cancer in adults, it is obviously, that there is a higher percentage of leukemia and brain tumors in relatives of children with cancer than is exspected. 8. Typical tumor consteBations can be found in affected families like breast cancer and soft tissue sarcomas.

Die Ätiologie maligner Tumoren ist weitgehend unbekannt. Eine grundsätzliche Unterteilung in exogene und endogene Faktoren ist möglich (Schweisguth 1984). Zu den exogenen Faktoren zählen ionisierende Strahlen, chemische Noxen und Viren (Mulvihil/ 1985). In Abhängigkeit von der zeitlichen Expositionsdauer sowie der Stärke der Noxe tritt eine unterschiedlich lange Latenzzeit auf, bis sich ein Malignom klinisch manifestiert hat. Da diese Latenzzeit mehrere Jahre bis Jahrzehnte betragen

kann (Mulvihill 1985), spielen exogene Ursachen in der Entwicklung kindlicher Malignome gegenüber endogenen eine untergeordnete Rolle. Ein Beispiel für die Heredität kindlicher Tumoren ist das Retinoblastom. Daneben sei auf Phakomatosen und andere familiäre Syndrome mit einer erhöhten Tumorinzidenz hingewiesen (Arthur 1986). Die 4. Edition von McKusick's "Mendelian Inheritam:e 01' Man" (1978) nennt 200 Erbgänge mit einem potentiellen Malignomrisiko.

Klin. Pädiat r. 202 (1990) 282-287 ,c) 1990 F. Enke Verlag Stuttgart

* Wichtige Befunde dieser Arbeit sind Bestandteile der Dissertation von M. Breitenmoser (1990)

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'Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin. Homburg/Saar 'Cnopf'sche Kinderklinik. Nürnberg 'Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Universität Mainz

Malignome in Familien mit krebskranken Kindern

Klin. Pädiatr. 202 (1990) 283

Prozent Pro~t

100.---------------------------, 80

60

eo~--

60

40

40

30

o

10

o

I-

Laukllmle NeurOblastom W9lohlelltumor Mo Hodgkln HIrntumor Knoohentumor WlimatulTlO< NHL bel Leukllmle er faßt

Abb. 1

Homburg

Hauflgkeltsverteilung der kindlichen Diagnosen

Pro_t 70,..-----------------------,

so 10

40

Frlllburg

mit 'am. BlIIa.tung

-

Malnz

ohne 'am. BlIIa.;;J

Abb. 3 Familiare Belastung bei verschiedenen kindlichen Diagnosen

morerkrankungen befragt. Ein Fragebogen, den 110 EItern erhielten, diente zur Dokumentation der Tumorart eines weiteren Familienmitglieds und dessen Verwandtschaftsgrad zum betroffenen Patienten. Die Erhebung wurde am Ende des Beobachtungszeitraums durchgeführt.

30 20 10

oL _ e

... HocItIkln

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Hornllurg

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Freiburg

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llAelnzer Untereuonung: NHl unter leukOee

Abb. 2 Familiare Belastung und Mainzer Erhebung

In

An der Universitätskinderklinik Freiburg wurde die Familienanamnese, dokumentiert im Aufnahmebogen der Krankenakte, hinsichtlich weiterer Neoplasien bei Verwandten untersucht. Insgesamt wurden 178 Familien erfaßt. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich von 1978 bis 1983.

der Hamburger, Freiburger

Zahlreiche Einzelfallbeschreibungen und einige Langzeiterhebungen haben auf eine familiäre Häufung bestimmter Neoplasien hingewiesen (Andersan 1975; Schneider u. Mitarb., 1986). Einigen Autoren fiel eine auffällige Häufung bestimmter Tumorkombinationen auf, wie z. B. Hirntumor und Knochentumor (Drapper u. Mitarb., 1977) oder Rhabdomyosarkom und Mammakarzinom (Birch u. Mitarb., 1984; Li u. Mitarb., 1969a; Li u. Mitarb., 1969b; Strang u. Mitarb., 1987). Zur Frage der familiären Tumorhäufigkeit wurde 1984 von uns eine Untersuchung an zwei Universitätskliniken (Freiburg und Homburg/Saar) sowie am Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Universität Mainz durchgeführt. Methode Bei allen Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren mit einer malignen Erkrankung, die an der Universitätskinderklinik Homburg zwischen 1976 und 1983 behandelt wurden, wurden die Eltern nach familiären Tu-

Am Institut für medizinische Statistik und Dokumentation der Universität Mainz wurden die Angaben des Ersterhebungsbogens bezüglich der Familienanamnese ausgewertet. Diese Erhebung erstreckte sich von 1980 bis 1983. Insgesamt wurden die Angaben von 1282 Patienten aufgenommen. Im Gegensatz zu den Untersuchungen in Homburg und Freiburg beschränkte sich die Mainzer Erhebung nur auf die Diagnosen: Weichteilsarkom, Ewingsarkom, Tumor der hinteren Schädelgrube, Neuroblastom, Wilms-Tumor, akute Leukämie und NonHodgkin-Lymphom (nur nicht Studienpatienten) sowie Sonstige Tumoren. In allen drei Untersuchungen wurden Eltern, Geschwister, Großeltern, Onkels, Tanten, Cousins und Cousinen des krebskranken Kindes mit einem Malignom aufgenommen. Die Diagnosen der Kinder und Verwandten wurden nach dem ICD Schlüssel erfaßt. Ergebnisse Die Verteilung der kindlichen Diagnosen in den 3 unterschiedlichen Erhebungen ist in Abbildung 1 dargestellt. Es finden sich in allen 3 Gruppen überwiegend Kinder mit einer Leukämie oder einem Non-Hodgkin-Lymphom. Der prozentuale Anteil der Kinder mit einer Leukämie liegt zwischen 25,5070 (Homburg) und 45% (Freiburg). Eine auffallend große Gruppe von Kindern mit einem Hirntumor (24,5%) ist in der Homburger Untersuchung festzustellen.

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20

20

N. Graf er al.

Klin. Pädiarr. 202 (1990) Tab. 1

Durchschnittliche Anzahl weiterer Verwandter mit einer Neoplasle

Diagnose des Indexpatienten

belastete Familien (= n21

nl/n2

18112/ 45 6/10/111 6/ 9/130 27/16/139 6/ 91185 6/14/ 6/18/ 28/80/463 7/10/209

9/ 8/ 9 31 4/22 2/ 5/15 13/ 4/18 4/ 5/24 2/ 9/ 9 2/ 7/ 18/25/64 0/ 3/13

1,8/1,3/1,3 2,311,5/1,4 1,511 11,4 1,7/1,3/1,3 1 /1,4/1,4 2 11 ,3/1 ,9 1 11,31 1,4/1,2/1.1 /1 /1,2

10/10/28

12/20/160

6/ 8/22

1,6/1,311 ,4

H / F/ M

H / F/ M

betroffene Familienmitglieder (= n1)

untersuchte Familien

Knochentumor Weichteil tumor Wlmstumor HIrntumor Neuroblastom NHL Morbus Hodgkin Leukämien Sonstige

16/10112 7/ 6/30 3/ 5/21 22/ 5/23 4/ 7/33 4/12117 2/ 9/ 25/31/72 0/ 3/15

Millelwert Erhebung in

Tab. 2

Häufigkeit betroffener Familienmitglieder in den 3 Erhebungen.

Tab. 3

Die häufigsten Krebserkrankungen der VurwiJndU;n

1. Homburger Erhebung Familienmitglied

Homburg

Vater Muller Geschwister Großeltern Cousin/Cousine On keilT ante

6 2,4 2,4 48,2 18,1 22,9

% % % % % %

Malnz 7,2 5,4 4,0 66,8 4,9 11,7

% % % % % %

Betrachtet man das Merkmal "familiäre Belastung", so zeigt sich, daß 48,2070 der Patienten der Homburger Erhebung mindestens einen Verwandten haben, bei dem ebenfalls ein Malignom vorliegt. Im Vergleich dazu waren in Freiburg 39,3%, in Mainz nur 13,6% der Familien betroffen (Abb. 2). Hierbei ist zu beachten, daß das zeitliche Intervall zwischen der Erkrankung des Kindes und der Frage nach betroffenen Familienmitgliedern in den drei Untersuchungen unterschiedlich lang ist. Eine Unterteilung nach den verschiedenen kindlichen Erkrankungen zeigt keine Krankheitsgruppe des Kindes, die mit einer besonders hohen oder besonders niedrigen Rate an weiteren familiären Tumoren behaftet ist (Abb. 3). In den meisten Familien mit positiver Familienanamnese ist nur ein weiteres Familienmitglied betroffen. In Homburg liegt die Rate bei 55%, in Freiburg und Mainz bei 75%. Während in Freiburg und Mainz nahezu übereinstimmend in 20% bzw. 17,2% der Fälle 2 weitere Familienmitglieder betroffen sind, findet sich dieses Merkmal in Homburg in fast 38%. In durchschnittlich 3-4% der Familien liegt eine Erkrankung bei 3 weiteren Verwandten vor. Erwähnenswert sind 2 Familien mit jeweils 4, sowie eine Familie mit 8 weiteren krebskranken Verwandten. Die durchschnittliche Anzahl weiterer Verwandter mit einem Malignom ist in Tabelle 1 für die drei Untersuchungen gesondert aufgeführt. Bei positiver Familienanamnese sind unabhängig von der Diagnose des krebskranken Kindes 1,4 weitere Familienmitglieder an einer Neoplasie erkrankt.

H / FI M

H / F/ M

absolut

11 11

Malignome der Bronchien, Lunge Malignome der weiblichen Brustdrüse Leukämien Maligne HIrntumoren Malignome der Verdauungsorgane ohne Magen MiJllgnome des Magens MiJlignome der weiblichen Geschlechtsorgane MiJlignome des Kehlkopfes Malignome der Prostata Sonstige

4 3 3 25

Summe

83

2. Freiburger Erhebung

9 I 6 4

absolut

Malignome der Bronchien, Lunge Malignome der weiblichen Brustdrüse Malignome des Magens Leukämien Maligne HIrntumoren Malignome des Kehlkopfes Malignome der Gebärmutter Malignome der Prostata Sonstige

14 14 11 5 5 4 4 4 21

Summe

88

3. MiJinzer Erhebung Leukämie Malignome der weiblichen Brustdrüse Malignome der Bronchien, Lunge Malignome des Magens Malignome der weiblichen Geschlechtsorgane Hirntumoren Malignome der Verdauungsorgane ohne Magen Malignome des Kehlkopfes Sonstige Summe

absolut

reliJtlv 13,3 13,3 10,8 8,4

'\'r, % % %

1,2 % 4,8 % 4,8 3,6 3,6 30,1

% '\'r, '1'0 % %l

100

rulatlv 15,9 % 15,9 % 12,5 % 5,/% 5, I °lr, 4,5 % 4,5 % 4,5 % 30,/% 100

(Yc)

relatiV

25 23 19 18

11,2 10,3 8,5 8,1

'\'r, % % '\'r,

14

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10 9 97

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Malignome in Familien mit krebskranken Kindern Tab.4

Klin. Pädiatr. 202 (1990) 285

Aufschlüsselung der häufigsten Tumoren betroffener Verwandter auf die einzelnen Familienmitglieder Mutter

Geschw.

11 1 1 1 2 21 11 3 1 / 1

Hirntumor Leukämie Lungen Ca Mamma Ca Magen Ca

2

H / F1M

H: Homburger

1 1 3/ 2

F: Freiburger

H 1F / M

H 1F/ M

Häufige Tumorkonstellationen Leukämie - Leukämie Leukämie - Hirntumor Weichteiltumor - Mammakarzinom Leukämie - Mammakarzinom

Freiburg

Leukämie - Leukämie Leukämie - N HL Hirntumor - NHL Welchteilturnor - Mammakarzinom Leukämie - Mammakarzinom Hirntumor - Mammakarzinom

Mainz

Leukämie - NHL Leukämie - Hirntumor Leukämie - Neuroblastom Leukämie - Mammakarzinom HIrntumor - H,rntumor HIrntumor - Neuroblastom Weichteiltumor - Mammakarzinom Wilmstumor - MammakarZinom

Diagnosespektrum betroffener Geschwister

Homburg

ZNS - ZNS Leukämie - Leukämie

Freiburg

Leukämie - Leukämie Leukämie - ZNS Non-Hodgkin-Lymphom - Sonstige

Mainz

11 3/ 7 1/ 4/10 7/13/14 3/10/18

3/ 6/

11 1/

H 1F / M

H / F 1M

Onkel Tante

/ 1/ 2 1/ /11 1/ / 1 7/ 1/ 2 1/ / 1 H / F 1M

M: Mainzer Erhebung

Homburg

Tab. 6

1/ 1/ 1

1/ 1/ 2

Cousinl Cousine

3/11/17

Anzahl in

Tab. 5

11

Großeltern

Leukämie - Knochen Leukämie - Non-Hodgkin-Lymphom ZNS - Knochen ZNS - ZNS Knochen - Leukämie Neuroblastom - Neuroblastom Neuroblastom - Neuroblastom Neuroblastom - Retinoblastom Wilms - Leukämie

Tabelle 2 zeigt die Aufschlüsselung betroffener Familienmitglieder in den 3 Erhebungen. Durchschnittlich sind 9,7010 der Eltern erkrankt. Mit 3,3% ist der Anteil betroffener Geschwister relativ konstant. Der Anteil betroffener Cousins und Cousinen sowie Onkels und Tanten ist in der Freiburger und der Mainzer Erhebung deutlich geringer als in der Homburger . Der weitaus größte Anteil erkrankter Familienmitglieder - durchschnittlich 65,6% - sind Großeltern.

Die 9 häufigsten Krebserkrankungen, die in den Familien der erkrankten Kinder gefunden wurden, sind im Vergleich der 3 Untersuchungen in Tabelle 3 gegenübergestellt. Es zeigt sich, daß das Diagnosespektrum bei den Verwandten in den 3 Erhebungen weitgehend identisch ist. Die 3 häufigsten "familiären Malignome" bei Verwandten sind das Lungenkarzinom, das Mammakarzinom und die Leukämie. Das Diagnosespektrum beinhaltet im Vergleich mit den 9 häufigsten Krebserkrankungen im Erwachsenenalter in der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich die Leukämien und die Hirntumoren. Durchschnittlich sind 9,2% der betroffenen Verwandten an einer Leukämie, 6,6% an einem Hirntumor erkrankt. Eine Aufschlüsselung der häufigsten Tumoren betroffener Verwandter auf die einzelnen Familienmitglieder gibt Tabelle 4 wieder. In Tabelle 5 sind die häufigsten Tumorkonstellationen (mehr als 3mal) in allen 3 Untersuchungen aufgelistet. Am häufigsten findet sich die Leukämie in solchen Konstellationen. Bei der Betrachtung aller Familienmitglieder kommt konkordantes Auftreten von Leukämie beim Kind und Verwandten in 66% in der Homburger, in 60% in der Freiburger und in 44% in der Mainzer Erhebung vor. Das Diagnosespektrum betroffener Geschwister ist in Tabelle 6 aufgeführt.

Diskussion Eine Reihe von Untersuchern hat sich mit der Analyse familiärer Tumorhäufungen befaßt (Albano u. Mitarb., 1981,Albertu. Mitarb., 1977; Anderson 1978; Draper u. Mitarb., 1977; Gunz u. Mitarb., 1975; Li u. Mitarb., 1976; Lynch u. Mitarb., 1972; Müller u. Mitarb., 1982; Müller u. Mitarb., 1985; Newman u. Mitarb., 1988; Schneider u. Mitarb., 1986; Schoenberg u. Mitarb., 1975; Strong u. Mitarb., 1987; Thompson u. Mitarb., 1988; Yamashita u. Mitarb., 1975). Im Gegensatz zu dem überwiegenden Teil dieser Erhebungen gehen wir in dieser Arbeit ausschließlich von einem pädiatrisch onkologischen Krankengut aus. Hierbei spielt die Art der Datenerhebung bei der Analyse der familiären Tumorhäufigkeit einen entscheidenden Einfluß auf die Häufigkeit des untersuchten Merkmals. Während bei 48% der Patienten in der Homburger Erhebung, in der, im Gegensatz zu den beiden anderen Erhebungen, am Ende der Beobachtungsperiode das Merkmal "familiäre Tumorhäufigkeit" erfaßt wurde, mindestens ein weiterer Verwandter betroffen war, lagen diese Werte in der Freiburger und insbesondere in der Mainzer

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Vater Diagnose

N. Graf et al.

Klin. Pädiatr. 202 (/990) Erhebung deutlich niedriger. Einen ähnlichen Einfluß der Art der Erhebung auf die Häufigkeit familiärer Tumoren zeigen ebenfalls H. T. Lynch u. Mitarb. (1979) auf. R. Harris u. Mitarb. (1980) und H. J. Müller u. Mitarb. (1985) zeigten zudem, daß bei gezielter Befragung von Tumorpatienten diese Familiendaten deutlich besser wiedergeben können als Patienten ohne ein Malignom. Hieraus muß gefolgert werden, daß das Merkmal "familiäre Tumorbelastung" nur durch eine wiederholte Exploration betroffener Familien exakt erfaßt werden kann. Faßt man die drei Erhebungen zusammen, so findet sich mindestens in jeder 3. Familie ein weiterer krebs kranker Patient. Die Diagnose des krebskranken Kindes spielt dabei keine Rolle. R. W. Miller (1971) wertete über 30000 Sterbeurkunden von Kindern aus, die in den Jahren 1960-1967 in den USA an Krebs starben. Dabei stellte er fest, daß bei Geschwistern von Kindern mit der Diagnose Hirntumor die Sterblichkeit aufgrund eines Hirntumors oder Weichteiltumors bis zu lOfach erhöht war. Hierfür schuldigte er eine gemeinsame genetische Basis an. F. P. Li u. Mitarbeiter (1976) untersuchten die Familienanamnesen von 38 Familien mit 2 und mehr krebskranken Kindern und stellten im Vergleich mit Familien mit nur einem krebskranken Kind fest, daß Eltern, Großeltern sowie Onkels und Tanten mit einem erhöhten Tumorrisiko im Vergleich zur Normalbevölkerung behaftet waren. G. J. Draper u. Mitarb. (1977) gingen der Frage nach dem Malignomrisiko für Geschwister krebskranker Kinder nach. Mittels Sterbeurkunden, Krankenunterlagen und Elterngesprächen überblickten sie einen Zeitraum von 20 Jahren. Besonderes Interesse richteten sie auf Familien, in denen mindestens 2 Kinder erkrankt waren. Unter Ausschluß von Tumor-Erkrankungen mit bekanntem Erbgang errechneten sie ein Malignomrisiko für ein Geschwisterkind eines bereits an Krebs erkrankten Kindes in der Größenordnung von 1: 300 im Vergleich zu 1: 600 in der Normalbevölkerung. Eine Abhängigkeit von der Malignomart fanden sie nicht. H. T. Lynch u. Mitarb. (1979) fanden bei Familienuntersuchungen von 200 Krebspatienten in 50,5070 der Patienten einen Verwandten mit einer Krebserkrankung. H. Müller u. Mitarb. (1985) fanden bei einer Erhebung 46070 Verwandte mit einem Malignom. Das Ausmaß weiterer Tumorkrankheiten unter Familienmitgliedern mit einem Tumor liegt bei beiden Arbeiten über der von uns gefundenen Häufigkeit. Hier schlägt sich der Altersfaktor deutlich nieder. Beide Untersuchungen gingen im Gegensatz zu unserer Erhebung von erwachsenen Patienten aus. So weist F. van der Linde (1983) darauf hin, daß das Alter eine entscheidende Rolle in der Entwicklung eines Malignoms spielt. Durchschnittlich zwei Drittel der betroffenen Verwandten sind in unserer Untersuchung Großeltern. Aus dem Jahresbericht 1985 des saarländischen Krebsregisters (1987) geht hervor, daß 67070 der Neuerkrankungen des männlichen und 73070 des weiblichen Geschlechts jenseits des 60. Lebensjahres auftreten. Wir konnten zeigen, daß innerhalb des Diagnosespektrums der bösartigen Erkrankungen bei den Verwandten Leukämien und Hirntumoren zu den häufigsten Malignomen zählen, obwohl diese beiden Erkrankungen im Erwachsenenalter zu den selteneren Malignomen gehören (Statistisches Amt des Saarlandes, 1987). Dies mag zum Teil dadurch erklärbar sein, daß zu den Verwandten auch Kinder gehören. Bezieht man die Häufig-

keitsverteilung nur auf Erwachsene, so bleibt dieser Trend bestehen. In 30070 (Homburger Erhebung), 21070 (Freiburger Erhebung) bzw. 13070 (Mainzer Erhebung) der weiblichen Verwandten mit einem Mammakarzinom fanden sich in unserer Erhebung bei den Kindern Weichteilsarkorne. In der Freiburger und in der Mainzer Untersuchung war jeweils einmal eine Mutter an einem Mammakarzinom erkrankt. E. N. Thompson u. Mitarb. (1988) fanden ein 4,lmal höheres Risiko für Mütter krebskranker Kinder an einem Mammakarzinom zu erkranken im Vergleich zu Müttern ohne ein krebskrankes Kind. Besonders hoch war die Wahrscheinlichkeit eines Brustkrebses der Mutter bei Kindern mit einem Rhabdomyosarkom. Ähnliche Befunde berichteten D. E. Anderson (1975), J. M. Birch u. Mitarb. (1984), F. P. Li u. Mitarb. (l969a und 1969b) und L. C. Strong u. Mitarb. (1987). In diesen Arbeiten wird zusätzlich auf eine Tendenz der frühen Manifestation des Mammakarzinoms hingewiesen. Das gemeinsame Auftreten von Mammakarzinom bei der Mutter und Rhabdomyosarkom beim Kind findet nach molekulargenetischen Befunden eine gute Erklärung durch die Tatsache, daß auf dem kurzen Arm des Chromosoms 11 ein Gen für Mammakarzinom und ein Gen für Rhabdomyosarkom liegen (Iqual Unnisa u. Mitarb. 1987). B. Newman u. Mitarb. (1988) berichten über einen autosomal dominanten Erbgang bei Mammakarzinom in Familien mit einem hohen Risiko für Malignome. Neben der Assoziation von Mammakarzinom und anderen Malignomen, insbesondere Weichteilsarkomen, fällt in dieser Arbeit eine auffallende Häufung von Leukämien bei mehreren betroffenen Familienmitgliedern auf. An Tumorkombinationen finden sich Leukämien, NHL, Hirntumoren und das Mammakarzinom. In der Literatur finden sich nur noch zur Kombination Leukämie mit Leukämie Hinweise (Nance 1977).

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Dr. Norbert Graf Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Päd. Hämatologie und Onkologie D-6650 Homburg/Saar

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Klin. Pädiatr. 202 (1990) 287

Malignome in Familien mit krebskranken Kindern

[Malignancies in families of children with cancer].

We examined the frequency and kind of cancer in families with a child having a neoplasm at the Universitätskinderklinik Homburg/Saar, at the Universit...
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