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Fachwissen: Topthema

Ischämischer Insult

Anästhesiologisches und intensivmedizinisches Management

Doreen Wiedemann • Christof Strang • Uwe Ebmeyer • Thomas Hachenberg

Der ischämische Schlaganfall ist eine der häufigsten Erkrankungen in Deutschland [1]. Die Störung der Blutversorgung des Gehirns ist in > 80 % embolisch bedingt. Ziel der Akuttherapie ist das Auflösen des Thrombus, um die Hypoxie in dem am Infarkt angrenzenden Areal (Penumbra), das noch überlebensfähige Zellen enthält, schnell zu beheben. Ein zügiges Vorgehen des Anästhesisten, Wissen um den Ablauf der neuroradiologischen Intervention und über den Pathomechanismus sind entscheidend für das Outcome des Patienten. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Erkrankung und die invasive Akuttherapie aus anästhesiologischer Sicht.

Grundvoraussetzungen für einen optimalen Verlauf Time is brain Bei Verdacht auf einen Schlaganfall ist es entscheidend, in welchem Zeitfenster der Patient einem Klinikum mit neurointerventionellem Schwerpunkt zugeführt wird. ▶ Das Konzept „time is brain“ muss in der Notfallkette realisiert werden. Eine Vorinformation des Zentrums spart Zeit: Bis zum Eintreffen in der Klinik kann bereits geeignetes Personal verständigt werden und es können diagnostische Plätze und Arbeitsräume vorbereitet werden. Bei Verdacht auf ischämischen Insult ist die Vorinformation und der Transport in eine Klinik mit Stroke Unit zu empfehlen.

Das Zeitfenster für eine intraarterielle Lyse kann durchaus länger sein. Die Entscheidung trifft der Radiologe nach der Gefäßdarstellung und der Perfusionsmessung. Neuere Verfahren bieten die Möglichkeit, rein mechanisch den Thrombus zu entfernen. Die Erfragung von Risikofaktoren (q Tab. 1) und Medikamenteneinnahmen ist hilfreich, um die Behandlungsstrategie festzusetzen. ▶ Nur ca. 8–15 % aller Schlaganfallpatienten können einer Lysetherapie unterzogen werden [3, 4].

Behandlungsoptionen Als Lysemedikament der Wahl wird der rekombinante Gewebeplasminogen-Aktivator (rt-PA) eingesetzt. Die Arbeit von Ciccone et al. (SYNTHESIS-Studie) zeigt eindeutig, dass eine alleinige interventionelle Therapie des Hirninfarkts gegenüber einer systemischen Thrombolyse im Hinblick auf das funktionelle Ergebnis keine Vorteile hat [5]. Daher hat sich eine „Bridging-Behandlung“ etabliert: Es wird sofort eine i. v. Lysetherapie eingeleitet, sobald die Indikation bestätigt wurde und ein Blutungsausschluss im CT erfolgte. Über die Option einer intraarteriellen Lyse wird anhand der Diagnostik entschieden. Die neuroradiologische Intervention scheint besonders bei Patienten im frühen Zeitfenster (< 3 h) mit langstreckigen Gefäßverschlüssen oder schlechter Kollateralversorgung der i. v. Lysetherapie überlegen zu sein [6]. Das Zeitfenster kann durchaus erweitert werden, wenn gute Kollateralgefäße vorhanden sind [7].

Voruntersuchungen in der Klinik



Lysetherapie möglich? Bei der Aufnahme des Patienten muss unmittelbar geklärt werden, ob der Patient für eine Lysetherapie geeignet ist. ▶ Das Zeitfenster für eine i. v. Lyse beträgt 4,5 h [2], ▶ im Einzelfall bis max. < 6 h (off-label). Dazu muss (fremd-)anamnestisch der genaue Zeitpunkt des Ereignisses, also des Einsetzens erster Symptome bekannt sein.

Nur wenn das Eintreten des Ereignisses bekannt ist, kann eine Lysetherapie zum Einsatz kommen.

Klinische Untersuchung Es erfolgt eine Untersuchung durch den Neurologen. Diese sollte sich auf das Wesentliche beschränken, um eine Verzögerung bei Interventionsoption zu vermeiden. Es soll die Schwere der neurologischen Symptomatik erhoben werden und es sollen Differenzialdiagnosen zum Insult ausgeschlossen werden.

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Labor Zusätzlich zum Routine-Labor (Blutbild, Gerinnung, Mineralien) werden Nierenfunktionsparameter, Schilddrüsenparameter, Glukose und Troponin T bestimmt.

Risikofaktoren für einen Schlaganfall Nikotinabusus Bluthochdruck Diabetes Herzerkrankung, insbesondere mit Herzrhythmusstörungen ▶ Fettstoffwechselstörung ▶ Gerinnungsstörung

Nach der kurzen klinischen Untersuchung und Diagnostik wird entschieden, ob der Patient für die Lysetherapie geeignet ist und ob eine neuroradiologische Intervention stattfinden soll.

Anästhesiologisches Management bei Interventionen Verfahren Prinzipiell können intraarterielle Lysetherapien und auch intrazerebrale Interventionen unter Lokalanästhesie, mittels Analgosedierung oder in Allgemeinanästhesie durchgeführt werden. Da sich in unserer Klinik ausschließlich die Allgemeinanästhesie etabliert hat, gehen wir auf die anderen Verfahren nur nach Literaturrecherche ein. Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Anästhesiemöglichkeiten sind individuell abzuwägen (q Tab. 2). Ein kausaler Zusammenhang zwischen anästhesiologischem Vorgehen und Outcome können nach Langner et al. anhand der Studienlage nicht abgeleitet werden [10].

Vor- und Nachteile der Anästhesieverfahren bei neuroradiologischen Interventionen Vorteile ITN

▶ ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ ▶

LA

▶ neurologische Kontrolle möglich ▶ Abbruch der Intervention möglich, wenn klinische Besserung

Schmerzfreiheit PaCO2-Regulation Möglichkeit kontrollierter Apnoephasen Relaxierung / Bewegungsunfähigkeit Aspirationsschutz Senkung der Interventionszeit bessere Steuerung hämodynamischer Parameter

Nachteile

Tab. 2 LA = Lokalanästhesie; ITN = Intubationsnarkose; PaCO2 = arterieller CO2-Partialdruck.

Anästhesieteam erforderlich Verzögerung bis zum Start der Intervention kein klinisches neurologisches Monitoring keine Schmerzbeschwerden als Warnsignal bei Gefäßverletzungen ▶ allgemeine Risiken des Anästhesieverfahrens ▶ Blutdruckabfälle möglich ▶ ▶ ▶ ▶

▶ Neuroradiologe muss zusätzlich auf Patienten eingehen ▶ kein Aspirationsschutz ▶ Notfallintubation muss möglich sein ▶ unkontrollierte Patientenbewegungen (Risiko von Gefäßverletzungen) ▶ Atemstillstand zur Diagnostik erschwert ▶ Agitation des Patienten ▶ psychischer Stress für Patienten ▶ Toleranz nicht erwartbar

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Cave Hypoxie Während der Zeit vom Eintreffen im Krankenhaus bis zum Abschluss der Diagnostik werden der Blutdruck und die Sauerstoffsättigung des Patienten überwacht. ▶ Eine Hypoxie soll in jedem Fall vermieden werden. Sauerstoffinsufflationen werden ab einem Sättigungsabfall < 92 % empfohlen [9].

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▶ ▶ ▶ ▶

EKG Es kann ein Ruhe-EKG erfolgen, wenn eine zugrundeliegende Herzerkrankung vermutet wird [1]. Auslöser für eine Gehirnembolie können Herzrhythmusstörungen, wie auch die absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern, Herzklappenfehler oder ein akut aufgetretener Herzinfarkt sein. Diagnostik Die CT ist die gebräuchlichste Methode in der Diagnostik. Sie ist breit verfügbar, schnell, einfach und günstiger als die Magnetresonanztomografie (MRT) [8]. Hirnblutungen können mittels CT ausgeschlossen werden. Bei der Darstellung des Infarktareals ist die MRT deutlich überlegen. Allerdings sind nicht alle Patienten für die MRT geeignet, z. B. Metallträger (Schrittmacher oder Prothesen). Zudem kann eine CT bei durch eine Hirnischämie beeinträchtigten Patienten auch im Wachzustand durchgeführt werden – entsprechende Überwachung und Betreuung vorausgesetzt. Eine länger dauernde MRT erfordert hingegen oft eine Allgemeinanästhesie.

Tab. 1

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Fachwissen: Topthema Lokalanästhesie / Analgosedierung



Vorteil: kein Zeitverlust Retrospektive Studien kommen zu dem Schluss, dass die Einleitung einer Allgemeinanästhesie den Interventionsbeginn verzögert [11, 12]. Daraus ergibt sich eine kürzere Zeit bis zur Reperfusion (Rekanalisationszeit) und ein besseres Outcome für Patienten mit Lokalanästhesie oder Sedierung. Allerdings wurden Patienten mit höherem NIHSS-Wert (NIHSS = National Institutes of Health Stroke Scale) bei Eintreffen primär intubiert. Patienten mit geringeren NIHSS-Werten haben per se ein besseres Outcome, eine höhere Reperfusionsrate und eine geringe Mortalität [13]. Komplikationen Die Arbeitsgruppe McDonagh et al. ermittelte in einer Online-Befragung, wie häufig Komplikationen bei einer Intervention in Lokalanästhesie auftreten [14]. ▶ In 38,8 % der Fälle musste sekundär eine Allgemeinanästhesie eingeleitet werden, ▶ bei 16,3 % führte eine unkontrollierte Patientenbewegung zu einer Gefäßverletzung und ▶ 12,2 % der Patienten erlitten eine Aspiration oder den Verlust der Atemfunktion. Nur in 43 % der Fälle wurden keine Komplikationen bei alleiniger Lokalanästhesie berichtet.

Kooperativer Patient vorausgesetzt Schlaganfallpatienten mit psychomotorischen Unruhezuständen, Neglect, einer Störung der Aufmerksamkeit oder einer Aphasie sind oftmals nicht ausreichend zur Mitarbeit in der Lage. Dies kann dazu führen, dass sie die Intervention nicht tolerieren [14]. Kooperative Patienten können nach Aussage von John et al. durchaus auch in Lokalanästhesie oder Sedierung behandelt werden [15].

ein Anästhesieteam bereitgestellt werden. Bei Eintreffen des Patienten erfolgt die Untersuchung durch den Neurologen und die Diagnostik durch den Radiologen im Beisein des Anästhesisten. Wird die Indikation zur neuroradiologischen Intervention gestellt, wird unverzüglich die Allgemeinanästhesie eingeleitet. Die Lokalanästhesie kann ein Hilfsmittel sein, um Zeit zu sparen, falls wirklich kurzzeitig kein Anästhesieteam verfügbar ist. In der Literatur finden sich Belege, dass ein narkosebedingter Zeitverlust durch die besseren Bedingungen für den Neuroradiologen ausgeglichen wird [16].

Argumente für Allgemeinanästhesie In unserer Klinik werden alle intrazerebralen Interventionen, so auch die intraarterielle Lysetherapie und Thrombusaspiration, aus folgenden Gründen in Allgemeinanästhesie durchgeführt: ▶ Ausgangspunkt der radiologischen Untersuchung ist eine Angiografie, die als Vorlage („Overlay“) gespeichert wird. Geringste Bewegungen des Patienten machen diese bei der Darstellung von Gefäßen bis zu 1 mm ungenau. ▶ Nach der gespeicherten Vorlage werden anschließend die Mikrokatheter gelenkt. Auch eine zu diesem Zeitpunkt noch stattfindende Patientenbewegung führt dazu, dass die Vorlage nicht mehr mit der tatsächlichen Position der Gefäße übereinstimmt. Komplikationen wie Gefäßrupturen sind dann denkbar. ▶ Ist der Einsatz von Ballonkathetern oder Stents notwendig, müssen zarte Markierungen am Katheter erkannt werden, was bei Bewegungen des Patienten ebenfalls erschwert ist. ▶ Die 3D-Rotationsanalyse des Gefäßsystems macht einen kurzzeitigen Atemstillstand notwendig. Diese ist bei sedierten Patienten praktisch unmöglich.

Voraussetzung für eine Intervention in Lokalanästhesie ist ein kooperativer Patient.

Die Vor- und Nachteile der Allgemeinanästhesie für die Intervention müssen interdisziplinär abgewogen werden.

Allgemeinanästhesie



Problematik Laut der bereits oben erwähnten Befragung von McDonagh et al. ist das häufigste Problem der Allgemeinanästhesie der zeitliche Aufschub der Intervention durch anästhesiologische Maßnahmen [14]. Als weitere Probleme werden auch die Blutdrucksenkung bei der Einleitung und die fehlende neurologische Beurteilung während einer Narkose angeführt. ▶ Unter einer Allgemeinanästhesie wird nicht die verbesserte Neurologie zum Ziel erklärt, sondern die radiologisch gesicherte Eröffnung des Gefäßes. Vorgehen in Klinik der Autoren Durch die Vorinformation der Klinik über einen potenziellen Lysepatienten kann in unserem Haus fast immer

Patienten



Charakteristika Die Patienten mit ischämischem Insult sind durchschnittlich 65 Jahre alt und haben in der Regel mehrere der oben genannten Risikofaktoren. Zusätzlich sind sie durch die nicht gewährleistete Nüchternheit, Adipositas und mögliche Schluckstörungen gefährdet, eine Aspirationspneumonie zu erleiden. ▶ Oberstes Ziel ist es, die Rekanalisationszeit kurz zu halten. Die Zeit von der Einleitung der Anästhesie bis zur Freigabe an den Operateur ist so kurz wie vertretbar zu halten.

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Es darf nicht zu Verzögerungen durch entbehrliche anästhesiologische Maßnahmen kommen.

Monitoring

Basismonitoring und Erweiterungsoptionen Es wird nur ein Basismonitoring angelegt: EKG, Pulsoxymetrie und nicht invasive automatische Blutdruckmessung. Bei Bedarf kann dieses während der Intervention durch intraarterielle Blutdruckmessung, Temperaturmessung und Relaxometrie erweitert werden. Wurde bereits vor der Intervention i. v. rt-PA verabreicht, wird unter den eingeschränkten räumlichen Arbeitsbedingungen die Anwendung eines Ultraschallgeräts für die Gefäßpunktion empfohlen, um Fehlpunktionen und Hämatome zu vermeiden. Eine Blasenkatheteranlage, wenn nicht schon auf dem Weg der diagnostischen Strecke geschehen, erfolgt aus Zeitgründen erst nach der Intervention, jedoch vor Erwachen des Patienten. Eine Magensonde sollte erst nach Aufhebung der Lysewirkung auf der Stroke Unit gelegt werden, wenn eine Schluckstörung anhält.

Lagerung



Rotation der Röntgenröhre gewährleisten Die gelähmten Extremitäten bedürfen besonderer Sorgfalt bei der Lagerung, um eine zusätzliche Traumatisierung zu vermeiden. Auf i. v. Zugänge oder Blutdruckmessungen an der paretischen Seite sollte verzichtet werden [1]. Der Kopf wird am Röntgentisch fixiert und es wird eine Tubusverlängerung angebracht, um Atemartefakte zu vermeiden. Die Beatmungsschläuche und Überwachungskabel sind so zu positionieren, dass ein freies Rotieren der Röntgenröhre um den Kopf möglich ist (q Abb. 1).

Überwachung Der Anästhesist bleibt – mit adäquatem Strahlenschutz ausgestattet – im Behandlungsraum oder, wenn die Überwachung des Patienten auch von außerhalb gewährleistet ist, dort vor dem Bildschirm, an dem die Intervention verfolgt werden kann. So können Herzrhythmusstörungen oder Blutdruckschwankungen, die durch die Intervention bedingt sind, sofort zugeordnet werden. ▶ Die Kommunikation zwischen Radiologie- und Anästhesieteam ist eine Grundvoraussetzung, um Gefahren zu reduzieren.

Bildnachweis: Doreen Wiedemann

Einleitung der Narkose und Medikamentenwahl



Rapid Sequence Induction Es erfolgt grundsätzlich eine Rapid Sequence Induction zur Narkoseeinleitung, wenn nicht die Nüchternheit des Patienten bezeugt und eine Schluckstörung ausgeschlossen werden kann. Prinzipiell können alle zur Anästhesie angewandten Medikamente eine Hypotension verursachen. Ihr Effekt auf die zerebrale Durchblutung und den intrazerebralen Druck variieren jedoch [13].

Abb. 1 Lagerung bei der Embolisation. Die Beatmungsschläuche und Überwachungskabel müssen so positioniert werden, dass die Röntgenröhre frei um den Kopf rotieren kann.

Medikamente zur Sedierung



Propofol Propofol scheint die zerebrale Autoregulation nicht zu beeinflussen und wird daher bevorzugt eingesetzt. In Studien ließ sich zusätzlich ein pharmakologisch bedingter neuroprotektiver Effekt vermuten [17]. Ursache dafür scheint die Inhibition der Zytokinfreisetzung zu sein [18].

Thiopental Thiopental wirkt ebenfalls neuroprotektiv [19]. Bei älteren Patienten sollte die Einleitungsdosis reduziert werden. Auch in geringerer Dosis hat es eine schnellere Wirkung als Propofol [20]. Es muss jedoch mit einem größeren Blutdruckabfall gerechnet werden [21]. Etomidat Etomidat weist die höchste Kreislaufstabilität auf. Wegen der Suppression der Kortisolsynthese wird von Infusionen abgeraten. Auch einmalige Gaben zur Einleitung verursachen eine verminderte Kortisolproduktion. Trotz heftiger Diskussion konnte kein Effekt der Kortisolsuppression auf die Kreislaufsituation in den ersten 24 h nachgewiesen werden. Der Einsatz kann daher individuell abgewogen werden. Bei septischen Patienten sollte Etomidat nicht angewendet werden [22, 23].

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Inhalationsanästhetika Inhalationsanästhetika wie Sevofluran und Desfluran sind zerebrale Vasodilatoren. Sie führen zu einer relativen Hyperämie, die bei normalem Hirndruck nicht bedenklich ist. Eine Hyperventilation mit Hypokapnie kann den Effekt aufheben [13]. Lachgas Lachgas wird seit Jahren nicht mehr empfohlen, um die Narkose aufrechtzuhalten. Hier wäre die Anwendung obsolet, da kleinste Luftembolien noch nachträglich expandieren könnten.

cherweise keine direkte Korrelation mit dem endexspiratorischen CO2-Werten annehmen lassen, sollte die Korrektur nach arterieller Blutgasanalyse erfolgen. Für die arterielle Blutgewinnung kann auch die Schleuse genutzt werden, die vom Neuroradiologen in die A. femoralis gelegt wird.

Intensivtherapeutische Schwerpunkte nach ischämischem Insult Blutdruckmanagement

Medikamente zur Analgesie



Remifentanil Die alleinige Nutzung von Remifentanil erscheint mit seinen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Eigenschaften auch bei älteren Patienten am besten steuerbar [24]. Durch Absprache mit dem Neuroradiologen kann der Anästhesist schmerzarme Phasen, wie die Sondierung der Gefäße, und schmerzreiche Phasen, wie Gefäßpunktion und Stentimplantation, unterscheiden lernen. Die totale i. v. Anästhesie (TIVA) mit kurzwirksamen Substanzen wie z. B. Propofol und Remifentanil ermöglicht eine zügige neurologische Kontrolle nach der Intervention.

Medikamente zur Muskelrelaxierung



Succinylcholin und Rocuronium Nach der Anwendung von Succinylcholin zur Ileuseinleitung können alle kurzwirksamen Muskelrelaxanzien angewendet werden. Nach der Verwendung von Rocuronium wird diese Anwendung auch fortgesetzt. Durch das spezifische Antidot Sugammadex bietet es eine hohe Sicherheit, auch bei unerwartet rascher Beendigung der Intervention. Der Zeitpunkt der Narkoseausleitung, das postinterventionelle Blutdruckmanagement und evtl. notwendige Folgeuntersuchungen werden in enger Absprache mit dem Neuroradiologen geplant. Ziel ist es, während kritischer Interventionsphasen eine absolute Immobilität des Patienten sicherzustellen und am Ende der Intervention die Extubation zu ermöglichen.

Beatmung



Normokapnie Sowohl Hypo- als auch Hyperkapnie, resultierend in Vasokonstriktion oder Vasodilatation, sollten vermieden werden. Bei Patienten mit Lungenerkrankungen, die mögli-



Ausgangslage ist wichtig Die meisten Schlaganfallpatienten treffen mit hypertonen Blutdruckwerten ein [25]. Hypotonie ist als Zeichen zusätzlicher Probleme wie Herzinsuffizienz oder Volumenmangel zu werten und mit einem schlechten Outcome verknüpft. Der Zielblutdruck sollte mit dem Neurologen anhand des Bedarfsblutdrucks bei Eintreffen in der Klinik festgelegt werden. In den ersten Stunden besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Blutdruck und der Versorgung der Kollateralperfusion. ▶ Jeder Blutdruckabfall kann das penumbrale Gewebe schädigen [14].

Therapie Es wird angenommen, dass systolische Blutdruckwerte zwischen 120–180 mmHg eine ausreichende Versorgung der Kollateralgefäße gewährleisten [16]. Sicherer erscheint ein systolischer Blutdruck > 140 mmHg [12, 26]. Antihypertensiva kommen erst zum Einsatz bei ▶ systolischem Blutdruck > 220 mmHg und / oder ▶ diastolischem Blutdruck > 120 mmHg [1, 27, 28]. Sie sollten vorsichtig titriert werden und der Blutdruck sollte nicht mehr als 15 % in den ersten 24 h gesenkt werden [9]. Patienten, die eine Lysetherapie erhalten oder antikoaguliert werden, sollten aufgrund der Blutungsgefahr systolische Blutdruckwerte von 185 mmHg nicht überschreiten [2]. Dann muss der eventuelle Nutzen einer Lyse gegen mögliche nachteilige Effekte der Blutdrucksenkung abgewogen werden. Studien und Empfehlungen Geeganage et al. untersuchten retrospektiv Studien auf den Einfluss von Antihypertensiva bei Schlaganfallpatienten [29]. In den Studien wurden Alpharezeptoren- und Betablocker, Kalziumkanalblocker, Angiotensin-Rezeptorantagonisten und Nitroprussid zur Blutdrucksenkung angewendet. Dabei ließ sich kein Zusammenhang feststellen zwischen einem Medikament und dem Outcome. Es blieb die Frage offen, ab wann eine Blutdrucksenkung in den ersten Tagen überhaupt sinnvoll ist. Die European Stroke Organisation (ESO) empfiehlt zur Blutdrucksenkung Labetalol und Urapidil. Labetalol ist aktuell in Deutschland nicht

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zugelassen, daher ist Urapidil vermutlich das am häufigsten eingesetzte Medikament.

Empfehlungen zur Insulintherapie Blutzuckerwerte

Hypotension vermeiden Eine Hypotension (systolischer Blutdruck < 90 mmHg) muss vermieden bzw. so rasch wie möglich therapiert werden [1]. Geeignet ist die Volumengabe mit Vollelektrolytlösungen und /oder Norepinephringabe über Perfusor.

Dosis Alt-Insulin s. c.

> 200 mg/dl (11,1 mmol/l)

4–6 IE

> 250 mg/dl (13,9 mmol/l)

6–8 IE

> 300 mg/dl (16,7 mmol/l)

8–12 IE

Tab. 3 Senkung des Blutzuckers mit Alt-Insulin s. c. Daten aus [2].

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Milde Hypothermie Nach einem Insult kann es zu Temperaturregulationsstörungen kommen, die in einem Anstieg der Körpertemperatur resultieren. Dies sollte unbedingt verhindert werden, da dadurch der Sauerstoffverbrauch erhöht und die Ausbildung und Ausbreitung sekundärer zerebraler Schäden begünstigt wird. Patienten sollten nicht aktiv gewärmt werden. Eine milde Hypothermie ist für einen Zeitraum von 12–24 h wünschenswert [27]. Zur systemischen Kühlung können gekühlte Infusionen genutzt werden. Ein Ansatz zur lokalen Kühlung besteht darin, die Nasenhöhlen mit kühler Luft zu insufflieren. Aktuell liegen jedoch noch keine ausreichenden Ergebnisse vor, um eine Aussage zum Benefit der Behandlung zu treffen. Zur Fiebersenkung kommen neben physikalischen Methoden auch folgende Medikamente mit antipyretischer Wirkung zur Anwendung: ▶ Paracetamol 1 g i. v. bis zu 4 × tgl. ▶ Metamizol 1 g i. v. bis zu 4 × tgl. Da Patienten, wie oben beschrieben, direkt nach der Intervention extubiert werden sollten, ist eine Körperkerntemperatur > 35 °C anzustreben. Hypothermie verursacht nicht nur vegetative Gegenregulationsmechanismen (Shivering) mit erhöhtem Sauerstoffverbrauch, sondern auch Bewusstseinstrübung. Eine milde Hypothermie von 35 °C und eine langsame Aufwärmphase scheinen die geringsten Komplikationen zu verursachen.

Glukoseregulation



Intensivierte Blutglukoseeinstellung Eine hyperglykämische Stoffwechselentgleisung wird nach ischämischen Insulten häufig gesehen und ist mit einem schlechteren Outcome verbunden [2]. Daher wird eine engmaschige und intensivierte Glukoseeinstellung empfohlen. In den ersten 24 h nach Schlaganfall sollten einem Schlaganfallpatienten keine kohlenhydratreichen Lösungen infundiert werden. Insulintherapie Eine intensivierte Insulintherapie bei nur leicht bis mäßig erhöhten Serum-

glukosewerten hatte in einer großen randomisierten Studie keinen Effekt auf die Mortalität und das funktionelle Outcome und kann daher nicht empfohlen werden [2, 30]. Daher wird eine Insulintherapie nach ▶ der European Stroke Organisation (ESO) erst ab Blutglukosewerten > 180 mg/dl (10 mmol/l) und ▶ nach S1-Leitlinie [2] erst ab > 200 mg/dl (11,1 mmol/l) (q Tab. 3) eingesetzt. Diese Empfehlung ist unabhängig davon, ob ein Diabetes mellitus vorliegt oder nicht. ▶ Eine Hypoglykämie muss unverzüglich mit Glukosegabe (oral / i. v.) therapiert werden.

Eine Insulintherapie wird erst ab Blutglukosewerten von > 180 mg/dl (10 mmol/l) empfohlen.

Therapie von Hirnödemen



Engmaschige neurologische Kontrolle Nach ausgedehnten Schlaganfällen kann sich ein Hirnödem entwickeln, das den intrakraniellen Druck (ICP) erhöht und die Durchblutung des Gehirns weiter drosselt. Daher muss auf der Stroke Unit eine engmaschige neurologische Kontrolle erfolgen, um Frühhinweise wie Fieber, Schmerz und Agitation zu erkennen und rechtzeitig eine Diagnostik zu veranlassen.

Behandlung Konservativ kann einem erhöhten ICP mit einer erhöhten Oberkörperlagerung von 30 ° und medikamentös mit Mannitolinfusionen oder hypertonen Natriumchloridlösungen begegnet werden. Kortikosteroide zur Hirnödemtherapie bei ischämischen Insulten sind obsolet [27]. Reichen die genannten Maßnahmen nicht aus, muss eine Ventrikeldrainage oder eine Hemikraniektomie erfolgen, um Raum für das erhöhte Hirnvolumen zu schaffen.

Weitere mögliche Komplikationen nach Insult



Schwierige Prognose In den Folgetagen gilt es, Probleme wie Re-Infarkte, Hirnblutungen (vornehmlich in das Infarktgebiet), Krampfanfälle, ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung einer tiefen

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Temperaturregulation



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Literatur online Das vollständige Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet: Abonnenten und Nichtabonnenten können unter „www.thieme-connect.de/ ejournals“ die Seite der AINS aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“ klicken – hier ist die Literatur für alle frei zugänglich.

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-1383894

VNR: 2760512014144213567

Beinvenenthrombose mit Lungenembolien sowie Aspirationspneumonien zu erkennen und zu behandeln. Daher ist eine Prognose nach interventioneller Schlaganfallbehandlung in der Regel schwierig. Dies sollte auch in Angehörigengesprächen beachtet werden.

Fazit Die Behandlung von Patienten mit ischämischem Insult hat sich verbessert durch die interventionelle Möglichkeit, intraarteriell Thromben aufzulösen und / oder zu entfernen. Die Ergebnisse sind umso besser, je früher die Patienten behandelt werden können ̶ wie dies bei der i. v. Thrombolyse der Fall ist. Der Anästhesist ist für die zügige Bereitstellung der Anästhesie unter Optimierung der hämodynamischen Parameter verantwortlich. Die Absprache mit den Neurologen und Neuroradiologen ist unerlässlich, um die Überlebensrate und das Outcome des Patienten zu erhöhen. ◀

Dr. med. Doreen Wiedemann ist Oberärztin an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie der Universität Magdeburg. Ihr Zuständigkeitsbereich ist die Radiologie. Email: doreen. [email protected]

Kernaussagen ▶ Das Therapieziel beim ischämischen Insult ist die zügige Rekanalisation des Gefäßes. ▶ Die Vorinformation des Behandlungszentrums trägt zur Optimierung des Zeitablaufs bei. ▶ Nur kooperative Patienten sind für eine Intervention in Lokalanästhesie geeignet. ▶ Die Einleitung der Allgemeinanästhesie muss so kurz wie vertretbar gehalten werden. ▶ Zur individuellen Narkoseführung hat sich eine total i. v. Anästhesie mit Propofol, Remifentanil und Rocuronium bewährt. ▶ Während einer Allgemeinanästhesie sind systolische Blutdruckwerte von 140̶180 mmHg anzustreben. ▶ Die Blutzuckerwerte sollten intraoperativ überwacht und ab Werten > 180 mg/dl (10 mmol/l) mittels Insulin therapiert werden. ▶ Während der Intervention werden die Patienten nicht aktiv gewärmt; eine milde Hypothermie ist erwünscht. Fieber sollte mittels physikalischer Maßnahmen und medikamentös gesenkt werden. ▶ Nach der Intervention ist die Beendigung der Allgemeinanästhesie mit Extubation für die neurologische Kontrolle wünschenswert.

Dr. Dr. med. Christof Maria Strang, EDIC, ist Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie der Universität Magdeburg. Sein Zuständigkeitsbereich ist die Intensivstation. Email: [email protected]

▶ Die postoperative neurointensivtherapeutische Behandlung des Patienten muss in den Folgetagen gewährleistet sein.

Literaturverzeichnis

PD Dr. med. Uwe Ebmeyer ist Ltd. Oberarzt und stellvertretender Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie der Universität Magdeburg. E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Dr. Thomas Hachenberg ist seit 2001 Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie der Universität Magdeburg. Im Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) vertritt er die Universitätsanästhesisten. Er ist Landesvorsitzender der DGAI in Sachsen-Anhalt und 1. Sprecher des wissenschaftlichen Arbeitskreises „Anästhesie in der Thoraxchirurgie“. E-Mail: [email protected]

Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

1 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). S3-Leitlinie Schlaganfall. AWMF-RegisterNr. 053/011; http://www.awmf.org (Stand: 31.10.2012) 2 Deutsche Gesellschaft für Neurologie. S1-Leitlinie Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls. AWMF-RegisterNr. 030/46; http://www.awmf.org (Stand: 30.09.2012) 3 Kraft P, Nieswandt B, Stoll G, Kleinschnitz C. Akuter ischämischer Schlaganfall. Nervenarzt 2012; 83: 435–449 4 Pashapour A, Atalu A, Farhoudi M et al. Early and intermediate prognosis of intravenous thrombolytic therapy in acute ischemic stroke subtypes according to the causative classification of stroke system. Pak J Med Sci 2013; 29: 181–186 5 Ciccone A, Valvassori L, Nichelatti M et al. Endovascular treatment for acute ischemic stroke. N Engl J Med 2013; 368: 904–913 6 Kidwell CS, Jahan R, Gornbein J et al. A trial of imaging selection and endovascular treatment for ischemic stroke. N Engl J Med 2013; 368: 914–923 7 Nambiar V, Sohn SI, Almekhlafi MA et al. CTA Collateral status and response to recanalization in patients with acute ischemic stroke. AJNR Am J Neuroradiol 2013; DOI: 10.3174/ajnr.A3817 [Epup ahead of print] 8 Chalela JA, Kidwell CS, Nentwich LM et al. Magnetic resonance imaging and computed tomography in emergency assessment of patients with suspected acute stroke: a prospective comparison. Lancet 2007; 369: 293–298

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Anästhesiologisches und intensivmedizinisches Management

Wie groß ist das Zeitfenster zur i. v. Lyse nach

7 anästhesie für eine Intervention bei ischämichem Insult? A B C D E

1 Tag 1,5 h 3h 4,5 h 8h

Welches Zeitfenster scheint bei neuroradiologischem

zentraler Venendruck (ZVD) neuromuskuläre Transmission (NMT) arterielle Blutdruckmessung nicht-invasive Blutdruckmessung EEG

Welche Medikamente werden zur Allgemeinanästhesie

2 Vorgehen von Vorteil zu sein? A B C D E

8 bei neuroradiologischen Interventionen am häufigsten angewendet?

[Management of anaesthesia and intensive care for acute ischemic insult].

The acute ischemic stroke (AIS) is a major cause of death and disability in Germany. The treatment of patients with AIS focuses on rapid recanalizatio...
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