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Massive Aszitesbildung durch nicht resorbierten Liquor nach abdomineller Operation bei ventrikuloperitonealem Shunt Ein Fallbericht B. Niggemann', U. Kauerz!, V. Petersen J, L. Grävinghojj', E. W. Kece

Zusammenfassung Bei einem 15jährigen Mädchen mit einem angeborenem Herzfehler (Pulmonalstenose und Aorteninsuffizienz), bei dem im Alter von 2 Jahren wegen eines Hydrocephalus internus eine ventrikulo-peritoneale Liquorableitung gelegt worden war, trat nach einer Colektomie-Op wegen juveniler Polyposis 12 Jahre später postoperativ eine Aszitesbildung auf, die einen deutlich progredienten Verlauf zeigte und eine ventrikulocardiale Liquorableitung erforderlich machte. Bei zweimaligen Aszitespunktionen wurden im Abstand von 2 Wochen insgesamt 17 Liter Flüssigkeit drainiert. Eine Immunelektrophorese zum Nachweis von TransferrinUnterfraktionen wies Liquorbestandteile nach. Postoperativ sistierte die Aszitesbildung vollständig. Massive Ascites Production Due to CSF Non-Resorption Following Abdominal Surgery with Ventriculoperitoneal Shunt A 15-year-old girl with a congenital heart disease (pulmonary stenosis and aortic insufficiency), who had a ventriculoperitoneal shunt operation because of hydrocephalus internus at the age of two years, 12 years later underwent colectomy because of juvenile colonic polyposis. After this operation, enormous production of ascites began which, because of progressive development, finally required ventriculoatrial shunt operation. A total volume of 17 liters of fluid was removed in two ascites drainages before and during the latter operation. Postoperatively the ascites production stopped completely.

Einleitung Die Bildung von Ascites bei einem Patienten mit einer ventrikuloperitonealen Shuntableitung muß an eine kausale Verbindung beider Faktoren als Komplikation denken lassen (Dean, 1972, Gairi Tahull, 1984, Lortat-Jacob, 1984, Nah, 1979, Ohaegbulam, 1980, Parry, Klin. Pädiatr. 202 (1990) 180-182 ,,-' 1989 F. Enkc Verlag Stuttgart

1975, Weidmann, 1975). Diese Möglichkeit sollte verstärkt in Betracht gezogen werden, wenn abdominelle Operationen vorausgegangen waren. Wir berichten über eine Patientin mit einer massiven Ascitesbildung bei ventrikuloperitonealer Shuntableitung nach Colektomie, wobei wir unseren Fall nicht allein aufgrund der Tatsache für interessant halten, daß sich überhaupt Liquor im Bauchraum angesammelt hat, sondern weil hier eindrucksvolle Ausmaße mit klinisch relevanten Problemen aufgetreten sind.

Fallbericht Die 1973 geborene Patientin fiel in den ersten Lebenstagen durch eine leichte Zyanose und ein Herzgeräusch auf. Die kardiologische Diagnostik, die eine Herzkatheteruntersuchung einschloß, ergab die Diagnose einer Pulmonalstenose. Eine beginnende Herzinsuffizienz wurde mit einer Digitalisierung behandelt. In den ersten Lebenswochen fiel weiterhin ein wachsender Kopfumfang auf; die damaligen Untersuchungen umfaßten ein Pneumenzephalogramm und eine Ventrikulographie, wobei sich ein Hydrocephalus internus mit Aquäductstenose zeigte. 1975 wurde wegen eines weiter zunehmenden Schädelwachstums ein ventrikulo-peritoneale Liquorableitung mit Pudenz- Ventil gelegt. Dieses Drainagesystem funktionierte bis zum Tage der erneuten Operation ohne Auffälligkeiten. Neben dem Makrozephalus wies die Patientin zunehmend eine psycho-mentale Retardierung auf. Seit 1977 klagte die Patientin über gelegentlich auftretende blutige Stühle, 1980 wurden in zwei Sitzungen endoskopisch 9 Polypen entfernt. Die histologische Untersuchung ergab keinen Anhalt für Malignität. Im Jahre 1984 wurden ein verlagerter und mehrere überzählige Zähne extrahiert. 1985 wurde erstmalig per Echokardiographie - neben der bekannten Pulmonalstenose - auch eine Aorteninsu ffizienz diagnostiziert. 1986 wurde eine Ballondilatation durchgeführt, durch die der Gradient an der Pulmonalklappe wesentlich gesenkt weren konnte. Der Vorhofmitteldruck hatte zu diesem Zeitpunkt 9 mmHg betragen.

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1 Universitätskrankenhaus Eppendorf, Kinderklinik, Kinderkardiologie (Dir.: Prof. Dr. E. W. Keck) 'Universitätskrankenhaus Eppendorf, Neurologische Klinik

Massive Aszilesbildung durch nicht resorbierten Liquor nach abdomineller Operation

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1987 traten erneut rezidivierende Darmblutungen und eine Anämisierung bis zu einem Hb von 5 g/dl auf. Die röntgenologische Diagnostik zeigte multiple Kontrastmittelaussparungen im Dickdarm. Der Dünndarm war unauffällig. Daraufhin wurde eine Colektomie mit Ileorekto tomie durchgeführt. Histologisch zeigte sich das Bild einer juvenilen Polyposi . 1988 wurde ein großer cerebraler Anfall beobachtet. Wegen der im Intervall bestehenden EEG-Veränderungen wurde eine antikonvulsive Therapie begonnen.

Abb. 1 Zweidimensionale Immunelektrophorese mit Transferrin Links: "Liquornegative" Serumkontrolle der Patientin (Eine Transfemn-Fraktion) Rechts: Nachweis von zwei Transferrin-Unterfraktionen entsprechend dem Liquoranteil Im ASZItes

Laborchemische Untersuchungen ergaben das gleiche Ergebnis wie au dem ersten Punktat, mit der Ausnahme, daß in der Immunelektrophorese mit Transferrin jetzt die liquortypische Vorfraktion nachweisbar war (Kauerz, 1985, Kauerz, 1987, Kauerz, 1988). (Abbildung 1): Während der 8tägigen postoperativen Überwachung zeigte die Patientin keinerlei Gewichtszunahme mehr, die Ventil funktion war regelrecht.

Di kussion

Röntgenologische Untersuchungen des Thorax und des Abdomens ergaben keinen Anhalt für eine Di konnektion des liquorableitenden Systems und eine Lage der Katheterspitze an der vorderen Bauchwand. Eine Kernspintomographische Untersuchung des Schädel zeigte den freien bfluß des Liquors. ach dieser Aszite -Punktion wuchs der Bauchumfang ehr rasch wieder an, die Patientin nahm durchschnittlich 300 g pro Tag an Körpergewicht zu, was der täglich produzierten Liquormenge entsprechen dürfte. Da es für die Entscheidung, statt der bisherigen peritonealen Ableitung eine cardiale zu wählen, unerheblich war, ob es sich bei der Aszitesflüssigkeit nun wirklich um Liquor handelte, da auch bei anderem Ursprung die weitere Drainage von vermeintlich "zusätzlich" produziertem Liquor nicht sinnvoll war, teIlte ich die Frage nach dem Erfolg der Maßnahme bei dem vorliegendem Herzfehler mit Pulmonal tenose und damit erhöhtem Vorhofdruck. Eine erneute Herzkatheteruntersuch ung ergab einen Vorhofmitteldruck von 5 mmHg und damit die Möglichkeit für die Ventilrevision. Im Rahmen der Operation, bei der der peritoneale Schenkel in einen cardialen verwandelt wurde, wurde eine zweite Aszitespunktion - diesmal vollständig unternommen, wobei sich erneut 9000 ml Flüssigkeit drainieren ließ. Kreislaufprobleme traten zu keiner Zeit auf.

Für die Tatsache, daß es sich bei der massiven Aszitesbildung um Liquor handelt, spricht der unmittelbare zeitliche Zusammenhang des Erstauftretens nach der abdominellen Operation, bei bi dahin 12 Jahre lang gut funktionierender peritonealer Ableitung, owie die fehlende Gewichtszunahme nach Verlegung des liquorableitenden Systems in den rechten Vorhof. Es muß davon au gegangen werden, daß durch das Fehlen von Darm, Mesenterium und möglicherweise Beeinträchtigung des Peritoneums durch Fibrinauflagerungen, Verwachsungen etc. die Resorptionsfähigkeit des Bauchraumes nicht mehr ausgereicht hat, bzw. sich kontinuierlich und progredient verschlechtert hat und damit zu der enormen Flüssigkeitsansammlung mit seinen klinischen Folgeproblemen geführt hat. Für die Annahme, daß es sich um Liquor handelt, spricht weiterhin der niedrige Eiweißgehalt des Punktates im Gegensatz zum Serum, und der Ausschluß anderer Ursachen einer Aszitesproduktion, wie z. B. Herzinsuffizienz, Hepatopathien, venöse Stauungen, Chylus-haltigen Aszites usw. Den letzten Beweis lieferte die Immunelektrophorese mit Transferrin, die aus dem ersten Punktat noch negativ war. Wir führen dies auf die langsame Aszitesbildung über ein Jahr mit langer peritonealer Austauschzeit und auf einen hohen Verdünnungseffekt zurück. Der während nur 14 Tagen nachgelaufene Aszites dagegen enthielt einen großen Anteil frisch produzierten Liquors.

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Einen Monat nach der Colonresektion wurde erstmalig eine Aszitesbildung beschrieben, welche im Laufe des nächsten Jahres langsam zunahm. Eine rasche Zunahme des Bauchumfanges machte dann aber Ende 1988 aufgrund von ausgeprägten Atem- und Gehbeschwerden eine diagnostische und therapeut i ehe Aszitespunktion notwendig. Hierbei wurden in einer 2'/2-stündigen Sitzung 8000 ml einer leicht ikteri ehen, aber klaren Flüssigkeit drainiert. ufgrund einer chwindenen Kooperativität der Patientin wurde auf eine vollständige Entleerung verzichtet, das ungefähre Restvolumen auf 4000 ml geschätzt. Bakteriologische und virologische Untersuchungen zeigten keine pathologischen Befunde. Es fanden sich weiterhin ca. 40 Zellen pro Mikroliter , vorwiegend stimulierte Makrophagen und Granulozyten. Die allgemeinen labore hemischen Parameter ergaben ein mit dem Serum identisches Bild, mit Ausnahme vom Gesamt-Eiweiß, welches in der punktierten lüssigkeit nur 19 g/l, im Serum zur gleichen Zeit aber 82 g/l betrug. Eine zweidimensionale Immunelektrophorese zum Nachweis von Transferrin-Unterfraktionen konnte in dieser Probe keine Liquorbestandteile nachweisen.

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B. Niggemann et al.: Massive Aszitesbildung durch nicht resorhierten Liquor

In der Literatur werden einige Fälle von Liquor-Ascites beschrieben (Dean, 1972, Gairi Tahull, 1984, Lortat-Jacob, 1984, Noh, 1979, Ohaegbulam, 1980, Parry, 1975, Weidmann, 1975). Ein Autor berichtet über ein einjähriges Kind, bei dem in der Folge einer Diphtherie-Pertussis-PoIio-Impfung ein massiver Aszites durch Liquor entstand; interessanterweise war im Alter von wenigen Tagen eine abdominelle Operation vorausgegangen (Dean, 1972). Der Autor spekuliert, daß immunologische Vorgänge nach der Impfung den Malabsorptionsprozess initiierten, der durch die vorherige Operation vorgebahnt war (Dean, 1972). In anderen Fallberichten entwickelten Säuglinge wenige Monate nach der Implantation eines ventrikuloperitonealen Shunts massiven Aszites, ohne daß ein erkennbarer Auslöser bestand (Noh, 1979, Parry, 1975, Weidmann, 1975). Möglicherweise besteht bei Säuglingen eine geringer ausgeprägte resorptive Kapazität. In allen berichteten Fällen war die Shuntfunktion regelrecht und die Aszitesbildung sistierte nach Anlegen eines ventrikuloatrialen Shunts.

Literatur Dean, D. F.. t. B. Keller: Cerebrospinal fluid ascii es: a compli

[Massive ascites formation due to unabsorbed cerebrospinal fluid following abdominal surgery in ventriculoperitoneal shunt. A case report].

A 15-year-old girl with a congenital heart disease (pulmonary stenosis and aortic insufficiency), who had a ventriculoperitoneal shunt operation becau...
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