. . Pharmazie in unserer Zeit H. Leuenberger, P. Guitard u n d ~sucker .

Math ematisch e M odellier un g un d Optimierung ph armazeutischtechnologischer Qualitatsmerkmale fester Arzneiformen noch vor zehn und mehr Jahren in jedem Lehrbuch aufgefiihrt wurden. Erschwerend kommt hinzu, dafl viele Qualitatsmerkmale gegenlaufig sind, - wie moglichst kleine Teilchengroflen des Wirkstoffes und gute FlieRfahigkeit. Auch konnen chargenspezifische Anderungen der Wirk- und Hilfsstoffqualitat eine zufriedenstellende Reproduzierbarkeit des Verfahrens erschweren.

Abb. 1. Lineares Programmieren: Das gesuchte Maximum (5.5 kp) stellt stets eine Ecke der erlaubten Zone dar.

Pharmazie in unswer Zeit / 5 . Jahrg. 1976 / Nr. 3

1. Wie gut ist ein Produkt?

,,Ein neues Auto hat mehr Fehler als ein Hund Flohe", dieser Ausspruch stammt von Herrn Prof. Nordhoff aus der Automobilbranche. Sinngemafl gilt dieser Satz fur alle industriell gefertigten Produkte und somit auch fur viele Neuentwicklungen fester Arzneipraparate. Im Zusammenhang damit mug man natiirlich auch die in den letzten Jahren laufend steigenden Anforderungen an die technische Qualitat der Praparate sehen. Eine Entwicklung im traditionellen Stil, - d.h. man probiert so lange durch Variation der verfiigbaren Hilfsstoffe, bis eine Formulierung maschinengangig ist, ist heute in vielen Fallen nicht mehr moglich. Zu viele unterschiedliche Priifkriterien (Haltbarkeit, Bioverfiigbarkeit, Gehaltseinheitlichkeit, rationelle Produktion) miissen beachtet werden, und unser empirisches Wissen ist zu klein, um die gegenseitigen Abhangigkeiten der Priifkriterien und der Hilfsstoffeinfliisse zu iiberschauen. Ferner gestatten die heute allgemein iiblichen Modalitaten der Arzneimittelregistrierung, verbunden mit der Festlegung auf eine bestimmte Komposition, keine ,,Feuerwehraktionen" z. B. zur Behebung eines Tablettenfehlers mehr, wie sie

Ziel einer galenischen Entwicklung mug es daher sein, moglichst rasch zu einer technologisch einfachen und gut reproduzierbaren Formulierung zu gelangen. Damit ist die Kernfrage angeschnitten: Wie optimiert man eine pharmazeutische Arzneiform? Bevor eine geeignete Optimierstrategie erarbeitet oder ausgewahlt werden kann, miissen die Zielgrofien exakt definiert sein. Es genugt nicht, das beste Produkt entwickeln zu wollen, es mui3 zahlenmafiig festliegen, was darunter verstanden wird. Als pharmazeutisch-technologische Zielgroflen kommen in Frage: 1. Gehalt und Gehaltseinheitlichkeit des Wirkstoffes 2. Stabilitat des Wirkstoffes in der Arzneiform 3. geniigende mechanische Harte der Arzneiform 4. minimale Friabilitat 5. definierte Zerfallszeit der Arzneiform 6. definierte Auflosungsgeschwindigkeit der Arzneiform.

Entsprechend der Problemstellung (Neuentwicklung oder weak point-Behebung, Normal- oder Retardform etc.) ergeben sich primare und sekundare ZielgroRen. So konnen beispielsweise die Zielgroflen 1.-4. auch als Einschrankungen (constraints) bei der Optimietung der pharmakokinetisch wichtigen GroRen 5.und 6. aufgefafit werden. Andererseits konnen bei einer weak pointBehebung Harte und Friabilitat einer Tablette primare ZielgroRen darstellen, wobei jedoch immer auch die iibrigen Zielgroflen

65

die gesetzten Normen erfiillen miissen. Als eine weitere wichtige Zielgrof3e gilt der Einsatz moglichst weniger, toxikologisch vollig unbedenklicher Hilfsstoffe. Dieses Vorgehen vermindert die Gefahr potentieller allergischer Reaktionen auf die Arzneiform beim Verbraucher und erhoht die Transparenz des Optimierproblems. Im nachsten Abschnitt sol1 auf ein paar mogliche und niitzliche Optimierstrategien eingegangen werden.

Herstellungsverfahren) darstellen lafit und bekannt ist. In einem spateren Abschnitt wird auf die Technik zur Erstellung empirischer mathematischer Modelle eingegangen, damit auch bei den Fallen, wo die exakten mathematischen Zusammenhange noch unbekannt sind, diese Optimierstrategien eingesetzt werden konnen.

2. Optimierstrategien

Falls die ZielgroBe y - beispielsweise die Harte - linear von den Variablen xi - 2.B. den Konzentrationen der verschiedenen Hilfsstoffe i - der Arzneiform abhangt, stellt das sog. ,,lineare Programmieren" die Optimiermethode der Wahl dar. Diese Technik laBt sich sehr einfach an einem trivialen (fiktiven) Beispiel erlautern. Nimmt man an, daB die Harte der Tablette linear mit dem PreBdruck zu- und mit der Konzentration Magnesiumstearat abnimmt, so gilt folgende Abhangigkeit :

2.1. Die "Trial and Error "-Metbode

Bei der "trial and error"-Methode variiert man so lang eine Komposition, bis sich der gewiinschte Erfolg einstellt. Je nach Erfahrung und Gliick ist d a m eine unbestimmte Anzahl Schritte notwendig. Es gibt Leute, die behaupten, dies sei die schnellste Methode. Dieses Vorgehen bleibt aber wie gesagt in vielen Fallen trotz aller Erfahrung ein Glucksspiel, und es stellt sich im konkreten Fall immer die Frage: Wie lange mui3 und kann man spielen oder wieviele Einsatze sind notwendig, bis der groi3e Treffer kommt? Zudem weii3 man bei diesem Spiel naturlich nie, ob man das tatsachliche Optimum erreicht hat, d.h. ob der Haupttreffer oder ein zweitklassiger Treffer gezogen wurde. Wie spater gezeigt wird, findet das Prinzip dieser Methode eine interessante Anwendung bei den numerischen Optimierungsrechnungen, wo der Computer in Sekundenbruchteilen eine Menge von zufalligen Kompositionsanderungen durchfiihren kann und der EinfluB auf das zu optimierende Qualitatsmerkmal an Hand eines mathematischen Modells untersucht wird. Diese Art der Optimierung sowie auch auf dieser Methode basierende Simulationen stochastischer Prozesse sind in Anlehnung an den beruhmten Spielsalon als Monte Carlo-Technik in die Literatur eingegangen. Da kein Computer selbst iiber eine ,,personliche Erfahrung" in der pharmazeutischen Technologie verfugt und noch weniger die exakten Naturgesetze kennt, miissen ihm diese Gesetze oder auch empirisch experimentell gefundene Zusammenhange als mathematische Modelle eingegeben werden. In den folgenden Abschnitten, welche computerunterstutzte Optimierstrategien behandeln, wird vorausgesetzt, daB sich die ZielgroBe (2.B. Dissolution rate) als eine mathematische Gleichung in Abhangigkeit der Prozeflvariablen (z. B. Komposition,

66

2.2. Lineares Programmieren

y = bo

+ blxl + b2x2

(1)

mit y = Harte [kp] x1 = Preflkraft [kp] x2 = Konzentration Magnesiumstearat in der Tablette [TO] Der Geltungsbereich der Gleichung (1) kann dabei durchaus beschrankt sein, d. h. die Gleichung (1) ist nur exakt fur bestimmte Bereiche von x1 und x2. Die Abhangigkeit (1) kann im einfachsten Fall - um nicht der relativ anspruchsvollen speziellen Technik zur mathematischen Modellierung vorzugreifen - durch Experimente bestimmt werden, welche beispielsweise folgende Resultate liefern: Im PreBkraftbereich von 500 kp bis 1500 kp und der Magnesiumstearatkonzentration 0,5 7'0 bis 2,070' -bewirkt eine Anderung der PreBkraft um +I00 kp eine Erhohung der Tablettenharte um 0,2 kp. Erhoht man im gleichen PreBkraftbereich die Magnesiumstearatkonzentration um 0,1 70, so wird die Harte der Tablette um 0,1 kp vermindert. Bei einer mittleren PreBkraft von 1000 kp und einer Magnesiumstearatkonzentration von 1 % wurde zudem eine Tablettenharte von 4 kp gemessen. Diese Befunde lassen sich mathematisch wie folgt ausdriicken: =3

+ 2 . 10-3xl-x2

mit 1500 kp 2 x1 2 500 kp 2,O 705 ~2 5 0,5 7'0

Die obere Grenze der PreBkraft (xl = 1500 kp) ist natiirlich von der Tablettiermaschine als technologische Einschrankung vorgegeben. Abgesehen vom eingeschrankten Geltungsbereich der Gleichung (2) - damit die Linearitat der Abhangigkeit gewahrt bleibt ist aus technologischen Grunden eine minimale, aber ausreichende Schmiermittelkonzentration von 0,5 70notwendig. Ohne diese Einschrankungen wiirde selbstverstandlich das Maximum der Harte bei einer gemaf3 Gleichung (2) unendlich groi3en PreBkraft x1 und der Schmiermittelkonzentration x2 = Null liegen. Bei diesem sehr einfachen und trivialen Beispiel 1aGt sich naturlich ohne zu rechnen das realisierbare Optimum direkt angeben: Die maximale Harte (5,5 kp) wird bei 1500 kp (obere Grenze der Maschine) und 0,5 70 Magnesiumstearatkonzentration (minimal notwendige Menge) erreicht (vgl. Abbildung 1).Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, befindet sich das Optimum an einem Eckpunkt des durch alle Einschrankungen erlaubten gemeinsamen Bereichs. Es ist leicht einzusehen und liegt in der Natur der linearen Abhangigkeiten, daB sich das Optimum einer ZielgroBe stets in einer Ecke des durch die Nebenbedingungen eingeschrankten Bereichs der Variablen befindet. Bei mehr als 2 Variablen und mehreren Nebenbedingungen ist die Losung nicht so leicht iiberschaubar. Prinzipiell wird beim linearen Programmieren dabei wie folgt vorgegangen:

Auf rechentechnisch elegante Weise werden die vielversprechenden Eckpunkte nach dem sogenannten Simplex-Verfahren nach Dantzig abgetastet und damit die Zielgrof3e optimiert. Auf eine detailliertere Darstellung [I] wird in diesem Rahmen verzichtet, da auf Grund von Wechselwirkungen zwischen den Hilfsstoffen nur wenige rein lineare Abhangigkeiten im Bereich der Pharmazeutischen Technologie vorliegen. Die Hauptanwendung des linearen Programmierens im Pharmabereich liegt bei Lagerhaltungs- und Versandproblemen. 2.3. Optimumsuche bei quadratischenFormen

Eine Abhangigkeit der Art (3):

(2)

wird als quadratische Form bezeichnet. Solche Abhangigkeiten haben folgende Vorteile:

Pharmazie in unserer Zeit / fi. Jabrg. 1976 / Nr. 3

I. Eine quadratische Form besitzt entweder - ein Maximum oder - ein

Minimum oder

- einen Sattelpunkt.

Es handelt sich also nicht um Funktionen, welche mehrere Maxima, Minima etc. aufweisen.

am hochsten Punkt der Flache. Alle senkrechten Schnittebenen durch diesen Punkt beinhalten eine gemall Abbildung 2 analoge Kurve, welche ein Maximum durchlauft.

Es ist deshalb leicht einzusehen, daB auch die sog. partiellen Ableitungen ( 5 ) (6) der Zielfunktion nach den Variablen X I und X Z im Maximum y(xl4,xZ'") Null sein miissen.

11. Das Optimum der Zielfunktion y = f(x) kann mittels der klassischen Extremwertberechnung gefunden werden. Im einfachsten Fall hangt die quadratische Zielfunktion nur von einer unabhanpigen

a y (xI,xz) = 3 XI

-.,

Variablen x1 (vgl. Abbildung 2) ab, und der Extremwert y (xl':-) wird durch die notwendige Bedingung (4) gefunden.

Hangt die Zielgroi3e wie im Falle von Gleichung (3) von 2 unabhangigen Variablen ab, konnen die Werte y(xl,xz) in der Form einer Flache dargestellt werden (vgl. Abbildung 3). Die Schreibweise y(x1,x2) ist eine Kurzform fur y, das von x1 und x2 abhangig ist. Analog gilt y = f (xI,x2); y ist eine Funktion von x1 und x2. Das Optimum befindet sich dann

bei{ x1 == xl::xz = x2::.

Die Bedingungen ( 5 ) (6) fuhren im Falle der Abhangigkeit (3) zu folgendem linearen Gleichungssystem (7a, 7b):

b,, bz,

entsprechend umfangreicheren Gleichungssystem. Die Auflosung des Systems (7)kann gemafi der Mathematik der GymnasialOberstufe erfolgen. Bei mehr als 2 Variablen wird diese Methode jedoch muhsam, so dafl in der Praxis diese Gleichungssysteme vorteilhaft mittels Matrizenrechnung gelost werden. Dieser Formalismus wird im folgenden an einem einfachen numerischen Beispiel mit nur zwei unabhangigen Variablen demonstriert. Die Zielfunktion (3) lautet (8):

+ 2bllx1 + b,,xz = 0 + 2bzxz + biZx1 = O

3 = Harte der Tablette x1 = Menge Maisstarke x2 = Preflkraft

(7a)

Die Bedingungen (5) (6) ergeben folgende Bestimmungsgleichungen (9a, 9b):

(7b)

-0.008-2

Die Anzahl der Gleichungen entspricht dabei der Anzahl der unabhangigen Variablen.

. 0.214x1-0.119xz = 0

1.34 - 2 . 0 . 5 1 -~ 0~. 1 1 9 ~=~ 0

(9a)

(9b)

Hangt die Zielfunktion von mehr als 2 solcher Variablen ab, so fiihrt dies zu einem

Bringt man die konstanten Glieder auf die rechte Seite der Gleichungen, so kann man das Gleichungssystem (9) in Matrizenschreibweise wie folgt elegant darstellen (10):

Abb. 2. Maximum y(x,'$) der quadratischen

A X = C mit

Funktion. =

ti)

Matrix A =

0.119- 1.02

und der Matrix C

=

Abb. 3. Maximum y(xI*,x2") der quadratischen Funktion.

Pharmazie in unserer Zeit / S. Jahrg. 1976 / N u . 3

Der Vorteil der Matrizenschreibweise liegt darin, daB sich damit das Optimierproblem sehr einfach auch auf mehr als 2 Variablen verallgemeinern 1aBt. Unabhangig von der Anzahl der Variablen bleibt der Formalismus (10) des Matrizenkalkuls erhalten. Zudem gestatten bereits Tischrechner dank mitgelieferten Programmen selbst fur Nicht-Mathematiker die Auflosung solcher Matrizengleichungen. Beispiel (8) liefert fur das Optimum der Harte in Abhangigkeit der Maisstarkekonzentration und der PreBkraft folgende: Resultat (14):

67

yi'

=

5.55 Kp

bei

(14)

= -0.4

-:x

=

1.36 (Kodierte Einheiten)

Die Abbildung 4 zeigt in einer ,,Hohenliniendarstellung" den allgemeinen Zusammenhang (8) zwischen Maisstarkekonzentration, Pregkraft und Harte. Die Bedeutung der Abbildung 4 im Sinne eines mathematischen Modelles kommt noch besser in der 3-dimensionalen perspektivischen Darstellung zur Geltung (vgl. Abbildung 5). Der groi3e Vorteil der hier besprochenen quadratischen Zielfunktionen liegt darin, dai3 die klassischen Extremalbedingungen lineare, d.h. mit einfachen mathematischen Mitteln auflosbare Bestimmungsgleichungen ergeben. Kompliziertere als quadratische Zielfunktionen fiihren im allgemeinen zu nicht linearen Gleichungssystemen. Die Berechnung der entsprechenden Extremwerte ist das Thema der folgenden sog. Hill-climbing-Methoden. 2.4. Hill-climbing-Methoden (Bergsteigen)

Hill-climbing-Methoden werden dann eingesetzt, wenn eine direkte Bestimmung des Extremwertes und Extremortes gemas Abschnitt 2.3. nicht moglich bzw. auf Grund der komplizierten Abhangigkeit der Zielfunktion zu umstandlich ist. Kompliziertere als quadratische Zielfunktionen (vgl. Abbildung 6) weisen im allgemeinen mehr als einen optimalen Wen. auf. Dies erschwert die Anwendung der Hill-climbing-Methoden, da man nie mit absoluter Sicherheit weii3, ob man den hochsten Gipfel

-1,6 -1,6

68

-0,8

0 PreBkraft

(d.h. das wahre Maximum) erklommen hat oder auf einem relativ unbedeutenden Vorgebirge sitzen geblieben ist. Analog wie ein Wanderer oder ein Alpinist im Gebirge beginnt auch fur den Computer der Ausflug in hohere Gefilde von einem Startpunkt aus. Da dem Computer jedoch die Fahigkeit des Sehens bzw. des Uberschauens der Landschaft abgeht, mufl er wie ein Blinder die Umgebung des Startpunktes auf eine Zunahme oder Abnahme der Zielfunktion abtasten. Fur diesen Zweck sind verschiedene hier nicht im Detail beschriebene [I] Strategien wie Hooke-Jeeves-, Rosenbrock-, Powell-Methoden etc. vorgeschlagen worden. Im einfachsten Fall handelt es sich um eine sukzessive Variation der Variablen. Schreitet der Computer in der Richtung weiter, w o er den maximalen Zuwachs der Zielfunktion gefunden hat, wird er irgendeinmal auf den Extremwert stoaen. U m zu vermeiden, dai3 der Computer schliei3lich sich laufend um den Extrempunkt im Kreise bewegt, ist bei diesem ,,schrittweisen Vorgehen" immer ein Suchabbruchkriterium notwendig. Beim ,schrittweisen" Vorgehen bzw. bei der Abtastung der Umgebung des Startes wie auch der Folgepunkte existieren neben den einfachen Suchmethoden, welche nur die einzelnen Werte der Zielfunktion beriicksichtigen, noch weitere Methoden, welche die Umgebung des einzelnen Punktes mathematisch genauer charakterisieren. Dies geschieht mittels einer Hilfsfunktion. Im einfachsten Fall stellt diese Funktion die Tangentialebene in diesem Punkt dar (Gradientenmethoden). Eine etwas genauere Approximation der Umgebung eines Punktes erhalt man durch eine gekriimmte Flache

einer quadratischen Form (Newton-Gradient-Methoden). Mathematisch gesehen handelt es sich im wesentlichen um eine Taylor-Entwicklung der Zielfunktion in den ausgewahlten Punkten, wobei die Entwicklung spatestens nach den quadratischen Gliedern (Newton-Methoden) abgebrochen wird. Sobald diese Hilfsfunktion bekannt ist, kann man dank der besseren Kenntnis der Umgebung des Punktes die Richtung (Gradient!) des steilsten Anstieges (Maximumsuche) oder Abstieges (Minimumsuche) bestimmen und in dieser Richtung zu einem neuen Punkt fortschreiten, dessen Umgebung man wiederum genaper untersucht. Von den einfacheren Suchmethoden, welche ohne Bestimmung von Gradienten und 2. Ableitungen auskommen, nimmt die sog. Simplex-Methode eine gewisse Sonderstellung ein. Sie sol1 deshalb kurz fur den 2-dimensionalen Fall (2 unabhangige Variablen) beschrieben werden. Bei dieser Methode startet man ,,quasi gleichzeitig" an 3 Punkten (Startsimplex), welche in der Variablenebene (vgl. Abbildung 7) ein Dreieck bilden (3-Simplex). Man vergleicht nun die Werte der Zielfunktionen an den 3 Eckpunkten, wahlt den schlechtesten Punkt (2.B. Punkt 1) aus und bestimmt gegenuberliegend d a m einen neuen Punkt. Diesen Punkt findet man, wenn man den Schwerpunkt S der Strecke 2-3 aufsucht und die Strecke 1-S uber S hinaus nochmals auftragt. Beim gleichschenkligen Dreieck entspricht dies der Spiegelung des Punktes an der Achse 2-3. Der neu gefundene Punkt bildet mit den restlichen Punkten (Punkte 2, 3) wiederum ein Dreieck, und das Spiel kann von vorne beginnen. Bei dieser Strategie folgt man nur ungefahr der Richtung des

0,8

Pharmazie in unserer Zeit / 5 . Jahrg. 1976 I Nr. 3

Abb. 5. Abhangigkeit der Tablettenharte von der Preakraft und der Menge Maisstarke in der auaeren Phase.

Abb. 6. Abhangigkeit der Zielfunktion y von x1 und x2, wobei mehr als ein Extremwert y" auftritt.

Abb. 7. Optimierung mittels Simplex-Me. thode: Bestimmung des nachstenVersuchs. punktes.

Pharmazie in wnserer Zeit 1 5 . Jahrg. 1976 / N u . 3

69

steilsten Anstieges oder Abstieges. Wie die Praxis zeigt, ist die Methode nicht nur einfach zu handhaben, sondern auch sehr zielstrebig und effizient. Zudem Iaflt sie sich leicht auf hoherdimhsionale Probleme ausdehnen. Die Simplexmethode wird zudem oft auch im Sinne eines konsekutiven experimentellen Versuchsplanes angewendet, wenn kein mathematisches Modell der Zielgrofle existiert. Sie hat sich bei vielen technischen Fragestellungen bewahrt. Bei den mittels Computer und mathematischen Modells systematischen Suchmethoden kann jedoch die Gefahr bestehen, dafl man bei komplizierten Abhangigkeiten - d. h. bei wilden und stark zerkliifteten Gebirgslandschaften - sich in einer engen Schlucht verirrt und sich im Kreise bewegt, ohne das eigentliche Minimum gefunden zu haben. U m sich aus dieser Zwangslage zu befreien, startet man 2.B. das Computerprogramm neu und beginnt bei einem neuen, zufallig gewahlten Startpunkt - selbstverstandlich mit der Hoffnung, nicht wieder automatisch in dieselbe Schlucht zuriickzukehren. Oft hat sich in solchen Fallen programmtechnisch iuch eine Kombination von systematischer und zufalliger Suche (Monte Carlo-Technik) bewahrt, d. h. man versucht, bildlich gespro:hen - ohne die Fesseln der Systematik - aus der Schlucht herauszuspringen, um damit ,,innovativ" einen neuen Weg zum eigentichen Minimum zu finden. Kehrt man trotz illen Tricks immer wieder in dieselbe ichlucht zuriick, so mug es sich wohl um Ias wahre Minimum handeln. Pharmazeutiiche Modelle sind aber noch lange nicht so rompliziert (vgl. Punkt 3), dafl diese Prodematik heute schon relevant ware.

!. Mathernatische Modellierung l i e angewendeten mathematischen Optinierstrategien sind in der Fachliteratur der :hemkchen Verfahrenstechnik hinreichend )ekannt. In den meisten Fallen lassen sich n diesem Fachbereich Reaktionsgleichun;en, Material- und Warmebilanzen, welche len zu optimierenden Prozefl charakterisieen, angeben. Dies erleichtert natiirlich die iufstellung der Zielfunktion im Sinne eines ihysikalisch begriindeten mechanistischen nathematischen Modelles [2]. In der pharnazeutischen Technologie fehlen leider in ielen Fallen noch die exakten Gesetze bzw. .ie mathematischen Abhangigkeiten zwichen den Qualitatsmerkmalen der Tabletten inerseits und der Komposition und den xhnologischen Prozeflvariablen anderer-

3

seits. Es ist also notwendig, diese Gesetze vorerst empirisch durch Experimente zu bestimmen und eine Zielfunktion zu erstellen, bevor die hochentwickelten und bewahrten mathematischen Optimiermethoden angewendet werden konnen. Hier stellt sich die Frage, wie dieses Problem moglichst effizient und ohne groflen Aufwand gelost werden kann. Eine systematische Erforschung jeder einzelnen Einfluflgrofle ist auflerordentlich zeitraubend. Sie fuhrt zudem in Schwierigkeiten und zu einem enormen Aufwand, wenn die einzelnen Einfluflgroflen nicht unabhangig voneinander untersucht werden konnen. In solchen Fallen stellen 2" Faktorenversuchsplane die Methode der Wahl dar. Sobald namlich starke Wechselwirkungen zwischen den Versuchsparametern auftreten, Iiefert die sog. ,,EinFaktor zur2eit"-Methode nur beschrankt aussagekraftige Resultate, wie dies an einem einfachen, konstruierten Beispiel im nachsten Abschnitt gezeigt wird.

Die ,,Ein Faktor zur 2eit"-Methode und 2"Faktorenversuchsplane

Ti >To p =po = konst. Analog erhalt man fur den Druckeffekt E, (16):

P1 'Po T=To= konstant Setzt man die numerischen Resultate Ri (Rl = 82 7'0,Rz = 82 70,R3 = 78 'YO) ein, so erhalt man folgende Effekte (17, 18): ET = 0 70,d. h. die Temperatur hat keinen Einflufl (17)

E, = - 4 70, d.h. die Druckerhohung wirkt sich negativ auf das Ergebnis, die Ausbeute, aus . (18)

3.1.

Bei der klassischen ,,Ein Faktor zur Zeit"Methode wird der Einflufl eines jeden Faktors einzeln untersucht. Dies wird bei einer groi3eren Anzahl an Faktoren recht muhsam. Zudem stellt sich sofort die Frage, bei welcher Einstellung die iibrigen Faktoren konstant gehalten werden sollen. Dafl dieses Problem entscheidende Bedeutung haben kann, zeigt das folgende Beispiel aus der chemischen Verfahrenstechnik, w o die Resultate der klassischen ,,Ein Faktor zur 2eit"Methode den Resultaten des entsprechenden 2" Faktorenversuchsplanes gegeniibergestellt werden. Zur ubersichtlicheren Darstellung werden in diesem Beispiel nur n = 2 Faktoren bei 2 verschiedenen Einstellungen untersucht. Die Zielgrofle sei die chemische Ausbeute y in [ 701, die Faktoren seien Druck p und Temperatur T. Die klassische ,,Ein Faktor zur Zeit"-Methode beinhaltet dabei folgenden Versuchsplan:

Auf Grund dieser Resultate wiirde wahrscheinlich das nachste Experiment bei gleicher Temperatur und niedrigerem Druck erfolgen. Die Abbildung 8 zeigt in ,,kartographischer" Darstellung (Linien gleicher Ausbeute) in Abhangigkeit der Faktoren p und T das dabei zu erwartende Resultat. Die Resultate der schon durchgefuhrten Experimente No. 1 bis No. 3 sind dabei ebenfalls eingezeichnet. Wie wiirde man bei einem 2" Faktorenversuchsplan (n=2) vorgehen? Neben den Versuchen No. 1 bis No. 3 wiirde zusatzlich noch der Versuch No. 4 (vgl. Abbildung 8) durchgefiihrt. Durch Mittelung der Ergebnisse wird dabei eine bessere Abschatzung der Effekte erreicht. Der Temperatureffekt ET:' wird im 22 Faktorenversuchsplan wie folgt definiert (19):

a) p=po= konstant Experiment No 1: T=To

Experiment N o 2 : T=T, b) T=T,=konstantExperiment N o l : p = p o Experiment No3: p = p l Werden die Resultate der Experimente mit Ri (T, p) bezeichnet (i = Nummer des Experimentes), so gilt fur den Temperatureffekt ET (15):

d.h. man berechnet vorerst die Mittelwerte der Resultate bei der hoheren Temperatur T=T, sowie der niedrigeren Temperatur T=To und bildet die Differenz. Dies liefert beim obigen Beispiel fur den Temperatureffekt

Pharmazie in unserer Zeit / 5. Jahrg. 1976 1Nr. 3

Fur den Druckeffekt gilt analog (21)

E;!

=

R4 Vl, P1)

+ R3 (To, p d 2

(21)

ratur ab. Diese gegenseitige Abhangigkeit wird als Wechselwirkung bezeichnet. Dank 2" Faktorenversuchsplan lai3t sich diese Wechselwirkung I;, zudem quantifizieren (23,24):

bzw.

Ep" =

+ 4,5 70

L

(22)

bzw. Vergleicht man die Resultate (17) bis (22), so stellt sich sofort die Frage, woher diese = 8,5 70 (24) grogen Unterschiede stammen. Anhand von Abbildung 8 1ai3t sich dies sehr leicht erkla- Je groger die Differenz (23) ist, desto starker ren. Der Temperatureffekt hangt von der ist die Wechselwirkung. Dieser Sachverhalt Wahl des Druckes ab, und umgekehrt hangt Iaat sich vieileicht noch besser in der Darder Druckeffekt von der Wahl der Tempe- stellung von Abbildung 9 veranschaulichen.

+

3

Abbildung 9 zeigt den Temperatureffekt in der Form zweier Geraden, wobei die einzelne Gerade dem Druck pa bzw. p1 zugeordnet ist. Es ist deutlich erkennbar, wie sehr der Temperatureffekt von der Wahl des Druckes abhangt. Bei fehlender Wechselwirkung hatten wir in dieser Darstellung zwei parallele Geraden. Die berechnete Wechselwirkung (23) entspricht dem Unterschied in der Steigung der Geraden. Das Problem der Wechselwirkungen ist sehr wichtig, da Wechselwirkungen zwischen den Hilfsstoffen und auch mit dem Wirkstoff haufig anzutreffen sind. Es existieren u. a. chemische Wechselwirkungen, dies bedeutet z.B. dai3 ein Wirkstoff in einer komplexen Hilfsstoffmischung stabiler sein kann als in den entsprechenden binaren Wirkstoff-Hilfsstoff-Mischungen[3]. Es gibt auch physikalische Wechselwirkun-

Abb. 8. Anhangigkeit der Ausbeute vom Druck p und der Temperatur T.

Abb. 9. 2' Versuch: Einfluf3 der Temperatur T in Abhangigkeit des Druckes p auf die Ausbeute (Wechselwirkung).

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71

gen, so kann es vorkommen, dai3 ein Wirkstoff in einem komplexen Hilfsstoffgemisch vorzugsweise mit einer der Hilfsstoffkomponenten agglomeriert.

Im Falle von n = 3 Faktoren erweitert sich das mathematische Modell zu (26)

Y = b,

+ blxl + b2x2+ b3x3+ b12x1x2+ b13x1x3

+ b23X2X3+ Bei dem durchgefuhrten 2' Faktorenversuchsplan waren 2' = 4 Experimente notwendig, welche alle moglichen Kombinationen der beiden Faktoreneinstellungen beinhalten. Abbildung 10 zeigt nach der Nomenklatur von Yates [4] und in graphischer Darstellung die Zahl der notwendigen Experimente fur einen 2' und einen Z3 Design. Die Basis 2 der 2" Versuchsplane stellt die Anzahl der Einstellungen der Faktoren dar, welche meist mit 1, -1 (oberes bzw. unteres Niveau des Faktors) oder einfacher rnit und - symbolisiert werden. Die Zahl n im Exponenten bedeutet die Anzahl der untersuchten Faktoren.

+

+

Abbildung 10 zeigt auch sehr deutlich die hohe Symmetrie der 2" Faktorenversuchsplane und deren Orthogonalitat. Es lafit sich mathematisch zeigen, dai3 die nach z.B. (19, 21, 23) berechneten Effekte bzw. Wechselwirkungen der Faktoren den Koeffizienten des folgenden mathematischen Modelles entsprechen (25):

Y = b,

+ b,x, + b2x, + blZxlxZ

(25)

y = Ausbeute in 7'0 x1 = Temperatur, b l = Temperatureffekt x2 = Druck, b2= Druckeffekt b12 = Wechselwirkung b, = Mittelwert aller Versuche

72

(26)

b123X1X2X3

Da Wechselwirkungen zwischen 3 und mehr Faktoren seltener sind, wird in der Praxis oft mit verkurzten 2" Faktorenversuchsplanen [I] gearbeitet. Diese fuhren zu kleineren Versuchsplanen und einfacheren mathematischen Modellen, w o z.B. nur 2fach-Wechselwirkungen berucksichtigt werden. Bei extrem verkurzten Versuchsplanen wird auf jede Wechselwirkung verzichtet (latin square), und man erhalt als mathematisches Modell eine multilineare Regressionsgleichung der Form (26a) (Beispiel fur n = 6 Faktoren):

y = b,

+b,x, +b2x2+b3x3+b4x4+ b5x5

+ b6x6

(26 a)

Verkurzte Versuchsplane sind im allgemeinen nicht mehr orthogonal. Die Orthogonalitat der Versuchsplane, welche sich fur n = 3 Faktoren gemai3 Abbildung 10 noch anschaulich darstellen lafit und auch fur n 8 3 Faktoren ihre Gultigkeit besitzt, bedeutet im wesentlichen, dai3 die Effekte bzw. die Regressionskoeffizienten bi in der Modellgleichung voneinander unabhangig bestimmt werden. In der Praxis bedeutet dies, dai3 ein mathematisches Modell sukzessive aufgebaut werden kann, ohne dai3 sich dabei die Groi3e der Koeffizienten bi laufend verandern. Voraussetzung ist, dafi der Startversuchsplan mit n = n l Faktoren und der erweiterte Versuchsplan mit n>nl Faktoren orthogonal

sind. Alle Versuchsplane dieser Art liefern selbstverstandlich rein empirische Modellgleichungen und sind deshalb nur fur einen limitierten Einsatzbereich gultig. Oft ist auch die rein lineare Approximation ungenugend, und es sollten in der Modellgleichung auch quadratische Terme mitberucksichtigt werden. Letzteres ist die Aufgabe der im folgenden Abschnitt beschriebenen Versuchsplane, der sogenannten "Central Composite Designs". 3.2. Central Composite Designs

Aus dem Mathematikunterricht ist bekannt, dai3 zur Beschreibung einer Geraden mindestens 2 Punkte und zur Beschreibung einer quadratischen Funktion- 2.B. eines Kreises mindestens 3 Punkte erforderlich sind. Werden also beispielsweise 5 Faktoren oder Prozeflvariablen untersucht, sollte deshalb fur ein quadratisches Modell nach einem 3' Faktorenversuchsplan gearbeitet werden. Dies bedeutet 3' = 243 Versuche (!). Falls jedoch auf hohere Wechselwirkungen der Art x1xZ2etc. verzichtet wird und man sich auf ein quadratisches Modell der Form (27) beschrankt, so ist ein sogenanntes Central Composite Design der Versuchsplan der Wahl.

Ahb. 30. a) Graphische Darstellung des 22 &signs u n d Tabelle tler Versuchskombinationen. Abb. 10. b) KEundichc I)ari;:ellung des 2' Designs und Tahelle der Versuchskombinationcn.

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y = bo+ blxl+ ...b5xs+ bllx12+ ... b5,xS2+b12x1x2 ...bd5x4x5

+

(27)

Bei 5 Versuchsvariablen und einem verkurzten Versuchsplan sind dann noch 27 an Stelle von 243 Versuchen erforderlich. Zudem beginnt man bei der Erstellung eines Central Composite Designs mit einem ganz normalen 2" Faktorenversuchsplan. Dieser Versuchsplan wird anschliegend erweitert, indem je ein Versuch pro Faktor xi bei den Extremwerten *a vom Versuchszentrum entfernt gefahren wird. Bei diesen Experimenten werden die ubrigen Faktoren auf dem Niveau 0 (Mittelwert zwischen Niveau +1 und -1) konstant gehalten. Mindestens ein weiterer Versuch wird zusatzlich im Designzentrum durchgefuhrt (vgl. Abbildung 11). Abbildung 11 zeigt analog wie Abbildung 10 ein Central Composite Design fur n = 2 bzw. n = 3 Faktoren. Die Versuche werden statistisch sinnvollerweise randomisiert und blockweise [4] durchgefuhrt, d.h. man beginnt mit dern 2" Faktorenversuchsplan, und anschliegend werden die zur Erstellung des Central Composite Designs notwendigen zusatzlichen Versuche durchgefuhrt. Die Groge von a hangt von der Anzahl n der untersuchten Faktoren und

Abb. 11. a) Graphische Darstellung des Central Composite Designs und Tabelle der Versuchskombinationen (n = 2 Faktoren). Abb. 11. b) Craphische Darstellung des Central Composite Designs und Tabelle der Versuchskombinationen (n = 3 Faktoren).

Pharmazie in unserer Zeit / 5. J a h g . 1976 / N K .3

davon ab, ob man darauf Wert legt, dai3 auch die quadratischen Regressionskoeffizienten unabhangig von den iibrigen untersuchten Faktoren bestimmt werden (Orthogonalitat, vgl. Abschnitt 3.1.). Im letzteren Fall geht das Central Composite Design fur n =2 Faktoren in einen 3 x 3 Faktorenversuchsplan [I] uber ( a = k 1 ) . Bei n = 3 Faktoren betragt a= 1.215. Die quadratischen Formen der Art (27) konnen anschaulich nur im Falle von 2 Faktoren, wobei die ubrigen Faktoren konstant gehalten werden, als ,,Landschaftsbilder" oder ,,kartographisch" gemai3 Abbildung 8 dargestellt werden. Im folgenden Abschnitt wird auf die Resultate einer solchen Untersuchung und das weitere Vorgehen eingegangen. 4. Landschaft der Tablettenqualitatsmerk-

male und weiteres Vorgehen Nach der Durchfiihrung eines Central Composite Designs mit beispielsweise 5 Faktoren erhalt man bei 4 Zielgroflen (Harte, Zerfallszeit, Dissolution rate und Friabilitat) entsprechend 4 verschiedene mathematische Modelle. Die Modellgute 1ak sich auf Grund des Korrelationskoeffizienten der Regressionsgleichung und der Residuenanalyse abschkzen. Als Residuum wird die Differenz zwischen dem gemessenen Wert und dem auf Grund des mathematischen Modelles berechneten Wert des Qualitatsmerkmales bezeichnet. Tabelle 4.1 zeigt einen solchen Vergleich fur die Tablettenharten eines verkurzten Central Composite Designs fur 5 Faktoren. Tabelle 4.2 zeigt dieselbe Zusammenstellung fur das Tablettenqualitatsmerkma1 Friabilitat. In diesem Fall ist der Korre-

Tabelle 4.1. Harte

Komposition Nr.

berechneter Wert

exp. bestimmter Wert

Residuum

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

2.262 2.684 5.984 4.010 2.971 2.887 3.567 6.332 3.348 2.674 4.764 7.858 2.981 3.016 6.736 4.962 4.517 4.867 1.352 5.488 4.137 4.111 4.118 5.209 6.260 4.167 4.636

2.29 2.67 5.96 4.02 3.00 2.95 3.62 6.34 3;28 2.64 4.72 7.76 2.99 2.98 6.69 4.95 4.54 4.91 1.34 5.56 4.27 4.05 4.00 5.40 6.40 4.10 4.45

0.031 0.015 0.025 0.009 0.028 0.063 0.053 0.007 0.069 0.034 0.044 0.089 0.008 0.036 0.047 0.012 0.022 0.049 0.004 0.075 0.133 0.061 0.118 0.190 0.139 0.067 0.186

multipler Korrelationskoeffizient r = 0.999

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Abb. 12. Abhangigkeit der Tablettenharte von der Prefikraft und der Menge Magnesiums tearat.

Abb. 13. Abhangigkeit der Tablettenharte von der Prefikraft und der Menge Magnesiumstearat.

Abb. 14. Simultane Optimierung der Harte und der Friabilitat einer Tablette: Der optimale Bereich der Formulierung wird durch die Superposition der Landschaftsbilder der mathematischen Modelle erhalten.

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Pharmazie in unserer Zeit / fi. Jahrg. 1976 / Nr. 3

lationskoeffizient wesentlich schlechter als beim Qualitatsmerkmal Harte, und das mathematische Modell ist eindeutig unzureichend, wie aus einzelnen berechneten negativen Werten der Friabilitat hervorgeht. Die Residuen zeigen zudem einen charakteristischen Vorzeichenwechsel, welcher im Versuchsplan dem Faktor Bindemittel entspricht. Dies bedeutet, da8 dieser Faktor im quadratischen Regressionsmodell ungeniigend berucksichtigt wurde.

die gestellten Anforderungen erfiillen. Dies kann anschaulich durch die Erstellung der Landschaftsbilder der Umgebung der optimalen Formulierung geschehen. In der Fachliteratur wird dieses Vorgehen als Oberflachenantwortforschung (surface response research) bezeichnet. Im allgemeinen Fall liegen die wahren Optima fur die einzelnen Qualitatsmerkmale nicht am gleichen Ort, d. h. nicht bei derselben Formulierung. Es mui3 deshalb nach einem verniinftigen Kompromii3 gesucht werden. Dies kann bei weniEine anschauliche Vorstellung iiber die Ab- gen Faktoren durch eine Superposition der hangigkeit der Tablettenqualitatsmerkmale ,,kartographischen" Landschaftsbilder gemai3 von den einzelnen Faktoren erhalt man durch Abbildung 14 erfolgen, wobei der Bereich der ,,kartographische" oder 3-dimensionale per- bestmoglichen Formulierungen eingeschrankt spektivische Darstellung (vgl. Abbildung 12 werden kann. Bei mehr als 2 Faktoren wird und 13). dieses Vorgehen miihsam, und man betraut sinnvollerweise den Computer damit, den Es liegt in der Natur der Sache bzw. am Bereich der bestmoglichen Formulierungen Menschen, dai3 dabei jeweils nur immer die zu erforschen. Zu diesem Zweck kann man Abhangigkeit des Qualitatsmerkmals von 2 sich beispielsweise den gesamten technoloausgewahlten Faktoren dargestellt werden gisch zuganglichen Faktorenversuchsraum kann. Die iibrigen Faktoren miissen konstant durch ein Raumgitter, im 3-dimensionalen gehalten werden. Es ist klar, dai3 mit Hilfe Fall entsprechend durch ein kubisches ,,Krides Computers je nach Wahl der zu variieren- stallgitter", aufgeteilt denken. Jeder Gitterden und konstant gehaltenen Faktoren eine punkt entspricht dann einer moglichen ForFulle von Landschaftsbildern erzeugt werden mulierung, und der Computer rechnet dazu kann. Die empirischen mathematischen Mo- die entsprechenden Werte der ZielgroGe, d. h. delle erlauben deshalb in der Praxis, eine der Qualitatsmerkmale aus (Grid search). groi3e Anzahl an hypothetischen Formulie- Durch Vorgabe von Normen, beispielsweise rungen durchzuspielen und das Verhalten der Harte 2 4 kp, Friabilitat d 1 70,Zerfallszeit Qualitatsmerkmale zu uberprufen. Je nach d 2 Min. etc., wird der Bereich der bestmogFragestellung kann es sich dabei 2.B. um lichen Formulierungen eingeengt, und der die Optimierung eines einzelnen Qualitats- Computer druckt die Formulierungen (Gitmerkmals drehen, welches bei quadratischen terpunkte) aus, welche alle Anforderungen Formen (vgl. Abschnitt 2.3.) besonders leicht erfiillen. zu hewerkstelligen ist. Gleichzeitig mussen jedoch auch die iibrigen Qualitatsmerkmale Nach welchen Gesichtspunkten sol1 nun die

I ' ~ h e l l 4.2. s I.ri.ibilitiit

Komposition Nr.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

berechexp. beneter stimmter Wert 70 Wert 70

1.69 1.82 0.86 1.88 1.74 1.62 2.09 1.80 0.16 0.91 0.21 - 0 16:' 0.48 -0.12" -0.31''

0.11 0.94 1.12 2.03 1.68 0.30 0.3 1 5.68 3.31 -0.10:' 0.52 2.18

1.03 0.83 0.43 1.25 0.99 0.67 1.69 1.08 0.65 1.20 1.06 0.36 1.01 0.07 0.44 0.67 0.56 2.09 3.09 1.21 0.53 0.67 9.13 0.46 0.35 0.65 0.65

Residuum

70

-0.67 -0.99 -0.44 -0.64 -0.76 -0.96 0.40 -0.72 0.49 0.29 0.84 0.52 0.52 0.20 0.76 0.56 -0.38 0.97 1.06 -0.47 0.23 0.36 3.44 -2.86 0.46 0.13 -1.53

'~Modellschwache: negative Friabilitat nicht erlaubt.

ist

multipler Korrelationskoeffizient r = 0.757

Abb. 15. Kennlinienfeld eines Transistors (Jc = Collectorstrom, UcF = Collectorspannung, I,, = Basisstrom).

Pbarmazie in unserer Zeit I J. Jabrg. 1976 I Nr. 3

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beste der rnoglichen Formulierungen ausgewahlt werden? 5. Die Philosophie einer modernen pharmazeutisch-technologischen Produktionsvorschrift

Dank statistischer Versuchsplanung und zielstrebigen Optimierstrategien sind heute die Voraussetzungen gegeben, um systernatisch zu einer optimalen Tablettenrezeptur zu gelangen. Insbesondere konnen ohne enormen experimentellen Aufwand quasi gleichzeitig mehrere Versuchsparameter und Qualitatsmerkmale untersucht werden. Die durch die rnathematische Modellierung gefundenen Ergebnisse zeigen sehr deutlich und plastisch die Komplexitat einer rnultiparametrigen Tablettenformulierung. Verschiedene auf den ersten Blick widerspruchliche oder unerklarliche ,,galenische" Effekte finden dank einer umfassenden Kenntnis des pharmazeutischtechnologischen Systems (d. h. der ,,Landschaftsbilder" ) eine Interpretation. So konnen gegensatzliche Literaturberichte uber Korrelationen zwischen Tablettenqualitatsmerkmal und Prozei3variablen wie folgt eine Erklarung finden: Liegt der untersuchte Bereich der Formulierung in einer zu einern Maximum des Qualitatsmerkmales aufsteigenden Flanke des ,,Landschaftsbildes", so findet man in diesem Teil eine positive Korrelation zum Versuchsparameter, jenseits des Maximums im u. U. anderweitig untersuchten Bereich des Landschaftsbildes ergibt sich jedoch automatisch eine negative Korrelation.

herauswandert bzw. das Gerat funktionsunfahig wird. Analog kann die Wahl der (optimalen) Tablettenrezeptur erfolgen. Der ,,Arbeitspunkt", d. h. die Komposition und das Verfahren, sollte sich in einem ungefhrlichen Bereich des ,,Landschaftsbildes" bzw. der ,,Kennlinie" befinden. Sehr schlecht ware die Wahl des ,,Arbeitspunktes" in einer steilen Flanke eines Landschaftsbildes (vgl. Abbildung 13). Schon eine geringe Anderung des Pregdruckes oder der Qualitat des Schmiermittels kann bewirken, dai3 die Anforderung an das Qualitatsmerkmal Harte nicht rnehr erfullt ist. Wesentlich gunstiger ist es, den ,,Arbeitspunkt" entsprechend dem Qualitatsmerkmal in das Zentrum eines flachen Maximums oder Minimums zu legen.

1973). [3] H. Leuenberger und W. Becher, Pharm. Acta Helv. 50 [4] 88 (1975). [4] 0. L. Davies, Design and Analyses of

Industrial Experiments, Oliver and Boyd, Edinburgh (1956); H. Sucker, APV-Informationsdienst 17, 59 (1971); J. B. Schwartz, J. R. Flamholz and R. H. Press, J. Pharm. Sci. 62 [7] 1165-1170 (1973).

Dr. H. Leuenberger, 1943 in Basel geboren, 1967 Diplom in Experimentalphysik (Univ. Basel), 1969- 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter der eidgenossischen Kommission zur Uberwachung der Radioaktivitat der Schweiz (KUeR), 1971 Abschlu8 der Dissertation in Kernphysik und Eintritt in die Firma Sandoz AG, Basel (Analytische Abteilung Pharma). Seit 1.1.1974 Leiter einer Forschungs- und Entwicklungsgruppe (Stoffkunde, Entwicklungsstrategie, Cornputeranwendung, Dissolution Rate) in der Pharmazeutischen Forschungs- und Entwicklungsabteilung.

Wo soll sich nun die optimale Formulierung im Landschaftsbild befinden? Nach welchen Kriterien soll die Wahl geschehen? Wie werden in anderen Fachgebieten (2.B. der Elektronikindustrie) ebenso komplexe Systeme optimal konzipiert? Die Beantwortung der letzten Frage sollte auch auf unsere Frage eine Antwort geben. Analog wie ein pharmazeutisch-technologisches System durch ein ,,Landschaftsbild" der Qualitatsmerkmale gekennzeichnet werden kann, werden elektronische Bauelemente, beispielsweise der Transistor, durch sogenannte Strom-Spannungskennlinien charakterisiert (vgl. Abbildung 15).

Literatur

Im linearen Bereich ist das Bauelement voll funktionsfahig. Der ,,Arbeitspunkt" des Bauelementes wird jeweils so gewahlt, da8 sowohl Spannungs- wie auch Temperaturschwankungen toleriert werden, ohne dai3 der Arbeitspunkt aus dem linearen Bereich

[l] U. Hoffmann, H. Hofmann, Einfuhrung in die Optimierung, Verlag Chemie, Weinheim/Bergstr. (1971); F. Bandermann, Optimierung chemischer Reaktionen, in Ullmanns Encyklopadie der technischen Chemie Bd. 1, Verlag Chemie, Weinheim/Bergstr. (1972).

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[2] Institut fur Technische Chemie I der Universitat Erlangen, Dechema Kursus ,,Planung und Auswertung von Versuchen zur Erstellung mathematischer Modelle" (Ausgabe

P. Guitard, 1945 in Castres (Frankreich) geboren, Gymnasium 1957 bis 1964, 1964 BaccalaurCat, Studium an den Universitaten Toulouse und Mulhouse, 1973 Lizenziat in physikalischer Chemie. Seit 1971 bei Sandoz AG (Pharmazeutische Forschungs- und Entwicklungsabteilung, Arbeitsgebiet: Computeranwendung, Statistik, Pulvertechnologie). Prof. Dr. phi1 nat. Heinz Sucker wurde am 8. 2. 1928 in Fiirth in Bay. geboren. Pharmaz. Staatsexamen 1952, Promotion 1955 (bei Prof. Dr. 0. Dann) und Habilitation 1963 in Erlangen. Von 1956-1958 Krankenhausapotheker. Studienaufenthalte in der Schweiz, Schweden und Danemark. 0.Prof. fur Pharmaz.Technologie von 1966 bis 1972 in Hamburg. Leiter der Abt. fur Pharmazeutisch-technologische Forschung und Entwicklung der Fa. Sandoz AG, Basel.

Pharmazie in unswer Zeit / 5. Jabrg. 1976 / Nr. 3

[Mathematical modeling and optimizing pharmaceutical, technological quality control of drugs].

. Pharmazie in unserer Zeit H. Leuenberger, P. Guitard u n d ~sucker . Math ematisch e M odellier un g un d Optimierung ph armazeutischtechnologisc...
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