Arzneimitteltherapie Internist 2014 · 55:728–734 DOI 10.1007/s00108-014-3502-1 Online publiziert: 9. Mai 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

I. Lettow · J. Röther

Redaktion

Pharmakotherapie des Morbus Parkinson beim älteren, multimorbiden Patienten

M. Wehling, Mannheim

Das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS) ist die häufigste neurodegenerative Erkrankung. Mit fortgeschrittenem Lebensalter nimmt sie zu. Die medikamentöse Therapie ist von Beginn an als lebenslange Behandlung konzipiert. Mit der Länge des Krankheitsverlaufs und dem Alter des Patienten gestaltet sie sich zunehmend komplex. Zum einen ist die Therapie im Laufe der Zeit Komplikationen wie Wirkungsfluktuationen oder Dyskinesien unterworfen, zum anderen können im Rahmen des Alterungsprozesses und einer Polypharmakotherapie Nebenwirkungen potenziert werden.

Epidemiologie Die Gesamtprävalenz wird mit 100– 200/100.000 Einwohner angegeben. Betrachtet man die Altersspanne von 65– 74 Jahren, liegt die Prävalenz bei 1%, im Alter von 75–84 Jahren bereits bei 4,5%. Betrachtet man die Entwicklung der gesellschaftlichen Altersverteilung, ist in Deutschland somit eine Zunahme an Parkinson-Kranken zu erwarten [3].

Klinik Kardinalsymptome des IPS sind F Akinesie/Bradykinesie, F Rigor, F Ruhetremor und F posturale Instabilität. Die asymmetrische Ausprägung und ein gutes Ansprechen auf Levodopa unterstützen die Diagnose. Hinzu kommen

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Der Internist 6 · 2014

Abteilung für Neurologie mit Stroke Unit, Neurologischer Intensivstation und Geriatrie, Asklepios Klinik Altona, Hamburg

nichtmotorische Symptome wie Riechstörungen, Depression, autonome Dysfunktion, Schlafstörungen, Impulskontrollstörungen und kognitive Defizite, die teilweise schon lange vor Auftreten der motorischen Kardinalsymptome manifest werden können.

qualität und sozialer Integrität zu gewährleisten [5].

Pathophysiologie

Zwischen ausreichender Symptomkon­ trolle und therapielimitierenden Nebenwirkungen muss ein Gleichgewicht gefunden werden, auch wenn es nicht immer einfach zu erreichen ist. Jede Therapieerweiterung erfordert beim älteren Patienten eine engmaschige Kontrolle, um potenzielle Nebenwirkungen schnell zu erkennen. Der alters- und krankheitsbedingte neuronale Abbau begünstigt das Auftreten psychotischer Symptome unter dopaminerger Medikation. Dies macht in manchen Fällen eine Kombination der verschiedenen Substanzen der ParkinsonTherapie unmöglich, da jedes Therapeutikum einen mehr oder weniger starken psychoseauslösenden Effekt hat. Zudem muss die Parkinson-Medikation hinsichtlich der Nebenwirkungen stets im Kontext einer komplexen Polypharmakotherapie eines multimorbiden Patienten erfasst werden. Zentral wirksame und sedierende Substanzen, wie Opioide, Antidepressiva oder Neuroleptika, und die ParkinsonMedikation können sich hinsichtlich ihrer ZNS-Nebenwirkungen potenzieren und so zu Schwindel, Synkopen und bis hin zum serotonergen Syndrom oder Delir führen. Auslösende Faktoren wie Exsikkose oder Infekte führen mit zunehmendem Alter und längerer Krankheitsdauer nicht selten zur Dekompensation und im schlimmsten Fall zur akinetischen Krise.

Der degenerative Untergang melaninhaltiger, dopaminerger Neurone in der Pars compacta der Substantia nigra führt klinisch zum Auftreten der o. g. motorischen Symptome. Histopathologisch lassen sich α-Synuclein-haltige Einschlusskörperchen, die sog. Lewy-Körperchen nachweisen. Die Erkrankung ist jedoch nicht allein auf diese Lokalisation zu beziehen, sondern breitet sich auf verschiedene Teile des Zentralnervensystems (ZNS) aus [2]. Zudem gibt es Hinweise, dass auch periphere Neurone von der Erkrankung betroffen sind, z. B. im enterischen Nervensystem.

Medikamentöse Therapie Die Therapie des IPS erfolgt symptomatisch. Neben den motorischen bezieht sie auch die nichtmotorischen Symptome ein. Da v. a. ältere Patienten betroffen sind, ist zu bedenken, dass sich Begleiterkrankungen anderer Ätiopathogenese negativ auf die Alltagsfähigkeit auswirken können, so etwa die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, Gelenk- und Skeletterkrankungen oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Es gilt daher, die medikamentöse Therapie rechtzeitig zu beginnen, um den Erhalt von Lebens-

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Jede Therapieerweiterung erfordert beim älteren Patienten eine engmaschige Kontrolle

Tab. 1  Therapieeinleitung bei Ersteinstellung. (Nach [5]) Substanz

Levodopa

Therapiebeginn; Erhaltungsdosis

50 mg 1-0-0; alle 3 Tage um 50 mg steigern; 3- bis 4-mal 100 mg (maximal 800 mg täglich) Beste Wirksamkeit; geringes Nebenwirkungsprofil Mehrfacheinnahme; ↑↑ Dyskinesierisiko; dopaminerges Dysregulationssyndrom Orthostatische Dysregulation (Stürze); Übelkeit

Vorteile Nachteile

Schwerwiegende Nebenwirkungen beim älteren Patienten

Levodopa Levodopa ist eine chemische Vorstufe von Dopamin, die im Gegensatz zu seinem Metaboliten die Blut-Hirn-Schranke passieren kann. Um eine periphere Decarboxylierung zu vermeiden, wird die Substanz stets mit einem Decarboxylasehemmer (Carbidopa, Benserazid) kombiniert. Bezüglich der Wirkung auf die motorischen Symptome ist Levodopa das wirkungsvollste Medikament [7]. Bei zeitgleich guter Verträglichkeit sollten ältere, multimorbide Patienten zu Beginn eine Levo­dopa-Monotherapie erhalten. Kommt es zu Therapiekomplikationen, z. B. Wirkfluktuationen, wird sie erweitert [5]. Es empfiehlt sich, mit einer niedrigen Tagesdosis zu beginnen und je nach Wirkung und Nebenwirkung eine Dosissteigerung vorzunehmen (. Tab. 1). Die Kombinationspräparate von Levodopa stehen u. a. in wasserlöslicher Darreichungsform zur Verfügung (LT-Formulierung). Sie ermöglichen damit einen sehr schnellen Wirkeintritt und sind bei Magenmotilitätsstörungen, morgendlicher Akinesie und End-of-dose-Hypokinesie gut einsetzbar. Retardpräparate werden aufgrund ihrer langsamen, kontinuierlichen Freisetzung – verbunden mit dem Nachteil einer geringeren Bioverfügbarkeit – vorzugsweise zur Therapie einer nächtlichen Akinesie verwendet und zum Abend verabreicht. In einer aktuellen randomisierten Studie wurde die gute Wirksamkeit einer

Dopaminagonist (z. B. Pramipexol retard) 0,26 mg 1-0-0; wöchentliche Steigerung; 1,05–3,15 mg 1-0-0

Monoaminoxidase-B-Hemmer (z. B. Rasagilin) 1 mg 1-0-0; 1 mg 1-0-0

Gute Wirksamkeit; einfache Dosierung (Retardform) Impulskontrollstörungen; Beinödeme

Keine Eindosierung notwendig; geringes Nebenwirkungsprofil Geringste Wirksamkeit

↑ Orthostatische Dysregulation; ↑ Übelkeit; ↑↑ Psychoserisiko; Tagesmüdigkeit

Gefahr des Serotoninsyndroms in Kombination, z. B. mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, trizyklischen Antidepressiva oder Pethidin

kontinuierlichen, matrixgebundenen Levodopa-Infusion über eine intrajejunale Sonde belegt. Es zeigte sich ein positiver Effekt auf Wirkfluktuationen, der den einer oralen Therapie übertraf. Unter kritischer Indikationsstellung stellt diese Applikationsform somit eine Alternative für Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium dar [19]. D In den ersten Jahren der

Levodopa-Therapie kommt es bei guter Wirksamkeit selten zu Problemen (Honeymoon-Periode). Als akute Nebenwirkungen, insbesondere bei zu rascher Dosiserhöhung, können Übelkeit/Erbrechen, Schlafstörungen, Sedierung und Tagesmüdigkeit, orthostatische Dysregulation sowie Psychosen und/oder optische Halluzinationen auftreten. Komplikationen der Langzeittherapie werden im Folgenden ausführlich beschrieben.

Dopaminagonisten Dopaminagonisten werden nicht metabolisiert und müssen deshalb nicht mit einem Decarboxylasehemmer kombiniert werden. Die Substanzen werden in Ergolin- und Nicht-Ergolin-Derivate eingeteilt. Die Ergolin-Derivate haben an Bedeutung verloren, da sie Herzklappen-oder Retroperitonealfibrosen verursachen können. Als Nicht-Ergolin-Derivate stehen F Pramipexol,

F Ropinirol, F Piribedil, F Rotigotin und F Apomorphin zur Verfügung. Apomorphin ist die einzige Substanz, die s.c. in Einmaldosen oder über eine Pumpe injiziert werden kann, Rotigotin ist in Pflasterform erhältlich. Pramipexol, Ropinirol und Piribedil sind als Standard- oder Retardform einsetzbar. In der Monotherapie haben Dopaminagonisten zwar eine geringere Wirksamkeit als Levodopa, in der Anfangsphase der Erkrankung (3–5 Jahre) treten jedoch seltener Dyskinesien auf [18, 22]. Somit wird empfohlen, v. a. bei jung erkrankten Patienten (

[Medical treatment of Parkinson's disease in elderly and multimorbid patients].

Parkinson's disease is a frequent neurodegenerative disease, which typically occurs in older age. With progression of the disease, therapeutic complic...
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