Aktuelle Diagnostik & Therapie | Review article

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Milde therapeutische Hypothermie bei Herz-Kreislauf-Stillstand

Autoren

H.G. Fritz

Institut

1 Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau

Einführung ▼ Die milde therapeutische Hypothermie (MTH) wird zunehmend als wichtiger neuroprotektiver Therapieansatz in der „Post-Resuscitation-Care“ nach einer kardiopulmonalen Reanimation (CPR) akzeptiert. Dieses Therapiekonzept wird heute auf etwa 69 % der deutschen Intensivstationen angewendet [26]. Die ersten multizentrischen Studien zur CPR bei Patienten mit außerhalb des Krankenhauses erlittenem Herz-Kreislauf-Sillstand (OHCA, Out-of-Hospital-Cardiac-Arrest) wurden vor ungefähr 10 Jahren publiziert [2, 21]. Als Hauptgrund für die Einführung der MTH wurde ihre Aufnahme in internationale Leitlinien angegeben [16]. Dennoch existieren bis heute wenige klinische randomisierte Studien zum Vergleich der MTH mit normothermer Standardtherapie. In einer Metanalyse, welche die Daten von 383 Patienten aus drei randomisierten kontrollierten Studien analysierte, zeigte sich ein Vorteil hinsichtlich neurologisch intakten Überlebens in der MTH-Gruppe (48 % MTH vs. 31 % Normothermie; relatives Risiko [RR] 1,68; 95 %Konfidenzintervall [KI] 1,29–2,07) mit einer Number-Needed-to-Treat von 4–13 [9]. 481 Patienten wurden in einem Cochrane-Review analysiert, in dem die MTH mit normothermer Standardtherapie verglichen wurde. In der MTHGruppe war die Wahrscheinlichkeit für neurologisch intaktes Überleben (Cerebral Performance Category-Score, CPC: 1–2) (54 % MTH vs. 35 % Normothermie; RR 1,55; 95 %-KI 1,22–1,96) und für das Überleben bis zur Krankenhausentlassung (57 % MTH vs. 42 % Normothermie; RR 1,35; 95 %-KI 1,10–1,65) signifikant höher [1]. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl von Fallserien und Anwendungsberichten, die allerdings durch unterschiedliche Anwendungsprotokolle und KühlModalitäten schwer vergleichbar sind. Ungeachtet dieser Limitationen konnte in einer Analyse von 14 Studien an insgesamt 1260 Patienten mit n

zum Teil historischer Kontrollgruppe eine Verbesserung der Überlebensrate (57 % MTH vs. 36 % historische normotherme Kontrollgruppe; Odds Ratio (OR) 2,5; 95 %-KI 1,8–3,3) und des neurologisch intakten Überlebens (47 % MTH vs. 26 % historische normotherme Kontrollgruppe; OR 2,5; 95 %-KI 1,9–3,4) durch MTH gezeigt werden [17].

Warum soll gekühlt werden – milde therapeutische Hypothermie bei CPR ▼ Der Herz-Kreislauf-Stillstand verursacht ein vielfältiges Muster neuronaler Schäden mit unterschiedlicher klinischer Ausprägung. Diese reichen von leichten Konzentrations- und Merkschwächen bis zum apallischen Syndrom. Obwohl die Schäden durch komplexe molekulare Mechanismen verursacht werden, sind zwei grundsätzliche Pathomechanismen abzugrenzen: 1. der direkt hypoxisch/ischämisch verursachte nekrotische neuronale Zelluntergang, 2. der nach Wiederherstellung der Spontanzirkulation (ROSC: Return of Spontaneous Circulation) getriggerte apoptotische Zelluntergang. Des Weiteren kommt es bereits unmittelbar nach Zusammenbruch der systemischen Zirkulation zu einer ausgeprägten inflammatorischen Reaktion (Post-Reanimations- oder Post-Cardiac-Arrest-Syndrom). Die genannten Pathomechanismen werden unmittelbar während des Herz-Kreislauf-Stillstandes aktiviert und dauern bis zu 5 Tage nach dem Ereignis an [23]. Die MTH, definiert als Temperaturbereich zwischen 34,0 und 32,0 °C [16], vermag in eine Vielzahl dieser komplexen Einzelmechanismen einzugreifen. Neben der Absenkung des zerebralen Metabolismus um 6–7 % pro 1 °C Temperaturreduktion wird hauptsächlich der Reperfusionsschaden beeinflusst (q Tab. 1). Da viele dieser deletären Einzelmechanismen zeit- und temperaturabhän-

Kardiologie, Intensivmedizin Aktuelle Diagnostik & Therapie | Review article

Schlüsselwörter milde therapeutische Hypothermie kardiopulmonale Reanimation Prä-ROSC Kühlung Post-ROSC-Kühlung

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Keywords mild therapeutic hypothermia cardiopulmonary resuscitation pre-ROSC-cooling post-ROSC-cooling

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eingereicht 03.09.2013 akzeptiert 17.10.2013 Bibliografie DOI 10.1055/s-0033-1359917 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 0:141–146 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz PD Dr. med. Harald G. Fritz Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Krankenhaus MarthaMaria Halle-Dölau Röntgenstr.1 06120 Halle/Saale Tel. 0345 559 1416 Fax 0345 559 1527 eMail [email protected]

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Mild therapeutic hypothermia in cardiac arrest

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Tab. 1

Schädigungsmechanismen von Ischämie und Reperfusion – Wirkmechanismen der Hypothermie [7].

Zeitpunkt

Schädigungsmechanismen

Effekte der Hypothermie

Frühphase

3 Ausfall des zerebraler Blutfluss

3 Reduktion der Sauerstoff- und Glukosekonsumption

( 24 h)

3 Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke mit

3 Anreicherung des antiapoptotischen Proteins Bcl-2 und Hemmung des proapoptotischen Proteins BAX

daraus resultierendem

3 Verminderung der Blut-Hirn-Schranken-Störung, Hirnödemreduktion

3 Hirnödem

3 Hirndrucksenkung

3 Hirndruckanstieg ATP: Adenosintriphosphat; NMDA: N-Methyl-D-Aspartat; AMPA: Alpha-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazol-Propionsäure;

1. Induktionsphase Rasche Absenkung der Körper-Kerntemperatur auf 34 – 32 °C

37

4. Kontrollierte Normothermie 37 ± 0,2 °C 3. Wiedererwärmung 0,2 ± 0,5 °C/h

34 Zieltemperaturbereich 34 – 32 °C

33 2. Erhaltungsphase (über 12 – 24 h + xh) ± 1 °C

32

0

24 Zeit (Stunden)

36

Abb. 1 Eckpunkte zur Anwendung der milden therapeutischen Hypothermie bei kardiopulmonaler Reanimation (Erläuterungen siehe Text). Quelle: Intensiv- und Notfallbehandlung 2012: 37: 181–192. Mit freundlicher Genehmigung.

gig sind, werden abhängig vom Induktionszeitpunkt der MTH unterschiedliche Mechanismen beeinflusst (q Tab. 1). Insbesondere die intraischämisch induzierte MTH, also die Kühlung vor Wiederherstellung der Spontanzirkulation (Prä-ROSC-Kühlung), kann frühzeitig aktivierte intraischämische Prozesse supprimieren. So werden die inflammatorische Reaktion, die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter und die intrazelluläre Kalziumüberladung dramatisch gebremst. Dagegen bleiben ATP-Reserven erhalten. Damit bewirkt die intraischämisch induzierte MTH eine sehr effektive Reduktion des neuronalen Schadens (q Abb. 1).

kurzgefasst Die milde therapeutische Hypothermie ist der einzige neuroprotektive Therapieansatz bei Patienten nach kardiopulmonaler Reanimation. Je nach zeitlichem Kühlbeginn können Ischämie- und Reperfusionsschaden im Gehirn reduziert werden. Am effektivsten ist die Prä-ROSC-Kühlung.

Wer soll gekühlt werden? ▼ Die Anwendung der MTH wird bei allen Patienten mit außerhalb des Krankenhauses erlittenem Herz-Kreislauf-Sillstand mit Kammerflimmern weithin akzeptiert. Hiervon profitieren jedoch nur 25–30 % der Patienten, da meist initial eine Asystolie oder pulslose elektrische Aktivität, d. h. nicht-defibrillierbare Herzrhythmen, bestehen. Obwohl die Überlebensrate per se schlechter als bei initialem Kammerflimmern ist, konnte in einer retrospektiven Kohortenstudie an 374 Patienten ein Vorteil für Patienten mit MTH (n=135) hinsichtlich neurologisch intakten Überlebens (35 % MTH vs. 23 % Normothermie; OR 1,84; 95 %-KI 1,08–3,13) und Mortalitätsreduktion (61 % MTH vs. 75 % Normothermie; OR 0,56; 95 %-KI 0,34–0,93) belegt werden [20]. Diese Ergebnisse wurden in einer Metanalyse mit zwei randomisierten (RS) und 12 nicht-randomisierten Studien (NRS) dahingehend bestätigt, dass das relative Risiko in den RS (n=44) für die 6-Monate-Mortalität 0,85 (95 %-KI 0,65–1,11) und in den NRS (n=1292) 0,84 (95 %-KI 0,78–0,92) betrug. Auch das neurologisch intakte Überleben war in den NRS bei MTH-Patienten besser (RR 0,95; 95 %-KI 0,9–1,1) [10]. Besonders profitieren Patienten mit nicht-defibrillierbarem Herzrhythmus bezüglich des neurologisch intakten Überlebens von MTH (90 %), wenn ROSC in kurzer Zeit (16 min) erreichbar ist [19]. Limitierend bleibt jedoch das Bias der genannten Analysen und ihre insgesamt geringe Evidenz. Ähnlich wird die MTH für den im Krankenhaus erlittenen HerzKreislauf-Stillstand bewertet. Für die bisher unzureichenden Ergebnisse werden primär logistische und Managementprobleme (Nichterreichen der Zieltemperatur, Unterkühlung, Nichtanwendung der Hypothermie) verantwortlich gemacht. Denn im Krankenhaus reanimierte Patienten sollten eher von funktionierenden Krankenhausstrukturen (personelle, materielle Ressourcen), rascher professioneller Hilfe sowie zügiger Diagnostik und Therapie (unverzüglichet Kühlbeginn bzw. Koronarintervention [PCI]) profitieren. Insbesondere Patienten mit akutem Myokardinfarkt als Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstandes profitieren

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 141–146 · H.G. Fritz, Milde therapeutische Hypothermie …

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Spätphase

Körper-Kerntemperatur (°C)

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von früher PCI mit MTH hinsichtlich des neurologisch intakten Überlebens (55 % MTH/PCI vs. 16 % PCI) [11]. Kontraindikationen zum Einsatz der MTH sollten neben der CPR bei septischen Patienten nur der generelle Abbruch der CPR infolge von Komorbidität und Patientenverfügungen sein. Grundsätzlich scheinen ältere Patienten weniger von der MTH zu profitieren [14].

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Tab. 2 Handlungsanleitung zur Durchführung der milden therapeutischen Hypothermie. Induktion

3 Beginn der Kühlung so früh wie möglich 3 Prä-ROSC: transnasale Kühlung (Flow 40 l/min) während CPR (nach Intubation) 3 Post-ROSC: Eispacks, 4 °C kalte NaCl-Lösung 30 ml/kg in 30 min; Herzkatheterlabor: transnasale Kühlung während CPR bzw. während PCI

kurzgefasst Patienten mit erfolgreicher CPR sollen unabhängig vom Herzrhythmus rasch gekühlt werden. Die Chance für neurologisch intaktes Überleben ist aber bei fehlender Defibrillierbarkeit deutlich reduziert. Kontraindikationen bestehen lediglich infolge des Patientenwillens, einer infausten Prognose sowie bei Sepsis und unstillbaren Blutungen.

3 Temperaturmonitoring sofort installieren: Blase oder Oesophagus (nicht bei transnasaler Kühlung) Erhaltung

3 Zieltemperatur: 33 °C (32 –34 °C) Kerntemperatur, strenge Einhaltung der Zieltemperatur! 3 transnasale Kühlung: 34 °C erreicht, Flussreduktion auf 20 l/min 3 Eispacks: 34 °C erreicht, Kühlpads entfernen 3 4 °C kalte NaCl-Lösung 30 ml/kg erreicht, Infusion beenden 3 Notaufnahme, Intensivstation: sofort Installation eines

Wie soll gekühlt werden? ▼

dabei Temperaturmonitoring. Unterkühlung (

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