Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik

Minimalinvasive Zugänge am Kniegelenk – evidenzbasierter Vorteil in der Knieendoprothetik?* Minimally Invasive Surgery for Knee total Arthroplasty – Evidence-Based Advantages?

Autoren

S. Kirschner 1, 2, J. Lützner 1, J. Schmitt 2

Institute

1 2

Schlüsselwörter " minimalinvasiv l " Knieendoprothetik l " evidenzbasierte Medizin l " Übersichtsarbeit l Key words " minimally invasive surgery l " total knee arthroplasty l " evidence‑based medicine l " review l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1350864 Z Orthop Unfall 2013; 151: 480–487 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 1864‑6697 Korrespondenzadresse Dr. Stephan Kirschner Orthopädische Klinik Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden Fetscherstraße 74 01307 Dresden Stephan.Kirschner@ uniklinikum-dresden.de

Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Dresden Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Dresden

Zusammenfassung

Abstract

!

!

Im Rahmen der vorliegenden Übersichtsarbeit wird die Anwendung von minimalinvasiven Operationstechniken zur Implantation einer Knieendoprothese schrittweise nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin bewertet. Dafür ist die Formulierung einer patientenrelevanten, beantwortbaren Frage wesentlich. Diese lautet z. B. in diesem Zusammenhang: „Haben Patienten mit fortgeschrittener Gonarthrose bei Nutzung eines minimalinvasiven Zugangs zur Implantation einer Knieendoprothese eine kürzere Rehabilitation als Patienten, bei denen der Standardzugang verwendet wurde?“ Die vorhandene Literatur wird nach Studienqualität und möglichen Verzerrungen geordnet und bewertet. Metaanalysen basierend auf klinischen Studien deuten zunächst auf eine positive Beantwortung hin. Unter dem Gesichtspunkt einer systematischen Weiterentwicklung von chirurgischen Verfahren ist der Stellenwert von minimalinvasiven Operationstechniken in der Routineversorgung noch nicht abschließend zu beurteilen: Die vermehrt berichteten Komplikationen bei Anwendung von minimalinvasiven Operationstechniken führen zu einer zurückhaltenden Bewertung: Ein genereller Vorteil ist nicht vorhanden. Weitere Studien zu Lernkurven, Patientenselektion und Patientenpräferenzen sind erforderlich, bevor der Stellenwert von minimalinvasiven Operationsverfahren in der Knieendoprothetik eingeordnet werden kann.

The impact of minimally invasive surgical techniques for implantation of a total knee arthroplasty is evaluated according to evidence-based medicine criteria. The patient-relevant clinical question can be formulated as: Is the rehabilitation of osteoarthritis patients with minimally invasive implantation of total knee arthroplasty faster compared to those with the conventional approach. The available literature is sorted and critically appraised with regard to methodological quality and risk of bias. Following the results of the meta-analyses the clinical question can be positively answered. Following the aspect of a structured evolution for surgical techniques, the meaning of a minimally invasive technique for total knee arthroplasty cannot be answered finally. Under the impression of more frequent surgical complications, the rating of the procedure is conservative. A general advantage is not apparent. Further studies investigating surgical learning curves, proper patient selection and the selection of the patient for such techniques are required, before the final judgement on the use of this technique can be formed.

Bewertung von Behandlungsverfahren nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin

lich geht es dabei um Entscheidungen für den einzelnen Patienten im klinischen Alltag.

!

Die evidenzbasierte Medizin (EBM) stellt das methodische Handwerkszeug dar, um Behandlungsverfahren, also Therapiestudien, in Hinblick auf ihren Nutzen kritisch zu hinterfragen. Ausdrück-

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* Nach einem Vortrag vom Sektionstag der Arbeitsgemeinschaft für Endoprothetik DKOU 2012.

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Formulierung einer Frage Die typische Herangehensweise der EBM an ein klinisches Problem ist die Formulierung einer beantwortbaren, patientenrelevanten Frage. Diese könnte für die Entscheidung in Hinblick auf die Anwendung eines minimalinvasiven Zugangs zum Beispiel lauten:

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samkeit zu widmen [5]. Zwischenzeitlich liegen Empfehlungen zur Durchführung oder auch Beurteilung von Metaanalysen vor [6, 7].

Goldstandard in der Knieendoprothetik

Haben Patienten mit fortgeschrittener Gonarthrose bei Nutzung eines minimalinvasiven Zugangs zur Implantation einer Knieendoprothese eine kürzere Rehabilitation als Patienten, bei denen der Standardzugang verwendet wurde? Analog könnte man diese Frage auch auf den postoperativen Schmerz oder das zu erreichende funktionelle Ergebnis beziehen. Charakteristisch für diese Fragestellung sind 4 Aspekte: 1. Beschreibung des Patientenkollektivs 2. Beschreibung der Intervention (hier minimalinvasiver Zugang) 3. der Vergleich zur Behandlungsalternative (meist Goldstandard = Standardzugang) 4. das angestrebte Zielkriterium [1] Die Anwendung des PICO-Schemas [2, 3] ist grundsätzlich auch für Prognose- oder Diagnostikstudien möglich [3].

Suche nach der besten verfügbaren Literatur Nach der Formulierung der Fragestellung wird nach Studien gesucht, die zur Beantwortung dieser Frage genutzt werden können. Die Art der Studiendurchführung ist für die Relevanz der Studienergebnisse von großer Bedeutung: Die Studienergebnisse können neben der zu untersuchenden Intervention auch noch durch weitere Faktoren beeinflusst werden. Solche ungewollten Beeinflussungen werden als Verzerrungen bezeichnet und können relevanten Einfluss auf den beobachteten Therapieeffekt nehmen. Eine typische Verzerrung ist die Befragung der Patienten durch den behandelnden Arzt: Üblicherweise äußern sich Patienten weniger kritisch und der Therapieeffekt wird zu groß eingeschätzt. Besser ist die Befragung durch einen an der Behandlung unbeteiligten Mitarbeiter. Dieser Mitarbeiter sollte dabei auch gegenüber der tatsächlichen Gruppenzuteilung der Patienten verblindet sein [4]. Der Studientyp, der solche Verzerrungen möglichst gleich zwischen der Interventionsgruppe und der Standardgruppe verteilt, ist die prospektiv randomisierte kontrollierte Studie (RCT). Üblicherweise sollten die Ergebnisse einer randomisierten Therapiestudie überprüft, im Allgemeinen also an einer anderen Einrichtung unter vergleichbaren Studienbedingungen reproduziert werden können. Damit kann ein möglicher Zentrumseffekt erkannt werden. Nach Durchführung einer Reihe von RCTs zu einer vergleichbaren Fragestellung liegen in der Regel leicht unterschiedliche Ergebnisse vor: Der Therapieeffekt kann nicht direkt angegeben werden. Für diese Situation hat die EBM mit der Metaanalyse eine besondere Form der Datenzusammenfassung: Die Therapieeffekte der einzelnen RCTs werden aus den Publikationen extrahiert und es wird ein gemeinsamer Therapieeffekt errechnet. Das Ergebnis dieser Berechnung wird grafisch als sogenannter Forest Plot dargestellt: Im oberen Teil der Darstellung kann der Therapieeffekt jeder einzelnen eingeschlossenen Studie direkt abgelesen werden, und in der Zusammenfassung wird der Metaschätzer des Therapieeffekts in der Regel als Raute dargestellt. Dabei können Metaanalysen natürlich nur die Qualität der eingeschlossenen RCTs repräsentieren: Der sorgfältigen Auswahl geeigneter Studien und der Datenextraktion ist daher besondere Aufmerk-

Im Rahmen einer strukturierten Expertenkonferenz sind unter Schirmherrschaft des National Institute of Health (NIH) die Behandlungseffekte durch Implantation einer Knieprothese zusammengefasst und publiziert worden [8]. Die beobachteten Therapieeffekte beziehen sich auf den verbreiteten parapatellaren Zugang bei Implantation einer Knieprothese. Das Behandlungsergebnis setzt sich dabei aus den folgenden Bestandteilen zusammen: " Gelenkstatus (Beweglichkeit, Stabilität, Kraftentwicklung des Streckapparats, Weichteilverhältnisse) " technische Aspekte der Endoprothesenimplantation (verwendete Implantate, radiologische Güte der Implantatpositionierung, Verankerung) " aktuelle Schmerzsymptomatik " funktioneller Status des Patienten im Alltag " klinische Scores und Überlebensanalyse nach 10 Jahren [9] " eingetretene Komplikationen Das erreichte Ergebnis muss im Kontext der Ausgangssituation des Patienten beurteilt werden: Bei Patienten mit einer starken Beeinträchtigung durch die Gonarthrose kann eine größere Verbesserung erreicht werden als bei Patienten, die bisher nur eine mäßige Beeinträchtigung aufweisen. Jedoch erreichen nur wenige Patienten mit einer starken Beeinträchtigung vor der Operation das optimale Ergebnis unter Verwendung der etablierten Messinstrumenten. Der Anteil von Patienten mit einem optimalen Ergebnis ist bei den mäßig beeinträchtigten Patienten deutlich größer. Diese Aspekte sind vor der Operation mit dem Patienten abzustimmen [10]. Eine Differenzierung der Patientenkollektive nach der Ursache der Gonarthrose, z. B. in Osteoarthrose, posttraumatische oder entzündliche Arthrosen, erscheint dabei sinnvoll [9]. Die Behandlungsmethode Implantation einer Knieendoprothese wird vom NIH abschließend als sicheres Verfahren mit großen Effektstärken in Bezug auf Schmerz und Funktionalität bewertet [8]. Eine neutrale Achsausrichtung (± 3°) der implantierten Knieendoprothesen wird nach Ergebnissen einer großen Beobachtungsstudie nur in 69% der Fälle erreicht. Abweichungen von dieser Ausrichtung führen nach Auswertung dieser Autoren zu erhöhten Revisionsraten [11]. Durch die Anwendung der Navigation bei Implantation einer Knieendoprothese kann der Anteil neutral implantierter Knieprothesen signifikant erhöht werden [12]. Ein klinisch signifikanter Effekt auf das Überleben von Knieprothesen durch Anwendung der Navigation konnte bisher nicht gezeigt werden [13].

Versorgungsrealität in Deutschland Die Kenntnis der Versorgungshäufigkeit sowie der unterschiedlichen verwendeten Implantate und Operationsverfahren ist erfor" Tab. 1). derlich, um die Entwicklung einschätzen zu können (l Im Erfassungsjahr 2011 wurden 3196 Patienten minimalinvasiv und 16 591 navigiert operiert. In 2011 wurden nach Angaben des Aqua-Instituts ca. 2,2 % der Patienten mit einer minimalinvasiven Technik operativ versorgt. Beide Techniken spielen in der gegenwärtigen Versorgung von Patienten mit Gonarthrose derzeit nur eine untergeordnete Rolle.

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Abb. 1 Entwicklung und Evaluation von chirurgischen Innovationen modifiziert nach Malchau [18] und McCulloch [20].

Methodische Aspekte in der Weiterentwicklung chirurgischer Techniken !

Die Anwendung von minimalinvasiven Operationstechniken (MIS) gehört zu den wesentlichen Entwicklungen der Chirurgie der vergangenen Jahre. Dabei sind die Gelenkarthroskopie und die laparoskopischen Verfahren in der Abdominalchirurgie zu nennen. Unter dem Eindruck des verringerten Operationstraumas und des verbesserten Patientenkomforts wurde die Etablierung von MIS-Techniken weiter vorangetrieben. Dabei ist für die Indikationsausweitung auf MIS-Techniken bereits 2002 von Hartel und Ekkernkamp nachdrücklich auf die notwendigen randomisierten kontrollierten Studien hingewiesen worden. Ohne Nachweis eines positiven Behandlungseffekts gegenüber den etablierten Operationstechniken ist die Anwendung von MISTechniken nicht zu rechtfertigen [15]. Ähnlich differenziert werden aktuelle Entwicklungen endoskopischer Verfahren in der Viszeralchirurgie betrachtet und gleichzeitig die Annahme, dass Neuerungen immer bessere Ergebnisse erbringen, infrage gestellt [16]. Die kritische Auseinandersetzung mit neuen Operationsverfahren hat Tradition. Bereits in der Vergangenheit wurde das Komplikationsprofil neuer chirurgischer Verfahren als entscheidend für die breite Akzeptanz beurteilt [17]. Für die Einführung von Innovationen in die chirurgische Versorgung ist von Malchau ein in Einzelschritten abgestimmtes Verfahren vorgeschlagen worden [18]. Ebenfalls eine abgestufte Einführung und Evaluation von neuen chirurgischen Verfahren wird von der Balliol-Gruppe in Form des IDEAL-Statements propagiert [19, 20]. Dabei steht das Akronym für Innovation Development Exploration Assessment Long Term. Durch Einhaltung der einzelnen Schritte werden die erforderlichen Erfahrungen und Daten erhoben. Erst wenn sich die Vorteile eines veränderten chirurgischen Vorgehens erwiesen haben, erfolgen weitere Studien in der nächsten Untersuchungsstufe. Bei Einhaltung dieser Systematik können Fehlentwicklungen früh erkannt und Patienten vor einer Scheininnovation ohne Patientennutzen bewahrt werden [21, " Abb. 1. 22], siehe auch l Bei Anwendung dieser Systematik auf die minimalinvasive Implantation einer Knietotalendoprothese ist das Stadium der definitiven Entwicklung der chirurgischen Technik (Development) bisher nicht abgeschlossen: Es existiert noch keine allgemein akzeptierte Definition einer minimalinvasiven Operationstechnik zur Implantation einer Knieendoprothese. Eine mögliche Definition für einen minimalinvasiven Zugang ist der verringerte Scha-

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Tab. 1 Häufigkeit der Versorgung mit totalen Knieendoprothesen nach Art in Deutschland [14]. Prothesenart

2007

2008

2009

2010

bikondyläre Oberflächenprothese Scharnierprothese Sonderprothese Prothese mit erweiterter Beugefähigkeit Gesamtzahl der Knieendoprothesen

124 044

126 835

127 448

123 821

3 623 2 260 4 947

3 718 2 898 8 534

3 863 3 173 10 393

4 421 3 369 11 592

134 874

141 985

144 877

143 203

den am Streckapparat durch einen veränderten Zugang und den Verzicht auf die Eversion der Patella [23]. Eine ausführlichere Auflistung von Leopold [24] beschreibt die Aspekte minimalinvasiver Zugänge bei Inzisionslänge, Wahl der Arthrotomie, Umgang mit dem Streckapparat, dem Instrumentarium und der Nutzung von Haken und schafft damit eine bessere Differenzierung von der Standardtechnik. Für ein minimalinvasives Vorgehen wird eine reduzierte Schnittlänge, die Vermeidung der Inzision der Quadrizepssehne, das Abdrängen der Patella ohne Eversion, die Vermeidung der Gelenksubluxation, spezialisierte Instrumente und eine flexible Positionierung des Gelenks genutzt. Durch die fehlende allgemein akzeptierte Definition ist der Vergleich der Behandlungsergebnisse erschwert: Die Studie von Kolisek et al. [25] erfüllt beispielsweise nicht alle angeführten Kriterien von Leopold. Die Bewertung der Behandlungsergebnisse und Aufnahme in eine Metaanalyse ist daher eine individuelle Entscheidung.

Entwicklungen im Bereich der operativen Zugangswege !

Für die Implantation einer Knieendoprothese stehen neben dem medialen parapatellaren Zugang im Wesentlichen der Mid- [26] und Subvastus-Zugang [27] zur Verfügung. Für Patienten mit Valgusgonarthrose stellt der laterale Zugang eine Alternative zu den vorgenannten Zugängen dar. Ausgehend von diesen Zugängen sind unterschiedliche Machbarkeitsstudien durchgeführt und weniger invasive Zugänge propagiert worden. Die wesentlichen Zugänge sind dabei der Mini-

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Lernkurven in der orthopädischen Chirurgie Im Rahmen dieser Machbarkeitsstudien für minimalinvasive Operationstechniken sind erste Hinweise auf das Ausmaß der Lernkurve mitgeteilt worden [31, 35]. Beim Erlernen eines chirurgischen Verfahrens hat Santini seine ersten 100 Knieendoprothesen in konventioneller Operationstechnik nach mindestens 10 Jahren nachuntersucht. Es ist im Verlauf zu 4 Revisionen gekommen, wobei 3 davon bei den ersten 6 Operationen aufgetreten sind. Weitere Angaben über die eigentliche Lernkurve werden nicht gegeben [36]. Bei Einführung der Navigation ist die Lernkurve weitergehend beschrieben: Anfänger in der Anwendung dieser Technologie konnten im Rahmen einer Studie bei Implantation einer Knieendoprothese direkt vergleichbare Implantatstellungen, klinische Scores und Beweglichkeiten erreichen. Sie benötigten jedoch 20 Operationen, um vergleichbare Operationszeiten wie erfahrene Anwender zu erreichen [37]. Eine gleichlautende Angabe über den Umfang der Lernkurve mit 30 Operationen wird auch von einer multizentrischen Studie gemacht [38]. Einen vergleichbaren Ansatz, um die Lernkurve anhand einer normalisierten Operationszeit abzuschätzen, hat auch Shankar vorgenommen. Für die minimalinvasive Implantation einer Knieendoprothese teilt er eine Lernkurve von 50 Operationen mit [31]. Coon und Mitarbeiter haben anhand der gleichen Methodik die Lernkurve eingeschätzt und haben in der initialen Serie kontinuierliche Verbesserungen der Operationszeit bis zur 67. Operation erreicht, also die Lernkurve nicht vollständig abgeschlossen. Einschränkend muss dabei angemerkt werden, dass im gleichen Zeitraum eine Weiterentwicklung des Instrumentariums vorgenommen wurde. Es handelt sich also nicht um die eigentliche chirurgische Lernkurve, sondern gleichzeitig um die Auswirkungen der technischen Entwicklung [39]. King und Mitarbeiter haben anhand spezieller technischer Aspekte bei der Implantation der Knieendoprothesen die Lernkurve eingeschätzt. Sie beobachteten innerhalb der ersten 50 Operationen relevant mehr Abweichungen bei der Patellaresektion. Der Autor versorgt eine große Anzahl von Patienten mit Knieendoprothesen und hat vor der Anwendung der MIS-Techniken ein spezielles theoretisches und praktisches Training durchlaufen. Die beobachtete Lernkurve wird explizit auf Chirurgen mit einem hohen Volumen bezogen. Für Chirurgen mit geringer Operationshäufigkeit wird eine sinnvolle Lernkurve bezweifelt [40]. Bonutti hat die Lernkurve in Bezug auf die beobachteten Komplikationen abgeschätzt: Innerhalb der ersten 200 Operationen beobachtete er als Spezialist mit hohem Operationsaufkommen eine Komplikationsrate von 6%. In den folgenden 800 Versorgungen traten dann lediglich 1% Komplikationen auf. Diesen

Beobachtungen folgend schätzt er die Lernkurve auf 200 Operationen [41]. Eine abschließende Beurteilung der Lernkurve für minimalinvasive Knieendoprothetik kann bisher nicht gegeben werden. Für spezialisierte Operateure mit einem hohen Operationsaufkommen kann eine Lernkurve zwischen 50 und 200 Operationen angenommen werden.

Nebeneffekte bei der Anwendung von minimalinvasiven Operationsverfahren !

Weichteiltrauma Zur Überprüfung der Hypothese, dass durch minimalinvasive Operationsverfahren ein geringeres Weichteiltrauma entsteht, haben Niki und Mitarbeiter verschiedene Enzyme (u. a. Kreatininphosphokinase, Myoglobin, Aldolase und weitere) im Verlauf gemessen. Im Rahmen der konsekutiven Studie an 147 Patienten sind unterschiedliche minimalinvasive Zugänge sowie der parapatellare Zugang durchgeführt worden. Bei Verwendung des Midvastus-Zugangs wurden die höchsten Enzymwerte gemessen. Zwischen dem (parapatellaren) Standardzugang und den minimalinvasiven Zugängen wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden [42].

Wundheilungsstörungen Im Rahmen einer multizentrischen prospektiven Studie sind vermehrt Wundheilungsstörungen in der Gruppe mit minimalinvasiver Operationstechnik im Vergleich zur Standardtechnik gefunden worden (10% MIS versus 2,5 % Std.). Der Unterschied zwischen den Gruppen erreichte keine statistische Signifikanz bei begrenzten Fallzahlen [25]. Nach diesen ersten Beobachtungen ist dieser Unterschied klinisch relevant, auch wenn bisher nicht statistisch signifikant. Es sind weitere Untersuchungen zur Klärung dieser Beobachtung notwendig.

Muskelinnervation Bei Anwendung des Midvastus-Zugangs aber auch beim MiniMidvastus-Zugang erfolgt eine Erweiterung des Zugangs in den Muskel hinein. Im Rahmen einer prospektiv randomisierten Studie an 42 Patienten mit 51 Knieendoprothesenimplantation haben Kelly und Mitarbeiter soziodemografische Parameter, den HSS-Kniescore und eine elektromyografische Untersuchung der Patienten durchgeführt [43]. Im kurzfristigen Verlauf 6 Monate nach operativer Versorgung waren keine signifikanten Unterschiede im HSS-Kniescore oder der Beweglichkeit aufgetreten. In der Standardgruppe war häufiger ein laterales Release durchgeführt worden und es ist zu einem größeren Blutverlust gekommen. Sechs Monate postoperativ wiesen 9 Patienten (43%) abnorme EMG-Befunde auf, bei allen Patienten in der Standardgruppe waren die EMG-Befunde unauffällig. Fünf Jahre postoperativ normalisierte sich dieser Befund bei 7 der 9 Patienten. Lediglich bei 2 Patienten mit scharfer Dissektion in den Muskel persistierte der abnorme EMG-Befund ohne erkennbare klinische Relevanz.

Implantatfehlpositionierung Durch die verminderte Visualisierung des OP-Situs bei der Anwendung minimalinvasiver Operationstechniken besteht grundsätzlich die Gefahr einer abweichenden Implantatpositionierung oder grober Fehlpositionen. Eine geringe Abweichung von der angestrebten neutralen Achsausrichtung kommt nach Daten einer großen Beobachtungsstudie bei etwa 1/3 der Patienten mit

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Midvastus-, der Quadrizeps-Sparing-[28] und der Mini-Subvastus-Zugang. Sehr häufig werden für MIS-Operationstechniken am Knie spezielle, verkleinerte Instrumentarien genutzt [28, 29]. Es ergeben sich bei einzelnen Methoden relevante Veränderungen des chirurgischen Vorgehens, z. B. durch seitlich ausgeführte Osteotomien [30] und damit verbundene Schädigungsmöglichkeiten für Kapsel und Bänder [31]. Sekundär ergeben sich daraus spezifische Probleme in der Operationsdurchführung und der Implantatpositionierung [32, 33]. In Vergleichsstudien zwischen MIS- und Standardzugängen kann häufig ein Vorteil für das minimalinvasive Vorgehen im kurzfristigen Verlauf gezeigt werden [34]. Basierend auf solchen Beobachtungen wird der tatsächliche Therapieeffekt dann in prospektiv randomisierten Studien untersucht.

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Tab. 2 Übersicht der Ergebnisse MIS versus Standardzugang anhand der publizierten Metaanalysen. Die Zahlen entsprechen den jeweiligen Effektschätzern und nicht einem konkreten Zahlenwert in der jeweiligen Ergebniskategorie. Studie

Anzahl der

Schmerz (VAS)

ROM (6 Tage)

eing. Studien Vavken 2008 [41]

5

Cheng 2010 [42]

13

Alcelik 2012 [43]

17

Smith 2012 [44]

18

Flexion (3 und 6

Knee Score (6 und

Knee Score

Monate)

12 Wochen)

(6 Monate)

+ − 1,38 (− 1,76; − 1,01)

o − 0,09 (− 0,54; − 0,36)

+ 10,80 (8,00; 13,59) + 9,89 (8,15; 11,63) + 7,36 (1,56; 13,16)

+ 0,57 (0,03; 1,12) + 9,71 (2,11; 17,32) 2,84 (1,58; 4,10) o 2,66 (− 0,15; 5,47) 5,0 (− 0,27; 10,28) o 2,9 (− 7,01; 12,81)

o 2,49 (− 2,41; 7,39)

Komplikationen (Häufigkeit) o 1,3 (0,6; 2,9)* o 1,53 (0,90; 2,59) − 7,59 (3,54; 16,29) − WHST 5,26 (0,87; 32,0)

+ zeigt einen Vorteil für die Intervention (MIS) an, o keinen Unterschied, – einen Nachteil (Effekt mit Konfidenzbereich jeweils in Klammern); * Angabe als Odds Ratio; ROM = Beweglichkeit; WHST = Wundheilungsstörung

Standardzugang vor [11]. Hieraus ergeben sich leicht erhöhte Revisionsraten für diese Patienten. Hiervon müssen grobe Fehlpositionierungen unterschieden werden, die für sich eine Indikation zur Revision darstellen [44]. Derartig grobe Abweichungen von der ursprünglichen Planung und die dann notwendige Verwendung von Revisionsimplantaten sind als Komplikation bei weniger invasiven Operationstechniken am Hüftgelenk beschrieben worden [45]. Ein Beispiel einer grob abweichenden Größenwahl der femoralen Komponente ist auch für die Knieendoprothetik publiziert worden [46]. In 2 systematischen Übersichtsarbeiten [47, 48] findet sich eine Reihe von Studien unterschiedlicher methodischer Qualität, die eine vermehrte Abweichung der Implantatposition bei Anwendung minimalinvasiver Operationstechniken beobachtet haben. Von Lüring und Mitarbeitern ist daher die Kombination von Navigation und weniger invasiven Operationstechniken als eine mögliche Lösung zur Vermeidung relevanter Fehlpositionierungen publiziert worden [46].

Prospektiv randomisierte Vergleichsstudien !

Auf Basis der vorliegenden Machbarkeitsstudien kann man von der Annahme ausgehen, dass unterschiedliche Möglichkeiten für die minimalinvasive Implantation einer Knieendoprothese existieren. Die Entwicklung der chirurgischen Technik (Development) ist damit weitgehend abgeschlossen. In der systematischen Bewertung von chirurgischen Verfahren wird als nächster Schritt die Exploration erreicht [20]. Dabei wird die neue innovative Technik im direkten Vergleich mit dem bisherigen Goldstandard verglichen. Der Therapieeffekt der neuen Technik sollte dabei den bekannten Therapieeffekt (Goldstandard) signifikant übersteigen, ohne vermehrte Nebenwirkungen aufzuweisen. Im Bereich der Endoprothetik unter Nutzung der akzeptierten Instrumente ist dieser Nachweis schwer zu erbringen, da die beobachteten Ergebnisse häufig die Skalen weitgehend ausschöpfen und damit ein Deckeneffekt eintritt [49]. Ein signifikant besseres Ergebnis kann nur mit sehr hohen Fallzahlen noch erreicht werden und ist daher für eine einzelne prospektiv randomisierte Studie unrealistisch. Die Nutzung von alternativen Endpunkten, wie z. B. einer beschleunigten Rehabilitation ist daher verständlich. Die klassischen, bisher verwendeten Endpunkte müssen unverändert erreicht, aber nicht mehr übertroffen werden. In Bezug auf diese Endpunkte reicht der Nachweis der Äquivalenz aus.

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Die Fallzahlplanung basiert dann auf dem kombinierten Endpunkt und bietet die Möglichkeit, erreichbare Fallzahlen auch für eine monozentrische Studie zu gewähren. Eine weitere Möglichkeit, die erforderlichen Fallzahlen in realistischer Zeit zu erreichen, ist die Beteiligung von mehreren Zentren an 1 Studie in Form einer Multicenterstudie. Diese Studienform bietet den Vorzug, weniger anfällig für Verzerrungen durch lokale Effekte zu sein. Ein interessantes Studienbeispiel ist dabei die prospektiv randomisierte Multicenterstudie aus den Vereinigten Staaten, die von Kolisek et al. publiziert worden ist [25]. Mit Peter Bonutti waren auch prominente Vertreter der MISTechnik in der Studie vertreten. In dieser Studie konnte weder ein Vorteil für Patienten mit minimalinvasivem Zugang im Knee Society Knee Score 6 und 12 Wochen nach der Operation, noch in der Kraftentwicklung des Quadrizeps im postoperativen Verlauf gezeigt werden. Ein früherer Messzeitpunkt war im Studienprotokoll nicht vorgesehen. Die Operationszeit war in der MIS-Gruppe signifikant länger und der Zugang signifikant kürzer. Bei den unerwünschten Behandlungsergebnissen zeigte sich ein leichter Nachteil in der MIS-Gruppe, der jedoch nicht statistisch signifikant war. Eine vergleichbare Beobachtung wurde im Rahmen einer weiteren Multicenterstudie gemacht: Kein klinisch relevanter Vorteil für Patienten, bei denen eine Knieprothese durch einen minimalinvasiven Zugang im Vergleich zum konventionellen Vorgehen implantiert wurde [50]. In dieser Studie zeigte sich im Gegensatz zu der erstgenannten kein Nachteil durch vermehrte Komplikationen in der MIS-Gruppe. Beide Studien weisen eine begrenzte Fallzahl auf (Kolisek n = 80, Wülker n = 134) und können damit unterpowert sein. Damit wird der Zustand beschrieben, dass ein Unterschied zwischen den verschiedenen Therapieoptionen besteht, die eingeschlossene Patientenzahl jedoch nicht ausreicht, um diesen Unterschied auch statistisch abzusichern. Man spricht von einem Fehler der 2. Art [51].

Zusammenfassung bisheriger Studienergebnisse in Metaanalysen !

Behandlungseffekt einer neuen chirurgischen Technik Für die Anwendung von MIS-Techniken liegen eine Reihe von Metaanalysen vor. 2008 wurde von Vavken eine erste Zusammenstellung der Daten publiziert, bei dem ein Vorteil der MIS-

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Techniken für den postoperativen Schmerz und die Funktionsscores ermittelt wurde [52]. In der Bewertung dieser Studie ist anzumerken, dass bei 4 der 5 eingeschlossenen RCTs ähnliche Therapieeffekte in den Funktionsscores berichtet wurden. Bei 1 Studie ergab sich ein deutlich abweichender positiver Therapieeffekt bei der Verwendung von MIS-Techniken, der das Ergebnis der Metaanalyse beeinflusst hat. Dieser Umstand ist nicht ungewöhnlich, sofern nur eine begrenzte Zahl von randomisierten Studien mit heterogenen Designs und leicht unterschiedlichen Endpunkten vorliegt. Es unterstreicht vielmehr die Notwendigkeit, weitere RCTs durchzuführen und die gemachten Erfahrungen zu Studiendesigns und Endpunkten dabei zu berücksichtigen. Erst durch eine breitere Anzahl vergleichbarer RCTs kann durch Metaanalysen ein zuverlässiger Schätzer des Therapieeffekts ermittelt werden. Als Nächstes ist eine Metaanalyse von Cheng und Mitarbeitern publiziert worden [53]. Insgesamt sind 13 Studien in die Analyse eingeschlossen worden. Die Studien sind nach einem mitgeteilten Schema in Hinblick auf ihre Qualität beurteilt worden, und es liegen Subgruppenanalysen vor, die z. B. nur Studien mit einem definierten Qualitätslevel berücksichtigen oder aber nur die Ergebnisse eines MIS-Zugangs. Eine große Zahl von Vergleichen ist zwischen dem Goldstandard und der MIS-Intervention durchgeführt worden. Dabei ist die Beweglichkeit und der Knee Society Knee Score 6 und 12 Wochen postoperativ signifikant besser in der MIS-Gruppe. Nach 6 Monaten ist dieser Effekt nicht mehr vorhanden. Die Operationszeit in der MIS-Gruppe war signifikant länger. Der Vergleich der Komplikationen zeigte keinen Unterschied. Es wurde eine größere Häufigkeit von Wundheilungsstörungen bei MIS-Patienten beobachtet, ohne dass das Signifikanzniveau erreicht wurde. Vergleichbare Ergebnisse sind von Alcelik bei Einschluss von 17 Studien publiziert worden [54]: Signifikant positive Effekte für die Flexion des operierten Kniegelenks in der 1. postoperativen Woche und für die Zeitdauer, bis das gestreckte Anheben des Beines möglich war. Im Gegensatz zu den frühen postoperativen Beobachtungen war bereits 6 Wochen postoperativ und auch im weiteren Verlauf kein Vorteil mehr für Patienten erkennbar, die mit einer minimalinvasiven Operationstechnik versorgt wurden. Die Rate an intra- und postoperativen Komplikationen ist jedoch gegenüber dem Goldstandard signifikant erhöht. Smith und Mitarbeiter fanden in ihrer Metaanalyse mit Einschluss von 18 Studien ähnliche Ergebnisse [55]: Die Operation mit MIS-Technik erfordert mehr Zeit, weist einen geringeren Blutverlust auf und hat eine kürzere Schnittlänge. Alle diese Beobachtungen wiesen einen signifikanten Unterschied zum Goldstandard auf. Es besteht eine signifikant bessere Beweglichkeit bei sonst gleichwertigen Knee und Function Scores. In der Gruppe der Patienten mit MIS-Zugang traten signifikant mehr Wundheilungsstörungen auf.

Abb. 2 a und b 1-Jahres-Verlaufskontrolle nach Implantation einer Knieendoprothese in MIS-Technik mit Patellatiefstand, heterotopen Ossifikationen, Lysezonen unter dem Tibiaplateau, Zementresten und verbliebenen dorsalen Osteophyten.

Komplikationen oder auch eine kostengünstigere Versorgung bei gleichbleibendem Patientennutzen können als Vorteile neuer Techniken gelten [56]. Von Gross wurde auf die Bedeutung von Komplikationen bei der Einführung neuer Verfahren hingewiesen: Nur wenn die Komplikationsrate in einem akzeptablen Bereich liegt, kann sich eine neue Technik durchsetzen [17] " Abb. 2). Ein prominentes Beispiel für die Problematik von sel(l tenen Ereignissen (Komplikationen) ist die Verordnung von Rofecoxib: Zunächst wurde von einer vergleichbaren Sicherheit des Medikaments ausgegangen; dies wurde auch in den ersten randomisierten Studien gezeigt. Im Rahmen einer kumulativen Metaanalyse zeigten Jüni und Mitarbeiter jedoch, dass nach Einschluss von 14 247 Patienten in randomisierten Studien ein signifikanter Nachteil für die Patienten bestand, die mit Rofecoxib behandelt wurden [57]: In der Interventionsgruppe sind häufiger kardiovaskuläre Ereignisse aufgetreten. Die entsprechenden Warnhinweise sind erst später ausgesprochen worden. Zwischenzeitlich sind Patienten unter der ursprünglichen Zulassung behandelt worden und damit einem vermeidbaren erhöhten Risiko ausgesetzt worden. Die bessere Wirksamkeit des Medikaments ist vor dem Hintergrund des schlechteren Nebenwirkungsprofils ohne Bedeutung. In Hinblick auf die minimalinvasive Knieendoprothetik zeigen jüngere Arbeiten einen Nachteil durch eine erhöhte Komplikationsrate [54, 55]. Um diesen Aspekt angemessen zu untersuchen, haben Gandhi und Mitarbeiter die Komplikationshäufigkeit zum Endpunkt ihrer Metaanalyse gemacht und ebenfalls eine erhöhte Komplikationsrate bei Anwendung der minimalinvasiven Technik gefunden [58].

Patientensicherheit und Komplikationen Nach Etablierung einer neuen chirurgischen Technik folgt eine Phase der Überprüfung. Häufig wird der Anwendungsbereich der neuen Technik dabei klarer. Durch frühe Behandlungsergebnisse kann die Effektivität der neuen Technik mit den traditionellen Operationstechniken verglichen werden. Bei guten Behandlungsergebnissen der Standardknieendoprothetik ist es für neue Techniken zunehmend schwerer, gegenüber diesem Goldstandard einen Vorteil zu erzielen. Die unerwünschten Behandlungsfolgen spielen in diesem Szenario dann eine zunehmende Rolle: Eine Verbesserung der Patientensicherheit durch verringerte

Beantwortung der gestellten Frage In Zusammenschau der Metaanalysen ergibt sich ein positiver Effekt in der frühen postoperativen Rehabilitationsphase. Die eingangs gestellte Frage kann also eindeutig positiv beantwortet werden: Patienten, bei denen eine Knieprothese in minimalinvasiver Technik implantiert worden ist, haben eine kürzere Rehabilitation verglichen mit Patienten, bei denen ein Standardzugang angewendet wurde.

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Das klinische Ergebnis nach Implantation einer Knieendoprothese setzt sich aus einer Reihe von Parametern zusammen, die z. B. durch einen zusammengesetzten Endpunkt ausgedrückt werden können. Soweit man bisher auf Basis der Literatur erkennen kann, ist der Behandlungseffekt der minimalinvasiven Operationstechnik nicht nachhaltig: Die klinischen Verbesserungen werden von den Patienten mit Standardzugang später im zeitlichen Verlauf, aber in vergleichbarer Höhe erreicht. Aufgrund der zuletzt publizierten Arbeiten muss ein Nachteil für die Patienten mit MIS-Zugang durch vermehrte Komplikationen angenommen werden. Unter Berücksichtigung des zusammengesetzten Endpunkts bleibt kein genereller Vorteil bei der Anwendung von minimalinvasiven Zugängen.

Ausblick !

Für die allgemeine Anwendung von MIS-Techniken bei der Implantation einer Knietotalendoprothese gibt es bisher keine überzeugenden Studienergebnisse. Insbesondere fehlen noch Daten über die Langzeitergebnisse bei Anwendung dieser Technik. Verschiedene Fragen sind bisher noch nicht ausreichend durch prospektive klinische Studien untersucht: " Welcher Patient eignet sich besonders gut oder besonders schlecht für MIS? Als Kontraindikationen sind vorausgegangene Arthrotomie, schwere Osteoporose oder rheumatoide Arthritis, Adipositas und eine schwere Gelenkdeformierung publiziert [24]. Die Diskussion über die Indikation/Kontraindikation ist noch nicht abgeschlossen. " Welche Patienten wollen MIS-Chirurgie? Kim und Mitarbeiter haben Patienten zu ihrer Bereitschaft befragt, Neuerungen im Rahmen der operativen Versorgung in Anspruch zu nehmen. Nach einer initialen Befragung wurden die Patienten eingehend über die Neuerungen informiert und anschließend erneut befragt. Vor der Informationsvermittlung waren 80 % der Patienten positiv gegenüber Neuerungen eingestellt. Nach der Information wollten nur noch 12% der Patienten eine MIS-Technik in Anspruch nehmen [59]. " Welche Krankenhäuser und welche Operateure können die Anwendung dieser Technik erwägen? Häufig wird neben der Operationstechnik auch der stationäre Ablauf verändert, z. B. mit einer verbesserten Schmerztherapie oder auch einer lokalen periartikulären Infiltration (LIA). Diese zusätzlichen Interventionen können einen relevanten Einfluss auf das Behandlungsergebnis haben und fälschlicherweise der Operationstechnik zugeschrieben werden [60]. Im Bereich der minimalinvasiven Hüftendoprothetik zeigte sich der Effekt der verbesserten Schmerztherapie und Patienteninformation klar der Modifikation des operativen Vorgehens überlegen [61]. Bei der Implantation einer unikondylären Knieprothese kann unter lokaler Infiltration mit Lokalanästhetika (LIA) kein Unterschied zwischen einer konventionellen und minimalinvasiven Operationstechnik gezeigt werden [62]. In weiteren prospektiven Studien gilt es, diese Effekte bei der Untersuchung von minimalinvasiven Verfahren am Kniegelenk zu berücksichtigen. Interessenkonflikt: Nein

Kirschner S et al. Minimalinvasive Zugänge am …

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Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik

[Minimally invasive surgery for knee total arthroplasty - evidence-based advantages?].

The impact of minimally invasive surgical techniques for implantation of a total knee arthroplasty is evaluated according to evidence-based medicine c...
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