Gynäkol Geburtsh Rundsch 1992;32:2-10

UHal,er

Moderne Reproduktionsmedizin

Departement für Frauenheilkunde, Universitätsspital, Zürich. Schweiz

Gedanken eines Klinikers

Am 25. Juli 1978 wurde in England Louise Brown geboren. Sie ist das erste in vitro gezeugte Kind. Ihre Geburt wurde zum spektakulären Ereignis mitten in einer medizinisch-technischen Entwicklung. Es war auch der Zeitpunkt, zu dem die breite Öffentlichkeit zum ersten Mal realisierte, wie weit die Fortschritte der Reproduk­ tionsmedizin gediehen waren. Die Folge war eine heftige öffentliche Diskussion. Sie wurde und wird auch heute noch unter verschiedenen Aspekten und mit unterschied­ lichen Absichten geführt. Im Hintergrund stand die Tatsache, dass jedes 7.-8. Ehepaar ohne Kinder ist. die Hälfte davon möchte aber gerne Kinder haben. In ungefähr 30-40% der Fälle liegt die Ursache der Kinderlosigkeit in der Unfruchtbarkeit des Mannes. Ärztlichem Selbstverständnis entsprechend scheinen bei Störungen der Fertilität medizinische Mass­ nahmen gerechtfertigt. Diese Massnahmen zur Wieder­ herstellung natürlicher prokreativer Funktionen sind un­ bestritten, wenn es sich dabei zum Beispiel um hormo­ nelle Behandlungen zur Stützung der Eierstockfunktion handelt; sie sind auch unbestritten, wenn es sich um chir­ urgische, das heisst mikrochirurgische Verfahren handelt, welche insbesondere die Anatomie und Funktion des Eileiters wiederherstellen. Schwieriger zu beurteilen ist aber die Frage der Zulässigkeit humanmedizinischer Er­ satzverfahren. der sogenannten ärztlich assistierten Fort­ pflanzung. Das sind Verfahren, bei denen die Verschmel­ zung von Ei- und Samenzelle nicht durch den Ge­ schlechtsverkehr von Mann und Frau, sondern durch einen ärztlichen Eingriff herbeigeführt wird. Zu diesen Verfahren der Fortpflanzung gehören: 1. die seit vielen Jahren praktizierte Methode der künst­ lichen Insemination und besonders der heterologen, also mit Fremdsamen durchgeführten Insemination; 2. die seit mehreren Jahren praktizierte Methode der Invitro-Fertilisation und des Embryotransfers, ferner der Gametentransfer.

Vortrag gehalten am 29. Juni 1991. Universitäts-Zentrum Zürich.

Über diese Verfahren wird also diskutiert. Verhängnis­ vollerweise werden noch immer Reproduktionsmedizin und Gentechnik in einen Topf geworfen. Dies beruht zum Teil auf mangelnder Information durch die Forscher selbst, aber auch auf der Sensationslust der Medien. Darum ist festzuhalten: In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer haben in ih­ rem therapeutischen Ansatz nichts mit Gentechnik zu tun. Allerdings handelt es sich um eine Einstiegstechnik, indem diese embryonales Leben im Labor verfügbar macht. So wurden denn auch zum Teil berechtigte, zum Teil unberechtigte Befürchtungen und Ängste aus unserer Be­ völkerung geäussert. Das erstaunt nicht, denn zum einen ist der Diskussionsgegenstand verwirrend komplex. Zum anderen betreffen diese Fragen das Leben. Begreiflich, dass die aufgeworfenen ethischen Fragen und die Furcht vor einer missbräuchlichen Verwendung von nicht eingepflanzten Embryonen die Öffentlichkeit nachhaltig be­ schäftigt.

Von der Beobachter-Initiative bis zum Gegenentwurf (1987-1991)

Dies war denn auch der Anlass dafür, dass 1987 die sogenannte «Beobachter-Initiative» eingereicht wurde mit dem Titel: «Volksinitiative gegen Missbräuche der Fortpflanzungs- und Gentechnologie beim Menschen». Sie will in der Bundesverfassung einen neuen Artikel 24 octies einfügen, der den Bund verpflichtet, Vorschriften über den künstlichen Umgang mit menschlichem Keimund Erbgut zu erlassen. Das Verdienst dieser Beobachter­ initiative besteht zweifellos darin, die Diskussion um künstliche Fortpflanzung und Gentechnologie beim Men­ schen in Gang gebracht zu haben. Sprachliche Mängel des Initiativtextes und rechtliche Unzulänglichkeiten konn­ ten dabei allerdings nicht übersehen werden.

Prof. U. Haller Departement für Frauenheilkunde, Universitätsspital Frauenklinikstrasse 10, CH-8091 Zürich (Schweiz)

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Einleitung

den Gesetzgebungsauftrag mit klaren Verboten und Ge­ boten. Im Rahmen des Differenzbereinigungsverfahrens zwischen den beiden Räten ging es dann insbesondere um die umstrittene Bestimmung von überzähligen Embryo­ nen bei In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer. Die Fortpflanzungshilfe wurde akzeptiert, wenn die Unfruchtbarkeit oder die Gefahr der Übertragung einer schweren Krankheit nicht anders behoben werden könne. Die Befruchtung menschlicher Eizellen ausserhalb des Mutterleibes wurde - allerdings mit Auflagen - ausdrück­ lich zugelassen. Für die anschliessende Gesetzgebung wird bereits auf Verfassungsstufe festgehalten, dass aus­ serhalb des Körpers einer Frau nur so viele menschliche Eizellen zu Embryonen entwickelt werden dürfen, als auch sofort eingepflanzt werden können. Bei der Behandlung der komplexen Problematik in der Kommission Amstad, aber auch in allen anderen Kom­ missionen und Gremien sowie im National- und Stände­ rat. hat sich gezeigt, dass die Meinung der Experten geteilt ist; daher konnten kaum einstimmige Beschlüsse gefasst werden.

Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften

Bei aller Würdigung der Aktivitäten auf politischer Ebene, wie Beobachter-Initiative, Expertenkommission des Bundes, Gegenvorschlag des Bundes, kantonale Ge­ setzgebungen. Gegenvorschlag des National- und Stände­ rates, wäre es ungerecht und unehrlich, die Aktivitäten der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wis­ senschaften nicht zu erwähnen. Ich meine, dass sie gerade im Bereich der Reproduktionsmedizin ausgezeichnete und auch im Ausland vielbeachtete Richtlinien erlassen hat: so für die artifizielle Insemination 1981 und erstmals für In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer bereits im Jahre 1985. Diese von hoher Verantwortung getragenen Richtlinien lassen neben dem ethischen Augenmass auch weitere, von Herrn Bundesrat Koller kürzlich geforderte Qualitäten erkennen: nämlich juristischen Sachverstand und politisches Gespür. Diese kennt die Schweizerische Akademie der Medizi­ nischen Wissenschaften nicht? Sie nimmt Stellung zu neuen Entwicklungen der praktischen Medizin, welche Probleme ethischer Art aufwerfen. Mitglieder sind Ver­ treter der Ärzte, Vertreter des Pflegepersonals, Ethiker, Theologen und Juristen. Die Richtlinien der Akademie stellen einen Verhaltenskodex der Ärzte dar. Allerdings besitzen diese Richtlinien keine Gesetzeskraft; es sei denn, eine solche würde ihnen von behördlicher Seite ver­ liehen. Am 28. Februar 1991 wurden die neuen Leitplankcn zur Fortpflanzungsmedizin veröffentlicht: «Moderne

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So setzte der Bundesrat die Expertenkommission «Hu­ mangenetik und Reproduktionsmedizin» ein. Sie hatte den Auftrag, die sozialen, rechtlichen und ethischen Fra­ gen zu diskutieren, die mit den neuen Verfahren der künstlichen Fortpflanzung und der Humangenetik Z u ­ sammenhängen. Zudem wurde von dieser Kommission eine Stellungnahme zur Beobachterinitiative verlangt. Während die Kommission Amstad tatkräftig am Werke war, haben verschiedene Kantone diese Problema­ tik selbst aufgegriffen und die Materie zum Teil in ihrer Sanitätsgesetzgebung geregelt. Die Kantone Waadt, Genf, Neuenburg, Basel-Landschaft und Aargau erliessen kan­ tonale Bestimmungen, welche den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissen­ schaften folgten oder sich ihnen wenigstens anlehnten. Jüngere Erlasse zeigten jedoch Skepsis gegenüber den neuen Techniken, wie in den Kantonen St. Gallen. Glarus und Basel-Stadt. So verabschiedete der Grosse Rat des Kantons St. Gallen 1988 einen Beschluss, der lediglich die homologe Insemination und den homologen Gameten­ transfer zuliess. Alle anderen Techniken, einschliesslich der ln-vitro-Fertilisation. wurden verboten. Es war erstaunlich, wie sich innerhalb der grossrätlichen Kommission querdurch alle Fraktionen Mehrheiten und Minderheiten bildeten und wie nicht unbedingt übli­ che Koalitionen die Entscheide herbeiführten. Eher ent­ täuschend aber war die Tatsache, dass sowohl in der ersten, als auch insbesondere in der zweiten Lesung im grossen Rat die Entscheide eigentlich nur noch sehr wenig von sachlichen und fachlichen Fakten getragen wurden, sondern vielmehr lediglich von parteipolitischen Überle­ gungen geleitet waren. Der sanktgallische Grossratsbeschluss wurde denn auch durch zwei staatsrechtliche Beschwerden beim Bundesgericht angefochten. Dieses hat in teilweiser Gut­ heissung der Beschwerden gewisse Bestimmungen aufge­ hoben: So wurde das generelle Verbot der helerologen In­ semination ausser Kraft gesetzt, weil es der Frage der persönlichen Freiheit nicht standhält. Auch die ln-vitroFertilisation mit Embryotransfer kann deshalb nicht ge­ nerell untersagt werden. Die Kommission Amstad kam zum Schluss, dass eine gesetzliche Regelung der künstlichen Fortpflanzung und der Gentechnologie am Menschen zur Vermeidung von Missbräuchen nötig sei. Sie schlug vor. eine verfassungs­ mässige Zielnorm und eine bundesgesetzliche Regelung zu schaffen. Der «Beobachter-Initiative» wurde ein di­ rekter Gegenvorschlag gegenüber gestellt, welcher nicht nur den Menschen, sondern auch seine natürliche Um­ welt gegen Missbräuche der Fortpflanzungs- und Gentechnologieen schützen soll. Die eidgenössischen Räte begnügten sich nicht mit dem vom Bundesrat vorgeschlagencn blossen Kompe­ tenzartikel. Sie formulierten bereits auf Verfassungsstufe

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Ergebnisse und Probleme artifizieller menschlicher Fortpflanzung: Das Spannungsfeld von Ethik und Recht

Am 21. Juni 1991 wurde von National- und Ständerat in der Schlussabstimmung der Bundesbeschluss gutge­ heissen. Er empfiehlt dem Volk und Ständen die Ableh­ nung der «Beobachter-Initiative» und die Annahme eines Gegenvorschlages. Ich gestatte mir, zu wichtigen oder noch offenen Fragen Stellung zu nehmen. Wegen der Komplexität der medizinischen Methodik, werde ich nicht daran vorbeikommen, kurz auch die Methoden selbst zu erläutern. Der Rahmen für die moderne Reproduktionsmedizin ergibt ein weiteres Spannungsfeld von Ethik und Recht. Dabei eröffnen sich vor allem drei Problemkreise: - Das erste Problem ist die heterologe Insemination einerseits, die In-vitro-Fertilisation und Embryo­ transfer resp. Gametentransfer andererseits. - Das zweite Problem sind die Methoden, welche zur Vermeidung der Übertragung schwerer Erbkrank­ heiten angewandt werden. - Das dritte Problem bildet die Forschung an und mit Embryonen. Ich werde auf medizinische, rechtliche aber auch ethi­ sche und moraltheologische Aspekte eingehen und mög­ lichst auch Fragen der psychosomatischen Anthropologie und soziale Aspekte berücksichtigen. Beim ersten Problemkreis stellt sich zunächst die Fra­ ge, ob eine Sterilitätstherapie allein schon an und für sich berechtigt und damit auch verantwortbar sei. Wer so fragt, fragt ethisch. Dabei verstehe ich unter Ethik die Lehre vom verantwortbaren Handeln. Als Lehre und Theorie ersetzt sie keineswegs den praktischen und persönlich zu wagenden Gewissensentscheid. Sie stellt uns aber theoretische Entscheidungshilfe zur Verfügung. Vor allem weist sie daraufhin, welche Güter und Werte bei einer Handlung auf dem Spiele stehen und gegenein­ ander abzuwägen sind. - Die Berechtigung der Sterilitätstherapie wird überein­ stimmend daraus hergeleitet, dass ungewollte Kinder­ losigkeit den Charakter einer Krankheit aufweist. Sie bringt für das betroffene Paar eine erhebliche Beein­ trächtigung der leib-seelischen Integrität und der ehe­ lichen Beziehung mit sich. Für die Entscheidung zu einer Sterilitätstherapie sprechen ferner die Probleme, mit denen die Handlungsalternative Adoption belastet ist. In dieser ganzen Leidenssituation kann die Fort­ pflanzungsmedizin dem Paar zum ersehnten eigenen Kind verhelfen. Der Wunsch nach einem eigenen Kind wird dabei als fundamentales menschliches Urbedürfnis verstanden. Zur ethischen Begründung einer Behandlung wird aber auch das Selbstbestimmungsrecht herangezogen. In die­

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Reproduktionsmedizin - ethische Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissen­ schaften». Ich nenne nur einige wenige Hauptmerkmale und erwähne auch den Text des Bundesbeschlusses, falls ein solcher vorliegt. - Die ärztlich assistierte Fortpflanzung ist ethisch ver­ tretbar, wenn sie dazu dient, den Kinderwunsch eines Paares zu erfüllen. Sie ist auch dort ethisch vertretbar, wo es darum geht, die Übertragung schwerer Erbleiden auf das Kind zu vermeiden. Der Text des Bundes­ beschlusses entspricht. - Es wird auch auf die Problematik der unverheirateten Paare eingegangen. - Ei- oder Samenzellen Dritter dürfen verwendet wer­ den, nicht aber gleichzeitig beides. - Zur Dokumentations- und Auskunftspflicht wurde so­ viel festgehalten, dass der Arzt den Eltern und dem künstlich gezeugten Kind auf deren Verlangen die Daten der Spender offenlegen kann, mit Ausnahme jener Daten, welche die Identifikation des Spenders ermöglichen. Der Text des Gesetzesentwurfes lautet kurz. Der Zugang einer Person zu den Daten über ihre Abstammung ist zu gewährleisten. - Embryonen dürfen in der Regel nur während der lau­ fenden Behandlung am Leben erhalten werden. Auf gemeinsamen Wunsch beider Partner ist die Konser­ vierung mit dem ausschliesslichen Zweck der Herbei­ führung der Geburt eines weiteren Kindes dieses Paares statthaft. In diesem Punkt weicht der Text der eidgenössischen Räte wesentlich ab, nämlich: «Es dürfen nur so viele menschliche Eizellen ausserhalb des Körpers einer Frau zu Embryonen entwickelt werden, als sofort eingepflanzt werden können.» - Menschliche Embryonen dürfen nicht als Forschungs­ objekte verwendet werden. Der Text des Gesetzesent­ wurfes entspricht. Unzulässige Verfahren sind, im Übereinstimmung mit dem Bundesbeschluss, unter anderem folgende: - Eingriffe in das Erbgut von Gameten und Embryonen sowie - Massnahmen, welche bestimmte Eigenschaften des zu erzeugenden Kindes zu beeinflussen versuchen, insbe­ sondere sein Geschlecht. Dies ist nur möglich, wenn es der Vermeidung der Übertragung schwerer ge­ schlechtsgebundener Erbkrankheiten dient. - Transfer von in-vitro-gezeugten femden Embryonen und Übertragung von Embryonen von Frau zu Frau. - Schaffung von Leihmutterverhältnissen.

Einzelne Methoden der Fortpflanzungsmedizin und ihre ethische Bewertung

Wenn ich in diesem Sinne eine Sterilitätstherapie als verantwortbar erachte, ist damit noch nicht jedes Mittel einer solchen Therapie gerechtfertigt. Vielmehr sind die verschiedenen Methoden einzeln zu prüfen und zu rechtfertigen, und zwar nach dem Prinzip der Güterabwä­ gung.

Heterologe Insemination

Problematisch ist zunächst also die heterologe Insemi­ nation oder künstliche Befruchtung mit Spendersamen, wiche zur Therapie unbehandelbarer männlicher Un­ fruchtbarkeit Verbreitung fand. In der Schweiz fand die Technik der heterologen Insemination Ende der 60-Jahre Eingang in die Kliniken und Privatpraxen. 1970 gab die Schweizerische Gesellschaft für Gynäko­ logie den Anstoss zur Eröffnung einer Samenbank. Die erste entstand so vor 20 Jahren an der Frauenklinik des Kantonsspitals St. Gallen. Seit 1970 wird in der Schweiz Sperma auch tiefgefroren; solche Tiefgefrierung nennt man Kryokonservierung. Während der letzten Jahre wurden in der Schweiz 0,51% der Kinder nach heterologer Insemination geboren. An der Frauenklinik in St. Gallen wurden seit 1970, bis zum Verbot von 1988, 1820 Kinder nach heterologer Insemination geboren. Von 1970 bis 1982 wurden in der Schweiz neben St. Gallen sechs weitere Zentren für hete­ rologe Insemination gegründet. Die heterologe Insemination ist eine Methode, welche ambulant durchgeführt wird. Es wird dabei vom Arzt ein Depot von Samen eines Samenspenders in den Gebär­ mutterhals gelegt; die weiteren Vorgänge laufen natürlich ab, d.h. die Befruchtung mit der weiblichen Eizelle erfolgt im Eileiter unter natürlichen Bedingungen. Bei den ärztlichen Gesprächen konnten wir feststellen, dass der Entschluss zur Insemination mit Spendersamen häufig von der Frau ausgeht. Die Entscheidung fällt dem Mann schwerer, er braucht oft Jahre dazu. Untersuchun­ gen haben gezeigt, dass solche Männer aber in hohem Masse tolerant und flexibel sind und dass sie sich als Väter sehr positiv und in einer engen Bindung mit ihren Kindern beschäftigen. Die schnelle und intensive Identi­ fikation eines Kleinkindes auch mit einem nicht geneti­ schen Vater ist sicher ein Faktor dafür, dass solche Kinder von ihrer Umgebung nicht als fremd gezeugt erkannt wer­ den, auch nicht im eigenen näheren Familienkreis. Im Rahmen der Beratungsgespräche sollte deshalb auch ein Augenmerk auf die Belastbarkeit und die Anpassungsfä­ higkeit des Ehemanns gerichtet werden.

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sem Sinne wird das Recht auf Gründung einer Familie sowie auf ein eigenes Kind proklamiert. - Wenn die ethische Berechtigung einer Sterilitätsthera­ pie an sich in Frage gestellt wird, dann kommen die Bedenken im wesentlichen aus der Richtung der psy­ chosomatischen Anthropologie. Auf der Basis eines ganzheitlichen Verständnisses des Menschen versteht sie die Sterilität nicht als Krankheit, sondern als sinn­ vollen Schutzmechanismus des Körpers. Die Sterilität ist demzufolge eine Somatisierung bestehender psy­ chischer Konflikte zwischen Ich und Umwelt. Dabei müssen wir zugeben, dass funktionelle Sterilität oft mit psychosomatischen Symptomen korreliert. Bei der Beurteilungsfrage ist also zunächst zu prüfen, ob die Therapie tatsächlich der Erfüllung des gemeinsa­ men Kinderwunsches der Eltern dient und nicht einen fragwürdigen und somit ungeeigneten Versuch darstellt, unbewältigte Konflikte oder Defizite im Selbstwertgefühl einer Frau oder eines Paares zu lösen. Damit das Kind nicht zum Objekt wird, das heisst als Mittel zum Zweck missbraucht wird, muss die Behandlung wesentlich auf das künftige Wohlergehen des erhofften Kindes ausge­ richtet sein. Wir erfahren in unserer tätlichen Sprech­ stunde dabei durchaus, dass hinter vehement vorgetrage­ nem Kinderwunsch Probleme auftauchem, die viel mit den Wünschen der Partner, oft aber so gut wie nichts mit dem gewünschten Kind zu tun haben. Wir sind uns somit bewusst, dass der Wunsch nach einem eigenen Kind auch durch Motive unterhalten werden kann, die das Kind zum Mittel der Verwirklichung egoistischer Ziele ma­ chen: Man spricht vom überwertigen Kinderwunsch. Der Arzt steht somit immer wieder vor dem sehr schwer zu lösenden Problem von Ursache und Wirkung, ln Kennt­ nis dieser Situation kann ich mich aber persönlich nicht der extremen Position anschliessen, die Kinderwunsch schlechthin «gesellschaftlich induziert» sieht und somit Psychotherapie anstelle von Sterilitätstherapie fordert. Als Alternative zu einer Sterilitätstherapie zeigt sich die bereits angesprochene Adoption mit ihrer ganzen Pro­ blematik. Als weitere Alternative bleibt nur noch die Kin­ derlosigkeit anzunehmen, sich damit abzufinden. Damit macht sich das Paar auf die Suche nach einer neuen Iden­ tität ohne die Dimension der Fortpflanzung. Auf dieser Grundlage können durchaus neue Möglichkeiten zur Ver­ wirklichung im Leben entstehen, neuer Freiraum für an­ dere Formen kreativer Liebe. Oft findet die Frau dabei die Erfüllung im sozialen Bereich. Ich habe aber immer wieder erlebt, dass es dazu bestimmter Voraussetzungen der Persönlichkeit bedarf und dass durchaus nicht jede Frau, auch nicht unter den besten Voraussetzungen, befä­ higt ist, solche Alternativen oder Herausforderungen an­ zunehmen.

In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer bzw. Gametentransfer

Neben der heterologen Insemination ist die In-vitroFertilisation nicht unproblematisch: Unter In-vitro-Ferti­ lisation versteht man die ausserhalb des Mutterleibes herbeigeführte Verschmelzung einer instrumentell ent­ nommenen Eizelle mit einer Samenzelle. Die sich entwikkelnde Frucht wird durch die Scheide in die Gebärmut­ terhöhle eingeführt: Das wird als Embryotransfer bezeich­ net. Dieser Eingriff in die natürlichen Fortpflanzungsab­ läufe erscheint medizinisch und ethisch vertretbar, wenn andere Behandlungsmethoden versagt haben oder aus­ sichtslos sind. Trotz grossem klinischem und labortechni­ schem Aufwand liegt in den erfolgreichsten klinischen Zentren die derzeitige Schwangerschaftsrate, bezogen auf die Eizellgewinnung, bei 16%, bezogen auf die durchge­ führten Embroyotransfers, bei 21 % pro Bchandlungszyklus. Nach Abzug der klinischen Aborte (30%) beträgt die

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Geburtenrate derzeit etwa 12-15%. Bei der Beurteilung dieser Ergebnisse ist zu bedenken, dass auch unter norma­ len Umständen lange nicht in jedem Zyklus ein Kind gezeugt wird, vielmehr, dass es bei etwa 40-60% aller Konzeptionen in einem sehr frühen Stadium zum Abster­ ben der Frucht kommt. Die Technik der Eizellgewinnung ist in den letzten Jahren verfeinert worden. Musste man in den 80er Jahren die Eizellen noch unter Narkose über einen Bauchspiegel abpunktieren, kann man heute in den meisten Fällen die Eizellen ohne Narkose unter Ultra­ schallkontrolle gewinnen. Üblicherweise werden mehrere Eizellen bei der Punktion gewonnen, befruchtet und dann auch implantiert. Die Gewinnung von Eizellen ist aber eine invasive Methode und nicht völlig risikolos. Die in-vitro-Fcrtilisation kann homolog, aber auch mit Fremdsamen, also im heterologen System, durchgeführt werden. Bei der In-vitro-Fertilisierung geht es darum, nicht zu viele Embryonen zu transferieren, um die Gefahr der Mehrlingsschwangerschaft zu reduzieren, aber es sollten genügend Embryonen transferiert werden, um eine akzep­ table Chance einer Schwangerschaft zu erzielen. Denn nicht alle implantierten Embryonen entwickeln sich wei­ ter. Deshalb sind die meisten Zentren dazu übergegangen, eine zeitlich begrenzte Kryokonservierung von Embryo­ nen vozunehmen. Dann kann bei einem Misserfolg des ersten Versuches eine Wiederholung des Transfers im nächsten Zyklus ohne erneuten Eingriff zur Eizellgewin­ nung ermöglicht werden. Der Embryotransfer wird in den meisten Zentren 4044 h nach der Eizellentnahme durchgeführt. Die Embryo­ nen haben sich dann zu einem 2- bis 8-Zell-Stadium. durchschnittlich zu einem 4-Zell-Stadium entwickelt. Seit 1984 wird auch der intratubare Gametentransfer angewandt. Bei diesem Verfahren werden die Eizellen durch Bauchspiegelung unter Narkose gewonnen, ausser­ halb des Körpers mit den Spermien des Ehemannes, aber von ihnen getrennt, in eine Kanüle aufgenommen, um dann unverzüglich durch den Bauchspiegel wieder im Eileiter der Ehefrau deponiert zu werden. Dort vereinigen sich Eizellen und Spermien. Damit kommt es zu einem natürlichen Befruchtungsvorgang im Eileiter. Transport und Implantation der Embryonen unterliegen somit phy­ siologischen Abläufen. Die Gameten haben bei dieser Me­ thode keinerlei Kontakt ausserhalb des Körpers (in vitro); es gibt dabei auch keine überzähligen Embryonen. Es ist aber für diese Methode klar festzuhalten, dass sie nur bei Sterilitätsfallen durchgeführt werden kann, bei denen min­ destens ein Eileiter durchgängig ist. Diese Methode wird also die In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer nicht ersetzen, wie oft fälschlicherweise propagiert wird, denn die In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer wird korrektcrwcisc dort eingesetzt, wo Eileiter verschlossen sind und nicht mehr durchgängig gemacht werden können. Beim

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In medizinisch-psychologischer Hinsicht zeigt sich und dies nicht unerwartet - ein durchaus positives Ergeb­ nis bei den Ehepaaren, welche ein heterolog inseminiertes Kind haben. So wünschen sich an unserem Zentrum in St. Gallen rund ein Drittel dieser Paare ein zweites oder gar ein drittes Kind. Ehen, in welchen heterolog inseminierte Kinder aufwachsen, sind besonders stabil, die Schei­ dungsraten sind unterdurchschnittlich, die Missbildungs­ häufigkeit bei den Kindern ist eher kleiner als in der nor­ malen Population. Soweit bereits Ergebnisse aus Studien bekannt sind, entwickeln sich solche Kinder normal. Wenn sie später von ihrer ehefremden genetischen Her­ kunft erfahren, ertragen sie das offensichtlich ohne seeli­ sche Krisen. Umstritten ist die Frage, ob solche Kinder überhaupt über die Art der Erzeugung informiert werden sollen. Die Entscheidung über die Verantwortung für eine solche Aufklärung muss meiner Meinung nach dem El­ ternhaus überlassen werden. Diese Aufklärung hängt nämlich unter anderem wesentlich von der Einstellung der Gesellschaft zur heterologen Insemination ab. Alle Befragungen zeigten, dass die Ehepaare praktisch ohne Ausnahme auf der Anonymität bestehen. Dies gilt übri­ gens auch für die Samenspender. Der Vorwurf des Ehebruchs kann bei der Spenderinse­ mination wohl nicht angeführt werden, da ja gerade hier keine Absicht zu einem ehewidrigen erotischen Erlebnis vorliegt. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anonymität des Spenders dem Kinde schadet; dies lässt sich auch durch die Adoptionsforschung belegen. Sie zeigt, dass beim Menschen der Erfolg der Erziehung, die liebevolle Zuwendung und die verantwortungsvolle Hin­ wendung zum Kind nicht von der biologischen Beziehung zwischen Eltern und Kind abhängt.

R. Ziegler, einer der renommiertesten katholischen Moraltheologen auf diesem Gebiet, emeritierter Profes­ sor am moraltheologischen Seminar der Universität Mainz, meint dazu: «Falls die Ehegatten dem Kind grosse Bedeutung für ihr eheliches Zusammenleben einräumen, spricht alles dafür, dass im Interesse des Totums der Ehe durch eine extrakorporelle Zeugung diesem Wunsch stattgegeben werde. Die Struktur der Ehe wird dadurch nicht zerstört, sondern gefestigt. Ein sachgerechtes Urteil muss den Ein­ zelfall berücksichtigen.» Auch der aus Glarus stammende Bonner Moraltheolo­ ge, Prof. F. Böckle, stellt fest, dass bei der Wahl der Methode für den Arzt insbesondere die Erfolgsaussicht und die Schadenbegrenzung von entscheidender Bedeu­ tung sind: Die Frage nach der «Natürlichkeit des Ortes» hat sich dem unterzuordnen. «Wo Ehegatten wegen einer anders nicht überwindbaren Sterilität nur auf dem Wege einer extrakorporalen Befruchtung ein eigenes Kind er­ möglicht werden kann, vermag ich im blossen Eingriff in den natürlichen Vorgang der Zeugung keine sittenwidrige Handlung zu sehen!» Die Methode des intratubaren Gametentransfers wird aus moraltheologischer Sicht begrüsst, da der eigentliche Befruchtungsvorgang am natürlichen Ort stattfindet und menschlichem Zugriff entzogen abläuft. Damit werde die Verfügbarkeit des beginnenden menschlichen Lebens re­ duziert und die Gefahr des Missbrauchs in Form von Experimenten mit frühen Embryonen verringert.

Juristische Aspekte der Fortpflanzungsmedizin

Es sei im folgenden auf einige sich im Zusammenhang mit der künstlichen Insemination stellende Rechtsfragen eingegangen: Bei der homologen Insemination ergeben sich wenig Probleme. Der Arzt verwendet nicht Samenzellen eines Dritten, sondern die des Ehemannes. Der Vorgang gleicht weitgehend der natürlichen Zeugung in der Ehe. Bei der heterologen Insemination ist das Kind biolo­ gisch dasjenige eines Dritten. Dies wirft zwei Rechtsfra­ gen auf, nämlich: 1. Diejenige, wer rechtlich als der Vater des Kindes gelten solle. 2. Ob dem Kind um seiner Person willen ein Anspruch auf Kenntnis der Identität des Samenspenders zuzuer­ kennen ist. Das geltende Familienrecht lässt die Zielvorstellung erkennen, dass jedem Kind wenn möglich «sein Vater» zugeordnet sein solle, d.h. ein individuell bestimmter Mann, dem gegenüber das Kind Unterhaltsansprüche, Erbrecht und die höchstpersönlichen Kindesrechte hat. Dieser Mann braucht von Gesetzes wegen nicht unbe­

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Gametentransfer wurden Schwangerschaftsraten von bis zu 40% erreicht, also ein wesentlich besseres Ergebnis als mit In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer. Es gibt unterdessen bereits neuere Methoden. Sie ver­ binden die Vorteile der extrakorporalen Befruchtung mit denen des intratubaren Gametentransfers. Es handelt sich dabei um die Methode des intratubaren Embryotransfers. Nach einer Fertilisation in vitro wird dabei der frühe Embryo laparoskopisch in den Eileiter transferiert. Als weitere Methode bietet sich an, bereits 15-17 h nach der Befruchtung, das heisst vor der Embryowerdung, im sogenannten Vorkernstadium den intratubaren Transfer vorzunehmen. Dadurch kann die Schwanger­ schaftsrate erneut erhöht werden. Zu den Vorteilen der extrakorporalen Befruchtung gesellen sich also die Vor­ züge des intratubaren Transfers. Zudem kann der Prä­ embryo im Vorkernstadium beurteilt werden, wodurch überflüssige Transferversuche entfallen. Wie immer man diese verschiedenen Methoden der Sterilitätstherapie beurteilt, in medizinisch-psychologi­ scher Hinsicht zeigt sich ein positives Ergebnis bei den Ehepaaren, welche ein durch In-vitro-Fertilisierung und Embryotransfer gezeugtes Kind haben. Eine australische Untersuchung zeigt, dass sich in vitro fertilisierte Kinder in ihrer Entwicklung nicht von denjenigen der Gesamtbe­ völkerung unterscheiden. Wegen der psychischen Bela­ stungen ist unter Umständen und in gewissen Fällen die Mitwirkung eines Psychologen bei der Betreuung solcher Paare wünschenswert oder notwendig. Unter den Ethikern besteht ein hoher Grad an Über­ einstimmung darüber, dass die homologe Insemination, die homologe In-vitro-Fertilisation und der Gameten­ transfer als ultima ratio und unter gewissen Sicherheitsbe­ stimmungen sittlich zu verantworten sind. Die heterologe Insemination wird von den christlichen Ethikern aber fast einheilig abgelehnt. Sie sind der Ansicht, dass zwar nicht die eheliche Zeugung eines Kindes ersetzbar ist, wohl aber der eheliche Verkehr, welcher die Zeugung hervorruft. Das katholische römische Lehramt vertritt eine stren­ gere A »sicht. Nach diesem ist auch der eheliche Verkehr nicht rsetzbar. Aus diesem Grunde sind nur Reproduk­ tionstechniken tragbar, die «den vorausgesetzten eheli­ chen Verkehr technisch so vervollständigen, dass eine sonst ausgeschlossene eheliche Zeugung herbeigeführt wird». Dieser Ansicht und Begründung vermag die grosse Mehrheit christlicher Ethiker - und darunter auch ein Grossteil der katholischen Moraltheologen - nicht zu fol­ gen. Der Akt wechselseitiger Liebe ist für sie «nicht nur als im ehelichen Verkehr verleiblicht denkbar». Für sie kann auch die Zuhilfenahme einer Reproduktionstech­ nik, die den ehelichen Akt ersetzt, Ausdruck personaler Liebe der Gatten sein.

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Einigkeit besteht weitherum darüber, dass keine For­ schung und kein Handel mit lebenden menschlichen Embryonen getrieben werden darf. Nach geltendem schweizerischem Zivilrecht ist der Embryo vor der Im­ plantation noch nicht rechtsfähig.

Methoden, welche zur Vermeidung der Übertragung schwerer Erbkrankheiten angewandt werden

Wenden wir uns dem zweiten Problemkreis zu, den Methoden zur Vermeidung der Übertragung seltener Erb­ krankheiten. In der Praxis handelt es sich dabei um die künstliche Insemination mit Spendersamen, wenn der Mann von einem Erbleiden betroffen ist oder wenn beide Ehepart­ ner zwar klinisch gesund sind, aber Überträger eines defekten Gens sind. Beide können dann dieses defekte Gen mit einem Risiko von 25% einem gemeinsamen Kind weitergeben. Bei diesem würden die Kompensa­ tionsmöglichkeit durch ein normales Gen nicht bestehen. Es handelt sich also um Personen mit autosomal-domi­ nant vererbten degenerativen Gebrechen und um Über­ träger von Erbkrankheiten, die pränatal noch nicht dia­ gnostiziert werden können. Für sie können die Verfahren der Fortpflanzungshilfe ihrem genetischen Schicksal wirksam begegnen. Andererseits muss klar werden, dass mit der pränatalen Diagnose allgemein eine Methode ein­ gesetzt wird, die nicht nur die Therapie des kranken Kin­ des fordern soll, sondern, in Ermangelung therapeutischer Möglichkeiten, auch dessen Tötung einschliesst, um es selbst und andere vor drohendem Leiden zu bewahren.

Forschung an und mit Embryonen

Beim dritten Problemkreis geht es um die Forschung an und mit Embryonen. Die Ergebnisse von Tierversu­ chen sind nicht uneingeschränkt auf den Menschen über­ tragbar. Man muss bei rein wissenschaftlichen Fragestel­ lungen davon ausgehen, dass sie allein durch Untersu­ chungen von menschlichen Embryonen erfolgreich bear­ beitet werden können. Da die Erfolgsquote nach extrakorporaler Befruchtung derzeit nur bei 10-15% pro Therapieversuch liegt, sollen wissenschaftliche Untersuchungen zur Verbesserung der Ergebnisse durchgeführt werden. So zum Beispiel zur Ermittelung des günstigsten Zeitpunktes für einen Em­ bryotransfer. Als wissenschaftlich nicht erforderlich und unreali­ stisch werden Gentransfer in Keimbahnzellen als Forschungszielc abgelehnt: Reproduktionsbiologie und Gen­ technik dürfen sich auf dieser Ebene niemals verbinden. Ein allgemeiner Konsens zeichnet sich darüber ab, dass

Moderne Reproduktionsmedizin

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dingt der biologische Vater des Kindes zu sein. Vielmehr gilt grundsätzlich jener Mann, der mit der Kindsmutter verheiratet ist. ohne weiteres als Vater im Rechtssinne. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wis­ senschaften hat den Grundsatz der anonymen Keimzcllenspcnde bcibehalten. der schon in den Inseminations­ richtlinien von 1981 verankert war. Aus praktischen Gründen käme die Offenlegung der Spenderidentität gegenüber dem Kind nur dann in Frage, wenn dem Spender dadurch keine Alimentationspflicht und keine erbrechtliche Bindung gegenüber dem gezeug­ ten Kind entstehen. Da das Zivilgesetzbuch bis heute noch keine entsprechenden Schutzbestimmungen für den Samenspender enthält, könnten ohne Zusicherung der Anonymität keine Samenspender gefunden werden. Erst wenn der Gesetzgeber, etwa nach dem Vorbild Schwe­ dens, die entsprechende Klarheit schafft, ist die nichtano­ nyme Samenspende praktisch denkbar. Ob die anonyme Samenspende, wie sie bis heute prak­ tiziert wird, das Persönlichkeitsrecht des Kindes verletzt, ist eine unter Juristen vieldiskutierte Frage. Als Arzt, der den persönlichen Kontakt mit den Empfängerfamilien behält und den Sachverhalt aus eigener Anschauung be­ obachten kann, hat man den Eindruck, dass die Dinge lange nicht so dramatisch sind, wie sie in der juristischen Theorie zuweilen dargestellt werden. Bei der In-vitro-Fertilisation ergeben sich andere rechtliche Probleme. Im Vordergrund steht die Befürch­ tung von Missbräuchen, die mit lebenden menschlichen Embryonen getrieben werden könnten. Stichworte sind die Forschung an menschlichen Embryonen, ferner der Embryonenhandel. Um solchen Missbräuchen von An­ fang an den Riegel zu schieben, haben gewisse kantonale Gesetzgeber versucht, jede Aufbewahrung lebender menschlicher Embryonen kategorisch zu verbieten. Sol­ che Aufbewahrungsverbote werden mit logischer Not­ wendigkeit ergänzt durch das Verbot, überzählige Em­ bryonen entstehen zu lassen, und durch ein Gebot, stets alle entstandenen Embryonen unverzüglich bei der zu behandelnden Frau zu implantieren. Die Akademie der Medizinischen Wissenschaften empfiehlt in ihren neuen Richtlinien ein flexibleres Vor­ gehen. Beim heutigen Stand der Technik können befruch­ tete Eizellen mit Erfolgschance konserviert werden, unbe­ fruchtete nicht. Die Behandlungschancen werden also verbessert, wenn alle gewonnenen Eizellen zugleich be­ fruchtet und die zunächst überzähligen über mehrere Mo­ natszyklen bei der betreffenden Frau implantiert werden können. Die Akademie ist der Meinung, dass die im Zusammenhang mit den überzähligen Embryonen denk­ baren Missbräuche durch organisatorische Massnahmen und Kontrollen verhindert werden können und dass ein kategorisches Aufbewahrungsverbot übers Ziel hinausschiesst, zum Nachteil der zu behandelnden Frau.

die Manipulation der menschlichen Keimbahn ethisch nicht vertretbar ist, und dies wird zu gegebener Zeit welt­ weit gesetzlich zu verankern sein! Wenn man davon ausgeht, dass grundsätzlich For­ schung in einem gewissen Rahmen sinnvoll oder gar not­ wendig ist, dann muss unterschieden werden zwischen embryoerhaltenden Versuchen im Sinne einer therapeuti­ schen Forschung einerseits und dem sogenannten ver­ brauchenden Experiment. Bei diesem sind die Untersu­ chungen derart angelegt, dass der Erkenntnisgewinn auf Kosten des Lebens des Embryos erzielt wird. Solche For­ schung wurde bis jetzt weder in der BRD noch in der Schweiz angemeldet. Die bei der Embryonenforschung betroffenen Werte sind von so grundsätzlicher Bedeutung, dass im Hinblick auf politische Entscheidungen eine breite öffentliche Dis­ kussion notwendig ist. Diese Fragen sind Gegenstand weltweit kontrovers geführter Diskussionen. Sie wider­ spiegeln den Pluralismus gesellschaftlicher Wertvorstel­ lungen. Bei der Bemessung des Umfanges der Schutzwürdig­ keit menschlicher Embryonen stehen sich zwei Positio­ nen gegenüber. - Die eine fordert mit der Begründung, dass mit der Zeu­ gung das Menschsein beginne, einen ausnahmslosen, uneingeschränkten Schutz. - Auch die andere Position geht davon aus, dass der frühe Embryo des Schutzes bedarf. Sie weist jedoch daraufhin, dass sich die prozesshafte Verwirklichung des individuellen, personalen Seins in Realisierungs­ stufen vollzieht, die Entwicklung des menschlichen Lebens ein Kontinuum darstellt. Vergegenwärtigt man sich die Argumente für und ge­ gen Forschung an menschlichen Embryonen, ist zu erken­ nen, dass sich Positionen gegenüberstehen, die unterein­ ander nicht konsensfähig sind. Die Diskussion wird von beiden Seiten mit grosser emotionaler Verteidigung ge­ führt. Um so wichtiger ist eine möglichst grosse Überein­ stimmung in den Grundlagen der Wertvorstellungen.

Zusammenfassende Fragen

2. Dürfen wir aufgrund eigener Überzeugungen oder ärztlicher Richtlinien gegen den Willen der Frau über­ zählige Embryonen beseitigen, um den Problemen einer missbrauchssicheren Aufbewahrung aus dem Wege zu gehen? Fragen an den Juristen 1. Riskieren wir Ärzte, gegenüber dem Kind schaden­ ersatzpflichtig zu werden, wenn wir ihm die Identität des Samenspenders vorenthalten? 2. Ist unsere Verantwortung gegenüber dem Kind bei der künstlichen Insemination eine grundsätzlich andere als bei operativen und medikamentösen Sterilitätsbe­ handlungen? Fragen an die Ethiker und Moraltheologen 1. Ist künstliche Fortpflanzung ein unzulässiger Eingriff in die Schöpfung bzw. in die Natur? Unterscheidet sich dieser Eingriff qualitativ grundsätzlich von andern zi­ vilisatorischen Eingriffen in die Natur? 2. Ist es zulässig, unter dem Aspekt der Personhaftigkeit menschlichen Lebens das Vorkernstadium, den PräEmbryo, vom Embryo zu unterscheiden? Kommt es vor allem darauf an, was ein Wesen heute ist, oder vor allem darauf, was aus ihm werden kann - oder darf die eine Frage von der andern nicht getrennt werden? Fragen an die Politiker 1. Wo sind die Grenzen des Parlamentes im Rahmen der Gesetzgebung bei solchen hochkomplizierten wissen­ schaftlichen Fragen, und ist das Parlament überhaupt in der Lage, verbindlich Recht zu setzen. Müssen Wis­ senschaft und Ethik nicht vermehrt in die Entschei­ dungsfindung einbezogen werden? 2. Sollte als Leitlinie, welche das Parlament legiferiert. neben dem Grundsatz der Menschenwürde nicht ver­ mehrt auch der Grundsatz des selbstverantwortlichen Handelns aufgenommen werden? Das heisst, dass der Staat nur soviel ins Privatleben eingreift, als die Frei­ heit des Einzelnen gewährleistet ist, denn die Freiheit des Einzelnen hört dort auf, wo die Freiheit des Näch­ sten beginnt, wobei darunter auch unsere nächste Ge­ neration verstanden werden muss!

Fragen an die Mediziner 1. Dürfen wir Ärzte aufgrund eigener Überzeugungen oder ärztlicher Richtlinien den zu behandelnden Frauen eine Methode künstlicher Fortpflanzung vor­ enthalten - auch wenn diese Methode nach Chancen-, Risiko- und Kostenerwägungen im konkreten Fall als die primär indizierte erscheint?

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Lassen sie mich anstelle einer Zusammenfassung des Gesagten für jedes von mir erwähnten Kapitel zwei Fragen stellen:

1 Beck L. Heywinkel H: Berechtigte und unbe­ rechtigte Befürchtungen in der Reproduktions­ medizin. Gynäkologe 1990:23:249-251. 2 Beller FK: When does human life begin? Int J Gynaecol Obstet 1991:34:305-307. 3 Bitzer J: Reproduktionsmedizin - psychoso­ matische Aspekte. DIA GM 1988; 18:51 —53. 4 Böckle F: Dem Leben verpflichtet. Gynäkol Rundsch 1989;29(suppl I ):4—16. 5 Bondolfi A: Ethik und Selbsterhaltung. Frei­ burg i Ue. Universitätsverlag, 1990. 6 Bondolfi A: Die vorgeburtlichen Diagnose­ möglichkeiten und ihre ethische Brisanz. Schweiz. Ärzteztg 1991 ;72:930—934. 7 Brückner Ch: Künstliche Fortpflanzung und Forschung am Embryo in vitro - Gedanken de lege ferenda. Schweiz Justenz.tg 1985:81:381390. 8 Brückner Ch: Fortpflanzungsmedizin und Hu­ mangenetik auf dem Prüfstand des Gesetzge­ bers. Schweiz Ärzteztg 1989:70:93-99. 9 Dämmer K: Leben in Menschenhand. Grund­ lagen des bioethischen Grsprächs. Freiburg i Ue, Universitätsverlag. 1987. 10 Eid V: Bioethische Probleme. Moraltheologi­ sches Jahrbuch 1. Mainz. Matthias-Grünewald-Verlag, 1989.

11 Ernst C: Künstliche Zeugung und Psychologie. Neue Zürcher Ztg, 6. Februar 1988. 12 Fuchs J: Für eine menschliche Moral 1988. Freiburg i Ue, Universitätsverlag 1989. 13 Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embry­ onenschutzgesetz - ESchG). Beschluss vom 24.10.1990. 230. Sitzung, Deutscher Bundes­ tag. Frauenarzt 1990:32:31-33. 14 Grewel H: Recht auf Leben. Drängende Fragen christlicher Ethik. Göttingen, VantdenhoeckRuprccht, 1990. 15 Hegnauer C: Künstliche Fortpflanzung und Vertrag. Bern, Stämpfli. 1990. 16 Hepp H: Reproduktionsmedizin im Span­ nungsfeld von Ethik und Recht. Gynäkologe 1988;21:1-12. 17 Ludwig H: 10 Jahre extrakorporale Befruch­ tung. Schweiz Ärzteztg 1988:69:1026-1029. 18 Merz B: Die medizinische, ethische und juristi­ sche Problematik artifizieller menschlicher Fortpflanzung. Inauguraldissertation. Frank­ furt am Main. Lang. 1991. 19 Müller Hj: Pränatale Diagnostik. Schweiz Med Wochenschr 1990;120:269-274.

20 Pletscher A, Courvoisier B: Medizinisch-ethi­ sche Richtlinien für die ärztlich assistierte Fortpflanzung. Schweiz Ärzteztg 1991:72:374376. 21 Ringeling H: Leben im Anspruch der Schöp­ fung. Freiburg i Ue. Universitätsverlag, 1988. 22 Schreier MH: Gentechnologie: Ein Segen oder eine Bedrohung für die Medizin. Öffentliche Antrittsvorlesung. Basel 1989. 23 Medizinisch-ethische Richtlinien für die ärzt­ lich assistierte Fortpflanzung. Basel. Schweize­ rische Akademie der Medizinischen Wissen­ schaften, 1991. 24 Suarez A: Ist der menschliche Embryo eine Person? Ein rationaler Beweis. Schweiz Ärz­ teztg 1988;69:1030-1033. 25 Suarez. A: Ist der Mensch eine Person in jedem Zeitpunkt seines Lebens? Schweiz. Ärzteztg 1989;70:2084-2087. 26 Wolf I: Internationales Symposium über den Beginn des menschlichen Lebens. Frauenarzt 1991;32:328-329. 27 Ziegler R: Moraltheologische Stellungsnahme zur extrakorporalen Zeugung. Arch Gynecol 1985:238:117.

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Haller

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Empfohlene Literatur

[Modern reproduction medicine. Reflections of a clinician].

Gynäkol Geburtsh Rundsch 1992;32:2-10 UHal,er Moderne Reproduktionsmedizin Departement für Frauenheilkunde, Universitätsspital, Zürich. Schweiz Ge...
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