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I

Respiratorentwöhnung

Die Atemmuskelpumpe – Bedeutung für die Respiratorentwöhnung

Die Atemmuskelpumpe und die hinter diesem System stehenden Regelungssysteme des menschlichen Körpers sind von elementarer Bedeutung für die Respiratorentwöhnung. In der klinischen Routine kommt die Messung von Atemmuskelkraft und -ausdauer häufig zu kurz, obgleich es notwendig ist, deren Funktionsfähigkeit für ein erfolgreiches Weaning zu überprüfen. Dieser Artikel informiert über die anatomischen und physiologischen Grundlagen und zeigt die verschiedenen Messmethoden auf, mit deren Hilfe eingeschätzt werden kann, ob und in welcher Form eine Respiratorentwöhnung möglich ist. Funktion und Aufbau der Atemmuskelpumpe



Funktion Die Atmungsmuskulatur gewährleistet im Sinne einer „Atempumpe“ die Aufrechterhaltung der alveolären Ventilation. Sie ist in ein komplexes Organ- und Regelungssystem integriert. Ein Versagen der Atempumpe geht mit dem Leitwert Hyperkapnie und – bei akutem Auftreten – mit einer konsekutiven respiratorischen Azidose einher [1, 2]. Aufbau Die Atempumpe besteht aus ▶ dem zentralen Atemzentrum, ▶ den knöchernen Strukturen des Thorax, ▶ dem Diaphragma, ▶ der in- und exspiratorischen Atemhilfsmuskulatur und ▶ den an der Innervation dieser Muskulatur beteiligten nervalen Strukturen.

Zwerchfell Das Zwerchfell ist der zentrale Inspirationsmuskel und hat daher eine übergeordnete Funktion bei der Aufrechterhaltung der Atmung. Es besteht zu ca. 55 % aus Typ-1-Muskelfasern, die zwar eine hohe Resistenz gegenüber Erschöpfung aufweisen, andererseits aber nur relativ geringe Kraft aufbringen können. Die restlichen 45 % der Zwerchfellmuskulatur sind Typ-2-Fasern (2aund 2b-Fasern). Diese Muskelfasern sind mittel bis hoch anfällig für Erschöpfung, dafür aber in der Lage, eine relativ hohe Muskelkraft aufzubringen. Während der normalen Ruheatmung sind

die Typ-1-Fasern fortwährend aktiv, während die Typ-2-Muskelfasern bei hohem Bedarf an Atemminutenvolumen sequenziell zur Erbringung der Atemarbeit rekrutiert werden. Während der Ruheatmung wird die Atemmuskulatur in einem Frequenzbereich von 10–20 Hz innerviert, während Frequenzen von 60–100 Hz kraftvollere Kontraktionen erzeugen [3].

Muskuläre Erschöpfung / muskuläre Schwäche Wie jeder andere Muskel kann sich auch die Atemmuskulatur erschöpfen. Muskuläre Erschöpfung (engl. „fatigue“) ist definiert als ein bei Ruhe reversibler (temporärer) Zustand, in dem ein Muskel nicht mehr in der Lage ist, die zur Aufrechterhaltung der normalen Funktion notwendige Muskelkraft und / oder Geschwindigkeit aufzubringen [4]. Im Gegensatz dazu ist die muskuläre Schwäche (engl.: „muscle weakness“) definiert als die Unfähigkeit eines Muskels, eine benötigte Kraft bzw. Geschwindigkeit in Ruhe aufzubringen.

Monitoring



Beurteilung der Atemmuskelkraft / -funktion Die bettseitige Beurteilung der Atemmuskelkraft und -funktion auf der Intensivstation ist in der Respiratorentwöhnung eine Herausforderung für den Kliniker.

Pathologische Änderungen bei kritisch Kranken Pathologische Änderungen von Atemfrequenz (AF) und Atemzugvolumen (= Tidalvolumen; V T) sind bei kritisch kranken Patienten häufig. Eine hinreichend hohe Anzahl von Studien belegt, dass ein durch hohe Frequenz und kleine Tidalvolumina charakterisiertes Atemmuster (rapid shallow breathing, RSB) häufig mit progressiven Versagen der Atemmuskelpumpe einher- oder der gescheiterten Entwöhnung vom Respirator vorausgeht [5, 6].

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Philipp A. Pickerodt • Roland C. E. Francis • Steffen Weber-Carstens

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Vorteil dieses Monitoringverfahrens ist die einfache und nicht invasive Anwendbarkeit sowie der in Studien belegte klinische Stellenwert.

▶ Da RSB wahrscheinlich eine Reflexantwort auf eine gesteigerte Atemarbeit und nicht nur Folge der muskulären Erschöpfung der Atemmuskelpumpe ist, ist jedoch die Spezifität des RSBI als Marker für die muskuläre Erschöpfung der Atempumpe niedrig [4].

Visuelle Analyse der Atemmechanik Die bettseitige visuelle Analyse der Atemmechanik ist ein einfacher klinischer Weg, pathologische Atemmuster zu detektieren und hat daher einen Stellenwert in der angewandten klinischen Routine. Bei Erschöpfung der Atemmuskulatur lassen sich vornehmlich 2 Atemmuster unterscheiden: 1. steigende Variabilität in der Rekrutierung von Thoraxwand- und abdomineller Atemhilfsmuskulatur: Atemzüge mit klarer Favorisierung der Atemhilfsmuskulatur des Thorax alternieren mit Atemzügen, die durch Rekrutierung der abdominellen Muskulatur bestimmt sind. Da sich beide Kompartimente (Atemhilfsmuskulatur der Thoraxwand und Zwerchfell) auch getrennt voneinander muskulär erschöpfen können, scheint der pathophysiologische „Sinn“ dieses alternierenden Atemmusters die Verzögerung der globalen Erschöpfung der Atemmuskelpumpe durch Arbeitsentlastung des jeweilig inaktiven Kompartiments zu sein [4, 7]. 2. paradoxe Atmung: Dieses Atemmuster ist gekennzeichnet durch eine klar sichtbare paradoxe Bewegung der jeweiligen Komponente der Muskulatur der Atempumpe. Klassisch ist hier die Einziehung des Abdomens während der Inspiration als Ausdruck der insuffizienten oder fehlenden Kontraktion des Diaphragmas [7[. Diesem Monitoringverfahren fehlt aber ebenfalls die Genauigkeit, eine muskuläre Belastung der Atemmuskulatur zu quantifizieren.

Glossar AF

Atemfrequenz

FRC

funktionelle Residualkapazität

PImax

max. inspiratorischer Druck

Pab

abdomineller Druck

Paw, twitch

Atemwegsdruckänderung nach Magnetstimulation

Pdi

transdiaphragmaler Druck

Pdi, twitch

transdiaphragmale Druckänderung nach Magnetstimulation

Pes

Ösophagusdruck

Pga

gastraler Druck

Ppl

Pleuradruck

PaO2

arterieller O2-Partialdruck

VT

Tidalvolumen

VIDD

ventilatorinduzierte Dysfunktion des Diaphragmas

▶ die Aktivität der Atemmuskulatur während mechanischer Beatmung und ▶ mögliche Asynchronien in der Interaktion zwischen Patient und Beatmungsgerät. Die so gewonnenen Informationen sind von Bedeutung, tragen jedoch nicht zur Quantifizierung der Funktion der Atemmuskelpumpe bei. Sie ermöglichen aber z. B. das Erkennen von intrinsischem positiven endexspiratorischem Atemwegsdruck (intrinsic positive end-expiratory pressure, PEEPI), verzögertes oder exzessives Auslösen (triggering) der applizierten Druckunterstützung oder das Erkennen von Missverhältnisse der am Gerät eingestellten Atemzeitverhältnisse [8].

Volitionale Verfahren Die Validität erhobener Daten hängt sehr davon ab, ob es sich bei dem jeweiligen Testverfahren um ein „volitionales Verfahren“ – also ein vom Willen zur Mitarbeit des Patienten abhängiges Testverfahren – oder um ein von der Mitarbeit des Patienten unabhängiges Testverfahren handelt. Bei allen volitionalen Monitoringverfahren der Atemmuskelkraft sind die Testresultate oft schwer zu interpretieren, da nicht eindeutig beurteilt werden kann, inwieweit ein Patient eine max. Atemanstrengung unternimmt.

Analyse der Fluss- und Atemwegsdruckkurven Aus der Formanalyse der Fluss- und Atemwegsdruckkurve lassen sich bettseitig wichtige Informationen gewinnen über

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Monitoringsystem Heute übermitteln viele der auf Intensivstationen verwendeten PatientenDaten-Managementsysteme (PDMS) AF und V T automatisiert. Daher sind beide Parameter leicht über einen vordefinierten Zeitraum in ein Verhältnis zu setzen (AF/V T; sog. Rapid-ShallowBreathing-Index, RSBI) und zu bewerten.

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I Maximaler inspiratorischer Druck (PImax)



Transdiaphragmaler Druck



Definiton Der transdiaphragmale Druck (Pdi) ist definiert als ▶ die Druckdifferenz zwischen Pleuradruck (Ppl) und abdominellem Druck (Pab). Bei spontan atmenden Patienten steigt in der Inspiration der gastrale Druck an, während der Pleuradruck abnimmt. Da das Diaphragma der einzige Muskel ist, bei dessen Kontraktion Ppl abnimmt und Pab zeitgleich ansteigt, ist ein Anstieg von Pdi das Resultat einer aktiven Zwerchfellkontraktion.

Durch Beschreibung des Verhältnisses der inspiratorischen abdominellen Druckänderung zur Änderung des inspiratorischen transdiaphragmalen Drucks (ΔPab/ ΔPdi) lässt sich quantifizieren, welchen Anteil die Kontraktion des Zwerchfells an der Atmung übernimmt. Je höher dieser Quotient, desto mehr trägt das Zwerchfell zum pro Atemzug erzielten Tidalvolumen bei und desto kleiner ist die Beteiligung der thorakalen Atemhilfsmuskulatur [4].

Messverfahren Da beide Drücke nicht direkt gemessen werden können, werden in der Praxis ▶ der Ösophagusdruck (Pes) und ▶ der gastrale Druck (Pga) als Surrogatparameter für Pleura- und intraabdominellen Druck über Ballonkatheter gemessen. Mittels invasiver Techniken ermöglichte Vergleiche belegen eine exzellente Korrelation zwischen Pes und Ppl auch bei invasiv beatmeten Patienten. Heute stehen hierfür Ernährungssonden zur Verfügung, die über 2 mit Luft zu füllende dünnwandige Ballons die direkte simultane Messung von Pes und Pga erlauben. Sie ermöglichen es gleichzeitig, den Patienten unterbrechungsfrei enteral zu ernähren [11]. Problematik des Messverfahrens Prinzipiell eignet sich die Messung des transdiaphragmalen Drucks und der aus ihr abgeleiteten Indices sehr gut, um die muskuläre Funktion des Zwerchfells zu quantifizieren. ▶ Die Platzierung der jeweilig verwendeten Messsonden erfordert allerdings Übung. Die visuelle Analyse der aufgezeichneten Druckkurven birgt zudem Fehlerquellen, die zu falschen Messergebnissen führen können [12, 13]. Daher hat dieses Monitoringverfahren bisher keinen breiten Einzug in die bettseitige Evaluation der Zwerchfellfunktion gehalten.

Zervikale magnetische / elektrische Stimulation des Nervus phrenicus



Vorgehensweise Mit diesem Messverfahren lässt sich durch Positionierung magnetischer Spulen (oder durch elektrische Nadelstimulation) der Nervus phrenicus beidseitig stimulieren. Die resultierende Zuckung (engl.: twich) des Diaphragmas bedingt dann bei gleichzeitiger Atemwegsokklusion eine Änderung des transdiaphragmalen, des ösophagealen und des Atemwegsdruckes.

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Müller-Manöver Bei diesem nicht invasiven Messmanöver muss die Testperson eine max. mögliche Atemanstrengung gegen einen geschlossenen Atemweg durchführen (MüllerManöver), wobei die Druckänderung am Mund bzw. Tubus gemessen wird. Die gemessene Druckdifferenz zwischen Atmosphäre und Atemwegsdruck nimmt mit dem Grad der muskulären Erschöpfung der Atemmuskelpumpe ab. Es wird deutlich, dass dieses Messverfahren von der Kooperation des Patienten abhängig ist. Durch Verwendung einer unidirektionalen Klappe, die zwar die Exspiration erlaubt, die Inspiration aber verhindert, kann der Test auf dem Niveau der funktionellen Residualkapazität (functional redual capacity, FRC) des Patienten durchgeführt werden. ▶ Dies dient zum einen der methodischen Standardisierung, zum anderen können auf FRCNiveau die höchsten PImax-Werte erreicht werden [9]. Eine aktuelle Übersichtsarbeit von Evans et al. zeigt exzellent die methodischen Probleme und die altersabhängigen Normwerte des zu erreichenden PImax [10]. Der Vergleich der dort zitierten Schwankungsbreite für die zu erzielenden Normwerte des PImax macht deutlich, dass dieser Parameter ebenfalls eine nur geringe Spezifität hinsichtlich Prädiktion aufweisen kann, z. B. hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer angestrebten Respiratorentwöhnung. Hohe PImax-Werte weisen in der Zusammenschau mit den Befunden weiterer Messmethoden darauf hin, dass die maschinelle Beatmung erfolgreich beendet werden kann. Allerdings limitiert die schlechte intraindividuelle Reproduzierbarkeit der PImax-Werte den klinischen Stellenwert dieses Monitoringverfahrens [4].

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Vorteil Obwohl die Korrelation der erzeugten Atemwegsdruckänderung (Paw, twitch) und der transdiaphragmalen Druckänderung (Pdi, twitch) hoch ist, ist der Paw, twitch kein guter Prädiktor für Änderungen des Pdi, twitch. Die hohe Reproduzierbarkeit der Paw, twitch-Änderungen hat aber zu der Annahme geführt, dass auch die alleinige Messung von Paw, twitch das Monitoring der Atemmuskelpumpenfunktion erlaubt [14]. Eindeutiger Vorteil dieser Methode bleibt unbestritten, dass es sich um ein nicht volationales Verfahren mit exzellenter Reproduzierbarkeit handelt. ▶ Da die Magnetstimulation des Zwerchfells zwar teuer, aber schmerzfrei ist (im Gegensatz zur Nadelstimulation), wird ihr als Untersucherunabhängigem und bettseitig anwendbarem Monitoringverfahren ein hohes Potenzial zur Evaluation der Zwerchfellfunktion zugeschrieben [15].

Gleichgewicht zwischen Entlastung und Belastung



Pathogenetischer Faktor Das Ungleichgewicht zwischen erhöhter Belastung und verminderter Kapazität der Inspirationsmuskulatur mit nachfolgender Ermüdung und Erschöpfung der Muskulatur ist der wesentliche pathogenetische Faktor eines Entwöhnungsversagens vom Respirator.

Zwerchfell als Hauptatemmuskel Das Zwerchfell als Hauptatemmuskel ist ein Ausdauermuskel, der bei einer Dauerbelastung bis etwa 40 % der möglichen Maximalkraft eine hohe Resistenz gegen Erschöpfung aufweist. Eine exzessive Dauerbelastung während maschineller Beatmung oberhalb dieser Grenze führt aber zur schnellen Ermüdung bis hin zu struktureller Schädigung des Zwerchfellsmuskels. Die Geschwindigkeit, mit der eine Erschöpfung auftritt, ist abhängig vom Ausmaß der Überlastung und der Inspirationszeit im Atemzyklus. Diese Beziehung wird im Tension-Time-Index des Diaphragmas ausgedrückt: ▶ TTIdi= (ΔPdi/Pdimax) × (TI/Ttotal)

Der TTIdi steigt um so mehr, je höher die transdiaphragmale Druckdifferenz und je höher die Inspirationsgeschwindigkeit ist [16, 17 ]. Er ist in Abhängigkeit von Atemfrequenz, Atemmuster und aufgebrachter Kontraktionskraft eng korreliert mit dem diaphragmalen nutritiven Blutfluss und Sauerstoffangebot [16–18].

Beides (diaphragmaler nutritiver Blutfluss und Sauerstoffangebot) sind die Parameter, die Ausdauer respektive Ermüdung des Zwerchfells unter Belastung während mechanischer Beatmung determinieren.

Physiologie Unter einer erhöhten inspiratorisch resistiven Last tierexperimentell beschrieben sind ▶ eine Störung der Integrität des Sarkolemm mit einer durchlässigeren Muskelmembran – insbesondere der Typ-I Fasern – sowie ▶ eine verletzte Faserarchitektur des Zwerchfells [19, 20]. Beim Menschen führt eine inspiratorische Belastung des Zwerchfells, die mit max. Anstrengung über 1 min aufrechterhalten werden kann, zu einer signifikanten Verletzung der Sarkomerstruktur des Zwerchfells. Das konnten OrozcoLevi und Koautoren eindrucksvoll sowohl bei gesunden Probanden als auch in stärkerer Ausprägung bei Patienten mit COPD zeigen [21]. Funktionell führen schon wenige Minuten einer exzessiven Belastung der Zwerchfellmuskulatur zu einem messbaren Kraftverlust des Zwerchfells sowie zu einer protrahierten Erholung, die für beinahe 24 h bis zur vollständigen Erholung andauern kann [22]. Inflammatorische Reaktion Der oxidative Stress bei Überlastung der Atemmuskulatur führt nicht nur zur Ermüdung und den beschriebenen Veränderungen des Zwerchfellmuskels, sondern induziert eine inflammatorische Reaktion im Zwerchfellmuskel. Diese kann als systemische Inflammation mit erhöhten Zytokinen und vermehrter Lymphozytenaktivierung messbar sein. Verantwortlich gemacht wird die inflammatorische Reaktion im Zwerchfellmuskel ▶ einerseits für eine herabgesetzte Muskelkontraktilität, ▶ andererseits aber auch für die Induktion regenerativer Mechanismen lokal im Zwerchfellmuskel [23]. Entlastung der Atemmuskulatur Vor dem Hintergrund der skizzierten Mechanismen kommt der Prävention des Atemmuskelpumpenversagens in der Respiratorentwöhnung eine zentrale Bedeutung zu. Vielfach konnte für verschiedene klinische Situationen gezeigt werden, dass eine Entlastung der Atemmuskulatur unter dem passageren Ein-

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Durch Anwendung eines immer gleichen Reizes lassen sich diese Druckänderungen – völlig unabhängig von der Kooperation des Patienten – als Maß für die muskuläre Funktionsfähigkeit des Zwerchfells aufzeichnen. Zudem erlaubt es dieses Messverfahren, auch intra-individuelle Messwertänderungen über die Zeit unter immer gleichen Messbedingungen aufzuzeichnen (Zeitreihenanalysen der Zwerchfell-Kontraktilität).

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Bedeutung für den Kliniker Es ist offensichtlich eine Herausforderung für den Kliniker, die atemmuskuläre Kapazität zu messen und abzuschätzen, in welchem Ausmaß die Muskulatur unterstützt und entlastet werden muss. In den letzten Jahren ist eindrücklich gezeigt worden, dass eine vollentlastende kontrollierte Beatmung im Sinne einer Inaktivitätsatrophie bei kritisch Kranken schon sehr schnell Mechanismen induziert, die im Zwerchfell zu Proteindegradation und Muskelatrophie und klinisch zur ventilatorinduzierten Dysfunktion des Diaphragmas (VIDD) führen können [24–28].

Atrophiegene Als regulierender Prozess dieser Abbauprozesse ist das Ubiquitin-ProteasomSystem identifiziert worden. Hierbei sind die muskelspezifischen E3-Ligasen „muscle-ring-finger protein 1“ (MuRF-1) und Atrogin-1 von Bedeutung. Eine Studie von Levine et al. an beatmeten Organspendern ergab, dass sich bereits nach einer wenige Tage dauernden Beatmungszeit eine Hochregulierung der „Atrophiegene“ zeigte, welche diese muskelspezifischen E3-Ligasen kodieren. Außerdem nahm der Muskelfaserquerschnitt ab [29, 30]. Die Gruppe um Welvaart et al. konnte kürzlich nachweisen, dass die Hochregulation von „Atrophiegenen“ bereits nach 2-stündiger Beatmung stattfindet und zu einem signifikanten Kraftverlust der Diaphragmamuskulatur führt [31]. Prävalenz der VIDD Die Arbeitsgruppe um Samir Jaber maß die VIDD über die Änderung des transdiaphragmalen und des Atemwegsdruckes nach Magnetstimulation des N. phrenicus. Sie konnte zeigen, dass diese insbesondere bei Patienten mit Sepsis und höheren SAPS-II-Werten ▶ schon bei Aufnahme auf die Intensivstation eine hohe Prävalenz hat, ▶ mit der Beatmungsdauer zunimmt und ▶ mit einer schlechteren Prognose, aber nicht mit einer insgesamt verlängerten Beatmungszeit assoziiert ist [32]. Der Erhalt der Spontanatmung respektive der Zwerchfellaktivität mit Hilfe assistierter oder assistiert -kontrollierter Beatmungsmodi gewinnt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung in der maschinellen Beatmungstherapie. Inwieweit darüber die Entwicklung einer VIDD verringert werden kann, müssen entsprechenden Studien noch belegen.

Atemmuskelpumpenversagen: therapeutische Optionen



Inspiratorisches Muskeltraining Das inspiratorische Muskeltraining ist eine Methode, mit der durch eine zeitlich limitierte Applikation einer inspiratorischen Last die Ausdauer und Leistungsfähigkeit der Atemmuskulatur trainiert werden kann. Dies konnte bei nicht beatmeten Patienten, z. B. bei Patienten mit chronischer Lungenerkrankung, aber auch bei Ausdauerathleten gezeigt werden [33]. Für beatmete Patienten ist dies Gegenstand verschiedener Untersuchungen. Allerdings fehlen noch die Ergebnisse großer Studien, die zeigen, dass ein inspiratorisches Muskeltraining die Beatmungszeit verkürzt. ▶ Kürzlich konnte nachgewiesen werden, dass während der Entwöhnung vom Respirator täglich kurze Phasen eines inspiratorischen Muskeltrainings zu einer signifikanten Verbesserung der Zwerchfellkraft bei Patienten mit Entwöhnungsversagen führt [34]. Dabei wurde für die Zeit des Trainings ein inspiratorischer Widerstand in den Inspirationsschenkel des Beatmungssystems geschaltet, der eine Belastung der Atemmuskelpumpe bis etwa 30 % der individuellen max. Kontraktionskraft des Zwerchfells bewirkt. ▶ Denkbar ist, dass ein solches Muskeltraining der Atempumpe über eine verbesserte Durchblutung und einen gesteigerten Energiestoffwechsel im Zwerchfell den Erhalt respektive die Restitution von Typ-1- und Typ-2-Muskelfasern im Zwerchfell fördert und darüber die Entwöhnung vom Respirator verkürzen kann [33]. Fazit Die Funktion der Atemmuskulatur zu erfassen und zu beurteilen, hat eine elementare Bedeutung für die Respiratorentwöhnung beatmeter Patienten. Gleichwohl ist die Messung von Atemmuskelkraft und ausdauer in der klinischen Routine nicht sehr weit verbreitet. Die Bestimmung des Rapid-ShallowBreathing-Index ist eine wertvolle Hilfe, um die Belastung der Atempumpe einzuschätzen und ein Entwöhnungsversagens zu vermeiden. Allerdings ersetzt dieser Parameter die Messung von Atemmuskelkraft und Ausdauer nicht, soll die Beatmungstherapie an die Bedürfnisse und Möglichkeiten insbesondere von Patienten mit schwieriger oder prolongierter Entwöhnung angepasst werden. Ziel der Beatmungstherapie während der Entwöhnung vom Respirator ist es, ein Gleichgewicht zwischen Ent- und Belastung der Atemmuskulatur zu finden. Inwieweit und bei welchen Patienten ein inspiratorisches Muskeltraining die Entwöhnung vom Respirator beschleunigt, bleibt Gegenstand weiterer Studien und kann derzeit nicht eindeutig beantwortet werden. ◀

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satz nicht invasiver oder invasiver mechanischer Beatmung die Erschöpfung der Atemmuskulatur verhindert respektive zu einer Erholung der erschöpften Atemmuskulatur führt.

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I Kernaussagen ▶ Die bettseitige Beurteilung der Atemmuskelkraft und -funktion auf der Intensivstation ist in der Respiratorentwöhnung eine Herausforderung für den Kliniker. ▶ Der Rapid-Shallow-Breathing-Index (RSBI) hat den Vorteil, dass er über die auf Intensivstationen verwendeten Patienten-Daten-Managementsysteme einfach zu ermitteln ist. Dabei ist er nicht invasiv. ▶ Bei der visuellen Analyse der Atemmuster fehlt die Genauigkeit, eine muskuläre Belastung der Atemmuskulatur zu quantifizieren. ▶ Mit der Analyse der Form der Fluss- und Atemwegsdruckkurve lassen sich bettseitig wichtige Informationen gewinnen über die Aktivität der Atemmuskulatur während mechanischer Beatmung und über mögliche Asynchronien in der Interaktion zwischen Patient und Beatmungsgerät. Es ist jedoch keine Quantifizierung der Funktion der Atemmuskelpumpe möglich.

▶ Beim Müller-Manöver muss die Testperson eine max. mögliche Atemanstrengung gegen einen geschlossenen Atemweg durchführen. Durch Verwendung einer unidirektionalen Klappe, die zwar die Exspiration erlaubt, die Inspiration aber verhindert, kann der Test auf dem Niveau der funktionellen Residualkapazität des Patienten durchgeführt werden. ▶ Durch Beschreibung des Verhältnisses der inspiratorischen abdominellen Druckänderung zur Änderung des inspiratorischen transdiaphragmalen Drucks (ΔPab/ ΔPdi) lässt sich quantifizieren, welchen Anteil die Kontraktion des Zwerchfells an der Atmung übernimmt. ▶ Bei zervikaler magnetischer oder elektrischer Stimulation des Nervus phrenicus lassen sich die Druckänderungen durch Anwendung eines immer gleichen Reizes – völlig unabhängig von der Kooperation des Patienten – als Maß für die muskuläre Funktionsfähigkeit des Zwerchfells aufzeichnen. ▶ Das Ungleichgewicht zwischen erhöhter Belastung und verminderter Kapazität der Inspirationsmuskulatur mit nachfolgender Ermüdung und Erschöpfung der Muskulatur ist der wesentliche pathogenetische Faktor eines Entwöhnungsversagens vom Respirator. Vor diesem Hintergrund kommt der Prävention des Atemmuskelpumpenversagens in der Respiratorentwöhnung eine zentrale Bedeutung zu.

Dr. med. Philipp A. Pickerodt ist Assistenzarzt an der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Campus Virchow Klinikum und Campus Mitte, Charité – Universitätsmedizin Berlin. E-Mail: [email protected]

PD Dr. Roland C. E. Francis ist Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin. E-Mail: [email protected]

Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-0033-1358628

VNR: 2760512013141210030

Literatur online Das Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet:

PD Dr. Steffen Weber-Carstens gehört zur erweiterten Klinikleitung der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Charité - Universitätsmedizin Berlin. E-Mail: Steff[email protected]

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▶ Bei allen volitionalen Monitoringverfahren der Atemmuskelkraft sind die Testresultate oft schwer zu interpretieren, da nicht eindeutig beurteilt werden kann, inwieweit der Patient eine max. Atemanstrengung unternimmt.

[Monitoring of the respiratory muscle function during weaning from mechanical ventilation].

Early weaning and discontinuation of mechanical ventilation can help prevent respiratory muscle dysfunction in critically ill patients. Prolonged mech...
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