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Fortschr. Röntgenstr. 124, 6

Fortschr. Rönrgenstr. 124, 6 (1976) 516S19 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Von P. Stoeter und K. Voigt 2 Abbildungen Zenrrum für Radiologie und Neurologische Universitäts-Klinik mit Abteilung für Neurophysiologie (Prof. R. Jung) der Universität Freiburg i. Br.

Bei einer S4jährigen Frau, die an einer kulturell gesicherten tuberkulösen Meningitis erkrankt war, ließen sich angiographisch die für die tuberkulöse Arteriitis typischen Zeichen nachweisen: Stenosierung des supraklinoidalen Karotissiphonschenkels rechts und der Basilararterie, multiple periphere Mediaastverschlüsse und ein leichter Hydrocephalus internus. Als Rarität fanden sich zusätzlich seltene Kollateralversorgungen durch ein basales Moyamoya-Gefäßnetz, das den ebenfalls verschlossenen rechten Mediahauptstamm überbrückte, sowie eine transtentorielle Anastomose des linken Ramus meningeus der Arteria vertebralis, der das distale Versorgungsgebiet der rechten Arteria cerebri posterior orthograd füllte. Der Entstehungsmechanismus und Röntgenbefund dieser seltenen, symptomatischen Kollateralen bei tuberkulöser Meningo-Arteriitis werden diskutiert. Kollateralversorgungen intrakranieller Gefäßstenosen und -verschlüsse bedienen sich häufig präformierter und bereits bekannter Umgehungskreisläufe, wie vorwiegend des Circulus Willisii oder anastomosierender Äste der Arteria ophthalmica (Mount u. Taveras, 1957). Die Ausbildung netzförmi-

ger, angiomähnlicher Gefäßanastomosen wie beim Moyamoya-Syndrom ist dagegen selten. Es handelt sich dabei um ein Geflecht erweiterter Arterien im Stammganglienbereich, das eine zumeist suprakiinoidal gelegene Karotisstenose überbrückt. Ursprünglich wurde das Moyamoya-Syndrom wegen begleitender Gefäßmißbildungen, wie Aneurysmen, Primitivarterien oder vaskulärer Fusionsanomalien (André u. Picard, 1974; Voigt u. Stoeter, 1975), dem überwiegenden Auftreten bei Jugendlichen und Kindern und gelegentlichem familiären Vorkommen (Austin u. Stears, 1971; Nishimoto u. Takeuchi, 1972; Praud u. Mitarb., 1972) als kongenital und sogar spezifisch für die japanische Rasse angesehen (Kudo, 1968; Nishinzoto u. Takeuchi, 1968). Es wurde auch als arterielles Wundernetz, wie es bei verschiedenen Tierarten im Bereich der Schädelbasis vorkommt, verkannt (De Gutiérrez-Mahoney u. Schechter, 1972). Inzwischen ist aber die Entwicklung eines solchen anastomotischen Gefäßnetzes in einem zuvor bis auf eine supraklinoidale Karotisstenosierung unauffälligen Hirngefäßsystem gesichert (Kudo, 1968;

Zülch u. Mitarb., 1973). Auch bei der hier beschriebenen Patientin handelt es sich wahrscheinlich um eine symptoma-

tische Form des Moyamoya-Syndroms, das sich erst nach dem Auftreten einer entzündlichen Karotisstenose entwikkelte.

Kasuistik Klinik: S3jährige Patientin ohne Vorerkrankungen. Beginn mit rezidivierenden Hirnsrammsymptomen (Doppelbilder, Apathie und Müdigkeit). Nach 6 Monaten Klinikaufnahme wegen einer anfangs intermittierenden, danach über 14 Tage progredienten

Moyamoya syndrome of tuberculous cerebral arteritis A 55-year old woman, suffering from bacteriologically proven tuberculous meningitis showed the angiographic signs typical of tuberculous arteritis: stenosis of the supraclinoid portion of the carotid syphon on the right, stenosis of the basilar artery, multiple peripheral occlusions of mediumsize vessels and mild, internal hydrocephalus. As a rarity there was an unusual collateral supply through the basal Moyamoya net which supplied the occluded right middle branch; there was a transtentorial anastomosis of the left meningeal branch of the vertebral artery which supplied the territory of the right posterior cerebral artery in an orthograde manner. The developmental mechanism and radiological findings of this rare collateral system due to tuberculous meningoarteritis is discussed. (F. St.)

zentralen Heniiparese links mit zusätzlichen Hirnstammsymptomen und zunehmender Eintrübung. EEG: Mittelschwere Allgemeinveränderung ohne Herdbefund. Liquor: 240/3 Zellen (Lymphozyten, Monozyten, Plasmazellen), 140 mg% Eiweiß. Liquorzucker 25 mg% bei 80 mg% Blutzucker. Kulturell nachweisbare säurefeste Stäbchen. Schädelleerauf nahmen: ohne pathologischen Befund.

Brachialisangiographie rechts (Abb. la und b): Kaliberschwache, konisch zulaufende Stenosierung des aufsteigenden Siphonschenkels und Verschluß des Mediahauptstammes. Orthograde Durch-

blutung der Arteria ophthalmica. Die schwache Füllung der Sylvischen Gefäßgruppe erfolgt über ein in der seitlichen Projektion annähernd dreieckförmiges, arterielles Gefäßgeflechr im unteren Stammganglíenbereich. Auch in der spätarteriellen Phase unzureichende Füllung der aszendierenden Mediaäste mit Kaliberunregelmäßigkeiren. Das vertebrobasiläre System ist nicht dargestellt. Auf den venösen Bildern hydrozephale Ausbiegung der Vena rhalamo-striata.

Brachialisangiographie links (Abb. 2a und b): Die schwachkalibrige Vertebralarrerie läuft zipfelig in der nur andeutungsweise sichtbaren Arteria cerebelli inferior posterior aus. Der Ramus meningeus der linken Vertebralarterie erreicht nach der Versorgung der infratenroriellen Dura mater das Tentorium und

anastomosiert transtenroriell mit der rechten Arteria cerebri posterior, wodurch deren distaler Versorgungsbereich orthograd gefüllt wird.

Verlauf: Trotz ruberkulosratischer Therapie und Kortison Zunahme der Parese im Verlaufe von 4 Wochen bei soporösem Dämmerzustand. Im EF.G weiterhin Allgemeinveränderung und zusätzlicher Herdbefund (Abfiachung) über der gesamten rechten Hemisphäre. Wegen des zu dieser Zeit schon weitgehend sanierten Liquors ist die Ursache für die zunehmende Verschlechterung des klinischen Bildes in einer Progredienz der Gefäßstenosen, möglicherweise auch in einem entzündlichen Basilarisverschluß, zu suchen. Daher Fortsetzung der kreislaufstabilisierenden Therapie. Nach der Rückverlegung ins Heimatkrankenhaus alimäh-

liche Besserung. Nach einem halben Jahr kann die Patientin wieder im Rollstuhl gefahren werden und selbständig essen.

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Moyamoya-Syndrom bei tuberkulöser zerebraler Arteriitis

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Abb. la. Seitliche Serie: Stenose des supraklinoidalen Siphonschenkels. Typisches, basales Moyamoya-Gefäßnetz. Wandunregelmäßigkejten und Abbrüche aszendierender Mediaäste. Stark verzögerte Hirndurchblutungszeit. Nichtdarstellung der Basilararterie. Abb. la und b. Retrograde Brachialisangiographie rechts.

1 sec

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Abb. lb. A.-p. Serie: Proximaler Media-Hauprstammverschluß rechts. Kollateralisierung der rechten Sylvischen Gefäßgruppe durch das Moyamoya-Gcfaßnetz im Stammganglienbereich.

Diskussion Bei der Patientin waren im Rahmen einer tuaerkulösen Meningo-Arteriitis, die vorwiegend die basalen Zisternen befällt (Scheidegger, 1958), ausgedehnte Stenosierungen und Verschlüsse im basalen Hirngefäßkranz mit Beteiligung des suprakiinoidalen Siphonschenkels, des Mediahauptstammes und der Arteria basilaris aufgetreten. Zusätzlich fanden sich periphere Kaliberunregelmäßigkeiten und -verschlüsse aszendierender Mediaäste und ein leichter Hydrozephalus, so daß

die von Leeds und Goldberg (1971) und Lehrer (1966) als typisch für eine tuberkulöse Arteriitis angesehene radiologische Trias vorlag. Histologisch wurden bei diesem Krankheitsbild sowohl eine Gefäßkompression von außen durch Exsudat, verdickte Meningen oder Granulome als auch eine Lumeneinengung der Gefäße durch perivaskuläre, subintimale oder endotheliale Infiltrate beschrieben (Betz, 1967; Greitz, 1964; Lehrer, 1966), die eine glatte oder unregelmäßige Lumenbegrenzung der stenotischen Gefäßabschnitte hervorrufen (Stoeter u. Mitarb., 1975).

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Moyamoya-Syndrom bei tuberkulöser zerebraler Arteriitis

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P. Stoeter und K. Voigt: Moyamoya-Syndrom bei tuberkulöser zerebraler Arreriitis

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5sec Abb. 2a. Seitliche Serie: Linke Vertebralarterie läuft in der A. cerebelli inferior posterior aus. Abgang des Ramus meningeus aus der linken Vertebralarterie (), Verlauf in der hinteren Schädelgrube () und transtentorielle Anastomose mit der A. cerebri posterior (VI). Nichtdarstellung der Basilararterie.

Abb. 2a und b.

Retrograde Brachialisangiographie links.

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Abb. 2b.

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A.-p. Serie: Abgang (-), Verlauf () und Anastomose des Ramus meningeus mit der rechten A. cerebri posterior (VV).

Die beiden beschriebenen Kollateralkreisläufe in Form eines Moyamoya-Gefäßnetzes und einer transduralen und trans-

tentoriellen Gefäßanastomose sind als ungewöhnlich und selten anzusehen. Uber Moyamoya-Netze bei tuberkulöser Arteriitis berichteten nach unserer Kenntnis bislang nur Mathew und Mitarb. (1970), die sie bei 4 von 48 Patienten mit tuberkulöser Meningitis nachweisen konnten. Weitere symptomatische Formen des Moyamoya-Syndroms wurden von Zülch u. Mitarb. (1974) (Nachweis 23 Monate nach einer

Karotisstenose und Mediahauptstammverschluß bei einer S2jährigen Frau) und von Debrun u. Mitarb. (1974) (Nachweis 5 Monate nach der Bestrahlung eines Hypothalamustumors bei einem fünfmonatigen Kind) beschrieben. Auch andere basale Arteriitiden wie bei Lues und nach kindlichen Racheninfekten sowie Traumen, Thrombosen oder Embolien im Karotissiphon im Kindesalter und die Marfansche

Krankheit wurden als Ursache der Stenosen beim MoyamoyaSyndrom diskutiert (André u. Picard, 1974; Handa u. Handa, 1972). Das auch bei den symptomatischen Formen auffällig dünne Kaliber der Arteria carotis interna ist als reaktive Verengung auf die Minderdurchblutung und nicht als kongeni-

tale Hypoplasie anzusehen, weil bei einigen Fällen ein normaler Durchmesser des knöchernen Canalis caroticus nachgewiesen werden konnte (Handa u. Handa, 1972). Da bei der hier beschriebenen Patientin bis zum 53. Lebensjahr keinerlei Zeichen einer zerebrovaskulären Insuffizienz oder subarachnoidalen Blutung aufgetreten waren und auch der klinische Verlauf für eine Zunahme der Gefäßstenosen sprach, halten wir bei unserem Fall die Ausbildung des MoyamoyaGefäßnetzes und der transtentoriellen Anastomosen für eine Folge der entzündlichen, progredienten Stenosierungen der basalen Gefäße.

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Bei älteren Patienten mit arteriosklerotischen Karotisstenosen oder- verschlüssen kommt es nicht zur Ausbildung von kollateralen Gefäßnetzen. Daher sind neben der zerebralen Man-

geldurchblutung offenbar weitere Voraussetzungen für das Auftreten eines Moyamoya-Syndroms erforderlich: 1. eine

the circle of willis. A disease apparently confined to the Neurology 18)1968) 485

Japanese.

Leeds, N. E., H. J. Goldberg: Angiographic

manifestations in

cerebral

inflammatory disease. Radiology 98 (1971) 595

langsame Progredienz der Stenosen wie in der Regel bei artenitischen Prozessen; 2. eine zusätzliche Behinderung der Ko!-

Lehrer, H.: The angiographic triad in tuberculous meningitis. Radiology 87

lateralversorgung durch weitere Stenosen oder Verschlüsse im Circulus Willisii, wie des Mediahauptstammes und der Basilararterie bei unserer Patientin, und 3. die Lokalisation der Siphonstenosen distal des Ophthalmicaabganges, so daß die bei arteriosklerotischen Gefäßprozessen gewöhnlich anzutreffenden Kollateraiwege über das Auge hämodynamisch nicht relevant werden können.

Mathew,

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Priv.-Doz. Dr. K. Voigt, Neurologische Klinik der Universität, Hansastraße 9 a, 7800 Freiburg/Br.

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H. Heller und N. Rupp: Die ektopische Karotis in der Paukenhöhle

[Moyamoya syndrome of tuberculous cerebral arteritis].

516 Fortschr. Röntgenstr. 124, 6 Fortschr. Rönrgenstr. 124, 6 (1976) 516S19 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart Von P. Stoeter und K. Voigt 2 Abbildun...
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