Klinische Wochenschrift

Klin. Wschr. 56, 139- 144 (1978)

© Springer-Verlag 1978

Myasthene Syndrome unter Penicillamin-Therapie F. Schumm und M. St6hr Neurologische UniversitfitsklinikTiibingen (Direktor Prof. Dr. J. Hirschmann)

Myasthenic SyndromeDuring PenieillamineTreatment

Schliisselw6rter: Rheumatoide Arthritis amine-Therapie - Myasthenes Syndrom.

Penicill-

Summary. The clinical and electrophysiological findings in 2 men who had developed a myasthenic syndrome after taking penicillamine for rheumatoid arthritis will be described. The symptoms began with dysfunction of the eye muscles following a generalised muscle weakness. Course of illness after withdrawal of penicillamine was not uniform. In one of the patients a complete remission occurred within a year. The other became steadily worse and required continuous treatment with cholinesterase inhibitors. Electrophysiotogical examinations showed neuromuscular blockade, posttetanic exhaustion, posttetanic potentiation was found in one patient only. An immunopharmacoiogical block of acetylcholine receptors induced by penicillamine is discussed from a pathogenetical point of view.

Key words: Rheumatoid arthritis -

Penicillamine

treatment - Myasthenic syndrome.

Zusammenfassung. Klinische und elektrophysiologische Befunde yon 2 MSmnern, die unter einer Penicillamin-Therapie wegen einer rheumatoiden Arthritis ein myasthenes Syndrom entwickelten, werden beschrieben. Die Symptomatik begann mit Augenmuskelst6rungen, der eine generalisierte Muskelschw/iche folgte. Der Verlauf war nach Absetzen yon Penicillamin uneinheitlich. Bei dem einen Patienten k a m es innerhalb eines Jahres zu einer spontanen Remission, bei dem artderen trotz Thymektomie zu fortlaufender Verschlechterung, die eine Dauertherapie mit Cholinesterase-Hemmern erforderlich machte. Elektrophysiologisch liel3 sich ein neuromuskulfirer Block, eine posttetanische Ersch6pfung und nur bei einem Patienten eine p0sttetanische Facilitierung nachweisen. Pathogenetisch wird ein Penicillamin-induzierter immunopharmakologischer Block von Acethylcholinrezeptoren diskutiert. Sonderdruckanfragen an: Dr. F. Schumm (Adresse s.S. 144)

Verschiedene Medikamente k6nnen St6rungen der neuromuskulfiren Erregungstibertragung verursachen. Wfihrend einer Penicillintherapie wurde im Gegensatz zu ein_er grogen Gruppe yon Antibiotika [t4] nur vereinzelt eine Verst~irkung einer schon vorhandenen myasthenen Reaktion beschrieben [13]. Neuerdings werden jedoch unter Penicillamin, einem A b b a u p r o d u k t des Penicillin, myasthene Syndrome beobachtet, die trotz langdauernder Erfahrung mit diesem Medikament beim Morbus Wilson [38], bei Schwermetallvergiftungen und bei Zystinurie kaum bekannt waren [18, 23, 29]. Offenbar treten Penicillamin-induzierte myasthene Syndrome fast auschliel31ich bei der Behandlung von A u t o i m m u n o pathien, insbesondere der rheumatoiden Arthritis in Erscheinung [8, 11-36]. I m folgenden berichten wir fiber neurologische, klinische und elektrophysiologische Befunde bei zwei einschl/igigen F/illen.

Kasuistik Fall 1. J.A, 39jfihriger Mann. Seit 1957 rheumatoide Arthritis bekannt. Ab Herbst 1973bis 29.12.1975 insgesamt 175 g D-Penicillamin (Metalcaptase®), Tagesdosis ab Okt. 1974 300 mg. Keine weiteren Medikamente. Am 19.12.1975 erstmals Doppelbilder beim Blick in die Ferne, am 21,12. Verst~irkungder Augenmuskelst6rungen und zus~itzlich Schw/iche bei Mundschlul3 beim Kauen, beim Schlucken und ab 28.12.1975 Schwfiche der proximalen Arm- und Beinmuskulatur. Daraufhin am 29.12.1975 Absetzen yon D-Penicillamin. Bei der Aufnahme am 9.1.1976 Schwfiche der ocul~iren, faciopharyngealen, Atem- Rumpf- ~nd proximal betont der GliedmaBen-Muskulatur. Reflexstatus, Sensibilitfit und Koordination unauff~iltig.

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Laborwerte. BSG 19/40. Rotes und weil3es Blutbild, Diff.-Blutbild,

Laborwerte. BSG 60/76. Rotes und weiBes Blutbild unaufffillig.

Harnstoff, Harnsfiure, Kreatinin, direktes und indirektes Bilirubin, Blutzucker, CK, GOT, GPT, LDtt, HBDH, LAP, alkat. Phosphatase, Cholesterin, Blutfette, Elektrolyte, Schilddrfisen-Werte, Eisen und Kupfer unauff/illig. Rheumafaktor + , c-reaktives Protein + +. Keine Antik6rper gegen Muskulatur, Magen-Parietalzellen, Schilddr/isengewebe. Keine antinucle~iren Faktoren. Elektrophorese unaufffillig. Immunelektrophorese : IgG = 1080 mg- %, IgA = 164 rag-%, IGM=227 mg-%.

Bilirubin, GOT, GPT, LDH, HBDH, atkal. Phosphatase, Kreatinin, Harnstoff, Harnsfiure, Cholesterin, Eisen, Kupfer und Schilddrtisenwerte unaufffillig. Elektrophorese: Erh6hung von Alpha-2 und Beta-Globulin. Immunelektrophorese: IgG=1004,5mg-%, IGA=306,5 rag-%, IgM=101,5mg-%. Keine Antik6rper gegen Muskulatur, Magenparietatzellen und Schilddrtisen-Gewebe. Keine antinucleS.ren Faktoren.

R6ntgen. Kein Anhalt ffir Thymom. R6ntgen. Im Pnenmomediastinum Verdacht auf Thymom. ElektrophysioL Befunde (Januar 1976) : 1. EMG, M.bizeps brachii : Keine pathologische Spontan-AktivitS.t. 20 % polyphasische Muskelaktionspotentiale. Mittlere Potentialdauer 9,3ms. Mittlere Amplitude 0.3 mV. Anfangs dichtes, nach 3s maximaler Innervation sich lichtendes Aktivitfitsmuster. 2. NLG (Nerventeitgeschwindigkeit): Maximale motorische Nervenleitgeschwiudigkeit. N. medianus re. : 54 m/s. Maximale sensible Nerventeitgeschwindigkeit, N. medianus re.: 64 m/s. (orthodrome Messung). Evozierte Muskel- und Nervenpotentiale regelrecht. 3. Neuromuskul/~re Oberleitung (Mfirz 1976; 32 h nach letzter Einnahme von Cholinesterase-Hemmern): Supramaximale Stimulation N. medianus 5/s (Ableitung mit Ober T fl/ichen-Etektroden vom Thenar) Dekrement 38% (5./1. EMA) (~. Abb. la). l m i n nach 10rag Tensilon i.v.: Dekrement=4% (Abb. lb). Tetanische Reizung mit 50/s: Dekrement 54% in 200ms bei Umschaltung auf 5/s: Inkrement 142% (analoge Befunde bei 50/s--Tetanus fiber 1 min).

Beurteilung. Kein Anhalt ftir strukturelte Myopathie oder Neuropathie. Ausgeprfigte myasthene Reaktion mit Amplitudenabfall des evozierten Muskelpotentials bei nieder- und hochfrequenter Reizung, sowie hochgradige posttetanische Facilitierung. Positiver Tensilon-Effekt.

Vertauf Nach Absetzen yon D-Penicillamin keine Rfickbildung der myasthenen Symptomatik. Gelenkbeschwerden unver~ndert. Mit 3 x 60 mg Mestinon und 180 mg Mestinon zur Nacht m~iBige Besserung der Muskelschwfiche. Bei einer Nachuntersuchung 2 1/2 Monate nach Absetzen yon Penicillamin Augensymptomatik unverfindert, jedoch deutlichere Schwg.che der Kau-, Hals-, Nacken-, Rumpf und proximalen GliedmaBen-Muskulatur, Die Arme konnten nicht mehr fiber die Horizontale erhoben werden. Aufrichten aus Rfickenlage und aus Hockstellung war nicht mehr m6glich. Der Verdacht auf ein Thymom konnte operativ nicht best~tigt werden. Postoperativ zunfichst keine Befundgnderung, weiterhin Therapie mit Cholinesterase-Hemmern in unverfinderte Menge notwendig. Erst 8 Monate nach Thymektomie Befundbesserung, jedoch noch Doppelbilder und mfigige Schw/iche der proximalen GliedmaBenmuskulatur. Weiterhin 2 × 60 mg Mestinon und 90 mg Mestinon retard zur Nacht erforderlich. Fall 2. E.E, 53jfihriger Mann. Seit Juli 1974 rheumatoide Arthritis bekannt. Ab Oktober 1974 Therapie mit D-Penicillamin (Trolovol ®). Zun~ichst langsam einschleichend und schliel31ich 1,2 g pro Tag. Zus~itzlich jeden 2. Tag 20 mg Ultralan ®. Anfang August 1975 kurzdauernde Doppelbilder ffir 3-4Tage. Daraufhin D-Penicillamin reduziert und schlieglich ganz abgesetzt. Ab September Aufnahme der D-Penicillamin-Medikation mit 900 mg pro Tag. Nach 4 Wochen ffir 3-4 Tage Kaumuskelschwiiche. Am 22.11.t975 erneutes Auftreten von Doppelbildern und ab 6.12. t975 generalisierte Schwfiche der Willktirmuskulatur. Absetzen yon D-Penicillamin ab 7.12.1975. Gesamtmenge bis dahin 350 g. Bei der Aufnahme am 16.1.1976 generalisierte Muskelschwfiche mit Beteiligung der ocul~iren-, faciopharyngealen-, Rumpf- und proximal betont der GliedmaBenmuskulatur. Reflexstatus, SensibilitS.t und Koordination unauffNlig.

Elektrophysiologische Bejunde. I, EMG M, bizeps brachii: Keine pathologische Spontanaktivit/it. 18% polyphasische MAP. Mittlere Potentialdauer 10,2 ms, mittlere Amplitude 0.51 inV. Bei Maximalinnervation Interferenzmuster mit beginnender Lichtung nach etwa 2 s. 2. NLG: Maximale motorische Nervenleitgeschwindigkeit: N. medianus rechts: 56 m/s. Maximale sensible Nervenleitgeschwindigkeit: N. medianus rechts: 56 m/s (orthodrome Messung). Evozierte Muskel- und Nervenpotentiale regelrecht. 3. Neuromusknlfire Uberleitung (M/irz 1976; 32 h nach letzter Einnahme von Cholinesterase-Hemmern). Methodik siehe oben. Dekrement 38% (Abb. 2a), 1 rain nach 10 mg Tensilon i.v. : Dekrement 17%. Tetanische Reizung mit 50/s: nach anf~nglichem geringem Amplitudenabfall Inkrement yon 11% nach Umschaltung auf 5/s: Dekrement 38%. Wfthrend 1 min Tetanus (50/s) AmplitudenabfhI1 von 4t%, Umschaltung auf 5/s: Dekrement 8% (s. Abb. 2b). Beurteilung. Kein Anhatt ffir strukturelle Myopathie und Neuropathie. Ausgepr/igte myasthene Reaktion mit Amptitudenabfall des evozierten Muskelpotentiats bei nieder- und (l~ingerer) hochfrequenter Nervenreizung. Positiver Tensilon-Effekt. Jedoch fehlende posttetanische Facilitierung; stattdessen weiterer Amplitudenabfall nach Umschaltung yon tetanischer auf niederfrequente Stimulation.

Verta@ Befriedigendes Ansprechen der myasthenen Symptomatik auf Cholinesterase-Hemmer. Bei einer Nachuntersuchung knapp 4 Monate nach Absetzen yon D-Penicitlamin ocul/ire und faciopharyngeale Symptomatik nicht mehr nachweisbar, jedoch weiterhin ausgepr/igte proximale GliedmaBenparesen, die sich erst im Vertauf yon weiteren 6 Monaten verloren.

Diskussion

Bei zwei 39 und 53 Jahre alten M/innern mit einer rheumatoiden Arthritis traten nach 26 und 9 monatiger D-Penicillamin-Behandlung Symptome einer oculfir beginnenden und schliel31ich nach 10 Tagen bzw. 2 Wochen generalisierten myasthenen Reaktion auf. Bei dem jtingeren Patienten kam es nach Absetzen des Medikamentes sowie Thymektomie zun/ichst zu keiner Besserung. Erst im Verlaufe eines Jahres verminderte sich die generatisierte Muskelschwfiche, und es verblieben Augenmuskelfunktionsst6rungen, die noch eine Dauerbehandlung mit Cholinesterasehemmern erforderlich machten. Bei dem glteren Patienten war nach erstmaligem Auftreten der ocu1/iren Symptomatik D-Penicillamin abgesetzt worden, woraufein promptes Verschwinden der Augensymptome resultierte. Einer erneuten Medikation infolge verst~rkter Gelenkbeschwerden folgten innerhalb 4 Wo-

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chen eine Kaumuskelschwfiche und schliel31ich wiederum Doppelbilder, diesmal in Kombination mit generalisierter Muskelschwfiche, die sich allmfihlich nach Absetzen des Medikamentes im Verlaufe eines Jahres unter Cholinesterasehemmer-Therapie verlor.

141

A

Hiiufigkeit B

Mit unseren Beobachtungen wurden bisiang bei 30 Patienten unter einer D-Penicillamin-Therapie derartige myasthene Reaktionen bemerkt [4, 7, 8, 11, 12, 19, 21, 25, 28, 29, 34, 35]. Es handelte sich um 23 Frauen und 7 Mrinner. Man hat demnach nicht nur bei Frauen [35] sondern auch bei Mrinnern mit dieser Nebenwirkung zur rechnen. Bei der Mehrzahl der Patienten lag als Grundkrankheit eine rheumatoide Arthritis vor. Je einmat wurde eine derartige Nebenwirkung bei der Behandlung eines Lupus erythematodes [9] und einem pr/iklinischen Morbus Wilson [10] gesehen. Diese Nebenwirkung trat im Durchschnitt 7 Monale nach Behandlungsbeginn auf, friihestens nach 3 Monaten und nach Einnahme yon mindestens 90 g D-Penicillamin. Bei unseren jfingeren Patienten manifestierte sich die myasthene Reaktion erst 26 Monate nach Beginn der D-Penicillamin-Therapie. Eine derart sprite Manifestation dieser Nebenwirkung wurde bislang nicht mitgeteilt. Es mul3 daher auch nach tangdauernder guter Vertrriglichkeit dieses Medikamenles mit solchen Nebenwirkungen gerechnet werden.

Symptomatik Bei unseren Patienten war der Beginn durch Doppeltsehen und/oder Ptosis gekennzeichnet. Diesen Augenmuskelst6rungen folgten eine facio-pharyngeale und anschliel3end generalisierte Muskelschwfiche. Wie bei der Myasthenia gravis bestanden eine Zunahme der Muskelschwriche bei Belastung mit verz6gertem Erholungseffekt sowie ein gutes Ansprechen auf Cholinesterase-Hemmer. Autoantik6rper gegen Muskulatur, Magen- oder Schilddrfisengewebe, wie sie bei Myasthenia gravis in 10--47% [36] vorkommen, fanden wir nicht und wurden bisher nur von einer Patientin mitgeteilt [12].

Neurophysiologie Neurophysiologische Untersuchungen, die allein die Objektivierung einer neuromuskulfiren Uberleitungsst6rung erlauben, wurden bisher nur von Seitz et al. durchgeftihrt [35]. Diese Autoren fanden nur bei 5

5mY 0 4 sec

C

5mV o;4sec

Abb. 1. Pat. J.A. Neuromuskulfire Uberleitung zum Thenar: Starker Amplitudenabfall bei 5/s Stimulation (A); Normalisierung des Befundes unter Tensilon (B). Hochgradige posttetanische Fazilitation (C)

yon 10 untersuchten Patientinnen einen signifikanten Amplitudenabfall im Stimulationselektromyogramm. Einschrfinkend ist jedoch zu sagen, dal3 sich die Prfifungen auf eine Muskelgruppe beschrrinkten und dab offenbar keine Belastungstests erfolgten. Unsere eigenen neurophysiologischen Untersuchungen erlaubten zun/ichst den Ausschlul3 einer strukturellen Myopathie und einer neurogenen Sch~idigung durch ein regelrechtes Elektromyogramm sowie normale motorische und sensible Nervenleitgeschwindigkeiten und unaufffillige evozierte Nerven- und Muskelpotentiale. Dies ist wesentlich, weil vereinzelt unter PenicillaminTherapie neben Opticusneuritiden, Polyneuropathien als Folge eines Penicillamin-induzierten Vitamin-B 6 Mangels mitgeteilt wurden [40], die eine myasthenierihnliche abnorme Ermfidbarkeit vort/iuschen k6nnen. Die Messung der neuromuskulriren Erregungstibertragung lieg in beiden Frilten bei repetitiver Nervenreizung einen ausgeprfigten Amplitudenabfall erkennen, der nach Tensilongabe wesentlich geringer wurde (Abb. 1 a + 2 a) und einige Minuten nach tetanischer Reizung zunahm (posttetanische Ersch6pfung). Unmittelbar nach 50/s. Stimulation trat bei dem jfingeren Patienten die Myasthenie-typische posttetanische Facilitation (in Form einer kurzfristigen Ampli-

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A

b,

o,4sec

i

] mV

kamentes gekennzeichnet. Allerdings wurden auch maligne Verlaufsformen, davon zweimal mit letalem Ausgang, beobachtet. Es handelte sich dabei um 2 Patientinnen, bei denen D-Penicillamin nach erneuter Verschlechterung der rheumatischen Beschwerden erneut angesetzt worden war [12, 35]. Auch bei unserem Nteren Patienten kam es nach Wiederansetzen des Medikamentes zu einer rasch einsetzenden, schweren und monatelang anhaltenden generalisierten myasthenen Reaktion.

5

Pathogenese

Abb. 2. Pat. E.E, Neuromuskulfire f~Jberleitung zum Thenar. Ausgepr~igter Amplitudenabfall bei 5/s. Stimulation (.4.). W~ihrend kurzer tetanischer Reizung (50/s) Ieichter Amplitudenanstieg; bei Umschaltung auf niederfrequente Reizung (5/s) deutlicher Amplitudenabfall (B)

tudenerh6hung) auf (Abb. 1c), wfihrend sie bei dem anderen Patienten trotz mehrfacher Pftifung in verschiedenen Musketn vermil3t wurde (Abb. 2 b). Trotz sonst klassischer klinischer und elektromyographischer Befunde besteht in diesem Punkt eine Abweichung v o n d e r Myasthenie-typischen Symptomatik, ffr die wir bislang keine Erklgrung haben. Da die posttetanische Facilitierung bei dem Patienten, der in der Folgezeit keine Remission zeigte, nachweisbar war, handelt es sich hier m6glicherweise um eine echte dutch D-Penicillamin nur ausgel6ste - Myasthenia gravis. Der Fall ohne posttetanische Facilitierung ist dagegen zweifelsfrei ein reines D-Penicillamin-induziertes myasthenes Syndrom. Weitere einschlggige Untersuchungen mfssen zeigen, ob die vorhandene oder fehlende posttetanische Facilitierung als differentialdiagnostisches Kriterium zwischen Myasthenia gravis und Penicillamin-induzierter myasthener Reaktion brauchbar ist, was zugleich eine unterschiedliche Pathogenese nahelegen wftrde. -

Verlauf und PrOgnose Der Verlauf ist in den meisten publizierten Ffillen von D-Penicillamin-induzierter Myasthenie durch rasche Symptomrfickbitdung nach Absetzen des Medi-

Zur Pathogenese der Penicillamin-bedingten bzw. -ausget6sten myasthenen Reaktion sind verschiedene Gesichtspunkte zu berticksichtigen. Zun/ichst ist auffallen& dab diese fast ausschlieBlich bei PenicillaminTherapie der rheumatoiden Arthritis bzw. anderer Autoimmunopathien beobachtet wurden. Schon seit 1956 [38] bestehen Erfahrungen mit diesem Medikamerit bei der Therapie des Morbus Wilson. Trotzdem wurden bei dieser Krankheit bislang nur einmal [10] fihnliche neuromuskulfire St6rungen beschrieben. Demnach stellt sich die Frage, ob Penicillamin fiberhaupt eine pathogenetische Rolle spielt oder ob myasthene Syndrome nicht einfach mit der rheumatoiden Arthritis h~iufiger koinzidieren. Immerhin ist bekannt, dab eine rheumatoide Arthritis und eine Myasthenia gravis in 3-6% gemeinsam vorkommen, dab bei beiden Krankheiten Autoimmunphfinomene pathogenetisch bedeutsam sind und dab iiberlappende klinische und serologische Befunde bestehen [1, 27, 36]. Ftir eine pathogenetische Bedeutung der Penicillamin-Therapie spricht jedoch der bei allen Patienten beobachtete enge zeitliche Zusammenhang. Ein unmittelbar toxischer Effekt yon Penicillamin an den Synapsen ist nach den bisherigen Kenntnissen fiber Wirkungen und Nebenwirkungen dieses Medikamentes nicht anzunehmen. Die pyridoxal-phosphatantagonistische Wirkung kann nach unseren neurophysiologischen Befunden keine wesentliche pathogenetische Rolle spielen. Jedoch wurden wiederholt unter D-Penicillamin-Therapie verschiedenartige Autoimmunphfinomene beobachtet, so zum Beispiel antinuklefire Faktoren [20], Symptome eines Lupus erythematodes [15, 16], Polymyositiden [6, 33], Immunkomplexnephritiden [20, 37, 39] sowie eine h/imolytische An/imie [17]. Demnach scheint eine rheumatoide Arthritis als Grundkrankheit nicht die allein ausschlaggebende Rolle bei der Entwicklung yon solchen Autoimmunph~inomenen zu spielen, sondern es sind hierftir auch Penicillamin eigene Wirkungen zu diskutieren. Dabei ffillt auf, daf3 die Patienten, die w~ihrend einer Peniciltamin-Therapie ein myasthenes Syndrom entwickeln,

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fihntich wie die Patienten, die eine Nierenfunktionsst6rung zeigen [20, 37, 39], wenigstens 3 Monate diese Medikamente eingenommen haben, bis entsprechende Symptome auftraten. Dies k6nnte damit zusammenh~ingen, dab im Gefolge einer Antik6rperbildung gegen einen Penicillamin-Trfigerkomplex fiber gleiche antigene Determinanten zunehmend Acethylcholinrezeptoren blockiert werden. Ftir die Myasthenia gravis gilt n/imlich heute, nach dem Nachweis yon humoralen [5, 26, 31] und zellulfiren [2, 30] Immunreaktionen, ein immunopharmakologischer Block mit verminderter funktioneller Verffigbarkeit von Acethylcholinrezeptoren als pathogenetisch bedeutsam. Zirkulierende Antik6rper gegen Penicillamin oder dessen Metaboliten wurden schon 1968 nachgewiesen [3], und weitere klinische und immunologische Beobachtungen sprechen daftir, daf3 Penicillamin eine Autoimmunopathie induzieren kann [20]. Wahrscheinlich wirkt Penicillamin als Halbantigen [22]. Entsprechend gelang es, neben dem Nachweis zirkulierender Antik6rper auch eine zellul/ire Immunitfit gegen D-Penicillamin bei einem Patienten zu objektivieren, der w/ihrend der Behandlung eines Morbus Wilson ein lupus-fihnliches Syndrom entwickelte [16]. Unabhfingig yon diesen Uberlegungen weisen unsere Beobachtungen zusammen mit den bisher vorliegenden Erfahrungen nachdrficklich darauf hin, dab bei der D-Penicillamin-Therapie der rheumatoiden Arthritis nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Mfinnern mit einer myasthenen Reaktion gerechnet werden muB. Diese erfordert immer ein sofortiges Absetzen des Medikamentes. Vor einem Wiederverordnen nach Riickbildung der myasthenen Reaktion ist dringend zur warnen, da dann eine schwere generalisierte myasthene Reaktion zu beffirchten ist, die sich nach den bisherigen Erfahrungen nur verz6gert zurfickbildet und in Einzelf/illen letale Folgen haben kann.

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Dr. F. Schumm Priv.-Doz. Dr. M. St6hr Neurologische Klinik der UniversitS.t Tfibingen Liebermeisterstr. 1 8 - 2 0 D-7400 Tfibingen Bundesrepublik Deutschland

[Myasthenic syndrome during penicillamine treatment (author's transl)].

Klinische Wochenschrift Klin. Wschr. 56, 139- 144 (1978) © Springer-Verlag 1978 Myasthene Syndrome unter Penicillamin-Therapie F. Schumm und M. St6...
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