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Myofunktionelle Störungen der Orofazialregion im Kindesalter Klinik — Atiologie
—
Therapie
W. Bigenzahn II. Universitãts-HNO-Klinik Wien (Vorstand: Prof. Dr. K. Burtan), Phoniatrische Abteilung (Letter: Doz. Dr. H. Hofler)
Die Differentialdiagnose myofunktioneller, artikulatorischer und HNO-spezifischer Probleme ist em spezielles phoniatrisches Aufgabengebiet. Es wer-
den Symptome orofazialer Dysfunktionen präsentiert und atiologische Faktoren für myofunktionelle Störungen der Orofazialregion bei Kindern diskutiert. Die Beseitigung HNO-spezifischer Probleme (u. a. Adenotomie, Tonsillektomie, Frenulotomie) schafft in vielen Fällen erst günstige Voraussetzungen für die Durchführung altersentsprechender logopadisch orientierter, myofunktioneller Therapien.
Myofunctional Disorders of the Orofacial Region in Childhood The differential diagnosis of myofunctiona!, articulational and specific ENT-disorders is a phoniatric domain. The symptoms of orofacial dysfunctions are presented and aetiological factors of myofunctional disorders of the orofacial region are discussed for children. In many cases the surgery of ENT-disorders (e. g. adenotomy, tonsillectomy, frenulotomy) makes favor-
able conditions for logopedic oriented myofunctional therapies according to the age.
Einleitung
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Ende des vorigen Jahrhunderts begann man sich in Europa und Nordamerika wissenschaftlich mit dem Kauorgan, der Zahnreihenokldusion und den orofazialen
Funktionsablãufen zu beschäftigen. 1907 beschrieb und kiassifizierte Edward H. Angle verschiedene Malokklusionen und wies auf kieferorthopädische Behandlungsprobleme bei tongue thrust (Zungenpressen) und Mundatmung hin (1).
funktionellen Zusammenhang zwischen falscher Zungenlage, Schlaffheit der Zungenmuskulatur, falscher Zungenbewegung und der Entstehung von Zahn- und Kieferanomalien sowie der gestörten /s/-Bi!dung (29); E. Fröschels bedie Beziehung der Stoschrieb 1914 in seinem Beitrag matologie zur Logopàdie die Abnormitäten der Artikulationsorgane und die jeweils assoziierten Lautbildungsstörungen (13).
In den letzten Jahrzehnten wurde das stomatognathe System immer mehr als funktionelle Einheit erkannt und ursàchliche Zusammenhange zwischen der Morphologie der oralen Strukturen und der Funktion der umgebenden Weichteile aufgezeigt. Form und Funktion stehen dabei in einer fein abgestimmten Wechselbeziehung der gegenseitigen Beeinflussung.
Durch Grogen- und Formveränderungen der Strukturen im Ansatzrohr werden einerseits die Primärfunktionen (Atmen, Saugen, Bei6en, Kauen, Schiucken) und die Sekundärfunktionen (Artikulation, Stimmgebung, -kiang) beeinf1uft; andererseits beeinflussen abweichende Bewegungsmuster der Kauniuskein, der mimischen Mus-
kein und der Zunge die Form des Mundraums sowie die Zahn- und Kieferstellung.
Aus funktioneller Sicht 1äft sich die orofaziale Muskulatur in einen äuferen und inneren Funktionskreis gliedern. Voraussetzung für eine Okklusion ist, daI der äuLere Funktionskreis (mimische Muskulatur, M. masseter, M. orbicularis oris) und der innere Funktionskreis (Zunge, Mundbodenmuskulatur) im Gleichgewicht, d. h. im funktionellen Angepa6tsein stehen. Treten Feh!funktiooder inneren Funktionskreises (Dyskinenen des die Wechselbeziehung zwisien) auf, so kommt es schen Hart- und Weichgewebe zu Formabweichungen im stomatognathen System (36). Die Kennzeichen myofunktioneller Störungen der Orofazialregion im Kindesalter sind sensorische und mororische Defizite, die sich in einer gestörten Muskelbalance (dysregulierter Muskeltonus) im Mund, Gesichts-,
Hals- und Nackenbereich, in abnormer Zungenruhe!age und abweichenden Zungenbewegungen bei den Primãrund Sekundàrfunktionen manifestieren. Laryngo-Rhino-Otol. 69 (1990) 23 1—236
Georg Thieme Verlag Stuttgart New York
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1912 sah M. Nadoleczny ersrmals einen Zusammenfassung
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Klinik
Die hàufigste myofunktione]ie Störung bei Kindern im orofazialen System ist das Zungenpressen (ton-
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gue thrust). Gegewirtig existiert für dieses anteriore
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,,Schluckproblem" weder in der deutschsprachigen noch in der angloamerikanischen Literatur eine einheitliche Terminologie. Sowoh] die Bezeichnungen als auch die Definitionen sind unterschied!ich. Synonyme Begriffe sind: ,,Zungen-
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pressen", ,,tongue thrust", ,,Zungenstof", ,,infantilcs Schiucken".
Form (Struktur)
Primãrfunktionen
(
N
Wechselbeziehungen im stomatognathen System n. Hahn
(21).
Leitsymptom ist die Vorverlagerung der Zunge gegen oder zwichen die Zähne/Zahnreihen während des Schiuckens und Sprechens. J. Palmer hcschreiht
fünf Symptome, die mit dem tongue thrust-Syndrom einher-
gehen können, die jedoch nicht alle gleichzeitig auftreten müssen: Verãnderungen im neuromuskulàren Schluckniuster, in der orofazialen Funktion, in der orofazialen Struktur, in der dentalen Struktur und in der Artikulation (30). Für D. Garliner steht tongue thrust jewcils in Zusammcnhang mit einem gestörten orofazialen Muskelgleichgewicht, mit abweichenden Zungenbewegungen und abnormer Zungenruhelage (14—17).
Tongue thrust läft sich in drei Erscheinungsformen beobachten: als abweichendes Schluckverhalten, als abnorme Zurigenruhelage und als anteriore Zungenbewegung beim Sprechen.
Noch nicht geklärt ist, oh das Zungenpressen eine pathologische Abweichung auf dem Weg vom ,,infantilen" Schiucken zum Schluckmuster des Erwachsenen oder oh es cm normales Ubergangsstadium darsteilt; ebenso unklar ist, oh es als angeborenes Verhaltensmuster oder falsch erlerntes Schluckmuster gesehen werden kann. Verschiedene Studien weisen jedoch auf die abnehmende Hàufigkeit mit zunehmendem Alter hin (3, 28). Em ,,pathologisches" orales Schluckmuster !iegt vor, wenn beim Schiucken
—
trcten. In der Mehrzahl sind die Zungenspitzenlaute /n/ /d/ /t/ /1/ betroffen, sic werden interdental gesprochen. Die Frikative /s/ /z/ /f/ werden addental, interdental oder lateral gebildet, ebenso die Affrikate /tf/ /d3 (21). Folgende Symptome körinen dem Diagnostiker in der Differentialdiagnose einen Hinweis auf das Vorliegen myofunktioneller Störungen in der OrofazialreAtiologie
ZNS Psyche
—
Zum Sprechproblem wird das Zungenpresscn, sobald begleitend dazu Störungen der Artikulation auf-
gion bei Kindern geben (Abb. 2—8).
Kauen Schiucken
Abb.1
der M. mentalis hyperaktiv ist (14—16, 21, 23).
Sekundãrfunktionen Artikulation Stimmgebung, -kiang
BeiIen
biert) und auf dem Mundboden bleibt und die Lippen entweder offen und schiaff sind oder sich in starker Anspannung befinden; die Zahnreihen meist geoffnet sind, d. h. wenn keine Anspannung der Mm. masseter und temporalis zu tasten ist;
Je nach Stand der Diagnostik und Fachdiszi-
plin (HNO/Phoniatrie, Logopadie, Sprachheilpadagogik, Zahnheilkunde/Kieferorthopädie, Neuropadiatrie, Kinderpsychologie) können folgende iitiologische Faktoren angeführt werden: 1. Genetische Einflusse
Genetische Einflüsse als mogliche Ursachen für myofunktioncllc Störungen in der Orofazialregion sind wcnig erforscht, werden aber diskutiert (3, 21). 2. Falsch erlerntes Schluckmuster
Nach Straub (34) liegt die Hauptursache in der fruhzeitigen Ernàhrung des Säuglings aus der Flasche anstelle der Mutterbrust. Der künstliche Sauger mit zu groIer Offnung zwingt das Kind, mit der Zunge den reichlichen Nahrungsfluf zu bremsen. Dahci sind die Lippen um den Sauger gerundet, der Kiefer offen, die Zunge nach vorne verschoben und die zirkumorale Muskulatur inaktiv. 3. Unphysiologische Kopf-
und Korperhaltung Vielen Sãuglingen wird hei der Nahrungsaufnahme eine unphysiologische Haltung im Kopf- und Haisbereich zugemutet. Das Füttern soilte dem normalen Schluckvorgang entsprechend möglichst in einer aufrechten Position erfolgen und mit einem Beugemuster (Flexionsstellung) gekoppelt scm.
4. Mundatmung
Bei der Mundatmung liegt die Zunge
schlaff am Mundboden oder zwischen den Zahnreihen, der Unterkiefer steht tief.
das
vordere Zungendrittel sich gegen oder zwischen die Frontzähne bewegt, und/oder die Zungenränder gegen oder zwischen die Seitenzähne drücken;
Differentialdiagnostisch muf man zwischen
einer habituellen und organisch bedingten Mundatmung unterscheiden (2). Organische Ursachen sind adenoide Ve-
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Atmen Saugen
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der mittlere Zungenabschnitt nach unten sinkt (kolla-
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getationen, Septumdeviationen, Nasenpolypen, vasomoto-
rische und allergische Rhinopathien. Für habituelle Mundatmung können Muskelfehlfunktionen im orofacialen System, em schiaffer Muskeltonus und Lutschgewohnheiten (Habits) verursachend sein. S. Ma/zroglossie
Eine echte Makroglossie liegt sehr selten vor, man findet sie z. B. bei Kretinismus und Mongolismus. Meist handelt es sich bei einer grofen Zunge urn eine Pseu
do-Makroglossie; aufgrund ihrer ahweichenden Position, Schlaffheit und Unbeweglichkeit erscheint die Zunge ,,zu groI". 6. Ankyloglossie
Em angeborenes verkürztes oder verbreitertes Zungenbändchen kann eine Einschrankung der Zungen-
beweglichkeit bedingen, so daI die Zungenspitze beim
Abb.2 Mundatmung adenoid face", offene Mundhaltung, weiche Lippenstruktur.
7. Tonsillenhyperplasie UbergroIe Tonsillen konnen zu Zungew fehlfunktionen führen und zu eirier anterioren Lage der
Zunge in Rube und wiihrend des Schiuckens und Sprechens
beitragen. Anteriores Zungenpressen sowie addentaler oder interdentaler Sigmatismus sind die Folge.
Durch den Einsatz sonographischer Tcchni ken kift sich die Tonsi11engroIe und ihre Beziehung zur
'Yl
Zungenruhelage dokumentieren. Kann eine Vorverlagerung des Zungenkorpers nachgewiesen werden, ist eine Tonsillektomie aus funktionellen Gesichtspunkten gerechtfertigt (18). Die Operation schafft günstigere räurnliche Verhãltnisse für eine nachfolgende logopadische/myofunktionelle Therapie. 8. Skelettale Anomalien der Kiefer und des
Gau mens Abb. 3 Fehlender LipperischluB, Zungenprotrusion, interdentale Zungenlage, Hypersalivation, periorae Ekzeme.
Bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten hat die Zunge die Tendenz, sich den morphologischen Gegeben-
heiten des Mundraumes anzupassen. Dies führt haufig zu eincr abnormen Zungenruhelage, zu Storungen der differenzierten Bewegungen der Zunge und des Gaumensegels sowie zu Storungen des Muskelgleichgewichtes im orofazialen System.
9. Orale Habits
Lutschgewohnheiten wie z. B. Daumen-, Finger-, Lippen- Polsterzipfellutschen, aber auch Näge-, Lippen-, Wangen- und ZungenbeiIen behindern die korrekdas te Zungenruhelage und -bewegung. Bestehen sic 3. Lebensjahr hinaus, können sich in Abhängigkeit von Art, Hàufigkeit, Dauer und Intensität des Lutschens sowohi funktionelle als auch morphologische Verànderungen manifestieren; am haufigsten sind Storungen des Gleichgewich-
tes der orofazialen Muskulatur, abweichendes orales Abb.4
Orofaziales Muskelungieichgewicht, Uberentwickelter
M. mentalis, Grimassieren beim Schiucken.
Schluckverhalten, Beeinträchtigung der Artikulation sowie Gebi1- und Kieferanomalien.
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Schiucken und Sprechen den harten Gaumen nicht erreicht.
Abb. 5 Malokklusion, frontoffener BIB.
Abb. 6 Anteriores Zungenpressen, Stdrung der Artikulation: Interdentalitbt.
Abb.7 Lalerales Zungenpressen beim Schiucken und Sprechen, Impressionen an den Zungenrandern, Veranderungen am Zahnfleisch und Zahnhalteapparat.
Abb.8 Hoher harter Gaumen, ausgepragte Rugae palatinae.
Zur Atiopathogenese werden sowohi psychische als auch physiologische Ursachen diskuriert. Die meisren Untersuchungen nennen an erster Stelle Zivilisationseffekte wie zu rasches Abgewohnen von der Mutterhrust, unphysiologische Flaschennahrung, falsche Erziehungsmafnahmen wie ubermäi4ige Strenge oder Verwöhnung aber auch kompensatorisches Verhalten als Ausdruck
Sensorik und eine gestórte Propriozeption der orofazialen Muskulatur bedingen.
emotionaler Defizite (32).
12. Sonstige Krankheitsbilder
Zerebrale Bewegungsstörungen, Hirnnervenparesen, Myasthenia gravis, muskuläre Hyporonien, minimale-zerebrale Dysfunktionen, Moebius-Syndrom. PierreRobin-Syndrom, u. a.
10. Nicht altersentsprechende Nahrung
Nicht altersentsprechende flüssige und
breiige Nahrung läI4t das sorgfalrige Beil3en und Kauen ,,verkümmern" und führt zu oraler Inakrivitàt.
11. Störungen der sensorisch-takiilen Kontrolle
Eine normale Sensibiliriit der orofazialen Region hildet die Vorausserzung für eine ungestörte Koordination von Saug-, Schiuck- und Artikulationsbewegungen. Skelettodentale Defektbildungen können eine Srorung der
Therapie
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In Abhingigkeir vom Alter sowie von der korperlichen und geistigen Entwicklung des Kindes können folgende Therapieansatze Anwendung finden.
1. Die orofaziale Regularionstherapie nach K. Castillo-Morales (8, 9) dient der funktionellen Förderung mundmotorisch gestörter Säuglinge und Kinder mit z. B. Zerebralparesen, Down-Syndrom, Robin-Syndrom, Moebius-Syndrom und anderen zerebralen Làsionen.
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Myofunktionelle Storungen der Orofazia/region im Kindesalter
normale Bewegungsmuster angebahnt und drohenden myofunktionellen Störungen der Orofazialregion vorgebeugt werden.
2. Für den Habit-Abbau sind nach entwicklungs- und lernpsychologischen Gesichtspunkten wiederholte, behutsame Erinnerungen sowie positive Verstàrkunemotional ansprechende Programme am effektivgen sten. Günstige Voraussetzungen bilden zusãtzlich das Wekken von Verständnis für die schädlichen Folgen des Lutschens und der selbstgefa&e EntschluI des Kindes, die
4. Die klassische myofunktionelle Therapie (MFT) nach D. Garliner (14, 16) gilt in Europa als Wegbereiter für die Behandlung myofunktioneller Storungen der Orofazialregion und hat sowohi in die Phoniatrie/Logopdie als auch in die Zahnheilkunde/Kieferorthopädie Emgang gefunden.
Als spezielle Behandlungsmethode will die MFT Fehlha!tungen und -funktionen der orofazialen Muskulatur beseitigen; die Therapieziele liegen in
der Wiederherstellung normaler Muskeireflexe und -kràfte, dem Anbahnen eines normalen Schluckverhaltens und
Lutschgewohnheit abzulegen.
dem Uberführen eines neuen Schiuckens in eine unbewuIte Gewohnheit.
Bei Kleinkindern kann mit einer therapeutischen Mundvorhofplatte versucht werden, das Schnulleroder Daumenlutschen zu ersetzen.
Anwendung findet die MFT bei Kindern ab dem 8. Lebensjahr als Vorbereitung auf eine kieferorthopä-
3. Die logopadisch orientierte orofaziale Therapie nach Breitwieser und Hammerle (6, 7) gliedert
Mafnahmen, unterstützend bei kieferchirurgischen Eingriffen sowie in der Sprachtherapie.
sich in vier aufeinanderfolgende Phasen. Die Phase I stelit das sog. Vorprogramm dar, das bis zum S. Lebensjahr die Früherkennung und Fruhförderung orofazialer Dysfunktionen enthält.
In diesem kombiniert senso-motorischen Therapieprogramm werden einerseits Stimulationen im Lippen-Mund-Bereich und andererseits motorische Lippen-, Zungen-, BeiI-, Saug- und Blasubungen eingesetzt.
In der Phase II werden die folgenden Therapieziele angestrebt: Sensibilisierung des Lippen-Mund-Bereiches in Verbindung mit der korrekten Zungenruhelage;
Verbesserung der Lippen-Zungenmotorik; Aktivierung des Lippenschlusses durch Artikulationsubungen mit
/p/b/m', und
Einspielen der richtigen Zungenpiazierung mit den Lau-
ten /l/n/t/d/. Die Phase III umfa& als Therapieziele die Aktivierung des Lippenschlusses, das Einspielen des richtigen Schluckvorganges ohne Nahrung und artikulatorische Mafnahmen bei der Zischlautbildung.
In der Phase IV wird die Automatisierung des korrekten Schluckablaufes, d. h. der Ubergang von bewu1t richtig Schlucken ins unbewuIt richtig Schiucken ge-
dische Behandlung, begleitend zu kieferorthopädischen
Das Garlinersche Konzept umfa{t orofaziale Muskelubungen, spezielles Schlucktraining, Artikulationsübungen sowie Training für das unbewuIte und automatisierte, korrekte Schluckverhalten. Als Intensivphase der
MFT sind bei guter Mitarbeit des Kindes zumindest drei Monate vorgesehen. Dabei werden die Therapiefortschritte durch symptomatische Messungen (Myoscannermessung, Messungen mit der Federwaage zur Beurteilung des sich einstellenden orofazialen Muskelgleichgewichtes und Beur-
teilung der korrekten Zungenposition bei der oralen Schluckphase mit der Payne-Technik) dokumentiert. Kontrolluntersuchungen sind in immer gröIer werdenden Abständen bis ins Jugendalter vorgesehen. Die klassische MFT nach Garliner sollte jeweils nur nach genauer Indikationsstellung und in Absprache mit dem behandelnden Kieferorthopaden durchgeführt werden.
Schlufbemerkung Im Vorschulalter sind hãufig myofunktionelle, artikulatorische und HNO-spezifische Probleme vergescllschaftet. Ihre Differentialdiagnose ist em spezielles phoniatrisches Aufgabengebiet. Erst nach Erhebung einer genauen Anamnese, eines phoniatrisch-logopädischen Befundes und eines myofunktionellen Status sollten altersent-
sprechende therapeutische MaInahmen gesetzt werden. Mit der logopàdisch orientierten orofazialen Therapie soil dem Kind eine vertiefte taktil-kinästhetische Wahrnehmung im orofazialen System vermittelt werden; weiters soil der Patient angeleitet werden, die feinmotorische Koordination des Lippenschlusses bei den Primärfunktionen und besonders bei der Artikulation in komplexe, parallel ablaufende, motorische Aktionen zu integrieten. Ergnzende Mafnahmen sind altersentsprechende zahnmedizinisch/kieferorthopädische MaInahmen sowie die klassische myofunktionelle Therapie nach Garlincr.
Die Beseitigung HNO-spezifischer Probleme (u. a. Adenotomie, Tonsillektomie, Frenulotomie) schafft in vielen Fällen erst günstige Voraussetzungen für die Durchfdhrung logopãdisch orientierter, myofunktioneller Therapien.
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