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Übelkeit und Erbrechen nach Kindernarkosen

Große Probleme bei kleinen Patienten

Nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern sind Übelkeit und Erbrechen in der postoperativen Phase (PONV) unangenehme Folgeerscheinungen der Anästhesie. Diese zusätzliche Belastung verlangsamt nicht nur die Genesung. Sie verunsichert auch Kinder und deren Eltern gleichermaßen. Aktuelle Empfehlungen rücken ab vom starren Festhalten an Prophylaxestrategien, die sich auf Risikoscores stützen. Stattdessen tendieren sie u. a. zu einer großzügigeren Gabe von Antiemetika. Dieser Beitrag stellt Konzepte zur Vermeidung von PONV vor. Hintergrund



Bildnachweis: Alexander Fischer / Thieme Verlagsgruppe

Übelkeit und Erbrechen in der postoperativen Phase bei Kindern lassen sich effektiv vermeiden – zum Wohl der kleinen Patienten und zur Erleichterung ihrer Eltern.

Mangelnde Wahrnehmung des Problems Postoperativen Beschwerden nach Kindernarkosen kam in der Vergangenheit oft nicht die gleiche Bedeutung zu wie in der Erwachsenenmedizin. So dauerte es beispielsweise ungleich länger, bis auch in der wissenschaftlichen Literatur die postoperative Schmerztherapie bei Kindern die gleiche Beachtung fand wie nach operativen Eingriffen bei Erwachsenen. Ähnlich verhielt es sich mit dem zweiten „big little problem“ [1] der postoperativen Phase: Übelkeit und Erbrechen. Ursachen Über die Gründe der etwas verspäteten Wahrnehmung dieser Probleme kann man

nur spekulieren. Sicher hat es u. a. damit zu tun, dass Kinder viel weniger in der Lage sind, Beschwerden konkret zu benennen. Besonders deutlich ist dies beim Thema Übelkeit. Erst Schulkinder sind in der Lage, diese Beschwerden als solche zu artikulieren [2]. Bei kleineren Kindern ist man im Klinikalltag genauso wie in wissenschaftlichen Studien gezwungen, sich auf Erbrechen als Endmanifestation eventuell schon länger bestehender Übelkeit zu fokussieren. Während bei Erwachsenen das Auftreten von Übelkeit (ca. 30 % in einer gemischten Population nach balancierten Anästhesien ohne pharmakologische Prophylaxe) in Studien meist mind. doppelt so hoch liegt wie Erbrechen (Inzidenz: 10–15 %) [3], macht es schon nachdenklich, wenn bei pädiatrischen Patienten allein die Inzidenz von Erbrechen von zum Teil deutlich > 50 % berichtet wird [4]. Legt man die Relationen für das Auftreten von Übelkeit und Erbrechen zugrunde, dann würde dies konsequent zu Ende gedacht bedeuten, dass womöglich jedem dieser untersuchten Kinder nach Narkose übel gewesen ist.

Inzidenz nicht nachzuweisen Natürlich ist das eine gewagte Hypothese, die weder durch Literaturdaten noch durch andere wissenschaftliche Nachweise zu belegen, aber eben auch nicht zu falsifizieren ist. Wir haben aber gute Gründe anzunehmen, dass Übelkeit und Erbrechen gerade bei Vorschulkindern (etwas weniger oft bei Kindern deutlich < 3 Jahren [5]) doch sehr häufig ist. Exposition schützt Erwachsene Erwachsene sind nicht selten an diverse Medikamente, legale Genussmittel und -gifte (Koffein, Nikotin, Alkohol), aber auch nicht selten an illegale Substanzen (Cannabis, Amphetamine, andere illegale Drogen) adaptiert. Nicht zufällig schützt offensichtlich eine chronische Exposition gegenüber diesen Substanzen den Organismus vor PONV, wie der „Raucherstatus“ als gut belegter protektiver Faktor in den Risikomodellen zur Vorhersage von PONV bei erwachsenen Patienten zeigt [3].

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Antiemetika Natürlich ist das stark überspitzt, vereinfacht und soll keineswegs bedeuten, mit Antiemetika hätte man jetzt ein Allheilmittel gegen jede Form kindlicher Unruhezustände in der postoperativen Phase gefunden. Aber klar sollte auch sein, dass wir durch antiemetische Maßnahmen bei Erwachsenen – aber eben auch bei Kindern – einen wichtigen Schlüssel in den Händen halten, Narkosen besser und verträglicher zu machen. Die Eltern der betroffenen Kinder danken das: Neben dem Wunsch, dass ihr Kind nach dem Eingriff schmerzfrei ist, steht Freiheit von Übelkeit und Erbrechen ganz oben auf der Wunschliste der Eltern für die postoperative Phase ihrer Kinder [8]. Auch hier sind die Parallelen zur Erwachsenenmedizin unverkennbar [9]. Auch für Kinder sind Übelkeit und Erbrechen eine unangenehme zusätzliche Belastung in der postoperativen Phase. Eltern wünschen sich für ihr Kind eine komplikationslose Erholungszeit nach der Operation: PONV ist hier ebenso unerwünscht wie Schmerzen.

Strategien zur Vermeidung von PONV



Praktische Umsetzung Folglich stellt sich nicht die Frage, ob, sondern wie wir einen möglichst effizienten und effektiven Weg finden, Übelkeit und Erbrechen auch nach Kindernarkosen zu eliminieren. Welche anästhesiologischen Maßnahmen dabei nützlich und nachgewiesenermaßen effektiv sind, ist gut untersucht. q Tab. 1 gibt eine Übersicht dazu. Die darin aufgeführten pharmakologischen Strategien unterscheiden sich ver-

Bei Kindern einsetzbare Antiemetika Substanz

pharmakologische Klasse

Dosierung bei Erwachsenen

Dosierung bei Kindern

Dexamethason

Kortikosteroid

4–8 mg

0,15 mg/kg

Ondansetron

5-HT3-Antagonist

4–8 mg

0,1 mg/kg

Tropisetron

5-HT3-Antagonist

2 mg

0,05 mg/kg

Granisetron

5-HT3-Antagonist

1 mg

0,02 mg/kg

Dimenhydrinat

H1-Antihistaminikum

62 mg

0,5–1 mg/kg

Scopolamin

Anticholinergikum

transdermales ScopolaminSystem, 1 mg / 24 h

keine kindertaugliche Größe verfügbar

Droperidol

Butyrophenone

0,625–1,25 mg

0,01 mg/kg

Haloperidol

Butyrophenone

1–2 mg

keine Daten verfügbar

Metoclopramid

Benzamid

20 mg

0,2 mg/kg Tab. 1

gleichsweise wenig von den etablierten Vorgehensweisen bei Erwachsenen [10]. Praktisch alle in diesem Bereich untersuchten Substanzen können – gewichtsadaptiert – auch bei Kindern erfolgreich und mit einem äußerst guten RisikoNutzen-Profil eingesetzt werden. Allein die Gruppe der Dopaminantagonisten rangiert in dieser Liste im Empfehlungsgrad weiter hinten. Sie sind lediglich Reservemedikamente und sollten wegen eines höheren Risikos für extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen nicht als Substanzen der ersten Wahl in der Prophylaxe von PONV eingesetzt werden.

Praktisch alle Medikamente, die in der Erwachsenenmedizin gegen Übelkeit und Erbrechen zum Einsatz kommen, können gewichtsadaptiert auch Kindern verabreicht werden. Dopaminantagonisten sollten bei Kindern wegen des erhöhten Risikos extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen eher nachrangig eingesetzt werden.

Verzicht auf volatile Anästhetika Auch bei der Planung und Durchführung einer Allgemeinanästhesie besteht breiter Konsens, dass eine total intravenöse Anästhesie (TIVA) verglichen mit einer balancierten Anästhesietechnik unter Einschluss volatiler Anästhetika auch bei Kindern ein geringeres Risiko für PONV aufweist [10]. Die emetogenen Effekte von Lachgas (N2O) sind nachgewiesen, allerdings ist der Verzicht auf N2O weniger effektiv als der komplette Verzicht auf volatile Anästhetika [11]. Werden diese Medikamente dennoch eingesetzt, so kann die Reduktion der Dosis durch die Supplementierung mit KoAnästhetika (Benzodiazepine, Clonidin) zu einer verbesserten Verträglichkeit beitragen. So wurde bei erwachsenen Patienten eine direkte Assozia-

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Kindliches Aufwachdelir Kinder wachsen (glücklicherweise) meist wohlbehütet und fern dieser Stoffe auf. Unbestreitbar macht sie gerade das empfindlicher für starke, zentral wirksame Medikamente, die zusätzlich auf ein noch nicht ausgereiftes Gehirn treffen. Hier muss unweigerlich das Stichwort „kindliches Aufwachdelir (engl.: paediatric emergence delirium) fallen: ein Problem, über das in der Vergangenheit viel – aber leider weitgehend ergebnislos – diskutiert wurde [6]. Hat also das unleidige, weinende, manchmal tobende Kind im Aufwachraum nicht einfach nur einen „heftigen Kater“ nach dem ersten „Rausch“ seines noch nicht an Noxen gewöhnten Gehirns? Löst ein Substanzgemenge aus Benzodiazepinen, Propofol, volatilen Anästhetika, Opioiden und anderen Schmerzmedikamenten diese Reaktion aus? Ist dem „katernden“ Kind vielleicht einfach nur schlecht? Bringen vielleicht daher zusätzlich gegebene Opioide in dieser Situation so selten den gewünschten Effekt? Vielleicht tritt auch deshalb nach intravenösen Narkosen mit Propofol tendenziell weniger kindliche Agitation auf [7]?

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tion zwischen den applizierten MAC-Stunden (MAC = minimale alveoläre Konzentration) mit volatilen Anästhetika und dem anschließenden Auftreten von Übelkeit und Erbrechen gezeigt [11].

Opioide als Auslöser Opioide gelten neben den volatilen Anästhetika (und N2O) als die zweite große Medikamentengruppe, die mit PONV in der postoperativen Phase assoziiert ist [12]. Ähnlich wie bei volatilen Anästhetika besteht auch hier eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung. Inhalationsanästhetika, Lachgas und Opioide sind die 3 wesentlichen Triggersubstanzen auch nach Kinderanästhesien. Dadurch ist die Durchführung einer TIVA ein weiterer Baustein, um die PONVInzidenz zu reduzieren.

Opioidverwendung einschränken Dementsprechend haben alle Maßnahmen, die zu einem reduzierten Opioideinsatz führen, auch (indirekt) antiemetische Effekte. So sollten die Möglichkeiten ausgeschöpft werden, mittels potenter nicht steroidaler Nicht-Opioidanalgetika den postoperativen Opioideinsatz auf ein Minimum zu beschränken [13]. Auch Regionalblockaden senken über den Mechanismus der Opioideinsparung das PONV-Risiko. Dementsprechend sollten auch hier alle Optionen genutzt werden: sei es mit entsprechenden Blockaden oder nur durch lokale Infiltration des OP-Gebiets mit Lokalanästhetika. Gerade letztgenannte Techniken können auch sehr effektiv bei Eingriffen im HNO-Bereich durchgeführt werden [14]. Keinesfalls darf aber die Begrenzung des perioperativen Opioideinsatzes dazu führen, dass eine suffiziente Analgesie bei Kindern dadurch konterkariert wird. Alle Maßnahmen, die den perioperativen Bedarf an Opioidanalgetika reduzieren, wirken über die erzielte Opioideinsparung ebenfalls indirekt antiemetisch. Daher sollten ▶ Analgesie mit Nicht-Opioiden aber auch ▶ Regionalblockaden und ▶ Infiltrationsanästhesie (auch im HNO-Bereich) inkl. Wundrandinfiltrationen großzügig zum Einsatz kommen.

Kontroversen in der Umsetzung Während also die Optionen, welche die PO(N)V-Rate bei Kindern senken können, klar und evidenzbasiert sind, gibt es derzeit Kontroversen, wann und wie diese Interventionen eingesetzt werden sollen [15, 16]. Da dieser Aspekt sowohl in der Erwachsenenmedizin, aber nun auch zunehmend für den pädiatrischen Bereich kontrovers diskutiert wird, soll auf die unterschiedlichen Argumente etwas genauer eingegangen werden.

Früheres Konzept: Beschränkung auf Risikopatienten Die recht hohen Preise neuer, innovativer Antiemetika in den 1990er-Jahren und Bedenken wegen potenzieller Arzneimittelnebenwirkungen der bis dahin gebräuchlichen Antiemetika führten zu dem Konsens, dass eine antiemetische Prophylaxe nur bei Risikopatienten eingesetzt werden sollte. Begründet wurde diese Haltung mit dem Argument, dass bei identischer relativer Risikoreduktion (RRR) die erzielbare absolute Risikoreduktion (ARR) der PONVInzidenz größer ausfällt, wenn das Ausgangsrisiko höher liegt und somit die NNT (number needed to treat) günstiger ist, idealerweise < 5 [17]. Beispielsweise beträgt bei einer relativen Risikoreduktion von einem Drittel (RRR: 0,33) die Reduktion der PONV-Inzidenz bei einem durchschnittlichen Patientenkollektiv (Ausgangsrisiko: 30 %) 10 %-Punkte und ergibt eine Gesamtinzidenz von 20 %. Dieselbe antiemetische Intervention würde aber bei einer doppelt so hohen Ausgangshäufigkeit (also 60 %) die Inzidenz auf 40 % senken und damit eine doppelt so hohe absolute Reduktion bewirken. Im ersten Fall ist die NNT als Kehrwert der absoluten Risikoreduktion 10, im zweiten Fall bereits 5. Risikoscores Die für diese Konzepte erforderliche Identifikation von Risikopatienten beförderte die Entwicklung von zahlreichen „Risikoscores“ [3]. Davon hat sich bei erwachsenen Patienten v. a. der Apfelscore durchgesetzt [18]. Für Kinder existiert mit dem POVOC-Score (POVOC = postoperative vomiting in children) ein vergleichbares Vorhersageinstrument [5, 19]. Beseelt von dem Erreichen der NNT-Schwelle von 5 (übrigens eine vollkommen willkürlich gesetzte Grenze, für die es keinerlei wissenschaftliche Argumente gibt) übersah man dabei nur zu leicht, dass das resultierende Ergebnis, also die Restinzidenz von z. B. 40 %, klinisch absolut inakzeptabel war – vorausgesetzt man akzeptiert das Auftreten von PONV als erheblich kontraproduktiv zu Zielen wie ▶ der Verbesserung des Patientenwohlbefindens, ▶ der Patientenzufriedenheit, ▶ der Idee einer beschleunigten postoperativen Rekonvaleszenz und ▶ minimierten Wiederaufnahmeraten nach ambulanten Eingriffen. Forderung nach verstärktem Antiemetikaeinsatz Spätestens in den letzten Jahren meldeten sich immer mehr Stimmen zu Wort, die angesichts der klinischen Vorteile, die Patienten aus einer vollständigen Freiheit von Übelkeit und Erbrechen ziehen, gekoppelt mit den mittlerweile stark gesunkenen Preisen aller Antiemetika für eine Ausweitung des Antiemetikaeinsatzes, insbesondere multimodaler antiemetischer Konzepte plädierten. Erstmals wurde auch das Konzept eines „PONV-freien Krankenhauses“ propagiert [20].

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Bestätigung durch Forschungsergebnisse Unterstützung erhielten diese Stimmen durch erste Studien, die sich mit der Handhabung und Praktikabilität von unterschiedlicher institutionalisierter PONV-Richtlinien und entsprechender Standard Operating Procedures (SOP) beschäftigten. Unabhängig von den jeweiligen Patienten, der Klinikgröße, -struktur oder der Art, wie die Leitlinien in den Häusern implementiert wurden, zeigte sich in allen Studien, dass die Erfolge mit Blick auf die erzielte PONV-Reduktion doch eher ernüchternd ausfallen [21]. Vereinfachung der PONV-Prophylaxe Neben einigen entsprechenden Untersuchungen bei Erwachsenen legt eine Studie aus Leipzig den Schluss nahe, dass die Umsetzung einer SOP zum Einsatz von Antiemetika auch bei pädiatrischen Patienten nur problematisch funktioniert [22]. Gerade als Hochrisikopatienten erhielten 45 % der Kinder nicht die vorgesehene Prophylaxe. Zudem weisen alle Risikoscores zumindest bei Erwachsenen nur eine recht mäßige Präzision von etwa 70 % auf (verglichen mit einer a priori Trefferwahrscheinlichkeit von 50 % [3]). Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung zeigt darüber hinaus, dass die Anwendung solcher PONV-Prognosesysteme nicht zu einer reduzierten Rate an Übelkeit und Erbrechen führen [23]. Angesichts solcher Befunde werden zunehmend Stimmen laut, die eine Vereinfachung der PONV-Prophylaxe und einen liberaleren Einsatz von Antiemetika fordern [20]. Ein Hauptproblem einer effektiven PONV-Prophylaxe liegt in der noch nicht befriedigend gelösten Umsetzung entsprechender Maßnahmen in die klinische Praxis. Je komplizierter die Regeln in den jeweiligen PONV-Protokollen sind, desto geringer ist der Implementierungserfolg und letztlich die Wirksamkeit gegen PONV.

Empfehlung des Arbeitskreises Kinderanästhesie In einer Handlungsempfehlung zur Risikoeinschätzung, Prophylaxe und Therapie von postoperativem Erbrechen im Kindesalter aus dem Jahr 2007 spricht sich der Wissenschaftliche Arbeitskreis Kinderanästhesie der DGAI daher für eine generelle Gabe von Dexamethason (0,1– 0,15 mg/kg) bei Adeno- / Tonsillektomie aus [24].

Die aktuelle Handlungsempfehlung des Arbeitskreises Kinderanästhesie favorisiert eine liberale, routinemäßige PONV-Prophylaxe, die sich aufgrund ihrer einfachen Handhabung mutmaßlich leicht und folglich effektiv umsetzen lässt.

Kortikosteroide Diese Stellungnahme beseitigte auch eine zwischenzeitlich aufgetretene Verunsicherung wegen eines vermeintlich erhöhten Blutungsrisikos bei diesen Eingriffen, das angeblich auf die Gabe von Kortikosteroiden zurückzuführen ist. So soll in diesem Zusammenhang auch deutlich darauf hingewiesen werden, dass Kortikosteroide neben ihrer antiemetischen Wirkung auch potente Ko-Analgetika sind und durch den abschwellenden Effekt speziell bei Eingriffen im HNO-Bereich zu einer besseren Wundheilung und früheren Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme führen. Da durch neuere Untersuchungen auch klar gezeigt werden konnte, dass eine Einmalgabe von Kortikosteroiden keine negativen Effekte auf die Wundheilung bzw. Wundinfektionsrate hat [25], kann ein breiterer Einsatz auch außerhalb von HNO-Eingriffen empfohlen werden. Vorsicht ist dagegen bei Kindern (und natürlich auch Erwachsenen) mit malignen hämatologischen Erkrankungen geboten. Hier kann eine als antiemetische Prophylaxe geplante Gabe in eine unbeabsichtigte antineoplastische Chemotherapie einer Leukämie umschlagen, wie eindrücklich in entsprechenden Fallberichten geschildert wurde. Kortikosteroide sind wegen der zusätzlichen abschwellenden und ko-analgetischen Wirkung besonders gut für die PONV-Prophylaxe geeignet. Sie induzieren keine erhöhte Blutungsneigung und bei Einmalgabe keine erhöhte Infektanfälligkeit oder Wundheilungsstörungen. Große Vorsicht ist allerdings bei wiederholter Applikation in kurzer zeitlicher Folge ( z. B. bei vakuumversiegelten Verbandswechseln) und bei Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen geboten.

Bausteine einer PONV-Prophylaxe Abgesehen von diesen Besonderheiten kann die prophylaktische Gabe von Dexamethason als Grundpfeiler einer routinemäßigen antiemetischen PONVProphylaxe empfohlen werden, ebenso wie die Durchführung einer TIVA auf Basis von Propofol. Letztere ist hierbei von besonderer Bedeutung, da die Narkoseführung TIVA mit Propofol als antiemetischem Baustein innerhalb eines multimodalen Gesamtkonzeptes im Gegensatz zur Gabe diverser Antiemetika in der postoperativen Phase nicht einfach „nachgeholt“ werden kann. Angesichts extrem gesunkener Beschaffungskosten für 5-HT3-Antagonisten und dem ausgezeichneten Nebenwirkungsprofil dieser Substanzen empfiehlt sich alternativ dazu eine Kombination mit

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Die Entwicklung von Vorhersagemodellen für PONV hatte v. a. den gezielten Einsatz hochpreisiger Antiemetika zum Ziel. Angesichts des ausgezeichneten Nebenwirkungsprofils der meisten Antiemetika und den zwischenzeitlich stark gesunkenen Preisen erscheint heute eher eine liberale Applikation gerechtfertigt.

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A Weitere Informationen zur Implementierung einfacher PONV-Algorithmen in die klinische Praxis finden Sie unter: q www.gutaufgewacht.de

einem „Setron“ [10]. Mit 2 effektiven antiemetischen Maßnahmen als Basis wird somit eine wirksame Grundlage gelegt, die nach individuellem Risikoprofil und anderen Notwendigkeiten ausgebaut werden kann (oder aber sich im Einzelfall reduzieren lässt, wenn anhand der individuellen Patientenanamnese mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass kein PO(N)V auftritt).

Risikofaktoren Insofern ist die Kenntnis patientenspezifischer Risikofaktoren weiterhin wichtig, auch wenn es gute Gründe gibt, nicht allzu starr einem scorebasierten Prophylaxeansatz zu folgen. Hier hat der POVOC-Score [5] und dessen externe Evaluation [19] gezeigt, dass insbesondere Kinder > 3 Jahre überproportional von PO(N)V betroffen sind. Operationen im Kopfbereich (Strabismus-OPs) sowie länger dauernde Eingriffe gehen häufiger mit PO(N)V einher. Interessant ist, dass offenkundig eine gewisse erbliche Prädisposition besteht, denn nicht nur bei einer positiven Eigenanamnese des Kindes, sondern auch bei entsprechender Vorgeschichte bei Eltern oder Geschwistern, stellt dies einen unabhängigen Risikofaktor dar. Opioidmedikation in der postoperativen Phase ergänzt als weiterer Risikofaktor das Bild.

Die Kenntnis von Risikofaktoren für kindliches PONV ist wichtig, um ausgehend von einer Basisprophylaxe die antiemetischen Maßnahmen bei Hochrisikopatienten zu erweitern oder im Einzelfall bei sehr niedrigem Risiko auch auf eine Routineprophylaxe zu verzichten. Risikofaktoren sind: ▶ eine Strabismus-OP, ▶ postoperative Opioidmedikation, ▶ Alter > 3 Jahre, ▶ längere OP-Dauer, ▶ früheres PONV beim Patienten, seinen leiblichen Geschwistern oder den leiblichen Eltern.

Fazit Insgesamt besteht die Hoffnung, dass durch den systematischen Kampf gegen die häufigsten Probleme und Störungen in der postoperativen Phase – Schmerzen und PO(N)V – das Wohlbefinden nicht nur erwachsener Patienten, sondern auch das unserer pädiatrischen Patienten nachhaltig verbessert werden kann. Medizinische, ökonomische, v. a. aber ärztlichhumanitäre Aspekte sollten die wesentliche Triebfeder dafür sein, dass Anästhesien auch im Kindesalter immer besser verträglich werden und Brechschalen gänzlich aus unseren Aufwachräumen verschwinden. ◀

Kernaussagen ▶ Übelkeit und Erbrechen in der postoperativen Phase sind unangenehme Begleiterscheinungen für pädiatrische Patienten. Sie verunsichern nicht nur die Kinder, sondern auch deren Eltern. ▶ Gewichtsadaptiert können nahezu alle Medikamente, die bei Erwachsenen gegen PONV verwendet werden, auch bei Kindern zum Einsatz kommen. Dopaminantagonisten sollten jedoch zweitrangig berücksichtigt werden, da sie bei Kindern ein erhöhtes Risiko extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen bergen. ▶ Inhalationsanästhetika, Lachgas und Opioide gelten als die 3 wichtigsten PONV-auslösenden Substanzen. ▶ Gesunkene Preise und ausgezeichnete Nebenwirkungsprofile rechtfertigen einen relativ großzügigen Einsatz von Antiemetika. ▶ Einfach umzusetzende PONV-Protokolle sind nötig, um Prophylaxestrategien in der klinischen Praxis anwenden zu können. ▶ Die aktuelle Handlungsempfehlung des Arbeitskreises Kinderanästhesie der DGAI befürwortet eine liberale, routinemäßige PONV-Prophylaxe. ▶ Kortikosteroide besitzen eine abschwellende und ko-analgetische Wirkung. Deshalb eignen sie sich sehr gut für die PONV-Prophylaxe. Vorsicht ist jedoch bei wiederholter Gabe in kurzen Zeitabständen und bei Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen geboten. ▶ Risikofaktoren für PONV bei Kindern sollten bekannt sein, um abschätzen zu können, ob eine Routineprophylaxe erweitert werden muss oder ob ggf. darauf verzichtet werden kann.

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Hinweis

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Prof. Dr. med. Leopold Eberhart, MA, ist stellvertretender Direktor der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie der Philipps-Universität Marburg. E-Mail: eberhart@staff. uni-marburg.de

Prof. Dr. med. Astrid Morin, DEAA, ist Oberärztin an der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie der Philipps-Universität Marburg. E-Mail: morin@staff.uni-marburg.de

Univ.-Prof. Dr. med. Peter Kranke, MBA, ist Oberarzt und Leiter der klinischen Forschung an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Würzburg. E-Mail: [email protected]

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Interessenkonflikt Leopold Eberhart hat von den Firmen Baxter, Fresenius, Grünenthal und MSD Vortragshonorare erhalten. Astrid Morin hat Vortragshonorare von der Firma Teleflex erhalten. Peter Kranke hat für die Firma Acacia Pharma Ltd. klinische Studien durchgeführt und Vortragshonorare von der Firma FreseniusKabi Deutschland sowie ProStrakan erhalten. Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-0033-1363909

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[Nausea and vomiting after anaesthesia for children - Big problems for little patients].

Postoperative nausea and vomiting are undesirable and unpleasant side effects after surgery and anaesthesia associated with delayed oral intake and po...
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