PRAXIS

Mini-Review

Praxis 2014; 103 (4): 213-221

213

Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Godehard Weniger

Neuronale Korrelate emotionaler Prozesse Neural Correlates of Emotional Processes

Zusammenfassung Nachdem in den Neurowissenschaften die Untersuchung der neuronalen Crundlagen emotionaler Prozesse lange Zeit vernachlässigt wurde, setzte mit dem Aufkommen neuer Methoden der funktioneilen Bildgebung ein zunehmendes Interesse an der neuronalen Repräsentation emotionaler Prozesse ein. Cemäss neueren Forschungsergebnissen werden emotionale Prozesse durch überlappende neuronale Netzwerke prozessiert, wobei der Interaktion des limbisches Systems mit heteromodalen Assoziationskortices eine hohe Relevanz für die Verarbeitung emotionaler Informationen zukommt. Schlüsselwörter: Emotion - Cehirn limbisches System - heteromodale Assoziationskortices

In der modernen Forschung werden die Begriffe Emotion, Gefühl, Stimmung und Affekt zum Teil synonym verwendet, teilweise jedoch auch gegeneinander abgegrenzt, wobei unter Stimmungen länger andauernde emotional gefärbte Zustände verstanden werden, während Emotionen als eher kurzfristige, vorübergehende affektive Zustände definiert werden [2].

ge waren, dass erstens selbst eine vollständige Trennung des peripheren vom Zentralnervensystem zu keiner Beeinträchtigung des emotionalen Erlebens führt und zweitens verschiedene Emotionen nicht anhand der Veränderungen des peripheren vegetativen Nervensystems (z.B. Herzschlag, Hautwiderstand, Atemfrequenz) unterschieden werden können, sondern dass z.B. Wut und Angst identische viszerale Reaktionen hervorrufen.

Biologische Emotionstheorien

Andererseits und im Sinne der JamesLange-Theorie konnte jedoch gezeigt werden, dass periphere körperliche Reaktionen, speziell der eigenen Gesichtsmuskulatur, die Intensität des emotionalen Erlebens verändern kann [8]. So konnte nachgewiesen werden, dass die Aufforderung, spezifische Gesichtsmuskeln anzuspannen, die bei Freude kontrahiert sind, zu einem verstärkten positiven Gefühl führt. Dagegen bewirkt die Hemmung dieser Gesichtsmuskeln, durch Aktivierung der Inhibitoren, eine Abschwächung des positiven Gefühls [9].

Geschichtliche Aspekte

Nachdem Darwin [3] im Jahre 1872 in seinem Buch «The expression of emotions in man and animals» evolutionsbiologische Aspekte von Emotionen herausgearbeitet hat, entstand in der Folge eine erste biologisch fundierte Kontroverse um die Entstehung von EmotioDefinition und Komponenten nen. James [4] und Lange und James [5] formulierten eine kontraintuitive Theovon Emotionen rie, wonach auf einen äusseren emotioEine einheitliche wissenschaftliche De- nalen Reiz zunächst eine viszerale bzw. finition des Phänomens «Emotion» ist, vasomotorische Reaktion folgt, als dealler Anstrengungen zum Trotz bisher ren Konsequenz im Gehirn ein Gefühl nicht gelungen. Anfang der 1980er Jahre «entsteht». Wir sind also traurig, weil verglichen Kleinginna & Kleinginna [ 1 ] wir weinen bzw. haben Angst, weil wir in ihrem Literaturüberblick 92 verschie- davonlaufen. Konträr zu dieser Theorie dene Emotionsdefinitionen. Auf dieser formulierten Cannon [6] und Bard [7] Basis schlugen sie eine Arbeitsdefinition einen Gegenentwurf, wonach ein emovor, die sich als Minimalkonsens weitge- tionaler Reiz zunächst und als erstes im hend durchgesetzt hat, wonach Emotio- Gehirn bewertet wird, und erst in einem nen folgende vier Komponenten umfas- zweiten Schritt als Konsequenz der Besen: das subjektive Erleben und Fühlen, wertung eine motosensorische Reaktion die kognitive Bewertung, eine physiolo- folgt (Abb. 1). gische Reaktion, sowie eine Verhaltens- Wichtige Kritikpunkte von Cannon [6] komponente. an der Theorie von James und Lan© 2014 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

Basierend auf den Ergebnissen der modernen biologischen Emotionstheorien kann diese historische Debatte zusammengefasst werden, dass im Sinne der Theorie von Cannon und Bard die lokale Reizung von Hirnregionen emotionale Reaktionen auch ohne externe Reize hervorrufen kann, peripher-viszerale

Im Artikel verwendete Abkürzungen: EEC Elektroenzephalogramm fMRT funktionelle Magnetresonanztomographie PET Positronenemissionstomographie DOI 10.1024/1661-8157/a001562

PRAXIS

Mini-Review

Praxis 2014; 103 (4): 213-221

214

deflnierte es über funktioneile Aspekte und nicht primär als eine anatomische emotionaler Reiz Gefühl entsteht Struktur, wobei er evolutionsbiologische Aspekte berücksichtigte. Das limbische System stellt für MacLean die neuroanatomische Struktur dar, die intérnale körperliche und extérnale Reize, über Projektionen zum Neokortex, wie auch zu tiefer liegenden älteren Strukturen des Mittelhirns und des Stammhirns [ 16,17] integriert und so für die Entstehung von motorische und Emotionen bedeutsam ist. Eine Vorstelsensorische Systeme lung, die auch in modernen Netzwerk\ modellen angenommen wird (siehe unten). Im weiteren Verlauf entwickelte MacLean [18,19] das phylogenetische Konzept des triune brain (deutsch dreieiniges Gehirn). Er unterteilte das Gehirn in drei separate Bereiche, die einerseits miteinander interagieren, aber auch eigenständige Funktionen aufweisen. Die Abb. 1: Schematischer Vergleich der Vorstellung von James-Lange und Cannon-Bard zur Entstedrei Bereiche bezeichnete er als «prohung von Emotionen (Abb. nach [8]). Mit freundlicher Erlaubnis des Springer Wissenschaftsvertoreptilisches», «paleomammalisches» lags Science+Business Media ®. und «neomammalisches» Gehirn. Das Reaktionen aber die Intensität von emo- Gyrus cinguli, Gyrus parahippokampalis phylogenetisch älteste protoreptilische und zurück zum Hippocampus (Abb. 2 Gehirn, umfasst u.a. den Hirnstamm, tionalen Zuständen beeinflussen kann. das Zwischenhirn, und die Amygdala Cannon [10] und Bard [11] formulier- und 3). ten, basierend auf Tierexperimenten, bei Die Konzeption von Papez [12] hatte den und ist zuständig für die Instinkte. Das welchen sie das Zentralnervensystem Vorteil, dass sowohl die Funktion des paleomammalische Gehirn, das nahezu oberhalb und unterhalb des Zwischen- limbischen Systems, wie auch die «Loka- gleichzusetzen ist mit dem limbischen hirns durchtrennten, die Hypothese, lisation» von Emotionen zum damaligen Systems und emotionale Zustände herdass der Thalamus bzw. Hypothalamus Zeitpunkt weitgehend unklar waren und vorrufen kann, sowie das neomammaentscheidend für die Entstehung von «glücklicherweise» wenig empirische lische Gehirn, das die Strukturen des Emotionen sei. Bei einer Durchtren- Daten vorlagen. Erste empirische Befun- Neokortex umfasst und u. a. in der Lage nung oberhalb dieser Strukturen zeigten de hinsichtlich der Bedeutung des limbi- ist, Affekte und Impulse des paleomamdie Tiere noch emotionsentsprechende schen Systems für die Verarbeitung von malischen Gehirns zu beeinflussen. Reaktionen, die jedoch verschwanden, Emotionen stammten von Klüver und wenn die Durchtrennung unterhalb des Buey [13,14]. Sie konnten darlegen, dass die bilaterale Entfernung des anterioDas Limbische System Zwischenhirns durchgeführt wurde. ren mesialen Temporallappens, inklusiPapez [12] formulierte, auf der Basis dieser Ergebnisse, eine erste primär neuro- ve des Hippocampus und der Amygdala nale Theorie der Entstehung von Emo- bei Rhesusaffen unter anderem zu einer tionen. Emotionen entstehen demnach übersteigerten Sexualität, oralen Tendurch die Verarbeitung eingehender denzen und zu dem Verlust des Angstsensorischer Informationen in einem empflndens führt. Eine vergleichbare, jeNeuronenkreis, dem phylogenetisch al- doch abgeschwächte Symptomatik nach ten limbischen System, das in der Folge einer bilateralen Schädigung des Tempoauch als Papezkreis bezeichnet wurde. rallappens konnte auch beim Menschen nachgewiesen werden [15]. Abb. 2: Limbisches System: Darstellung der Dieser Papezkreis besteht aus folgenden relevanten neuroanatomische Strukturen Eine nächste Präzisierung wurde von im ICreis hintereinander verschalteten MacLean [16] formuliert. Er erweiterte (modifiziert nach http://www.neuro24. Strukturen: Hippocampus, Fornix, Made/bilder6/limbisch.jpg). Mit freundlicher das Konzept des limbischen Systems und Erlaubnis von K. Mayer, Heidelberg ®. millarkörper. Nucleus thalamus anterior, GyruB cinguli

Septum pellucldi

^ J

Limbischer Gyrus [

Indusium griseum

|lnlralimbischer Gyrus

^ ^

Fomb(

PRAXIS

Mini-Review

Präfrontaler Cortex

Assoziationscortex

Gyrus cinguli

Hippocampusformation

Anteriore Thalamuskerne

Fornix

Amydala

Mamillarkörper Tractus mamillothalamicus Hypothalamus

Abb. 3: Neuronale Verschaltung der neuroanatomischen Strukturen des limbischen Systems. Dicke Linien: von [10] beschriebene Leitungsbahnen. Dünne Linien: in neuerer Zeit beschriebene Verschaltungen.

Auch wenn in Licht der neueren Forschung verschiedene Aspekte der Konzeption von Papez und MacLean kritisch gesehen werden müssen [20], wie z.B. die Betonung des Hippocampus für Aspekte der Verarbeitung emotionaler Reize, so bleibt doch festzuhalten, dass das limbische System auch heutzutage im Zentrum der neurowissenschaftlichen Erforschung emotionaler Prozesse steht.

Moderne biologische Emotionskonzepte In den folgenden Jahrzehnten zwischen 1950 und 1990 spielte die Emotionsforschung im Bereich der Neurowissen-

schaften keine relevante Rolle. Hierfür gibt es inhaltliche aber auch methodische Gründe. Inhaltlich zeigte sich, dass das limbische System hinsichtlich der dazugehörigen neuroanatomischen Strukturen und Verbindungen nicht klar definiert werden konnte [20,21], und dass verschiedene Strukturen des limbischen Systems gänzlich unemotionale Funktionen haben, z.B. der Hippocampus eine Flaschenhalsstruktur für die Einspeicherung von Gedächtnisinhalten [22,23] ist. Ein zweiter wichtiger Grund ist sicher darin zu sehen, dass die Psychologie zwischen 1950 und 1980 eine «emotionsfreie» Zeit war, da die dominierende

Praxis 2014; 103 (4): 213-221

215

behaviorale Lerntheorie einerseits das Gehirn als reine Blackbox betrachtete, und andererseits keine Differenzierung zwischen Emotionen und Kognitionen vornahm [24]. Ein dritter wichtiger Grund für die «Stagnation» der biologischen Emotionsforschung ist in den verfügbaren methodischen Zugängen der Neurowissenschaften zu sehen. Lange Zeit basierten die Resultate der neurowissenschaftlichen Emotionsforschung primär auf Tierexperimenten oder Läsionsstudien, wobei beide methodischen Zugänge Einschränkungen hinsichtlich der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Funktionsweise des gesunden menschlichen Gehirns aufweisen [25]. Die anderen verfügbaren Methoden wie das EEG, oder psychopharmakologische Verfahren waren hinsichtlich der Frage der Lokalisation zu ungenau. Erst Ende der 1980er Jahre, mit dem Aufkommen der modernen Methoden der fünktionellen Bildgebung, wie der PositronenEmissions-Tomographie (PET) und insbesondere der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), kam die Neuroanatomie emotionaler Prozesse wieder stärker in den Fokus. Diese Verfahren erlauben, Stoffwechsel- und/oder Durchblutungsänderungen von Hirnregionen sichtbar zu machen, die mehr oder weniger direkt einer Änderung der Aktivität von Neuronen entsprechen. Die fMRT erlaubt die zerebrale Repräsentation kognitiver und emotionaler Prozesse, mit einer sehr guten räumlichen (

[Neural correlates of emotional processes].

L'investigation des processus émotionnels a été négligée pendant longtemps. Avec la disponibilité des nouvelles méthodes d'imagerie, cependant, la rep...
8MB Sizes 0 Downloads 2 Views