Kommentare Nobelpreis für Medizin und Physiologie 1991

Die Entdecker der Einzelkanalanalyse Erwin Neher, Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie, Göttingen, und Bert Sakmann. MaxPlanck-Institut für Medizinische Forschung, Heidelberg, werden dieses Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Die Anfänge. Als die beiden Laureaten 1976 ihre Methode zum ersten Mal in einer sehr sorgfaltig abgefaßten Veröffentlichung (7) darstellten, war vielen Forschern auf dem Gebiet der Neuround Elektrophysiologie schon nach kurzer Zeit klar geworden, daß sich hier ein methodischer Durchbruch abzeichnete. In der Arbeit wurden die »elem e n t a r e n ~Einzelkanalströme des Acetylcholinkanals des Skelettmuskels erstmals sichtbar gemacht und zwar als Stromspuren mit einer Stromstärke von 10-l2 Ampere. Dem Betrachter dieser Aufzeichnungen (Abbildung 1) erschließt sich ganz direkt die Dynamik der Arbeitsweise des einzelnen Ionenkanals: Durch den Agonisten Acetylcholin »angeschaltet«, öffnet sich der Kanal, läßt ein Quantum Ionen, das sich genau ausmessen läßt, hindurchtreten und schließt sich dann wieder. Mit dieser Methode wird also die Arbeitsweise des einzelnen Ionenkanalproteines direkt meßbar. Wohl deshalb erschien diese Methode einer immer weiter wachsenden Anzahl von Experimentatoren besonders attraktiv: In Abbildung 2 ist die Häufigkeit des Schlüsselwortes »patch clampa in der Weltliteratur gegen eine Jahresskala aufgetragen. Kurz nach der Erstbeschreibung wuchs die Zahl der Anwender exponentiell an. Dabei ist zu bemerken, daß die anderen Schlüsselwörter, die damit in Verbindung stehen, nochmals etwa fünfmal häufiger zitiert werden. Die ausgereifte Methode. Den Laureaten ist es zu verdanken, daß sie mit unermüdlicher Liebe zum methodischen Detail diese neue Technik verfeinert und der allgemeinen Anwendung zugäng-

Dtsch.med. Wschr.116 (1991).1849-1851 O G e o r g T h i e m e V e r l a g Stuttgart . N e w Y o r k

lich gemacht haben. Eines der wesentlichen Probleme bei dieser Methode besteht darin, eine extrem klein dimensionierte Glaspipette (Spitzendurchmesser etwa 1ym) auf eine Zellmembran anzudrücken und den Kontakt zwischen der ableitenden Glaspipette und der Zellmembran zu verbessern. Dieses

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Bandgerat Referenz

B

Abb. 1 Die Einzelkanalanalysemit der Saugelektrodentechnikan einer Froschskelettmuskelfaser(modifiziert nach Neher und Sakmann [7]). h) Meßaufbau: Mit der Saugelektrodewird ein Membranareal einer in einem Organbad befindlichen Skelettmuskelfaserangesaugt. Der Einzelkanalstrom »i« fließt uber den npatch clampu-Verstärkerund wird mit einem Bandgerät aufgezeichnet bzw. auf dem Oszilloskop dargestellt. - B.) Aufzeichnung eines Originalexperimentes.Die Dimension und die Dauer der einzelnen Stromereignisse sind durch die Balken angegeben. Die Klemmspannung betrug-120 mV (Zytosolseitenegativ). Durch einen Agonisten (Suberyldicholin)werden entsprechende Acetylcholin-empfindliche Kationenkanälein dem untersuchten Membranfleck aktiviert. Das Nullstromniveau ist durch »0u gekennzeichnet. » l u und »2u charakterisiert den Offenzustandeines bzw. zweier derartiger Kanäle. Die Stromspur macht deutlich, da0 die lonenkanälediskontinuierlich arbeiten. Der Kanal öffnet und schließt sich mit der für ihn typischen Kinetik.

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Die Analyse der Funktion des einzelnen Ionenkanals

1850 Creger: Nobelpreis für Medizin 1 9 9 1 -

D M W 1 9 9 1 , 1 1 6 . J g . , Nr. 4 8

Die Verbreitung und Anwendung der Methode. Die verschiedenen Anwendungen der Methode sind heute kaum mehr übersehbar. Einige wenige Beispiele dazu sollen hier angeführt werden. In der Neurophysialogie konnte mit der Saugelektrohbb. 2 Dle Verbreitungder Saugelektrodentechnikim Verlauf der dentechnik das Schaltverhalten das Na+-Kanales,der vergangenen 15 Jahre Die Anzahl der Zitate im tfitatton Index« ist (mit logarithm~scherSkala) gegen die Jahreszahl aufgetragen hauptsächlich ffir den zeitlichen Verlauf des Aktionspotentials ausschlaggebend ist, geklärt werden (1 3). Sehr rasch zeichnete sich eine funktionelle UnterteiProblem wurde durch das Glätten der Pipettenspit- lung der einzelnen Ionenkanäle ab. So konnten viele Zen durch Anschmelzen und leichten Sog gemeistert, verschiedene Typen von Natrium-, Kalium-, CalEs ist wohl kein Zufall, da8 sich hier zwei eng be- cium-, Chlorid- und nicht-selektiven Kanälen freundete Forscher mit unterschiedlichem wissen- beschrieben werden. Die funktionelle Unterteilung schaftlichem Hintergrund - Neher ist Physiker, Sak- stützte sich dabei auf die Permeabiliti4tseigenschafmann Mediziner- in idealer Weise ergänzt haben. In ten, die kinetischen Daten, die Leitfähigkeit und die einem »Bestseller«, der vor gehau 10 Jahren in der pharmakologische Beeinflussung der einzelnen Zeitschrift uPflügers Archiv« erschienen ist, wird die Kanäle. also auf eine Vielzahl von Parametern, die Methode als ausgereifte Technik vorgestellt (41. I3ie sämtlich im gepaarten Experiment von einem einzelAuflösung war nun weiter verbessert, und Kanal- nen Ionenkanal zu erhalten waren. War in der Ara ströme von weit unter 1 pA waren meßbar. Auch die vor Neher und Sakmann noch schlicht zum Beispiel apparativen und Daten-analytischen Probleme vom einwärts gleichrichtenden K+-Strom die Rede, waren gelöst und für jedermann zugänglich und so zeigte sich nun bald. daß es eine unglaubliche dank der ausführlichen Beschreibungen auch in Vielfalt solcher K+-Kanälegibt. jedem Detail nachvollziehbar. In dieser Arbeit und , auch in einer etwas später erschienenen MonograIn der Tat konnte es nicht ausbleiben, phie (121 wird deutlich, wie sehr das methodische daß die Methode von so manchem Benutzer zur Ausfeilen beiden Laureaten am Herzen liegt. Nur mit reinen Phänomenologie herangezogen wird. In dem dem Namen für die Methode schien es etwas zu jeweiligen biologischen Präparat wird dann eine hapern. Natürlich war ein Anglizismus zu finden: Vielzahl von einzelnen Ionenkanälen beschrieben, ~ p a t c hclamp«. Das erste Wort bezeichnet das kleine und darüber geht die Übersicht vollends verloren, Membranareal, den Membranfleck. Das zweite Wort welche Bedeutung diese einzelnen Kanäle haben (31. >>clamp«geht auf den Ausdruck Spannungsklemme Das wäre zu vermeiden, wenn der jeweilige Benutzer zurück, wie er damals schon lange auch im Deut- die Methodik in ihrer ganzen Vielfalt, wie sie von den schen gebräuchlich war. Aber wie ist der Begriff beiden Laureaten beschrieben wurde, anwenden »patch clarnpe in die Sprache der Erfinder zu über- würde. Mit nur geringen Modifikationen Iäßt sich die setzen? Heißt das Fleckenklemme? Wohl nicht. Saugelektrodentechnik zur Messung des MembranGeklemmt wird die elektrische Spannung über einem potentiaIes der Zelle. des Ganzzellstromes (4, 5, 12) Membranfleck, und gemessen wird der entspre- und der Membrankapazitäten ( 2 ) heranziehen. Bei chende Strom durch den einzelnen Ionenkanal. Viel- Verwendung dieser und anderer Techniken sollte die leicht ist die etwas allgemeinere Übersetzung >>Saug- Integration von EinzelkanaZdaten möglich sein. elektrodentechnikg besser, wird doch mit dieser Technik in ihren verschiedenen Anwendungsformen Neue Perspektiven. Etwa gleichzeitig in der Tat nicht nur der Strom meßbar. sondern auch mit der Entwicklung der Saugelektrodentechnik war die Spannung über der Zellmembran und deren elek- auch die Klonierung der ersten Kanalproteine geluntrische Kapazität. Das Übersetzungsdilemma spiegelt gen (81. Damit entstand nun die Moglichkeit, die die Tatsache wider, daß wir unsere Forschung kaum vermutete räumliche Struktur dieser Proteine mit mehr in unserer Muttersprache darstellen. ihrer Funktion zu korrelieren. Gezielte Verändexungen der Kanalproteine und deren funktionelle KanseVor etwa 10 Jahren war das Rüstzeug quenzen werden uns letztlich Aufschluß darüber verfügbar und eine rasch zunehmende Anzahl von geben, wie zum Beispiel das Schaltverhalten des

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Anwendern übernahm diese neue Technik. Dabei kam allen neuen Anwendern zugute, daß die publizierten methodischen Hinweise der Laureaten in jeder Beziehung präzis und nachvollziehbar waren. Darüber hinaus waren beide Erfinder stets bereit, ihre Kenntnisse und Erfahrungen mit Kollegen zu teilen. Wohl deshalb erleben beide jetzt die freudige Überraschung, daß die Fachwelt sich einmütig und neidlos über die Zuerkennung des Nobelpreises freut.

Greger:Nobelpreis.für Medizin 1991 1851

DMW1991, 116. Jq., Nr. 48

Die Saugelektrodentechnik hat die Grundlagenforschudg auf dem Gebiet der Ionenkanäle in eine neue Ära versetzt. Die Eigenschaften der einzelnen Ionenkanäle sind jetzt direkt analysierbar. Die pharmakologische Beeinflussung von Ionenkanälen kann am einzelnen Kanal nachvollzogen und der Mechanismus kann geklärt werden. Erwähnt sei hier Pars pro tot0 der Wirkmechanismus von Sulfonylharnstoffen a n den K'-Kanälen von B-Zellen des Pankreas (15). Der Nachweis der Steuerung von Ionenkanälen durch Botenstoffe, C-Proteine oder Phosphorylierung wurde erst mit dieser Methode möglich (1, 14). Auch die Erforschung pathophysiologischer und pathologischer Vorgänge ist von der Saugelektrodentechnik bereits in vielfältiger Weise befruchtet worden. So gehen verschiedene Myotonieformen mit definierten Kanalstörungen einher (11). Die Mucoviscidose konnte inzwischen als Störung an bestimmten Cl--Kanälen im Respirationsepithel und anderen Epithelien charakterisiert werden (16). Bedenkt man die herausragende Rolle von Ionenkanälen für die Kommunikation zwischen dem Extrazellulärraum und den Zellen sowie zwischen den Zellen untereinander, dann erscheint es zwingend, daß mit dieser Methode nicht nur wesentliche funktionelle Mechanismen, sondern auch deren Störungen erkannt, verstanden und vielleicht behebbar werden. Beide Laureaten haben seit dem methodischen Durchbruch vor etwa 1 0 Jahren als nimmermüde Experimentatoren weitere wichtige Entwicklungen eingeleitet. Sakmann hat sich der Wechselbeziehung zwischen Kanalstruktur und Kanalfunktion zugewandt (6, 10). Neher hat die Kapazitätsmessung entwickelt und verbessert (2) und die elektrischen Meßmethoden mit Fluoreszenzmessungen des zytosolischen Calciums kombiniert. Damit hat e r das Handwerkszeug für die Analyse von Sekretionsvorgängen entwickelt (9).

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Pro$ Dr. R. Greger Physiologisches Institut d e r Universität Hermann-Herder-Str. 7 W-7800 Freiburg

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Kanalproteins, seine Permselektivität oder etwa seine Spannungsabhängigkeit zustande kommen. Die Sakmannsche und andere Arbeitsgruppen sind auf diesem Weg schon ein gutes Stück vorangekommen (6,101.

[Nobel Prize for Medicine and Physiology 1991. Analysis of the function of single ion channel].

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