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Nachruf auf Dr. Bernard Becker, Head des Departments of Ophthalmology der Washington University, St. Louis, Missouri, von 1953–1988 Obituary: Dr. Bernard Becker, Head of the Department of Ophthalmology and Visual Sciences of the Washington University Medical School, St. Louis, Missouri, 1953–1988 Mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg folgte mit Beendigung des Medizinstudiums 1945 Dienst in der Army als (Armee)-Psychiater in New Haven. Freie Zeit nutzte Becker im Labor an der Yale University zu histochemischen Forschungen. Diese brachten ihn zusammen mit Jonas Friedenwald, Aushängeschild der Forschung am Wilmer Institute der Johns Hopkins University in Baltimore. Friedenwald verschaffte ihm daselbst die Stelle als Resident und „Chief resident“ mit einem Platz in seinem Labor. Neben der Klinik gelangte er schon als Resident mit experimenteller Arbeit bis spät in die Nacht und über Wochenenden unter Friedenwald an die vorderste Front der Glaukomforschung. Im 3. Jahr der Residency heiratete er Janet Rosenwald und erhielt ein Fellowship für eine Europareise, viel mehr ophthalmologische Erkundungs- als Hochzeitsreise. Diese brachte entscheidende Kontakte zu Heinz Holter in Kopenhagen, Ernst Barany in Uppsala und Hans Goldmann in Bern. Aus letzterer Begegnung entwickelte sich eine lange Zusammenarbeit zwischen St. Louis und Bern mit über Jahre dauerndem Austausch von Fellows und Staff-Mitarbeitern und Gastprofessuren Goldmanns in St. Louis, wobei 2 kongeniale Geister zusammenfanden. Auf der besagten Hochzeitsreise legte Becker, als 1953 die alten Medizinbücher bei den Bouquinistes an der Seine und in den Antiquariaten Europas nur so herumlagen, auch den Grundstock seiner großen Sammlung alter ophthalmologischer Werke. Diese vermachte er 1975 der Washington University Medical Library, deren Rare Books Annex begründend und die Geschichte der Augenheilkunde in den USA wesentlich fördernd. 1952 entschied sich Becker, 32-jährig!, nicht als Assistent Professor am Wilmer Institute zu bleiben, sondern die ihm angebotene Führung des Departments of

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Abb. 1 Dr. Bernard Becker (mit freundlicher Genehmigung).

Ophthalmology der Washington University in St. Louis zu übernehmen. In Aussicht gestellte gute Forschungsmöglichkeiten mit Zusammenarbeit mit dem Biochemiker Carl Cori (Nobelpreis 1947) und dem Histochemiker Oliver Lowry, ließen ihn sich für St. Louis entscheiden. Was er dort 1953 antraf, war nicht wie erwartet: Viel zu wenig Platz für Klinik und Forschung, die klinische Ophthalmologie äußerst rückständig, die Ausbildung der Residents völlig ungenügend. Überschwemmt von Patienten blieb Becker die Hauptlast von deren Versorgung. Alle Amotiones musste er selbst operieren, bis er in Paul Cibis den hervorragenden Netzhautchirurgen gefunden hatte, der dann St. Louis zu einem der besten, von Patienten überlaufenen Zentrum der Netzhautchirurgie in den USA mit einem Einzugsgebiet von 800 Meilen Durchmesser entwickelte. Im Gegensatz zu seinen früheren Stationen war Antisemitismus inexistent in St. Louis. Dagegen traf er selbst in Kreisen der Universität auf eine tief verwurzelte Segregation zwischen Weiß und Schwarz. Zum Faculty Club hatten Schwarze keinen Zutritt. Segregation war für Becker im eigenen Department intolerabel, selbst wenn er gegen Widerstand mancher Attending Doctors zu kämpfen hatte. Innert weniger Jahre bildete Becker einen hervorragenden Mitarbeiterstab für Klinik, Forschung und Ausbildung der Residents in einem 4-Jahres-Curriculum heran. Dem ging jeweils eine sorgfältige Selektion aufgrund erbrachter Leistung, Motivation und Interessen, unabhängig von Rasse, Geschlecht und Herkunft, aus etwa 400 Anmeldungen für die jährlich 4 neu zu besetzenden Stellen voraus.

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Am 25. August 2013 ist Dr. Bernard Becker, Dr. h. c. der Universität Zürich, Head des Departments of Ophthalmology der Washington University, St. Louis, Missouri, von 1953–1988, kurz nach seinem 93. Geburtstag verstorben. Bernard Becker wurde 1920 in Brooklyn, New York, geboren. Sein Vater, Sohn russisch-jüdischer Immigranten, hatte darum zu kämpfen, überhaupt in die Schule gehen zu können. Damit kam dieser zur Überzeugung, nichts sei wichtiger im Leben als sich intellektuell zu entwickeln. Dies prägte auch seinen ihn verehrenden Sohn Bernard Becker. Außerordentlich begabt hat dieser im Alter von 3 Jahren Bücher gelesen und gerechnet und 4-jährig sich in fortgeschrittener Mathematik geübt. Seinen Alterskameraden stets voraus, war er immer der Jüngste, in „high school, college, medical school and even for professorship“. Beckers Biografie ist auch etwas amerikanische Universitätsgeschichte um die Zeit des Zweiten Weltkriegs. 1937, 17jährig, erhielt er ein Stipendium für das Studium in Princeton, zwar exzellente Bildungsanstalt, aber eine Schule ausgesprochen für reiche Jünglinge, offensichtlich antisemitisch und rassistisch: Nur 6 von 400 Studenten in Beckers Klasse waren jüdisch, schwarze Studenten fanden kein rechtliches Gehör und Frauen gab es keine. Zur Aufbesserung des nicht ausreichenden Stipendiums erteilte Becker ganzen Klassen Nachhilfeunterricht in Mathematik und Chemie und wurde damit bester Garant für das Bestehen der Examina. Schon als Student extrem an Forschung interessiert, kam es zu Arbeiten mit seine Laufbahn prägenden Forschern in Röntgenkristallografie, dann während seines Medizinstudiums an der Harvard University in Biochemie, womit er die Basis seiner lebenslangen Forschung legte.

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An der Washington University Medical School schätze Becker besonders die hervorragende Zusammenarbeit – nicht kompetitiv wie an anderen Universitäten –, wie sie zwischen den theoretischen und den klinischen Departementen entwickelt worden war, was ihn – und seine Frau – dann bewog, in St. Louis zu bleiben, als er einen Ruf an die Harvard erhalten hatte. Zu seinen unablässigen Bemühungen um Verbesserung der ophthalmologischen Ausbildung gehörte Beckers maßgebliche Beteiligung an einer Reorganisation des American Board of Ophthalmology. Er verbrachte jährlich Stunden um Stunden mit der Formulierung von MC-Fragen, Grundlage eines Fragen-Pools, von welchem heute die Ophthalmologie weltweit immer noch zehrt. Forschung und Forschungsförderung war das eigentliche Lebensziel Beckers gewesen. Er publizierte bis zu seiner Emeritierung weit über 300 Arbeiten in den besten Journals, 151‑mal als Erstautor. Ab etwa 1967 enthalten die Autorenlisten immer mehr die Namen derjenigen Fellows, die er bleibend für die Forschung begeistert hat. Mehr als die Anzahl wiegt, wieviel mit Becker seinen Anfang nahm und z. T. bis heute nachwirkt: 1954 hat er die drucksenkende Wirkung des Carboanhydrasehemmers Diamox erkannt und mit zahlreichen Untersuchungen in die Glaukomtherapie eingeführt. 1962 kam mit Cibis, Okun und Cannon die Pionierarbeit über Anwendung von Silikonöl in der Netzhautchirurgie, 1963 begann mit Hahn die Fokussierung auf genetische Unterscheidungsmerkmale der Offenwinkelglaukome, 1965 mit Armaly die Untersuchung des unterschiedlichen Verhaltens des intraokularen Druckes auf Kortikosteroide, mit Unterscheidung zwischen Respondern und Nonrespondern, später die Untersuchung der Bedeutung der HLA-Antigene für die Prognose des Glaukoms, 1972 zusammen mit Stamper, Asseff und Podos erste Untersuchungen mit dem Ziel pharmakologischer Neuroprotektion mit Phenylhydantoin, mit Kass die Untersuchung der Prostaglandinwirkung auf die Kammerwasserdynamik. Seine Untersuchungen zur Anwendung der Tonografie und zur Kammerwasserdynamik waren wegleitend, dazu gehören die Untersuchungen von Diodrast und Jodidtransport im Ziliarkörper. Weltweite Wirkung für Verständnis und Therapie der Glaukome erreichte Becker mit dem „Textbook on the glaucomas“, heute das Standardlehrbuch, die ersten 2 Auflagen mit Bob Shaffer, die nächsten 2 mit

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Al Kolker, dann weitergeführt von seinen Schülern. Seine Arbeiten, häufig auf biochemischer Grundlage, gehen weit über das Gebiet des Glaukoms hinaus, sehr viele betreffen Diabetes und Auge. Becker wirkte für die Ophthalmologie weit über sein Department hinaus, maßgeblich beteiligt an der Organisation des National Institute of Health, später an der Schaffung eines separaten National Eye Institute, an der Gründung der Association of University Professors of Ophthalmology. Die Europäer folgten diesem Vorbild. Größte Verdienste hat Becker als Initiator und Mitbegründer der Association for Research in Ophthalmology (ARVO). Aus den ersten Meetings mit um die 50–100 ist der Spitzenkongress der Forschung in Ophthalmologie mit 8000– 10 000 Teilnehmern geworden. Beckers Gegenwart in den Anfangsjahren der ARVO-Meetings gab diesen ein spezielles Gepräge. Zahllose junge, an Forschung interessierte Leute fanden dort das Gespräch mit ihm und erhielten Anregung und Wegleitung aus dem stupenden Wissensschatz von jemandem, der wie keiner mit älterer, auch deutscher, und neuester Literatur vertraut war. Die Zeitschrift der Association, das Journal for Investigative Ophthalmology, heute „Journal for Research in Vision and Ophthalmology“ hat er begründet und als erster Chefredaktor zu einem der gewichtigsten Zeitschriften der Ophthalmologie entwickelt. Daneben war er für zahlreiche Zeitschriften redaktionell tätig. Dr. Dr. h. c. Bernard Becker war Mitglied und Board-Mitglied zahlloser Organisationen. Er erhielt eine Myriade von Anerkennungen und Preisen, darunter den Friedenwald-, den Proctor- (ARVO), den Proctor- (University of California), den Helen-Keller- und den Jackson-Award, den Von-Graefe-Preis, das Ehrendoktorat der Universität Zürich und – für den großen Leser und Bibliophilen wohl die größte Freude – die Umbenennung der Medical Library in Bernard Becker Medical Library, seine großen Verdienste um deren Neugestaltung ehrend. Was aber am meisten zählt, ist, wie die 250 bis 300 durch seine Schule gegangenen Ophthalmologen die Augenheilkunde weiter tragen. Er hat wie keiner Talente gefördert, und so gibt es kaum jemanden, der mehr Schüler auf Lehrstühle oder in verantwortungsvolle Positionen in den USA und weltweit gebracht hat. Mehr als 20 davon sind Leiter von Universitätskliniken und oder Full Professor geworden, weit gestreut über ganz USA, 7 davon im

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Ausland – in Helsinki, Lund, Stockholm, Marburg, Bern, Zürich, Tokio und Australien. Beckers Effizienz beruhte u. a. auf einem höchst disziplinierten Umgang mit seiner Zeit. Schwatzen konnte man nicht mit ihm. Wollte man ein Anliegen besprechen, geschah dies per „appointment“ an seinem Arbeitsplatz. Für eigene Forschungen bekam man jegliche Hilfe. Bei aller Förderung war er aber fachlich und bezüglich Einsatz fordernd. Zwischen ihm und seiner Umgebung bestand stets eine gewisse ehrerbietige Distanz. Nur wenige redeten ihn, wie sonst in den USA üblich, mit dem Vornamen Bernie an, für die meisten war und blieb er Dr. Becker. Er war aber für alle Mitarbeiter in allen Lebenslagen unwahrscheinlich hilfsbereit. Er und Janet Becker handelten mit ausgesprochen sozialem Gewissen, halfen, wo sie konnten, ohne Aufhebens und vielfach anonym weit über das Department und die Ophthalmologie hinaus. Mit Dr. Bernard Becker ist einer der ganz Großen der Ophthalmologie des 20. Jahrhunderts von uns gegangen, einer, der wie kaum einer nachhaltig geforscht und Talente gefördert hat, und dem sehr viele viel zu verdanken haben Er hinterlässt seine Frau Janet und die Familien seiner 5 Söhne mit 10 Enkelkindern. B. P. Gloor Hinterbergstrasse 91, 8044 Zürich, Schweiz

Literatur 1 Becker B. Collection in Ophthalmology, Catalog of the Bernard Becker, M.D. Collection in Ophthalmology. St. Louis: Washington University School of Medicine Library; 1982 2 Hunt M. Interview of Bernard Becker 1990, Washington University School of Medicine Oral History project, 2010. Im Internet: http://beckerexhibits.wustl.edu/oral/ transcripts/becker.html; Stand: 7.11.2013 3 Newsroom Washington University in St. Louis. Orbituary Bernard Becker. Im Internet: http://news.wustl.edu/news/PAgees/ 25762.aspx; Stand: 7.11.2013 4 Curriculum vitae und Literaturverzeichnis Bernard Becker bis 1991. Persönliche Mitteilung Bibliografie DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-1351066 Klin Monatsbl Augenheilkd 2013; 230: 1263–1264 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0023-2165 Korrespondenzadresse Prof. emer. Dr. med. B. Gloor Hinterbergstrasse 91 8044 Zürich Schweiz [email protected]

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[Obituary: Dr. Bernard Becker, Head of the Department of Ophthalmology and Visual Sciences of the Washington University Medical School, St. Louis, Missouri, 1953-1988].

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