Leitthema Urologe 2014 DOI 10.1007/s00120-014-3512-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

C. Wülfing1 · U. Humke2 1 Abteilung für Urologie, Asklepios Klinik Altona, Hamburg 2 Urologische Klinik, Katharinenhospital, Klinikum Stuttgart, Stuttgart

Offene und minimalinvasive partielle Nephrektomie Komplikationsmanagement

Bei der operativen Behandlung von Nierentumoren kommen organerhaltende Operationsverfahren zunehmend zum Einsatz. Sowohl die offenchirurgischen, wie auch die minimalinvasiven Operationstechniken sind etabliert und haben zum Ziel, den Tumor onkologisch sicher in einer möglichst kurzen Ischämiezeit und mit einer möglichst niedrigen Komplikationsrate zu entfernen. Die Komplikationen, die in internistische und chirurgische Komplikationen unterteilt werden können, bedürfen hierbei eines standardisierten Komplikationsmanagements. Nachdem Gustav Simon im Jahre 1869 die erste operative Nephrektomie zur Behandlung einer Urinfistel durchführte, dauerte es ein weiteres Jahrhundert, bis die radikale Tumornephrektomie als standardisierte Operationstechnik von Robson et al. [22] vorgestellt wurde und sukzessive zur Anerkennung dieser Methode für die operative Behandlung von Nierentumoren führte. Die Nierenteilresektion war zu diesem Zeitpunkt der sog. obligaten (auch „imperativen“) Indikation vorbehalten, also bei Vorliegen einer Einzelniere, von bilateralen Tumoren oder einer ausgeprägten Niereninsuffizienz [28]. Mittlerweile konnten verschiedenste Studien jedoch klar belegen, dass die partiel-

le Nephrektomie hinsichtlich der onkologischen Sicherheit (chirurgische Schnittränder, krebsspezifisches Überleben), der perioperativen Ergebnisparameter (Blutverlust, postoperative Schmerzen, stationäre Aufenthaltsdauer etc.) und der Lebensqualität gegenüber der radikalen Nephrektomie als gleichwertig bewertet werden kann [5, 15].

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Wichtig ist die zunehmende Verbreitung und Verbesserung moderner Sonographie- und Schnittbildgebung Über diese Erkenntnisse hinaus entstand auch aus anderen Gründen ein Paradigmenwechsel hinsichtlich der Empfehlung zu organerhaltendem Operieren: die wichtigste Entwicklung war hierbei die zunehmende Verbreitung und Verbesserung moderner Sonographie- und Schnittbildgebung, die zu einem signifikanten Anstieg der Diagnose von – zumeist kleinen – Nierentumoren geführt hat [28]. Darüber hinaus konnte die Weiterentwicklung der histologischen Subklassifikation von Nierentumoren das pathologische Verständnis für diese Entitäten und ihre sehr heterogene Metastasierungswahrscheinlichkeit verbessern und die radikale Nephrektomie, insbesondere für den Anteil der benignen Tumoren in Höhe von 20–

30%, als geeignete Therapie in Frage stellen [13]. Nicht zuletzt hat sich ein differenziertes Verständnis zu den internistischen Folgen einer durch radikale Nephrektomie eintretenden Verschlechterung der Nierenfunktion ausgebildet. Es konnte in mehreren Studien für nephrektomierte Patienten ein deutlich erhöhtes Risiko, an kardiovaskulären Ereignissen zu sterben, dokumentiert werden [10, 11]. Vor diesem Hintergrund nimmt der Anteil der nierenerhaltenden Operationen im Vergleich zur radikalen Nephrektomie derzeit in Europa und auch in den USA stetig zu [26, 29] und wird auch durch die aktuelle Leitlinie der „Eurpean Association of Urology“ (EAU) „wann immer technisch möglich“ empfohlen [17].

Klassifikation von Komorbiditäten und Komplikationen In der Literatur sind unterschiedliche Systeme zur systematischen Evaluierung von Komorbiditäten und Komplikationen berichtet worden. Der wohl am weitesten verbreitete Score zur Voraussage des perioperativen Risikos ist der „ASA-Score“ der „American Society of Anaesthesiologists“ [7], der jedoch sehr für seine Subjektivität und damit für das geringe Maß der Übereinstimmung und Reproduzierbarkeit (30–80%) kritisiert wird [16]. Der Urologe 2014 

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Leitthema Tab. 1  Charlson-Comorbidity-Index Erkrankung Herzinfarkt1 Herzinsuffizienz2 Periphere arterielle Verschlusskrankheit3 Zerebrovaskuläre Erkrankungen4 Demenz5 Chronische Lungenerkrankung6 Kollagenose7 Ulkuskrankheit8 Leichte Lebererkrankung9 Diabetes mellitus (ohne Endorganschäden)10 Hemiplegie Mäßig schwere und schwere Nierenerkrankung11 Diabetes mellitus mit Endorganschäden12 Tumorerkrankung13 Leukämie14 Lymphom15 Mäßig schwere und schwere Lebererkrankung16 Metastasierter solider Tumor AIDS Summe

Bewertung 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 2 3 6 6  

Punkte                                        

1Patienten mit Hospitalisierung wegen elektrokardiographisch und/oder enzymatisch nachgewiesenem Herz-

infarkt. 2Patienten mit nächtlicher oder durch Anstrengung induzierte Dyspnoe mit Besserung der Symptomatik unter Therapie. 3Patienten mit Claudicatio intermittens, nach peripherer Bypassversorgung, mit akutem arteriellem Verschluss oder Gangrän sowie nicht versorgtem abdominellen oder thorakalen Aortenaneurysma >6 cm. 4Patienten mit TIA oder Apoplex ohne schwerwiegenden Residuen. 5Patienten mit chronischem kognitiven Defizit. 6Patienten mit pulmonal bedingter Dyspnoe bei leichter oder mäßig schwerer Belastung ohne Therapie oder Patienten mit anfallsweiser Dyspnoe (Asthma). 7Polymyalgie rheumatica, Lupus erythematodes, schwere rheumatoide Arthritis, Polymyositis. 8Patienten die bereits einmal wegen Ulcera behandelt wurden. 9Leberzirrhose ohne portale Hypertonie. 10Patienten mit Diabetes mellitus und medikamentöser Therapie. 11Dialysepflichtigkeit oder Kreatinin >3 mg/dl oder 12zurückliegender Krankenhausaufnahmen wegen hyperosmolarem Koma oder Ketoazidose. 13Sämtliche soliden Tumore ohne Metastasennachweis innerhalb der letzten 5 Jahre. 14Akute und chronische Leukosen. 15Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome, multiples Myelom.16Leberzirrhose mit portaler Hypertonie ohne stattgehabte Blutung und Patienten mit Varizenblutung in der Anamnese.

Tab. 2  Clavien-Dindo-Klassifikation Grad I II III IIIa IIIb IV IVa IVb V

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  Abweichung vom normalen postoperativen Verlauf ohne die Notwendigkeit einer   Intervention (medikamentös, radiologisch, chirurgisch) Leichte Komplikationen, die einer medikamentösen Intervention, Bluttransfusion oder   parenteralen Ernährung bedürfen Komplikationen, bei denen eine chirurgische, endoskopische oder radiologische   Intervention notwendig ist Wie zuvor jedoch ohne Vollnarkose Wie zuvor jedoch mit Vollnarkose Lebensbedrohliche Komplikation, die eine intensivmedizinische Behandlung verlangen Versagen eines Organs Versagen mehrerer Organe Tod durch Komplikation hervorgerufen

Der Urologe 2014

Weiterführender ist dagegen der „Charlson-Comorbidity-Score“, der gezielt nach 22 unterschiedlichen Erkrankungsarten fragt und sie mit einem Punktesystem bewertet, welches Aussagen über die 10-Jahres-Mortalität zulässt (. Tab. 1, [4]). Matin et al. [18] konnten zeigen, dass dieser Score für das Auftreten von Komplikationen bei nierenchirurgischen Eingriffen prädiktiv ist. Für die Klassifikation von peri- oder postoperativen Komplikation sind ebenfalls unterschiedlichste Scoringsysteme berichtet worden. In chirurgischen Arbeiten am meisten erwähnt ist die Klassifikation von Clavien u. Dindo [6]. Mit ihr wird es möglich, alle Abweichungen eines normalen Verlaufs nach Operation standardisiert zu erheben und einzuteilen (. Tab. 2). Hierdurch wird eine Auswertbarkeit und Vergleichbarkeit von Komplikationsdaten auch zwischen unterschiedlichen Operateuren und Institutionen möglich.

Einflussfaktoren für Komplikationen Bereits im Rahmen der Indikationsstellung und präoperativen Planung vor partieller Nephrektomie ist zu empfehlen, ein detailliertes Risikoassessment hinsichtlich zu erwartender Komplikationen vorzunehmen.

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Wesentlich sind die Komorbiditäten des Patienten und der Komplexitätslevel des Tumors Im Wesentlichen sollten hierbei die beiden entscheidenden Faktoren, die Komorbiditäten des Patienten und der anatomischen Komplexitätslevel des Tumors bewertet werden um die bestmögliche Patientenselektion für eine partielle Nephrektomie und die Festlegung des Operationsverfahrens (offen vs. minimal-invasiv) zu erreichen.

Komorbiditätsrisiko Da eine Nierentumorerkrankung nicht selten ältere Menschen betrifft, ist das Vorhandensein von Komorbiditäten häu-

Zusammenfassung · Abstract fig und sollte präoperativ präzise erhoben werden. In einer aktuellen Analyse der amerikanischen SEER-Datenbank („surveillance, epidemiology and end results“) konnten die Autoren eine Identifikation und Wichtung der häufigsten Komorbiditäten vornehmen [19]. Hier zeigte sich, dass der Diabetes mellitus, die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), eine zerebrovaskuläre Erkrankung, eine chronische Niereninsuffizienz, die periphere vaskuläre Erkrankung und die Herzinsuffizienz die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten signifikant beeinflussen [19]. Das Wissen um die Bedeutung der Komorbiditäten ist die wichtigste Voraussetzung für die korrekte Patientenselektion vor einem operativen Eingriff. Durch die Analyse und Objektivierung dieser Risikofaktoren kann bei zu hohem Risiko von der Indikation zur Operation und/oder zum Organerhalt abgewichen und dem Patienten ein alternatives Therapieverfahren empfohlen werden.

Komplexität des Tumors Während im Zeitalter der radikalen Nephrektomie im Wesentlichen das pathologische Tumorstadium entscheidend für die Operationsindikation war, steht die alleinige Unterscheidung der Stadien pT1 und pT2 zur Planung einer organerhaltenden Tumorentfernung nicht mehr im Vordergrund, da der Größendurchmesser des Tumors als solitäres Kriterium für eine detaillierte Operationsstrategie nicht ausreicht. Vielmehr ist für die erfolgreiche Durchführung einer organerhaltenden Operation die Komplexität des Tumors entscheidend. Hierzu zählen neben der Größe auch die Angaben zur Lage des Tumors innerhalb der Niere, seiner Lagebeziehung zu Hilusgefäßen und Nierenhohlsystem, sowie die Unterscheidung zwischen exophytischem und endophytischem Wachstum. Die systematische Bewertung dieser anatomischen Details und der daraus resultierende Grad der Komplexität des Tumors wird durch die beiden Scoringsysteme, die PADUA-Klassifikation („preoperative aspects and dimensions used for an anatomical classification“, [9]) und den RENAL-Score („radius, exophytic/endophytic, nearness to collecting

system or sinus, anterior/posterior and location relative to polar lines“, [14]), die beide in den letzten Jahren publiziert und zunehmend validiert wurden, ermöglicht und sollte vor Planung eines nierenerhaltenden Eingriffs zum standardmäßigen präoperativen Assessment eines Nierentumors gehören.

Allgemeine Komplikationen der Nierenteilresektion Wenn in der Literatur zur operativen Nierenteilresektion von Komplikationsraten berichtet wird, findet man in vielen Studien keine dezidierte Benennung der stattgehabten Komplikationen. Um die Ergebnisqualität des Eingriffs jedoch besser bewerten zu können, sollte neben der genannten Verwendung von standardisierten Klassifikationen (z. B. Clavien-Dindo) auch differenziert werden, ob es sich um chirurgische oder internistische Komplikationen handelt, da dies eine genauere Bewertung der Qualität des chirurgischen Eingriffs zulässt.

Chirurgische Komplikationen Neben allgemeinen chirurgischen Risiken während der Operation sind die wesentlichen speziellen Komplikationen bei einer operativen Nierenteilresektion die Blutungskomplikationen und die Ausbildung einer Urinfistel. D Blutungskomplikationen können

in perioperative und postoperative Blutungen unterteilt werden. In einer aktuellen vergleichenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass intraoperative Blutungen in 9–33% der Fälle auftreten [20], in den meisten Fällen aber von der Menge (150–250 ml) kontrollierbar bleiben [25] und mit einer Transfusionsrate von

[Open and minimally invasive partial nephrectomy. Management of complications].

Current guidelines increasingly recommend organ-preserving surgical procedures in the treatment of renal tumors. Both the open surgical and minimally ...
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