522 K/in. Mb/. Augenhei/k. 197 (1990)

Zum Problem der Orbitarekonstruktion W. Gubisch, M. Greulich Klinik fur Piastische und Wiederherstellungschirurgie Marienhospital Stuttgart (ChefCrzte: Prof. Dr. Dr. H. Reichert, Dr. W. Gubisch)

Abb. la 15jäh Die Wiederherstellung einer prothesenfahigen Augenhohie mit Nah- und Ferniappenpiastiken sowie mit freien Haut- und Schleimhauttransplantaten erfordert zahireiche Eingriffe. Insbesondere bei vorangegangener Bestrahiung besteht die sehr grol3e Gefahr, daB durch postoperative Schrumpfung em zunachst gutes Ergebnis wieder zerstOrt wird. Wir sind deshaib jetzt dazu ubergegangen, in solchen Fallen freie rnikrovaskular angeschlossene Hautfascien- bzw. Schleimhautfascienlappen zur Rekonstruktion zu verwenden. Wir berichten uber unsere Erfahrung in 4 Fallen.

The Problem of Orbital Reconstruction Orbital reconstruction by local flaps, dis-

tant flaps, free skin transplantats or mucosal transplants, means numerous operations. Good results are often spoiled by postoperative shrinking, especially, when the patient previously had radiation. Therefore we use nowadays free flaps (forearm flap, dorsalis pedis flap) as fascio-cutaneous or fascio-mucosal flaps. By this procedure, reconstruction can be done in one or two stages and postoperative shrinking can be avoided. Our experience in 4 cases is demonstrated.

Abb. lb Zustand nach Rekonslruktion der Orbita mit Muskellappen (M. temporais) zurn Abpolstern des Sebbeinschacbtes sowie Austüten des Orbitatncbters mit

Einleitung

\.tvanderlappen aus

Eine prothesenfahige Augenhohle 1st Voraussetzung, urn den Verlust eines Auges durch em Kunstauge moglichst weitgehend zu kaschieren. Wenn lediglich der Bulbus, z. B. infolge einer Verletzung, entfernt werden

rnul3, so ist es bei intakten Lidern und unauffalligen Weichteilverhältnissen der Orbita relativ einfach, em Kunstauge einzugliedern. Besonders schwierig ist hingegen die Situation, wenn wegen eines bOsartigen Tumors nicht

nur eine Enukleation, sondern eine Exenteratio orbitae mit teilweiser oder volliger Entfernung der Lider und an-

,.

der Leiste und Rekonstruktion der Lider mit Fernlappen vom Oberarm sowie freien Ohrkrio rpe I trans plan-

taten und Mundsch)eimhauttransplantaten

schlieBender Nachbestrahlung erforderlich ist.

In diesen Fallen haben wir fruher auch mit

Fernlappenplastiken gute Ergebnisse erzielen konnen

Deshaib haben wir darnit begonnen, in so1 (Abb. 1), es waren jedoch zahlreiche Eingriffe notwendig chen Fallen die Orbitarekonstruktion mit freien, mikround es bestand immer die Gefahr, daB durch postoperati- vaskulär angeschlossenen Lappenpiastiken vorzunehmen. ve Schrumpfung em zunachst gutes Ergebnis wieder zerstOrt wurde. Kiln. Mb!. Augenheiik. 197 (1990) 522—526

1990 F. Enke Verlag Stuttgart

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

hges Mädchen mit Zustand nach Exenteratic orbitae wegen Rhabdomyosarkom irn Kindesalter, anschlieRend Nachbestrahiung

Zusammenfassung

Zum Problem der Orbitarekonstruktion

Kim. Mbl. A ugenheilk. 197 (1990) 523

Operative Technik

Ziel des Orbitaaufbaus ist I. die Auffullung der Orbita mit Weichteilgewebe, urn die Augenhohle abzupolstern. 2. der Aufbau eines stabilen Ober-Unterlidsulcus, urn der Prothese genugend Halt zu geben.

S

Wenn dieses Ziel mit einer freien Lappenplastik erreicht werden soll, so mul3 der Lappen dunn und gut modellierbar sein. Ferner soilte dieser Lappen einen langen Gefhl3stiel haben, da sich die Anastomose im Ternporalisgefal3bereich als problematisch erweisen kann (keine konstanten Begleitvenen), so daB man bei der Planung berucksichtigen solite, daB der Lappen eventuell auch an die Facialisgefal3e angeschlossen werden muB.

S 4

Abb. 2a

1 6jàhriger Junge mit Zustand nach Exenteratio orbh tae und anschlieRencer Radiatio wegen eines Rhabdomyosarkoms. Zustand nach mehrfacben Versuchen de geschrumpfte AugenhobFe mit Schleimhauttransplantaten zu erweitern

Dann bietet sich aus unserer Sicht em FuBruckenlappen an. Dieser hat den Vorteil, daB der Hebede-

fekt an sehr viel unauffalligerer Stelle plaziert werden kann. Aber auch bei Verwendung des Unterarm-

lappens kann der Hebedefekt unauffallig gestaltet werden, wenn nicht em fasciokutaner Lappen sondern em Fasciomucosalappen fur die Orbitarekonstruktion verwendet wird.

Im Idealfall 1st die Augenhohle mit Schleimhaut ausgekleidet. Schleirnhaut ist aus unserer Sicht auch die ideale Auskleidung für das Prothesenlager eines Kunstauges. Urn dies zu erreichen, haben wir desA haib den Unterarmiappen als Fascienlappen prapariert und dann die Schleimhauttasche durch em Mundschleim- Abb. 2b Prothesenfäbige Orhita nach Rekonstruktion mit freh hauttransplantat am Unterarmiappen praformiert. Nach- em Unterarmiappen dem die Schleimhaut eingeheilt war, haben wir diesen Fas-

cienmucosalappen zur Orbitarekonstruktion verwendet (Fall 3/4). Kasuistik

nicht symmetrisch zur rechten Seite sondern tiefer angelegt wer-

den mul3te. Urn der jungen Frau einen auffalligen Hebedefekt am Unterarm zu ersparen, verwendeten wir einen freien Futtrukkenlappen zur einzeitigen Orbitarekonstruktion. Deckung des Hebedefektes mit freiem Vollhauttransplantat. Zusätzlich Nasenrekonstruktion sowie Konturausgleich der Craniodysmorphie

Fall 1: K. S., 16 Jahre, männlich. Tm Alter von 3 Jahren Exenteratio orbitae wegen eines Rhabdomyosarkoms mit Rippenknorpel im Bereich der linken Wange, linken Stirn sounter Erhalt der Lider, anschlief3end Nachbestrahlung. Mehrfa- wie des linken Jochbeines, Z-Plastik zur Verlagerung des laterache Versuche zum Aufbau einer prothesenfahigen AugenhOhle len Lidwinkels (Abb. 3). mit Schleimhauttransplantaten, die zwar einheilten, wegen der Fall3: H. B., 53 Jahre, mannlich. Zustand nach massiven postoperativen Schrumpfung konnte jedoch keine Augenhohle gebildet werden. Deshaib Verwendung eines freien Un- PfeilschuBverletzung vor 35 Jahren, dabei Bulbusverlust. Uber terarmiappens zum Orbitaaufbau, einzeitige Rekonstruktion der Jahre bin problemlose Versorgung mit einem Kunstauge. Seit eiAugenhohle. In einem weiteren Eingriff Rekonstruktion des late-

nem Jahr chronische Entzundung der Orbita mit massiver

ralen Lidwinkels, Lappenausdtinnung sowie Oberlidkurzung

Schrumpfung. Operative Versuche, die Orbita zu erweitern bzw. durch eine Unterlidstraffung der Prothese besseren Halt zu geben, scheiterten. Volliger Verlust des oberen und unteren Sulcus. Aufbau einer prothesenfahigen AugenhOhle mit Fascienschleimhautlappen vom Unterarm und Vorbereitung einer Prothesentasche. 3 Wochen spater Verlagerung des so vorbereiteten Unter-

(Abb. 2).

Fall 2: B. K., 15 Jahre, weiblich. Ausgepragte Craniodysmorphie mit Gesichtsspaltbildung und Anophthalmie links, Obliteration des linken Siebbeinschachtes, Stufenbildung der Schadelbasis, wobei die frontale Schadelbasis links 1 cm tiefer steht als rechts. StirnhOhle links ebenfalls nach kaudal verlagert. Orbitahohle links nur rudimentttr angelegt. Deshaib erfolgte vor der Orbitarekonstruktion die Anlegung eines knochernen Orbitatrichters, der infolge der GesamtmiBbildung allerdings

armlappens in die chronisch geschrumpfte Orbita. Zunachst Weithalten durch temporaren Platzhalter, der mit einer Feder versehen ist, urn einer moglichen Schrumpfung entgegen zu wir-

ken, 6 Wochen spàter Einsetzen einer endgültigen Prothese (Abb. 4).

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Wenn der Unterarm behaart ist, so kommt er als fasciokutaner Lappen kaum in Frage, da die Reinigung der Augenhohle durch das starke Haarwachstum erheblich erschwert wUrde.

524 K/in. Mbl. Augenheilk. 197 (1990)

W. Gubisch, M. Greulich Abb. 3b Zn-

Abb. 3a 1 bjahriges Mddchen mit

stand nach Orbitarekonstruktion mit freiem FuRrUckenlappen

Anophthalmie bei Craniodysmorphie und Gesichtspalte

Jr

j

Abb. 4a 53jahriger Patient mit Zustand nach Er:ukleation wegen PfeiIschu1verletzung. Geschrumpfte, nicbt prothesentahge Orbita

I___ J

I

Abb. 4b Zustand nach Qrbitaautbau mit freiem Fascien-Mucosa-Leppen vom Unterarm

Abb. 5a 2Ojdh-

Abb. 5b Rekon-

rige Frau, Zustand nach Exenteratio orbitae wegen cines Fbabdomyo sarkoms. Es erfolgte keine Nachbestrahiung sondern eine Chemo-

struktion der Orbita mit Fascien-Mucosa-Lappen vom U rite ra rm

thera pie



Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

4

Klin. Mb!. Augenheilk. 197 (1990) 525

Zum Problem der Orbitarekonstruktion Fall 4: V. L., 20 Jahre, weiblich. Zustand nach

Abb. 6a 2jdh-

Exenteratio orbita rechts einschliel3lich cler Lider im Alter von 4 Jahren wegen eines Rhabdomyosarkoms. Anschlie!3end Chemotherapie, keine Bestrahlung, schwere depressive Verstimmungs-

rige Frau mit ZLIstand nach Exen-

teratio orbitae und

zustande durch die massive aesthetische Beeintrachtigung. Die beratenden Arzte rieten von einer Orbitarekonstruktion ab. Jetzt Augenhohlenrekonstruktion mit einem Fascienmucosalappen vom rechten Unterarm. Zunachst Praparation des Unterarmiappens als Fascienlappen und Vorbereitung einer Schleimhauttasche durch Mundschleimhauttransplantat. 3 Wochen später Ver-

anschlFeRender

Radiatlo wegen H ha bdom yosa r-

kom

lagerung des Lappens mit Anschlul3 an die Temporalgefal3e, Fixieren der vorbereiteten Tasche am Periost, zusätzlich Einnahen eines Platzhalters und Vernahen der Lidspalte.

6 Wochen spater Auftrennen der Lidspalte und Einsetzen eines Kunstauges (Abb. 5).

Mustardé, der sich urn die Plastische Chirurgie im Lid- und Orbitabereich besonders verdient gemacht hat, schreibt 1980 in seinem Standardwerk ,.Repair and Reconstruction in the Orbital Region", dalI em Wiederaufbau der gesamten Orbita nur dann zu uberlegen sei, wenn der Patient mit einer Epithese nicht zurecht komme und unbedingt auf einer Rekonstruktion bestünde. Dann konne man versuchen, die Orbita mit Muskel- oder Fett-

Abb. 6b Zustand nach Einlagerung eines Wanderlappens von der Leiste

gewebe auszufUllen.

Indikationen für einen soichen Eingriff seien aber sehr selten, und die Patienten, bei denen man Aussicht auf em gutes Ergebnis habe, seien noch weniger.

Bisher wurde die Orbitarekonstruktion mit sehr unterschiedlichen Nah- und Fernlappenplastiken vor-

genommen (Converse, Hall, Conley). Wir selbst haben von 1980—1988 bei insgesamt 44 Patienten plastische Pin-

L

griffe zum Aufbau einer prothesenfahigen Augenhohle durchgefuhrt, wobei auch wir unterschiedliche Verfahren angewendet haben.

-it.

Als sehr problematisch erwies sich aber immer wieder die postoperative Schrumpfung, insbesondere des Unterlidsulcus, weil hierdurch die Prothese nicht genugend Halt fand und immer wieder herausrutschte. Einem Vorschlag Schmid's folgend, bildeten wir in soichen Fallen aus dem Unterlid einen temporaren Bruckenlappen und nahmen dann einerseits eine Schleimhauttransplanta-

tion der Orbita und getrennt davon eine Schleimhauttransplantation der Bruckenlappenruckseite vor. Erst wenn die Transplantate eingeheilt und keine Schrumpfung mehr zu erwarten war, nhhten wir den

Bruckenlappen zurUck und konnten so in alien Fallen dauerhaft einen tiefen Unterlidsulcus bilden (Abb. 6).



.4

Die bisher verwendeten Techniken zum Orbitaaufbau erforderten immer zahireiche Eingriffe, haufig mitbedingt durch ROck schlage infolge einer postoperativen Schrumpfung.

Abb. 6c iernpordre Bruckenlappenbildung aus dem Unterlid

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Diskussion

W. Gubisch, M. Greulich: Zum Problem der Orbitarekonsiruktion

526 K/in. Mbl. Augenheilk. 197 (1990)

Abb. 6d Reintegration des Untertdes und Ausbildung eines

Abb. 6e Ergebnis der Orbitarekonstrution mit Einghederung

stabten Unterhdsulcus

einer Prothese

Wenn Ferniappen zur Anwendung kamen, Es ist sicherlich nicht moglich, durch eine bedeutete dies aul3erdem eine mehrwochige Ruhigstellung Orbitarekonstruktion eine vollige asthetische Wiederherund Fixierung, z.B. des Armes am Kopf, was für die Pati- stellung zu erzielen. Wir glauben aber, daI3 insbesondere enten vorubergehend eine erhebliche funktionelle und psy- unter Anwendung der freien Lappenpiastik, bei der es in chische Belastung darstelite. wenigen Eingriffen ohne die Gefahr einer wesentlichen postoperativen Schrumpfung moglich ist, eirie AugenhohDer jetzt von uns favorisierte und in 4 Fal- le aufzubauen, fur die Patienten em Zustand erreicht werlen durchgefuhrte Orbitaaufbau mit einem freien mikro- den kann, in dem sie sich erheblich selbstsicherer und freivaskulär angeschlossenen Lappen ermoglicht es hingegen er bewegen kdnnen. in wenigen operativen Schritten, die gesamte Augenhohie aufzubauen. Dabei kann die insbesondere bei vorangeganWir hoffen, daB wir mit diesem neuen Angener Bestrahiung unweigerlich eintretende postoperative satz die Indikation zum Aufbau der Orbita auf Dauer deutlich weiter stellen dOrfen, als dies Mustardé zu seiner Schrumpfung weitgehend vermieden werden. Zeit konnte.

Man kann sowohi einen Fasziokutan- als auch einen Faszienmucosalappen verwenden.

Literatur Aus unserer Sicht sind die mit Schleimhaut transplantierten Faszienlappen vorzuziehen, da hierdurch die Detritusbildung in der aufgebauten Augenhohle vermieden werden kann. Diese fUhrt ansonsten haufig zu einer sehr unangenehmen Bildung von Foetor, die nach unserer Erfahrung dann am grol3ten ist, wenn eine AugenhOhle teilweise mit Haut und teilweise mit Schleimhaut ausgekleidet ist. Die Verwendung eines Faszienmucosalap-

pens hat den weiteren Vorteil, dat) der Hebedefekt des Lappens entscheidend unauffalliger wird, die Vorbereitung des Lappens erfordert allerdings einen zusatzlichen Eingriff (Abb. 7). Gelegentlich wird eine im Knochen fi-

Conley, f.. Regional Flaps of the Head and Neck. Georg Thieme, Stuttgart, 1976 Conley, J., C. Patow: Flaps in Head and Neck Surgery. Thieme, Stuttgart, New York, 1989 Converse, J. M.: Reconstructive Plastic Surgery. Vol. 2, W.B. Saunders Co. Philadelphia, London, 1977 Halt, M.: Augenarztliche Plastische und Wiederherstellungschirurgie. G. Thieme, Stuttgart, New York, 1984 Mustard J. C.: Repair and Reconstruction in the Orbital Region. Churchill Livingstone, Edinburgh, London, New York, 1980 Manuskript erstmals eingereicht 5. 7. 1989, zur Publikation in der vorliegenden Form angenommen 16. 8. 1989.

xierte Epithese als Alternative zu dem insgesamt doch auf-

wendigen Verfahren einer Orbitarekonstruktion propagiert.

Aus unserer Sicht birgt die knocherne Fixierung einer Epithese in einem vorbestrahiten Knochen aber erhebliche Gefahren.

Dr. W. Gubisch Dr. M. Greulich Klinik für Plastische und Wiederherstellungschirurgie Marienhospital Boheimstral3e 37

7000 Stuttgart 10

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

'-

[Orbital reconstruction].

Orbital reconstruction by local flaps, distant flaps, free skin transplants or mucosal transplants, means numerous operations. Good results are often ...
725KB Sizes 0 Downloads 0 Views