Prävention & Versorgungsforschung | Review article

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Schmerzmedizinische Versorgung von Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen Pain management of cognitively impaired patients

Autoren

K. Czarnecki1 H. Brauer2 J. Köberlein1

Institut

1 Bergisches Kompetenzzentrum für Gesundheitsmanagement und Public Health,

Schumpeter School of Business and Economics, Bergische Universität Wuppertal

Relevanz des Themas ▼ Schmerzen schränken die körperlichen Aktivitäten der Betroffen ein und wirken sich ebenso negativ auf die Lebensqualität aus. Eine anhaltende Schmerzsymptomatik ist mit einer längeren Regenerationszeit, funktionalen Einschränkungen und Depressionen verbunden [4]. Nicht selten führen chronische Schmerzen bei den Betroffenen zu sozialer Isolation und einem Anstieg der Krankheitskosten [4, 23]. Bei einer Schmerzprävalenz von 17 % in Deutschland beliefen sich die gesamtwirtschaftlichen Kosten zur Behandlung chronischer Schmerzen im Jahr 2004 auf rund 24,5 Mrd. Euro, wovon 15,4 Mrd. Euro auf den stationären Bereich entfielen [35]. Weltweit leiden ca. 15 % der Menschen an Schmerzen [4]. Dabei sind in 66–83 % der Fälle ältere Menschen betroffen, da bei ihnen häufiger rheumatische Erkrankungen, Krebsleiden oder degenerativen Erkrankungen des Bewegungsund Stützapparates auftreten [13, 32, 33]. Mit steigendem Alter erhöht sich zudem das Risiko kognitiver Beeinträchtigungen [27]. Die damit häufig verbundenen Störungen der Sprachfähigkeit, Gedächtnisverluste sowie ein eingeschränktes Urteilsvermögen erschweren es dem Patienten, Schmerzintensität und -lokalisation präzise zu äußern [16]. Eine zielgerichtete Schmerztherapie sowie die Beurteilung des Behandlungserfolges hängen jedoch maßgeblich von einer tiefgreifenden Schmerzdiagnostik ab. Eines der wesentlichen Ziele der Schmerztherapie, die Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität der Patienten, wird in Folge dessen oft nicht erreicht [9, 11, 15]. An die schmerztherapeutische Versorgung kognitiv beeinträchtigter Patientengruppen sind somit vielschichte Herausforderungen gerichtet.

n

Herausforderungen an die Versorgung Betroffener ▼ Wesentlich ist die umfangreiche Erfassung der Schmerzen, da die Betroffenen ihre Leiden in der Regel nur eingeschränkt mitteilen können. Sie nehmen außerdem Nebenwirkungen von Medikamenten sowie Veränderungen im Gesundheitszustand nicht oder nur begrenzt wahr [20]. Instrumente zur Schmerzerfassung sind vor allem geeignet, wenn sie eine verminderte Kommunikationsfähigkeit und Verhaltensstörungen berücksichtigen [11]. In einem angemessenen Zeitabstand sollten darüber hinaus die Schmerzen erneute erfasst werden. Dies gibt Hinweise auf eine eventuelle Über-, Unter- oder Fehlversorgung und erlaubt eine Anpassung der Schmerzmedikation [8]. Eine beeinträchtigte Kognition ist in der Regel mit einer verminderten Compliance verbunden, weshalb die Überwachung der Medikation von Bedeutung ist [31]. Neben einer intensiven Betreuung durch die Ärzte und das Pflegepersonal ist eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen den behandelnden Ärzten erforderlich, da es sich bei den Betroffenen, bedingt durch ihr höheres Alter, in der Mehrzahl der Fälle um Patienten mit multimorbidem Krankheitsgeschehen handelt [14].

kurzgefasst In Deutschland leiden ca. 17 % der Menschen an Schmerzen. Die Prävalenz ist bei älteren Menschen mit 66–83 % besonders hoch. Mit zunehmendem Alter ist das Risiko für eine kognitive Beeinträchtigung erhöht – bei diesen Patienten ist die Fähigkeit, Schmerzen zu äußern, eingeschränkt.

Schmerzmedizin Prävention & Versorgungsforschung | Review article

Schlüsselwörter Schmerzmanagement kognitive Beeinträchtigung Versorgungssituation Schmerzerfassung ältere Menschen

q q q q q

Keywords pain management cognitive impairment health care situation pain assessment older people

q q q q q

eingereicht 01.08.2013 akzeptiert 21.11.2013 Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1369887 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 0:735–739 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Kathrin Czarnecki Bergisches Kompetenzzentrum für Gesundheitsmanagement und Public Health, Bergische Universität Wuppertal Rainer-Gruenter-Str. 21 42119 Wuppertal Tel. 0202/439-1382 Fax 0202/439-1384 eMail kathrin.czarnecki@ wiwi.uni-wuppertal.de

Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt! n

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2 Neuro Center Mettmann, Mettmann

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Tab. 1

Studien zur Schmerzversorgung unter Berücksichtigung der kognitiven Funktion.

Studie (Land)

Studiendesign

Setting

Ziel

Adunsky 2002 [2]

Retrospektive

stationär (Krankenhaus)

Beschreibung der Schmerzversorgung nach einer Hüftfraktur bei

(Israel)

Vergleichsstudie

Morrison 2000 [28]

Prospektive

(USA)

Kohortenstudie

Mehta 2010 [26]

Retrospektive

(USA)

Observationsstudie

Husebo 2008 [18]

Querschnittsstudie

stationär (Pflegeheim)

Querschnittsstudie

stationär (Pflegeheim)

kognitiv intakten und eingeschränkten Patienten sowie Identifizierung von Verschreibungsmustern stationär (Krankenhaus)

kognitiv intakten und eingeschränkten Patienten stationär (Krankenhaus)

Charakterisierung der Schmerzmessung und des Schmerzmanagements bei kognitiver Beeinträchtigung

(Norwegen) Achterberg 2007 [1]

Beschreibung der Schmerzversorgung nach einer Hüftfraktur bei

Vergleich des Schmerzmanagements bei unterschiedlichen DemenzSchweregraden

(Niederlande)

Vergleich der Schmerzmessung und des Schmerzmanagements in drei Stationen eines Pflegeheims (Rehabilitationsstation, Psychogeriatrie, somatisch Station)

Nygaard 2005 [29]

Querschnittsstudie

stationär (Pflegeheim)

Querschnittsstudie

ambulante Versorgung

Brummel-Smith 2002 [5]

Retrospektive

stationär/ambulant

(USA)

Observationsstudie

(Norwegen) Mäntyselkä 2004 [25]

Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Schmerzerfassung, -äußerung sowie -therapie und der kognitiven Funktion eines Patienten

(Finnland)

Analyse der Schmerzprävalenz und der Verschreibung von Analgetika bei Patienten mit und ohne Demenz Untersuchung der Auswirkungen der Schmerzintensität auf die Gabe von psychotropen Substanzen, Verhaltensstörungen, Mortalität sowie die Inanspruchnahme von Krankenhaus, Pflegeheim und Notaufnahme.

Medikamentöse Versorgungssituation ▼ Die Versorgungssituation von Patienten mit akuten und chronischen Schmerzen unter Berücksichtigung ihrer kognitiven Beeinträchtigung wurde in diversen Studien analysiert (q Tab. 1).

Krankenhaus Aufgrund des steigenden Anteils älterer und hochaltriger Patienten im Krankenhaus, nimmt auch die Zahl der Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung zu. Die stationäre Behandlung erfolgt dabei in der Regel nicht aufgrund der kognitiven Funktionsfähigkeit, sondern geht auf andere, mit steigendem Alter auftretende, Grunderkrankungen (z. B. Frakturen) zurück. Deshalb sind Defizite vor allem bei komplexen Behandlungsprozessen wie der Schmerztherapie erkennbar. Adunsky et al. [3] verglichen die Behandlung von 184 Patienten mit den Opioiden Morphinsulfat (oral, parenteral) und Meperidin (parenteral) in einer orthogeriatrischen Einrichtung. 38 der Patienten litten an einem Delir und 50 an einer Demenz. 96 Patienten wiesen keine kognitive Beeinträchtigung auf. Patienten mit Demenz erhielten durchschnittlich 53 % und Patienten mit Delir 34 % der Opioid-Menge, die Patienten ohne kognitive Beeinträchtigung verabreicht wurde. Patienten mit Demenz und Delir erhielten mit jeweils 15,5 mg und 14,5 mg signifikant weniger orales Morphin als die Vergleichsgruppe (31,3 mg). Dabei unterschied sich gemäß den Autoren die Schmerzintensität der betrachteten Patientengruppen nicht signifikant voneinander. Aufgrund dieser deutlich geringeren Medikationsgabe folgerte die Forschergruppe, dass eine deutliche Unterversorgung vorlag. Zum gleichen Ergebnis kam eine Studie, die die Versorgung kognitiv beeinträchtigter Patienten mit Hüftfraktur untersuchte [28]. Die Autoren betrachteten 59 Patienten ohne kognitive Beeinträchtigung und 38 demente Patienten vor und nach der Hüftoperation. Bei Patienten mit Demenz war keine Schmerzerfassung möglich. Daher wurde die Schmerzbewertung der Vergleichsgruppe als Richtwert für die Beurteilung der wahrge-

nommenen Schmerzstärke verwendet. Diese beschrieben ihre Schmerzintensität auf einer Likert-Skala von 0 (keine Schmerzen) bis 4 (sehr starke Schmerzen). Präoperativ bewerteten 79 % ihre stärksten und 43 % ihre durchschnittlichen Schmerzen mit einer 4. Patienten ohne kognitive Beeinträchtigung erhielten im Durchschnitt 2,6 mg Oxycodon, Patienten mit Demenz nur 1,7 mg. Postoperativ zeichnete sich ein ähnliches Bild ab. 42 % der kognitiv intakten Patienten beschrieben ihre durchschnittlichen Schmerzen als „sehr stark“ und erhielten 4,1 mg Opioide, während Patienten mit Demenz mit 1,5 mg therapiert wurden. Als Hauptursache dafür benannten die Autoren die eingeschränkte Fähigkeit bei Demenz, Schmerzen zu äußern. In ihrer retrospektiven Analyse von Patientenakten zeigten Mehta et al., dass kognitiv beeinträchtige Patienten mit einer nichtoperativen Therapie unterversorgt sind. [26]. Sie verglichen die Behandlung von Patienten – alle kognitiv beeinträchtigt –, die konservativ oder operativ behandelt wurden. 34 % der Patienten mit einer konservativen Behandlung gaben an, unter akuten Schmerzen infolge einer Sturzverletzung, Erkrankung des Abdomens oder eines Dekubitalgeschwürs zu leiden. 25 % erhielten dauerhaft Analgetika. Von den operativ behandelten Patienten litten 84 % an Schmerzen, jedoch wurde nur 7 % dauerhaft Analgetika verabreicht. Opioide erhielten alle Patienten mit einer operativen Therapie, während dies bei nur 43 % der nichtoperativen Patienten zutraf. Im Vergleich zu anderen Studien mit älteren kognitiv beeinträchtigten Patienten und Hüftfraktur [3, 12, 28, 34] ist die Menge verschriebener Opioide gestiegen. Eine adäquate Schmerzerfassung vorausgesetzt, reflektiert dies laut der Forscher ein verbessertes Bewusstsein für Schmerzen seitens der Leistungserbringer.

Stationäre Pflege Laut Pflegestatistik für Deutschland wurden im Jahr 2011 743 000 pflegebedürftige Patienten in Pflegeheimen versorgt [7]. Eine Studie von Ferrell schätzt die Schmerzprävalenz in Pflegeheimen auf 45–80 % [13].

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Anteil der Patienten mit einer medikamentösen Schmerztherapie

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80 % 70 %

kognitiv beeinträchtigte Patienten mental gesunde Patienten

68,6

60 %

737

Abb. 1 Ergebnisse der Studien: Verteilung der Schmerzmittel bei kognitiv beeinträchtigten und mental gesunden Patienten.

50 % 48,0

40 % 37,0

30 % 20 %

39,8

36,3

47,3 33,3

31,0

19,6

10 % 0%

14,0

Husebo et al. 2008 [18] (stationär)

Achterberg et al. 2007 [1] (stationär)

Nygaard et al. 2005 [29] (stationär)

Mäntyselkä et al. 2004 [25] (ambulant)

Brummel-Smith et al. 2002 [5] (ambulant und stationär)

Husebo et al. zeigten, dass Patienten mit einer schweren Demenz eine höhere Schmerzintensität angaben, als mental gesunde Patienten, jedoch vergleichsweise weniger Schmerzmittel erhielten [18].

69 % an Schmerzen; 47 % wurde Analgetika verabreicht. Auch in der ambulanten Versorgung kommunizieren demente Patienten weniger häufig ihre erlebten Schmerzen und werden seltener mit Analgetika versorgt als nicht demente Patienten.

Achterberg et al. [1] haben die Schmerzmessung und das Schmerzmanagement auf drei Pflegeheim-Stationen – einer Rehabilitationsstation, einer Psychogeriatrie und einer Somatischen Station – in den Niederlanden miteinander verglichen. Die Schmerzprävalenz wurde anhand des Nottingham Health Profiles gemessen. Die geringsten Gaben der Schmerzmedikation fanden sich auf der psychogeriatrischen Station, welche auf die Versorgung dementiell erkrankter Patienten ausgerichtet ist: Bei 39,8 % der Fälle wurden hier bei Schmerzen Analgetika verabreicht. Dagegen erhielten 70,6% der Patienten der Rehabilitationsstation eine entsprechende Medikation.

Eine Analyse von Brummel-Smith et al. [5] betrachtete die Versorgung von dementen Schmerzpatienten im ambulanten und im stationären Bereich. Im Rahmen eines Versorgungsprogramms „Program of All-inclusive Care for older people“ (PACE) wurde gezeigt, dass es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Gabe von Antidepressiva, Antipsychiotika, Anxiolytika und Sedativa (psychotrope Substanzen) bei dementen und mental gesunden Patienten gab. Demente Patienten erhielten mit 14 % in geringerem Ausmaß eine Schmerzmedikation als mental gesunde Patienten (31 %). Dies deutet auf eine Unterversorgung kognitiv beeinträchtigter Patienten hin, da die Forschergruppe in einer zuvor durchgeführten Studie feststellte, dass 88 % der dementen Patienten im untersuchten Studiensetting an Schmerzen leiden [22].

Nygaard et al. [29] analysierten, inwieweit die Schmerzbewertung von Patienten (n=125) und Pflegepersonal übereinstimmte. Die Patienten wurden in die Gruppen kognitiv intakt (17 %), kognitiv beeinträchtigt (30 %) und dement (54 %) unterteilt. Von den mental gesunden Patienten gaben 13 % an, unter Schmerzen zu leiden. Das Pflegepersonal schätze die Schmerzprävalenz dieser Patientengruppe auf 14 %. Seitens der kognitiv beeinträchtigten Patienten und des Pflegepersonals lag diese Einschätzung bei jeweils 18 % sowie 16 % und für die Patienten mit Demenz bei jeweils 11 % und 29 %. 36 % der kognitiv beeinträchtigten und dementen Befragten konnten keine Schmerzen kommunizieren. Bezüglich der Schmerzmedikation erhielten 21 % der Patienten mit Demenz, 17 % der kognitiv beeinträchtigten sowie 10 % der kognitiv intakten Patienten Analgetika. Patienten mit nicht diagnostizierter Demenz haben demnach ein höheres Risiko für eine medikamentöse Unterversorgung.

Ambulante Versorgung Eine kontinuierliche Erfassung von Schmerzen sowie die stringente Überwachung der Schmerzmedikation sind vor allem in der ambulanten Versorgung eine Herausforderung, da die Patienten in der Regel durch verschiedene Akteure gleichzeitig versorgt werden. Mäntyselkä et al. [25] untersuchten Schmerzprävalenz und -medikation bei dementen und nicht dementen Patienten. 43 % der dementen Patienten gaben an, unter Schmerzen zu leiden; 33 % erhielten Analgetika. Von den nicht dementen Patienten litten

Folgen und Ursachen unzureichender Schmerztherapie ▼ Die beschriebenen Studien zeigen, dass Patienten mit einer kognitiven Einschränkung weniger Schmerzmittel erhalten als mental gesunde Patienten. In q Abb. 1 werden die Studienergebnisse zusammengefasst. Aufgrund unterschiedlicher Werte und somit fehlender direkter Vergleichbarkeit, konnten nicht alle beschriebenen Studien in die Abbildung aufgenommen werden. Adunsky sowie Morrison et al. beschrieben, wie viel Milligramm Opioide den untersuchten Patientengruppen verabreicht wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass kognitiv beeinträchtigte Patienten durchschnittlich 53 % [2] bzw. 47,8 % [28] der Menge an Opioiden erhielten, die mental gesunden Patienten verabreicht wurde. In der Studie von Metha et al. [26] war kein Vergleich möglich, da nur kognitiv beeinträchtigte Patienten untersucht wurden. Aufgrund der Verteilung der Schmerzmittel folgern nahezu alle Studien, dass eine medikamentöse Unterversorgung bei kognitiv beeinträchtigten Patienten vorliegt. Als mögliche Folge einer solchen unzureichenden Schmerztherapie benennen Morrison et al. für die stationäre Versorgung der Patienten vornehmlich die eingeschränkte Mobilität und das dadurch erhöhte Risiko für Komplikationen, wie z. B. ein Delir oder eine Thromboembolie,

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Studien

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sowie eine längere Verweildauer. Weiterhin wirkt sich eine unzureichende Schmerzversorgung negativ auf die erlebte Schmerzintensität aus und kann ein aggressives oder unruhiges Verhalten der Betroffenen begünstigen [4]. Die in den Studien diskutierten Ursachen für eine inadäquate Schmerzversorgung sind in q Tab. 2 zusammengefasst und liegen unter anderem in der eingeschränkten Fähigkeit kognitiv beeinträchtigter Patienten, ihre Schmerzen zu äußern [17, 25, 28]. Weiterhin wird die Qualität der Schmerzerfassung durch die Leistungserbringer sowie mittels Selbsteinschätzung der Patienten in den Untersuchungen als unzureichend beschrieben [2, 17, 18, 25, 26, 28]. Eine Schmerzdiagnose oder gegebenenfalls erforderliche Anpassung der Therapie, bspw. aufgrund von auftretenden Nebenwirkungen, erfolgt dadurch oft verspätet oder gar nicht. Ebenso wird auf die im Rahmen des Medikationsmanagements beobachtete mangelhafte Überwachung des Medikationsprozesses verwiesen sowie die Therapie in Form ungeeigneter Arzneimittelschemata als mögliche Ursache diskutiert [26]. So bewerteten Mehta et al. in ihrer Arbeit die Verabreichung von Bedarfsmedikation bei kognitiv beeinträchtigten Schmerzpatienten als ungeeignet, da sich der Bedarf bei dieser Patientengruppe nur eingeschränkt identifizieren lässt. Studien, welche ihre Fragestellungen vor allem auf strukturelle Aspekte der Schmerztherapie konzentrierten, identifizierten darüber hinaus erhebliche Wissensdefizite seitens der am Behandlungsprozess beteiligten Professionen im Bereich Pharmakologie, im Umgang mit Nebenwirkungen sowie mit nichtmedikamentösen Behandlungsoptionen [19]. Die Studie von Achterberg et al. benannte keine möglichen Ursachen für eine unzureichende Schmerzversorgung.

kurzgefasst Kognitiv beeinträchtigte Patienten sind hinsichtlich der Analgetikatherapie im Vergleich zu mental gesunden Patienten zum Teil signifikant unterversorgt. Dies führt zu einem höheren Risiko für Komplikationen, einer längeren Verweildauer, aggressivem und unruhigem Verhalten sowie zu einer insgesamt geringeren Lebensqualität. Mögliche Ursachen einer inadäquaten Schmerztherapie sind die eingeschränkte Fähigkeit kognitiv beeinträchtigter Patienten, ihre Schmerzen zu äußern, die mangelhafte Qualität der Instrumente zur Schmerzerfassung und das unzureichende Medikationsmanagement.

Tab. 2

Verbesserung der Versorgungssituation und Umsetzung in Deutschland ▼ Zur Optimierung der Versorgungssituation wurde in Deutschland die „Versorgungslandschaft Demenz“ vom Hausärzteverband ins Leben gerufen [24]. Es handelt sich dabei um ein nach § 140 a SGB V entwickeltes Integrationsmodell, das von den Krankenkassen unterstützt wird und eine interdisziplinär-fachübergreifende und sektorenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Hausarzt, Neurologen, Psychiatern sowie Krankenhäusern fördert. Dabei übernimmt der Hausarzt die Koordination der Behandlung und hat Sorge zu tragen, dass ambulante Leistungen den stationären vorgezogen werden. Um den Behandlungsprozess so optimal wie möglich zu gestalten, wurde ein Algorithmus für die Kooperation zwischen Hausarzt, Facharzt und Klinik entwickelt, womit die Aufgaben der einzelnen Leistungserbringer genau beschrieben und zugeteilt sind. Die zusammenarbeitenden Professionen verpflichten sich zu einem umfassenden Informationsaustausch bezüglich der Diagnosen, Behandlungen, deren Erfolge oder Misserfolge. Darüber hinaus weist die Erfassung der Schmerzintensität und Schmerzfrequenz bei kognitiven Einschränkungen in Deutschland weiterhin Verbesserungspotenzial auf. Im Demenzbereich werden bisher häufig die BESD-Skala (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) sowie der DOLOPLUS2-Screeningbogen eingesetzt. Eine Untersuchung von Osterbrink et al. [30] ergab, dass unter Verwendung der deutschsprachigen BESD-Anleitung das Schmerzleiden bei vielen kognitiv beeinträchtigten Menschen nicht erkannt wird. Die BEDS-Skala besteht aus fünf Verhaltensdimensionen mit jeweils drei Antwortmöglichkeiten, die mit 0 bis 2 Punkten bewertet werden. Die Gesamtpunktzahl kann zwischen 0 und 10 liegen. Die deutsche Anleitung gibt einen Grenzwert von ≥ 6 für die Gesamtpunktzahl vor, ab dem die Schmerzen behandelt werden sollten. Dies bedeutete für die untersuchte Patientengruppe mit mittelschwerer kognitiver Einschränkung, dass 10 % der Patienten aufgrund von Schmerzen behandelt werden sollten. Die Selbsteinschätzung der Schmerzen durch diese Patienten ergab jedoch eine Schmerzprävalenz von 45 %.

Weiterer Forschungsbedarf ▼ In Deutschland wurde ein Optimierungsbedarf hinsichtlich des Schmerzmanagements bei kognitiv beeinträchtigten Patienten festgestellt [10, 11, 30, 36]. Internationale Studien haben diesbezüglich bereits Leitlinien zum Schmerzmanagement getestet und als effektiv bezeichnet [6, 19, 21]. Im Rahmen weiterer Untersuchungen mit Fokus auf Deutschland sollten diese weiter

Mögliche Ursachen für eine unzureichende Schmerzversorgung kognitiv beeinträchtigter Patienten.

Studie

Eingeschränkte Fähigkeit

Schmerzerfassung durch

Schmerzerfassung durch

Medikations-

zur Schmerzäußerung

Selbsteinschätzung der Patienten

die Leistungserbringer

management

X

X

Adunsky et al. [2] Morrison et al. [28]

X X

X

X

X

Mehta et al. [26] Husebo et al. [17] Nygaard et al. [29] Mäntyselkä et al. [25]

X X

X

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erprobt und ihr Einfluss auf die Behandlungskosten der Patienten, die Arbeitszeit sowie die Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit erfasst werden. Weiterhin besteht Forschungsbedarf hinsichtlich valider und fundierter epidemiologischer Daten, auf deren Basis die Defizite der derzeitigen Versorgungssituation konkret quantifiziert und Veränderungsprozesse zielgerichtet angestoßen werden können [17].

Konsequenz für Klinik und Praxis 3Aufgrund der eingeschränkten Fähigkeit, ihre Schmerzen zu äußern, und einer unzureichenden Ausrichtung der Instrumente zur Schmerzerfassung auf vulnerable Patientengruppen, besteht zurzeit häufig eine medikamentöse Unterversorgung in der Schmerztherapie der Betroffenen. 3 Internationale Studien zur Schmerzversorgung kognitiv beeinträchtigter Patienten sind aufgrund der abweichenden Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragbar. 3Somit fehlen für Deutschland empirisch belastbare Belege, die den Status quo der Schmerztherapie kognitiv beeinträchtigter Patienten beschreiben, um so die Faktoren zu identifizieren, auf deren Basis das Schmerzmanagement optimiert werden kann.

Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Verbindung mit einer Firma haben, deren Produkt in diesem Beitrag eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt). Literatur 1 Achterberg WP, Pot AM, Scherder EJ et al. Pain in the nursing home: assessment and treatment on different types of care wards. J Pain Symptom Manage 2007; 34: 480–487 2 Adunsky A, Levy R, Mizrahi E et al. Exposure to opioid analgesia in cognitively impaired and delirious elderly hip fracture patients. Arch Gerontol Geriatr 2002; 35: 245–251 3 Ardery G, Herr KA, Titler MG et al. Assessing and managing acute pain in older adults: a research base to guide practice. Medsurg Nurs 2003; 12: 7–18; quiz 19 4 Breivik H, Collett B, Ventafridda V et al. Survey of chronic pain in Europe: prevalence, impact on daily life, and treatment. Eur J Pain 2006; 10: 287–333 5 Brummel-Smith K, London MR, Drew N et al. Outcomes of pain in frail older adults with dementia. J Am Geriatr Soc 2002; 50: 1847–1851 6 Buffum MD, Hutt E, Chang VT et al. Cognitive impairment and pain management: review of issues and challenges. J Rehabil Res Dev 2007; 44: 315–330 7 Bundesamt S. Pflegestatistik 2011 – Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung – DeutschlandergebnisseZuletzt geprüft am 30.07.2013 8 Cunningham C. Managing pain in patients with dementia in hospital. Nurs Stand 2006; 20: 54–58 9 de Rond ME, de Wit R, van Dam FS et al. A pain monitoring program for nurses: effects on nurses' pain knowledge and attitude. J Pain Symptom Manage 2000; 19: 457–467 10 Dietl M, Korczak D. Versorgungssituation in der Schmerztherapie in Deutschland im internationalen Vergleich hinsichtlich Über-, Unteroder Fehlversorgung. Köln., DIMDI http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta301_bericht_de.pdf Zuletzt geprüft am 09.07.2013 11 Engeser P. Schmerzen bei Demenzkranken. Gezielt danach suche, strutkuriert behandeln. Der Hausarzt 2011; 48: 43–46 12 Feldt KS, Ryden MB, Miles S. Treatment of pain in cognitively impaired compared with cognitively intact older patients with hip-fracture. J Am Geriatr Soc 1998; 46: 1079–1085

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[Pain management of cognitively impaired patients].

Pain is a significant problem in clinical practice and its control is one of the most important challenging aspects as pain has a major impact on pati...
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