Langenbecks Arch. Chir. 344, 189-194 (1977)

Langontm~Rs Archiv f0r C,hirurgio © by Springer-Verlag 1977

Pankreassaft und Stressuicus der Ratte V. Schumpelick 1, D. Grossner 1 und M. Doehn 2 Abteilung for Allgemeinchirurgie(Direktor: Prof. Dr. H. W. Schreiber)der Chirurgischen Klinik und -Poliklinik 2 Abteilung for Anaesthesiologie (Direktor: Prof. Dr. K. Horatz) des Universit~ts-Krankenhauses Hamburg-Eppendorf, Martinistr. 52, D-2000 Hamburg 20, Bundesrepublik Deutschland

Pancreatic Juice and Stress Ulcers of the Rat Summary. In 55 rats the role of pancreatic juice for the development of stress ulcers was studied. After ligation of the common bile duct the stress ulcer incidence was significantly decreased. An additional pancreaticogastrostomy was followed by an even lower ulcer frequency. After pancreaticojejunostomy a higher ulcer incidence was found as after bile duct ligation alone. The role of a duodenogastric reflux for development of stress ulcers is discussed. The ulcerogenic property of bile acids and of the combination of bile and pancreatic juice, caused by lysolecithin, is demonstrated. Pancreatic juice doesn't work as an ulcerogenic substance, but possibly has a protective function by uffering the hydrochloric acid. Key words: Pancreatic juice - Stress ulcer - Duodenogastric reflux - Bile acids. Zusammenfassung. An 55 Albinoratten wird die Bedeutung des Pankreassaftes fiir die Stressulcusentstehung der Ratte untersucht. Nach Ligatur des Ductus choledochus liil3t sich die Ulcusincidenz drastisch senken. Eine zus~itzliche Einleitung des Pankreassaftes in den Magen (PGS) fiihrt zu einer weiteren Senkung der Ulcusfrequenz. Bei Ableitung des Pankreassekretes in das Jejunum findet sich eine h6here Ulcusfrequenz als nach einfacher Gallengangsligatur. Die Bedeutung des duodenogastralen Refluxes fiir die Genese des Stressulcus wird diskutiert und auf die ulzerogene Potenz der Gallensiiuren und des aus dem Lecithin der Galle gebildeten Lysolecithin hingewiesen. Der reine Pankreassaft wirkt nicht ulzerogen, sondern dutch Pufferung der Salzsiiure eher protektiv. Fiir die Pathogenese des Stressulcus wird dem duodenogastralen Reflux von enzymreichen Duodenalchymus besondere Bedeutung beigemessen [1,5,6,15,17]. Schleimhautschiidigung durch Gallens~iuren und Lysolecithin sind experimentell gut belegte Vorgiinge [10,14]. Die Rolle des Pankreassaftes fiir die akute Ulzerogenese des Magens ist dagegen unklar. Mittelbar ist die Beteiligung des Pankreassekrets an der Geschwiirsbildung bei der vonder Phospholipase A gesteuerten Umwandlung

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V. Schumpelick et al.

des Lecithins in das cytotoxische Lysolecithin [7, 9]. Der Nachweis einer direkten schleimhautsch~idigenden Wirkung des Pankreassekrets wurde hingegen nicht erbracht. Dieser Frage im Tierexperiment nachzugehen erschien yon Interesse, da eine m6gliche Sch~idigung der Magenschleimhaut durch Pankreassekret yon klinischer Relevanz ware. Das operationstaktische Vorgehen bei Cystendrainage, Anastomosenwahl nach Duodenopankreatektomie u. ft. m. hfitte dieser Tatsache in ~ihnlicher Weise Rechnung zu tragen, wie dies bei der nachgewiesenen pathogenen Rolle des Gallensekrets bereits geschieht. Auch fiir die Prophylaxe des Stressulcus [20] ware eine etwaige ulzerogene Rolle des Pankreassaftes entsprechend zu beriicksichtigen. Wir f/ihrten unsere Versuche am gut standardisierten Modell des Immobilisationsstress der Ratte durch [2]. Dabei ging es um folgende Frage: Wie beeinflu6t die direkte Einleitung des Pankreassaftes in den Magen (Pankreatikogastronomie = PGS) bzw. die Ableitung des Pankreassaftes in tiefere D/inndarmabschnitte (Pankreatikojejunostomie = PJS) die Stressulcusfrequenz im Vergleich zu Tieren mit ungehindertem SekretfluB?

Methodik

Versuchstiere 55 m~innliche Albinoratten,mittleres Gewicht250+50g, Wasser und ballastfreievollsynthetische Nahrung (BSD®)1.

Operation In )kthernarkose Ligatur des Ductus choledochus im extrapankreatischen Anteil, Einbringen eines lumengleichen Kunststoffkatheters durch die Papille in den terminalen D. choledochus, Fixation mit Ligaturen und Einleitung des anderen Endes in den Magen (PGS) oder das Jejunum (PJS) mit Fixation an der Einmiindungsstelle. Zus~itzlich Scheinoperationen und Tiere mit alleiniger Ligatur des D.choledochus(CL).Sicherung der DurchgfingigkeitderKatheter durchextrakorporalesAuffangen des Pankreassaftes in vorbereitenden Versuchen und Bestimmung der Amylasekonzentration im Magensaft [3a].

Versuchsplan 72 h nach der Operation Stressexposition der niichternen Tiere mittels Gipsimmobilisation fiir 9 h. Versuchsgruppen:

1. 2. 3. 4.

PGS PJS CL scheinoperierte Kontrolltiere

(n (n (n (n

= = = =

12) 17) 16) 16)

Auswertung TStung der Tiere in ,~ther, Entnahme und Fixation der M~igen, makroskopisch planimetrische Auswertung wie an anderer Stelle beschrieben [17]. Mittelwert- und SEM-Berechnung, Signifikanzen nach dem Chi-Quadrat-Test. 1

Fa. Pfrimmer, Erlangen

Pankreassaft und Stressulcus der Ratte

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Ergebnisse Nach 9 stiindiger Immobilisation in Gipsmanschetten zeigten Gallengangs-ligierte Tiere (CL) signifikant weniger (P < 0,05) und kleinere Schleimhautl~isionen als scheinoperierte Kontrollen (s. Abb. 1 und 2). Beziiglich der Anordnung fanden sich keine Unterschiede; bevorzugt waren die Faltenkiimme parallel zur L~ingsachse des Magens unter Aussparung der kleinen Kurvatur betroffen. Die Unterschiede im Mittelwert der Gesamtgeschwiirsfliiche sowie der Verteilung in den einzelnen Gr613enklassen waren mit P < 0,05 signifikant. Allerdings war auch kein Gallengangs-ligiertes Tier giinzlich frei von Ulzerationen. Weniger und kleinere Geschwiire als nach der einfachen Gallengangsligatur beobachteten wir nach zusiitzlicher Pankreatikogastrostomie (PGS). Die Gesamtgeschwiirsfl~iche erreicht mit 2,94 + 0,9 mm 2 im Mittel das absolute Minimum der gesamten Versuchsserie (s. Abb. 1 und 2). 5 Tiere hatten keinerlei Schleimhautliisionen, weitere 5 maximal 2 punkff6rmige Epitheldefekte. Die Unterschiede waren gegeniiber den Gallengangs-ligierten Tieren mit P < 0,05 signifikant. Deutlich mehr und gr/513ere Geschwiire als bei den CL- und PGS-Tieren lieBen sich nach Ableitung des Pankreassaftes in das Jejunum (PJS) beobachten (s. Abb. 1 und 2). Die Unterschiede gegentiber den anderen Versuchsgruppen waren mit P < 0,05 signifikant. Im Bereich der Einmiindungsstelle in das Jejunum fand sich keine Lasion, auch war die Anordnung der Geschwtire nicht auff~illig. Im Vergleich zu den Kontrolltieren war die Gesamtgeschwiirsfl/iche kleiner [14,8 + 2,4mm 2 :10,9 + 2,4 mm 2 (P < 0,05)].

Mittlere GesamtgeschwGrsfl~che

mm 2

16

+

12 ¸

8

~ ~ %o¢ ~

OoOc %o( oo o9o c_

~c o9o c_

o?o c_

®

u

U

c

E ~ "~

E o

c

~

u~

O0

C

Abb. 1. Mittlere Gesamtgeschwiirsfliiche nach 9 h lmmobilisationsstress der Ratte in Abhiingigkeit yon Galle- und PankreassekretfluS. Mittelwerte und SEM

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V. Schumpelick et al. Ulkusanzohl pro Gr6flenklasse

I

Kontrolle(n 16)

-1

-2

-5

.__[__ ancreaticojejuno-

)5ram2

-1

Choledochusligurot (n=16) 4

-2

-5 )5mm2

Poncreaticogostrostomie(n=12)

2 1

-1

-2 -5 )5ram2

-1

-2

-5 ram2

Abb. 2. Einteilung der Geschwiire nach Gr6Benklassen bei 9 h Immobilisationsstress der Ratte in

Abh~ingigkeit von Galle- und PankreassekretfluB

Diskussion

FaBt man unsere Ergebnisse zusammen, so l~i6t sich eine Zunahme der Ulcusemf~inglichkeit in folgender Reihenfolge feststellen: Pankreatikogastrostomie Gallengangsligatur Pankreatikojejunostomie Kontrolltiere. Das heiBt, am wenigsten Ulzera haben Tiere, bei denen der Gallengang ligiert und das Pankreassekret in den Magen geleitet wird; die meisten Geschwiire fanden sich bei scheinoperierten Kontrolltieren ohne Veninderungen des Galle- und Pankreassekretflusses. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung eines duodenalen Refluxes fiJr die Genese des Stressulcus [1, 10,19]. Neben lokaler Schleimhautisch~imie und der ohnehin vorhandenen Salzs~iure sind vor allem die Gallens~iuren an der Ausl6sung eines Stressulcus beteiligt [6,14, 21]. Eine Senkung der Ulcusincidenz durch Gallengangsligatur oder gallens~iurebindende Pharmaka ist eine experimentell gut belegte Tatsache [11,18,22], die man sich in der pharmakologischen Prophylaxe des Stressulcus bereits zunutze macht [20]. Die ulzerogene Wirkung der Galle liegt in der Detergentiensnatur der Gallens~iuren, die die Schleimhautbarriere durchbrechen und damit der RiJckdiffusion von Wasserstoffionen den Weg bahnen [3]. Unklar ist dagegen die Rolle des Pankreassaftes fiir die akute Ulzerogenese. Tierexperimentell l~iBt sich zeigen, dab reiner Pankreassaft kaum, in Verbindung mit Gallensaft aber erheblich die Schleimhaut sch~idigt [10]. Urs~ichlich f/Jr diesen Kombinationseffekt d/irfte das aus dem Lecithin der Galle durch Einwirkung der

Pankreassaft und Stressulcus der Ratte

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Pankreasphospholipase A entstehende Lysolecithin sein [7]. Diese hochcytotoxische Substanz konnte verschiedentlich unter Stressbedingungen im Magensaft nachgewiesen werden [9]. Im Gegensatz zur Galle scheint aber der reine Pankreassaft nicht ulzerogen zu wirken. Aufgrund unserer Versuche ist zu diskutieren, ob er sogar eine protektive Funktion ausiJbt. Hier fiinde sich dann ein Korrelat fiJr die von Schmilinsky angefiihrte ,,Innere A p o t h e k e " [16]. Eine direkte Einleitung in den Magen steigert diese Wirkung, die Ableitung ins D u o d e n u m macht sie ineffektiv. Doch kann der Wirkungsmechanismus dieser Vorg~inge nur vermutet werden. Ob lediglich die neutralisierende Potenz des alkalischen Duodenalsaftes urs~ichlich fiJr diesen Schutzeffekt ist, mul3 often bleiben. Zu diskutieren ist aul3erdem eine Beeinflussung des gastrointestinalen Hormonspiegels. lSberdies wird die Frage einer Protektion der Magenschleimhaut durch saurebindende Substanzen unterschiedlich beurteilt [4,8]. Sicher ist ein vollst~indiger Schutz aufgrund unserer Erkenntnisse von den Mechanismen der Stressulcusentstehung nicht zu erwarten [11,18]. Nur in dem Mal3e, wie eine quantitative Bindung der Wasserstoffionen gelingt, ist mit einem protektiven Effekt zu rechnen. Doch hat man sich hierbei zu vergegenw~irtigen, dab im besten Fall nur ein Faktor der Ulcusgenese hiermit beeinflul3t werden kann [8]. Gallens~iurenreflux, Lysolecithin und Schleimhautisch~imie sind von mindestens gleichrangiger Bedeutung. Im Hinblick auf die Frage nach der klinischen Relevanz dieser Ergebnisse kann man - unter der A n n a h m e einer l~lbertragbarkeit - somit feststellen: Gallensaft wirkt ulzerogen auf die Magenschleimhaut, Pankreassaft ist unsch~idlich, vielleicht sogar protektiv. In Kombination wirken beide verst~irkt ulzerogen durch Bildung des cytotoxischen Lysolecithins. Eine medikament6se Behandlung mit gallens~iurebindenden Substanzen ist damit sinnvoll, da sie die Gallensauren als direkte Noxe unsch~idlich macht und den Abbau des Lysolecithins in harmlose Spaltprodukte iJberdies begiinstigt [7].

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[Pancreatic juice and stress ulcers of the rat (author's transl)].

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