Prävention & Versorgungsforschung | Review article

Pharmakotherapie von Schlafstörungen bei älteren Menschen Pharmacotherapy of sleep disorders in elderly patients

Autoren

J. Schröder1

Institut

1 Unabhängige Patientenberatung Deutschland, Kompetenzstelle Arzneimittel

Pharmakotherapie, Geriatrie, Schlafmedizin

Schlafstörungen im Alter ▼

Prävention & Versorgungsforschung | Review article

Schlüsselwörter Schlafstörungen Insomnie Alter Hypnotika Antidepressiva Antipsychotika

q q q q q q

Keywords sleep disorders insomnia elderly hypnotics antidepressive agents antipsychotic agents

q q q q q q

eingereicht 03.06.2013 akzeptiert 08.07.2013 Bibliografie DOI 10.1055/s-0033-1349579 Dtsch Med Wochenschr 0 2013; 1380 : 2550–2553 · © Georg 0 Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Dr. rer. medic. Jane Schröder, Apothekerin Unabhängige Patientenberatung Deutschland, Kompetenzstelle Arzneimittel am Institut für Klinische Pharmakologie, Medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden Fiedlerstr. 27 01307 Dresden Tel. 0351/458-5196 Fax 0351/458-7251 eMail [email protected]

Schlafstörungen zählen zu den häufigsten Gesundheitsbeschwerden der Allgemeinbevölkerung. Nach einer Studie in deutschen Allgemeinarztpraxen haben 26,5 % aller Patienten eine Insomnie [31]. 27 % der Frauen und 14 % der Männer geben laut Gesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts an, unter mäßiger oder starker Schlaflosigkeit zu leiden [26]. Ältere Menschen sind von Schlafstörungen besonders häufig betroffen: Etwa 20–40 % der über 65-Jährigen klagen über Schlaflosigkeit [2]. Allerdings ist dafür nicht das Alter per se ursächlich. Häufig sind altersbedingte Erscheinungen wie ein schlechterer Gesundheitszustand, psychische Begleiterkrankungen und andere kognitive Beeinträchtigungen Auslöser eines nicht erholsamen Schlafes [3]. Bewohner von Pflegeheimen haben vermutlich aus diesem Grund sogar noch häufiger Schlafprobleme. Laut einer Studie in Berliner Pflegeheimen leiden knapp 70 % der Bewohner mindestens an einigen Tagen und/oder Nächten der Woche unter Schlaf- und Wachstörungen [8].

kurzgefasst Ältere Patienten leiden häufig aufgrund von internistischen, neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen unter Schlafstörungen.

Therapieoptionen und deren Nutzen ▼ Bei älteren Patienten werden Schlafprobleme vorwiegend medikamentös behandelt, obwohl auch wirksame nicht-medikamentöse Therapieoptionen verfügbar sind [17]. Durch Schlafmittel lassen sich lediglich Symptome verbessern, die zugrundeliegenden Ursachen werden nicht behandelt. Vor jeder Verordnung von Hypnotika sollte aus diesem Grund umfangreich geprüft werden, ob internistische, neurologische oder psychiatrische Erkran-

kungen vorliegen, die ursächlich für die Schlafstörung sein könnten. Die Behandlung der Grunderkrankung sollte im Vordergrund stehen. Kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien sind eine etablierte Alternative zur Pharmakotherapie von Schlafstörungen. Verhaltenstherapie hat einen größeren und länger anhaltenden Effekt als eine medikamentöse Behandlung [14]. Studien haben die Wirksamkeit von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Strategien auch bei älteren Patienten belegt [23]. Daher sollten nicht-medikamentöse Behandlungsansätze vor der Verordnung von Pharmaka ausgeschöpft werden. Gemäß der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin kommen zur medikamentösen symptomatischen Behandlung von Schlafstörungen in erster Linie die klassischen Hypnotika in Frage: Benzodiazepine und Benzodiazepin-Analoga, Antihistaminika, das Alkoholderivat Chloralhydrat und pflanzliche Präparate (u. a. mit Baldrian) [20]. Seit 2007 ist zusätzlich ein melatoninhaltiges Medikament für die kurzzeitige Behandlung der primären, durch schlechte Schlafqualität gekennzeichneten Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren verfügbar. Daneben werden zunehmend sedierende Antidepressiva, das Anxiolytikum Opipramol und niedrigpotente Antipsychotika Off-Label zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt (q Tab. 1). Bei der medikamentösen Behandlung von Schlafstörungen, v.a. im höheren Alter, stehen behandelnde Ärzte immer noch vor einem großen Dilemma. Es existiert derzeit kein Medikament, das die Anforderungen an ein ideales Schlafmittel erfüllt. Alle hypnotisch wirkenden Pharmaka beeinflussen den physiologischen Schlafablauf. Daneben treten bei vielen Schlafmitteln Hangover-Effekte auf, sodass häufig auch am Tag nach der Einnahme Müdigkeit und Abgeschlagenheit auftreten.

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Hypnotika und andere sedierende Pharmaka zur Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Patienten (modifiziert nach [20]).

Substanzgruppe

Benzodiazepinhypnotika

Benzodiazepin-Analoga

Antihistaminika Sonstige Hypnotika

Sedierende Antidepressiva

Niedrigpotente Antipsychotika

Wirkstoff

Halbwertszeit

Abenddosis

Einsatz bei älteren Patienten

(Stunden)

(mg)

(Einschätzung nach [13])

Brotizolam

3–8

0,125–0,25

Potenziell inadäquat (> 0,125 mg/d)

Flunitrazepam

16–35

0,5–1

Potenziell inadäquat

Lormetazepam

8–15

0,5–2

Potenziell inadäquat (> 0,5 mg/d)

Nitrazepam

25–30

2,5–10

Potenziell inadäquat

Temazepam

7–18

10–40

Potenziell inadäquat

Triazolam

1–5

0,125–0,25

Potenziell inadäquat

Zaleplon

1

5–10

Potenziell inadäquat (> 5 mg/d)

Zolpidem

2–4

5–10

Potenziell inadäquat (> 5 mg/d)

Zopiclon

5

3,75–7,5

Potenziell inadäquat (> 3,75 mg/d)

Diphenhydramin

2–9

25–50

Potenziell inadäquat

Doxylamin

10

25–50

Potenziell inadäquat

Chloralhydrat

8

250–1000

Potenziell inadäquat

Melatonin

3,5–4

2

Keine Einschränkung

Opipramol

6–9

50–100

Keine Einschränkung

Amitriptylin

10–28

5–50

Potenziell inadäquat

Doxepin

8–24

5–50

Potenziell inadäquat

Mianserin

8–19

5–20

Keine Einschränkung

Mirtazapin

20–40

7,5–15

Keine Einschränkung

Trazodon

5–8

25–50

Keine Einschränkung

Trimipramin

24

5–50

Potenziell inadäquat

Chlorprothixen

3–29

10–50

Keine Einschränkung

Levomepromazin

17–78

10–50

Potenziell inadäquat

Melperon

4–6

25–75

Keine Einschränkung

Pipamperon

17–22

20–60

Keine Einschränkung

Promethazin

12

10–50

Keine Einschränkung

Thioridazin

10–36

10–50

Potenziell inadäquat

Zur Therapie von Schlafstörungen werden Benzodiazepine mit einer kurzen bis mittellangen Wirkdauer eingesetzt. Dazu zählen in erster Linie Brotizolam, Flunitrazepam, Lormetazepam, Nitrazepam, Temazepam und Triazolam. Zur Behandlung von Einschlafproblemen sind eher kurzwirksame Vertreter geeignet. Mittellang wirksame Benzodiazepine sind vor allem bei Durchschlafschwierigkeiten angezeigt. Daneben werden mittellang und lang wirkende Benzodiazepine (u. a. Diazepam, Lorazepam, Bromazepam) auch zur Behandlung von Angst- und Unruhezuständen verordnet. Eine klare Einteilung der Benzodiazepine in Hypnotika und Anxiolytika ist allerdings schwierig, da sich die Indikationen teilweise überschneiden. So sind beispielsweise Medikamente mit dem Wirkstoff Oxazepam zur Behandlung von Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen und zur symptomatischen Behandlung von Durchschlafstörungen zugelassen [6]. Die Benzodiazepin-Analoga Zaleplon, Zolpidem und Zopiclon haben den gleichen Wirkungsmechanismus und eine vergleichbare pharmakologische Wirkung wie Benzodiazepine. Die muskelrelaxierenden und antikonvulsiven Eigenschaften sind geringer ausgeprägt, dennoch können auch unter der Einnahme dieser Wirkstoffe Gangunsicherheit und Stürze auftreten [29]. Bei Benzodiazepinen und Benzodiazepin-Analoga besteht die Gefahr der Gewöhnung und Abhängigkeit. Aus diesem Grund soll ihre Anwendung zulassungsgemäß auf 4 Wochen beschränkt bleiben. Ist eine längere Behandlung erforderlich, kann eine bedarfsregulierte Intervalltherapie in Erwägung gezogen werden [20]. Hierbei darf der Patient an 2–3 Tagen der Woche das Schlafmittel einnehmen. Die Applikation soll insbesondere

in den Nächten vor Tagen mit einer erwarteten hohen Belastung erfolgen. Ein Wirksamkeitsnachweis dieses Einnahmeschemas steht allerdings bisher noch aus. Der Nutzen von Benzodiazepinen und Benzodiazepin-Analoga in der Kurzzeitbehandlung (≤ 4 Wochen) von Schlafstörungen bei jungen Erwachsenen ist belegt [12, 24]. Bei älteren Patienten konnte durch die Einnahme dieser Hypnotika eine etwas verbesserte Schlafqualität und eine leicht verlängerte Schlafzeit festgestellt werden. Die Zahl nächtlicher Wachphasen nahm geringfügig ab. Insgesamt wird der Nutzen von Benzodiazepinen und Benzodiazepin-Analoga bei dieser Altersgruppe aber als gering eingeschätzt [9]. Gleichzeitig nimmt das Risiko für das Auftreten von unerwünschten Wirkungen mit dem Lebensalter zu. Die Halbwertszeit und damit verbunden die Wirkdauer von Hypnotika wird durch Alter und Geschlecht beeinflusst. Beispielsweise beträgt die Halbwertszeit für Temazepam bei jüngeren Patienten zwischen 7–11 Stunden, bei älteren Patienten bis zu 14 Stunden. Für ältere Frauen wurden sogar Halbwertszeiten von bis zu 18,4 Stunden ermittelt [7]. Aus diesem Grund sind Patienten über 65 Jahren häufiger von Hangover-Effekten mit Tagesmüdigkeit betroffen. Gleichzeitig steigt die Sturzgefahr und damit verbunden das Risiko für Frakturen [29]. Patienten im höheren Lebensalter sollten daher möglichst nicht mit Benzodiazepinen und Benzodiazepin-Analoga behandelt werden. Einige Antihistaminika haben neben ihren antiallergischen Eigenschaften auch einen sedierenden bzw. hypnotischen Effekt. Die Wirkstoffe Diphenhydramin und Doxylamin sind freiverkäuflich (ohne ärztliche Verschreibung) in der Apotheke erhält-

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Tab. 1

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lich. Einzelne kleinere Studien haben eine sedierende Wirkung von Antihistaminika auch bei älteren Patienten gezeigt [10]. Allerdings ist die Aussagekraft dieser Untersuchungen aufgrund des Studiendesigns (u. a. geringe Fallzahl) eingeschränkt. Die Einnahme löst andererseits häufig Benommenheit und Konzentrationsstörungen am Folgetag aus. Bei älteren Personen wird zusätzlich ein Zusammenhang mit kognitiven Beeinträchtigungen vermutet [1, 4]. Aufgrund dieser Beobachtungen können sedierende Antihistaminika bei älteren Patienten nicht empfohlen werden. Chloralhydrat ist eines der ältesten Schlafmittel, und es hat an Bedeutung verloren. Aussagekräftige Studien zum Nutzen gibt es nicht. Bei längerem Gebrauch besteht das Risiko einer Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung. Psychische Beeinträchtigungen und eine Verlängerung des QT-Intervalls im EKG sind beschrieben [13]. Im Alter sollte der Wirkstoff möglichst nicht verabreicht werden. Als pflanzliche Hypnotika werden vorwiegend Extrakte aus Baldrianwurzel, Hopfenzapfen, Melissenblättern und Passionsblumenkraut eingesetzt. Der klinische Nutzen der Präparate wird kontrovers diskutiert. Zur Wirksamkeit von Baldrian-Monopräparaten existieren kontrollierte Studien. Allerdings waren das Untersuchungsdesign sowie die verwendeten Zubereitungen in den Studien sehr heterogen. Die verfügbaren Daten deuten insgesamt darauf hin, dass Baldrian die Schlafqualität ohne relevante Nebenwirkung leicht verbessert [5]. Für alle anderen Phytopharmaka fehlt ein evidenzbasierter Nachweis der Wirksamkeit. Antidepressiva mit sedierenden Eigenschaften und das Anxiolytikum Opipramol werden zunehmend zur Behandlung von chronischen Schlafstörungen eingesetzt. Sie sind nicht zur Therapie von primären Insomnien zugelassen, haben aber den großen Vorteil, dass sie auch bei langfristiger Einnahme keine Abhängigkeit auslösen. Ihre Wirksamkeit und Sicherheit insbesondere bei älteren Patienten wurde bisher allerdings nur unzureichend evaluiert. Für Trimipramin, Doxepin, Trazodon und Mirtazapin konnte in kleineren Studien eine schlaffördernde Wirkung bei der Allgemeinbevölkerung beobachtet werden. Das Evidenzniveau ist aber insgesamt niedrig [18]. Zur Wirksamkeit bei älteren Menschen liegen kaum Erkenntnisse vor. Lediglich für die Einnahme von Doxepin über bis zu 12 Wochen wurde bisher ein Nutzen gezeigt [16, 27]. Unerwünschte kardiovaskuläre, urogenitale und gastrointestinale Nebenwirkungen schränken die Behandlung mit Antidepressiva ein. Insbesondere Amitriptylin, Doxepin und Trimipramin werden als potenziell inadäquate Medikamente für ältere Menschen eingestuft [13]. Aufgrund mangelnder Alternativen ist ein Therapieversuch mit sedierenden Antidepressiva (z. B. Mirtazapin) unter Beachtung des Nebenwirkungspotenzials bei langanhaltenden, schweren Schlafstörungen älterer Patienten mit hohem Leidensdruck vertretbar [13, 30]. Auch einige Antipsychotika werden aufgrund ihrer schlaffördernden und sedierenden Wirkungen außerhalb ihres Zulassungsbereichs in der primären Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt. Allerdings ist auch bei dieser Wirkstoffgruppe der Nutzen nicht ausreichend belegt. Extrapyramidale Nebenwirkungen (u. a. Spätdyskinesien und Parkinsonismus) können während der Behandlung auftreten. Bei Patienten mit Demenz wurde zusätzlich eine erhöhte Mortalitätsrate verzeichnet [15]. Von einer längerfristigen Behandlung chronischer Schlafstörungen mit Antipsychotika wird aus diesem Grund im Alter abgeraten [28].

kurzgefasst Hypnotika und andere sedierende Pharmaka weisen ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis für Patienten im höheren Lebensalter auf.

Versorgungssituation in Deutschland ▼ Rückschlüsse auf die Versorgungssituation von Menschen mit Schlafstörungen sind indirekt über Verordnungsdaten von gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) möglich. Hypnotikaund Sedativa-Verordnungen sind in den letzten 10 Jahren stark zurückgegangen. Während 1992 etwa 463 Mio. definierte Tagesdosen (DDD) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet wurden, lag das Verordnungsvolumen 2011 nur noch bei 117 Mio. DDD [19]. Ursächlich dafür sind vermutlich die gewachsene Sensibilisierung verordnender Ärzte bezüglich des Abhängigkeitspotenzials sowie Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen. So ist durch das GKV-Modernisierungsgesetz (2004) eine Verordnung von Antihistaminika und pflanzlichen Präparaten zur Behandlung von Schlafstörungen nicht mehr zu Lasten der GKV möglich. Daneben sind Hypnotika seit in Kraft treten der neuen Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses im April 2009 prinzipiell nur noch im Rahmen einer Kurzzeittherapie bis zu 4 Wochen erstattungsfähig. Eine längerfristige Anwendung ist lediglich in medizinisch begründeten Einzelfällen eine Kassenleistung. Das Verordnungsvolumen von Schlafmitteln zu Lasten der GKV in Höhe von 117 Mio. DDD ist insgesamt sehr niedrig. Umgerechnet bedeutet dies, dass täglich nur knapp 321 000 Patienten ein kassenärztlich verordnetes Hypnotikum erhielten. Verzerrt wird dieses Bild dadurch, dass neben Hypnotika im engeren Sinne auch Antidepressiva und Antipsychotika außerhalb ihres Anwendungsgebietes zur Behandlung von Schlafstörungen verschrieben werden. Bei den Verordnungsdaten der GKV ist eine Differenzierung von „In-Label“ und „Off-Label“ verordneten Präparaten praktisch nicht möglich. Daneben werden Benzodiazepine und Benzodiazepin-Analoga sehr häufig auf Privatrezept verordnet. Die Einkaufsstatistiken öffentlicher Apotheken weichen deutlich von den Verordnungsdaten der GKV ab. Beispielsweise wurden im Jahr 2007 etwa 3,7 Mio. Packungen Zolpidem und 3,9 Mio. Packungen Zopiclon verkauft, wobei der Anteil an Privatverordnungen für Zolpidem bei etwa 2,0 Mio. Packungen (54 %) bzw. für Zopiclon bei etwa 1,6 Mio. Packungen (41 %) lag [11]. Es bleibt daher unklar, wie viele Patienten mit Schlafstörungen gegenwärtig tatsächlich medikamentös behandelt werden. Aufgrund der erhöhten Prävalenz von Schlafstörungen im hohen Lebensalter kann davon ausgegangen werden, dass ältere Patienten einen höheren Bedarf an Schlafmitteln haben als jüngere Menschen. Pittrow et al. ermittelten auf der Grundlage der Verordnungsdaten einer Betriebskrankenkasse in Berlin, dass Pflegeheimbewohner sogar noch häufiger Hypnotika verordnet bekommen als nicht-pflegebedürftige Patienten über 60 Jahren [25]. In einer Studie in Münchner Pflegeheimen aus dem Jahr 2001 erhielten 13,6 % der Pflegeheimbewohner Hypnotika. Am häufigsten wurden Benzodiazepin-Analoga (5,7 %) verabreicht. Benzodiazepinhypnotika erhielten 4,5 % der Bewohner [22]. In einer anderen Untersuchung in Pflegeheimen in Hamburg wurde eine Verordnungsrate von 10,7 % für Hypnotika ermittelt [21].

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Psychotherapeutische Verfahren werden hingegen bei Schlafstörungen eher selten eingesetzt. So ermittelten Wittchen et al. im Rahmen einer bundesweiten Studie, an der 539 Arztpraxen beteiligt waren, dass insgesamt nur jeder zehnte Patient mit einer Insomnie eine Psychotherapie erhält. Patienten im höheren Lebensalter bekommen diese sogar noch deutlich seltener. Als Ursachen werden inhaltliche Faktoren (Einstellungen, klinische Überlegungen) und strukturelle Voraussetzungen (Verfügbarkeit von Psychotherapeuten, schlechte Überweisungserfahrungen, schlechte Akzeptanz seitens der Patienten) vermutet [31].

kurzgefasst Aussagekräftige Studien zur Versorgungssituation von älteren Patienten mit Schlafstörungen gibt es derzeit nicht. Sekundäranalysen von Verordnungsdaten gesetzlicher Krankenkassen deuten darauf hin, dass insbesondere Pflegeheimbewohner häufig Hypnotika einnehmen.

Konsequenz für Klinik und Praxis 3Der Einsatz der klassischen Hypnotika und anderer sedierender Pharmaka ist bei älteren Patienten aufgrund eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Profils nur begrenzt möglich. 3In der Praxis werden Schlafmittel allerdings immer noch häufig an Menschen im hohen Lebensalter verordnet. 3Nicht-medikamentöse Behandlungsoptionen (kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien) sind in der Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Patienten zu bevorzugen. 3Der Nutzen von Benzodiazepinn und Benzodiazepin-Analoga wird bei über 65-Jährigen als gering eingeschätzt. Sie sollten daher nur bei akuten schweren Schlafstörungen in kleinen Mengen über einen kurzen Zeitraum (< 2 Wochen) verordnet werden. In medizinisch begründeten Fällen übernehmen die GKV die Kosten. Eine Verordnung auf Privatrezept ist daher bei gesetzlich Versicherten nicht indiziert. 3Bei langanhaltenden schweren Schlafstörungen und hohem Leidensdruck kann ein Therapieversuch mit sedierenden Antidepressiva wie Mirtazapin unter Berücksichtigung des Nebenwirkungspotenzials in Erwägung gezogen werden. 3Die Einnahme anderer Hypnotika und sedierender Pharmaka kann derzeit aufgrund des fehlenden Nutzennachweises bei älteren Patienten nicht empfohlen werden.

Autorenerklärung: Die Autorin erklärt, dass sie keine finanzielle Verbindung mit einer Firma hat, deren Produkt in diesem Beitrag eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

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Die Ergebnisse einer Sekundäranalyse der Verordnungsdaten von Berliner Heimbewohnern im Rahmen der Studie „Interrelation of Sleep Disorders and Multimorbidity in Nursing Institutions for the Aged“ (Insomnia I) deuten darauf hin, dass in einigen Pflegeheimen noch häufiger Benzodiazepinhypnotika verordnet werden als Benzodiazepin-Analoga (Verordnungsprävalenz 3,9 % vs. 3,4 %). Es erhielten etwa 2 % Benzodiazepinhypnotika und 1,2 % Benzodiazepin-Analoga als Dauermedikation [17].

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[Pharmacotherapy of sleep disorders in elderly patients].

Elderly patients often suffer from sleep disturbances. Disorders are mostly caused by medical, neurological or psychiatric diseases and multimorbidity...
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