2 Empfehlungen zur Bewegungstherapie

Körperliche Aktivität und körperliches Training in der Rehabilitation einer Krebserkrankung Physical Activity and Exercise Recommendations for Cancer Patients during Rehabilitation

Autoren

E. M. Zopf1, F. T. Baumann1, K. Pfeifer2, 3

Institute

1

Key words ▶ exercise therapy ● ▶ sports therapy ● ▶ physical activity ● ▶ cancer ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1334916 Online-Publikation: 19.11.2013 Rehabilitation 2014; 53: 2–7 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0034-3536 Korrespondenzadresse Eva Maria Zopf Abteilung Molekulare und Zelluläre Sportmedizin Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin Deutsche Sporthochschule Köln Am Sportpark Müngersdorf 6 50933 Köln [email protected]

Zusammenfassung

Abstract

Ziel der Arbeit: Eine Krebserkrankung und ihre meist lang andauernde und intensive medizinische Behandlung wirken sich nachhaltig und tiefgreifend auf das körperliche, funktionale, emotionale und soziale Wohlbefinden vieler Betroffener aus. In diesem Zusammenhang zeigen sich die ganzheitlichen positiven Effekte von bewegungstherapeutischen Interventionen als erfolgversprechend. Ausgehend von der aktuellen Literatur sollen Bewegungsempfehlungen, insbesondere für das Ausdauer- und Krafttraining in der Rehabilitation nach einer Krebserkrankung, abgeleitet und im Anschluss daran die Besonderheiten der 3 Hauptkrebsentitäten Brustkrebs, Prostatakrebs und Darmkrebs kurz erläutert werden. Methoden: Basierend auf einer hierarchischen Literaturrecherche mit der Dachdatenbank Medpilot und auf den Evidenzgraden und Empfehlungsstärken der „European Society of Cardiology“ werden evidenzbasierte Bewegungsempfehlungen für Menschen mit Krebserkrankungen ausgesprochen. Ergebnisse: Fasst man die aktuelle Studienlage zusammen, so zeigt sich, dass körperliche Aktivitäten für Menschen mit Krebserkrankungen machbar, sicher und effizient sind. Sowohl Ausdauertraining als auch Krafttraining zeigen positive Auswirkungen auf physiologischer, psychologischer und sozialer Ebene der Patienten und sollten daher die Grundlage eines Bewegungsprogramms in der Rehabilitation bilden. Schlussfolgerung: Während die Evidenz vor allem bei Brustkrebs und zunehmend auch bei Prostatakrebs gut ist, ist die Datenlage beispielsweise für Darmkrebs noch unzureichend. Um für die verschiedenen Krebsentitäten und unterschiedlichen Behandlungsphasen genauere Empfehlungen bezüglich optimaler Bewegungsformen und Belastungsnormativen geben zu können, müssen weitere qualitativ hochwertige Studien folgen.

Aim of the work: Cancer and its commonly required continuous and intensive medical treatment have a profound and lasting effect on patients’ physical, functional, emotional and social wellbeing. In this context the positive comprehensive effects of physical exercise interventions increasingly prove to be promising. The aim of this review is to derive physical exercise recommendations for patients with cancer, especially concerning aerobic and resistance training during rehabilitation, based on the current literature. In a second step the 3 main cancer types breast cancer, prostate cancer and colon cancer and their distinctive features will be addressed briefly. Methods: A hierarchic literature research was conducted using the medical information portal Medpilot. The evaluation system of the “European Society of Cardiology” was applied in order to evaluate the evidence and compile evidencebased exercise recommendations for patients with cancer. Results: When summing up the current data, physical exercise proves to be efficient, safe and feasible for patients with cancer. Both aerobic and resistance training have a positive influence on a patient’s physical, psychological and social level and should therefore be included in every exercise program. Conclusion: While the evidence for breast cancer and increasingly also for prostate cancer is strong, research in colon cancer, for example, is still sparse. In order to create precise recommendations regarding the ideal exercise type and dose for the different cancer types during various treatment phases further high quality studies are necessary.



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Schlüsselwörter ▶ Bewegungstherapie ● ▶ Sporttherapie ● ▶ körperliche Aktivität ● ▶ Krebs ●

Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin, Abteilung Molekulare und Zelluläre Sportmedizin, Deutsche Sporthochschule Köln 2 Institut für Sportwissenschaft und Sport, Abteilung Bewegung und Gesundheit, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 3 Arbeitsgruppe Bewegungstherapie der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften

Präambel



Dieser Beitrag beinhaltet Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Bewegungstherapie (AG BT)1 innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW) zur körperlichen Aktivität für Menschen mit Krebserkrankungen. Er gibt den gegenwärtigen Forschungsstand wieder und soll dem therapeutischen Team, insbesondere den Ärztinnen und Ärzten sowie Bewegungstherapeutinnen und Bewegungstherapeuten, die Entscheidungsfindung und Beratung bezüglich körperlicher Aktivität und Training für an Krebs erkrankte Menschen in der Rehabilitation erleichtern. Aufbauend auf der wissenschaftlichen Datenlage zu den Effekten von Ausdauer- und Krafttraining u. a. auf die Symptomatik und Nebenwirkungen, körperliche Leistungsfähigkeit, Folge-/ Begleiterkrankungen und Lebensqualität bei Menschen mit Krebserkrankungen werden evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für die praktische Durchführung bewegungsbezogener Interventionen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation abgeleitet. Bewegungsbezogene Interventionen zielen außerdem auf eine dauerhafte Verhaltensänderung im Sinne eines nachhaltig gesundheitsorientierten Bewegungsverhaltens ab. Die dargestellten indikationsspezifischen Empfehlungen werden deshalb durch indikationsübergreifende Empfehlungen „Verhaltensbezogene Bewegungstherapie“ ergänzt, welche evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für die praktische Durchführung bewegungsbezogener Interventionen unter der Zielsetzung einer optimalen Bindung an einen körperlich aktiven Lebensstil ableiten [1].

Einleitung



In Deutschland erkranken jährlich etwa 450 000 Menschen an Krebs [2]. Die Krebserkrankung und deren meist lang andauernde und intensive medizinische Behandlung wirken sich nachhaltig und tiefgreifend auf das körperliche, funktionale, emotionale und soziale Wohlbefinden vieler Betroffener aus [3]. Die Säulen der Krebstherapie, bestehend aus Operation, Chemotherapie, Bestrahlung und inzwischen auch Hormon- und Antikörpertherapie, können ausgeprägte physiologische Nebenwirkungen wie z. B. Anämie, Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen verursachen [4]. Den Behandlungszeitraum überdauernd kommt es zusätzlich meist zu einer Abnahme der aeroben Fitness und der Muskelkraft, zu einer relativen Zunahme des Körperfettanteils, einem Auftreten der Fatigue-Symptomatik, einer geschwächten Immunfunktion und zu Veränderungen der neurologischen und endokrinen Funktionen [5–10]. Die häufigsten psychischen bzw. psychosozialen Probleme, die durch die Folgen der Erkrankung und ihrer Therapie entstehen, sind Ängste, Depressionen und Schlafstörungen [8, 11]. Ein reduziertes Selbstwertgefühl sowie motivationale und kognitive Einschränkungen führen auf sozialer Ebene zu einer reduzierten Teilnahme an Freizeitaktivitäten und am Sozialleben, Problemen bei der Aufrechterhaltung von Beziehungen und Aktivitäten mit der Familie und einer redu1

Der AG BT gehören an (Stand April 2012): Angelika Baldus, Dr. Silke Brüggemann, Dr. Inge Ehlebracht-König, Dr. Wolfgang Gruber, Prof. Dr. Christian Grüneberg, Prof. Dr. Wiebke Göhner, Prof. Dr. Gerhard Huber, PD Dr. Gert Krischak, Prof. Dr. Sonia Lippke, Prof. Dr. Klaus Pfeifer (Sprecher), Florian Sandeck, Prof. Dr. Gorden Sudeck, Dr. Wilfried Schupp, Prof. Dr. Klaus Schüle, Prof. Dr. Christoph Zalpour.

zierten Erwerbsfähigkeit [12, 13]. Insgesamt wirken sich all diese Begleiterscheinungen negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen aus und schränken ihr Aktivitätsniveau ein [4]. In den vergangenen Jahren wurden vermehrt Studien mit nichtpharmakologischen Interventionen generiert, die durch psychotherapeutische, verhaltenstherapeutische oder bewegungstherapeutische Interventionen die Lebensqualität von Menschen mit Krebserkrankungen verbessern bzw. stabilisieren sollen. Sport- und bewegungstherapeutische Angebote nehmen dabei eine zunehmend größere Rolle ein. Inzwischen ist deutlich, dass kontrollierte und gezielte körperliche Aktivität eine effektive Intervention für Menschen mit Krebserkrankungen darstellt, die die Betroffenen sowohl physiologisch als auch psychologisch und psychosozial beeinflusst [9, 14]. Neuste Untersuchungen mit Brust-, Prostata- und Darmkrebspatienten lassen vermuten, dass durch körperliche Aktivität auch die Sterblichkeits- und Rezidivwahrscheinlichkeit gesenkt werden kann [15–17]. Das Ziel dieses Beitrages ist es, ausgehend von der aktuellen Literatur Empfehlungen für die Bewegungstherapie in der onkologischen Rehabilitation zu geben und dies unter besonderer Berücksichtigung der 3 Hauptentitäten Brust-, Darm- und Prostatakrebs.

Methodik



Literaturrecherche Mithilfe der Dachdatenbank Medpilot wurde bis einschließlich Februar 2011 eine hierarchische Literaturrecherche zum Thema „körperliche Aktivität in der onkologischen Rehabilitation“ durchgeführt. Die Recherche wurde sowohl mittels deutscher als auch englischer Schlüssel- bzw. Schlagwörter (exercise, physical activity, aerobic, endurance, resistance training, sport, körperliche Aktivität, Bewegungstherapie, Sport in Kombination mit cancer, Krebs) durchgeführt und eine Restriktion des Veröffentlichungsjahrs wurde nicht getroffen. In die Arbeit wurden nur Artikel eingebunden, die in deutscher oder englischer Sprache publiziert wurden. In einem ersten Schritt wurden unabhängig durch 2 der Autoren themenspezifische Reviews und Metaanalysen identifiziert. Dabei wurden nur Artikel eingebunden, die körperliche Aktivitäten in der Rehabilitation bzw. Nachsorge nach der Akutbehandlung bzw. während einer Hormontherapie untersuchen. In einem zweiten Schritt wurden über Medpilot und die Literaturverzeichnisse der Übersichtsarbeiten auch Primärstudien eingebunden, wobei randomisiert-kontrollierte Studien oberste Priorität hatten.

Evidenzgrade und Empfehlungsstärken Basierend auf der gesamten recherchierten Literatur inklusive Reviews, Metaanalysen und Studien zur körperlichen Aktivität in der Rehabilitation bzw. Nachsorge einer Krebserkrankung wurden Bewegungsempfehlungen formuliert. Im Einklang mit der Vorgehensweise der AG Bewegungstherapie der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften wurden die ausgesprochenen Bewegungsempfehlungen mit Evidenzgraden I–III und Empfehlungsstärken A–C gemäß der „European Society of Cardiology“ [18] versehen. Empfehlungsstärke: ▶ I: Evidenz oder allgemeine Akzeptanz, dass die Maßnahme nützlich/effektiv ist. ▶ IIa: Umstritten, aber überwiegende Evidenz/Meinung, dass die Maßnahme nützlich und/oder effektiv ist.

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Tab. 1 Datenlage zur Wirkung von Ausdauer- oder Krafttraining in der Rehabilitation nach einer Krebserkrankung.a

aerobe Fitness muskuläre Fitness Beweglichkeit Aktivitätsniveau Körperkomposition Fatigue Lebensqualität Schlafstörungen Depressionen Blutparameter (z. B. NKZ, Insulin, IGF-I/II, PSA] Sicherheit bezüglich Lymphödem a

Krafttraining

Anzahl RKS mit

Anzahl

ner RKS

signifikanten Effekten

eingebundener RKS

signifikanten Effekten

4 [19–22] 0

3 [19–21] 0

0

0

1 [22] 6 [21, 23, 27–30] 6 [19–22, 27, 30] 7 [19–22, 28, 32, 33] 4 [19, 21, 22, 28] 1 [32] 5 [21, 22, 32, 33, 35] 5 [29, 32, 36–38] 0

0

4 [23–26] 0

4 [23–26] 0

1 [25] 3 [23, 25, 31] 1 [31] 2 [31, 34] 0

0 1 [23] 1 [31] 2 [31, 34] 0

0

0

2 [23, 31] 2 [24, 25]

1 [23] 1 [25]

6 [21, 23, 27–30] 2 [20, 30] 3 [19–21] 3 [19, 21, 28] 1 [32] 2 [21, 35] 5 [29, 32, 36–38] 0

Anzahl RKS mit

Es wurden nur randomisiert-kontrollierte Studien in der Rehabilitation/Nachsorge mit > 20 Probanden, einem Ausdauer- oder Krafttraining als einziger Interventionsform und Brust-, Prostata- oder Darmkrebspatienten als Zielgruppe eingebunden; Mehrfachnennung sind möglich

▶ IIb: Umstritten, aber überwiegende Evidenz/Meinung, dass die Maßnahme nicht nützlich und/oder ineffektiv ist. ▶ III: Evidenz und/oder übereinstimmende Auffassung, dass die Maßnahme nicht nützlich, nicht effektiv oder sogar kontraindiziert ist. Evidenzgrad: ▶ A: Daten aus mindestens 2 kontrollierten, randomisierten Studien und/oder Metaanalysen aus mehreren kontrollierten, randomisierten Studien. ▶ B: Daten aus einer kontrollierten, randomisierten Studie und/ oder aus Metaanalysen von nicht randomisierten Studien und Registern. ▶ C: Konsensus-Meinung von Experten auf der Basis von Studien und klinischer Erfahrung. Über die von den Autoren erstellten Empfehlungen wurde innerhalb der AG BT in einem schriftlichen Konsensusprozess abgestimmt. Alle Mitglieder der AG BT erhielten den Autorenentwurf mit der Bitte, Änderungsvorschläge und inhaltliche Anmerkungen vorzunehmen. Die Rückmeldungen wurden von den Autoren eingearbeitet und in erneuten Konsensusrunden den Mitgliedern zugesandt. Der Konsensusprozess wurde beendet und das Manuskript in einer abschließenden AG-Sitzung verabschiedet, als keine weiteren Änderungsvorschläge mehr eingingen.

Ergebnisse



▶ Tab. 1 zeigt die aktuelle Datenlage zum Einfluss von Aus●

dauer- oder Krafttraining in der onkologischen Rehabilitation auf vorabdefinierte Zielvariablen. Dabei wird deutlich, dass die meisten randomisiert-kontrollierten Studien bisher ein Ausdauertraining untersucht haben und dass durch diese Bewegungsform in 8 von 11 Zielvariablen signifikante Effekte erzielt werden

konnten. Randomisiert-kontrollierte Studien zum Krafttraining konnten bislang nur in 6 Zielvariablen signifikante Effekte nachweisen. Die ermittelten signifikanten Ergebnisse der beiden Bewegungsformen sind durchweg positiv. Insgesamt wird somit deutlich, dass sowohl ein Ausdauertraining als auch ein Krafttraining positive Einflüsse auf die Physis und die Psyche der Betroffenen hat.

Empfehlungen für Bewegungsformen und Belastungsnormative des körperlichen Trainings bei Krebserkrankungen Die Empfehlungen für Bewegungsformen und Belastungsnormative sind abhängig von der Krebsentität, dem Krankheitsstadium, der Behandlungsphase, dem aktuellen Allgemeinzustand, dem Trainingszustand, der sportlichen Vorerfahrung und der individuellen Tagesform der Betroffenen [39, 40]. Ausgehend von der aktuellen Studienlage sollte ein aerobes Ausdauertraining sowie ein Krafttraining die Grundlage der Bewegungstherapie bilden [10, 14, 41].

Eingangsdiagnostik Zur Untersuchung der Ausdauerleistungsfähigkeit wird eine Spiroergometrie empfohlen, da sie die kardiorespiratorische Fitness am genauesten bestimmt (der 6-Minuten-Gehtest, 2000mWalktest oder Test der World Health Organisation sind mögliche Alternativen) [41, 42] (Evidenz: IIa,C). Die Trainingsintensität des Krafttrainings sollte anhand eines dynamischen Krafttests ermittelt werden, wobei das Einer-Wiederholungsmaximum („one-repetition maximum“ = 1-RM) aus den mit submaximalen Lasten erreichbaren Wiederholungszahlen geschätzt/errechnet oder über einen Maximalkrafttest bestimmt wird [10] (Evidenz: I,A). Mit Betroffenen, die unter Knochenmetastasen, starker Osteoporose oder Thrombopenie (unter 30 000 Thrombozyten/μl)

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Ausdauertraining Anzahl eingebunde-

leiden oder am gleichen Tag eine Chemotherapie erhalten, sollte keine maximale Krafttestung durchgeführt werden [10] (Evidenz: IIa,C). Leichte Bewegungsinterventionen wie Walking, Dehn- und Gymnastikübungen können in Erwägung gezogen werden, auch ohne vorherige Belastungsuntersuchung [10].

Ausdauertraining Das aerobe Ausdauertraining ist die Trainingsform, die in den Studien mit Menschen mit Krebserkrankungen bislang am häufigsten Berücksichtigung fand. Es hat sich in der onkologischen Rehabilitation als effektiv erwiesen und bildet, auch aufgrund seiner sicheren Umsetzbarkeit und guten Belastungssteuerung und -kontrolle, die Grundlage der Bewegungs- und Sporttherapie [40, 43]. Trainingsform: In den meisten Studien zum Ausdauertraining wurde als Intervention ein Walkingprogramm oder ein Fahrradergometertraining durchgeführt [44]. Aber auch Wandern, Nordic Walking, Laufen, Schwimmen, Skilanglauf usw. sind mögliche Bewegungsformen für Menschen mit Krebserkrankungen [14, 40]. Beachtet werden muss das erhöhte Infektionsrisiko für immungeschwächte Patienten in Schwimmbädern und öffentlichen Einrichtungen [14]. Zudem ist die Gefahr von Verletzungen bei Kontaktsportarten (z. B. Fußball, Handball) und High-ImpactSportarten (z. B. Tennis, Jogging) erhöht, vor allem für Personen mit Knochenmetastasen, Knochentumoren, Knochenschmerzen, Osteoporose oder verringerter Thrombozytenzahl [14] (Evidenz: I,C). Belastungsintensität: Intensitäten, die 55–85 % der maximalen Herzfrequenz oder 50–75 % der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit entsprechen, wurden bislang vorwiegend in Studien eingesetzt und führten zu positiven physiologischen und psychologischen Effekten [8, 9, 14, 45] (Evidenz: I,A). Dennoch zeigt sich zunehmend, dass auch intensive körperliche Aktivitäten durchgeführt werden können [21]. Als subjektiver Anhaltspunkt kann die Borg-Skala genutzt werden, bei der die Belastung als „etwas anstrengend“ bis „anstrengend“ empfunden werden sollte (Borg-Werte 13–15) [14] (Evidenz I,A). Dauer und Methode: In den bisher durchgeführten Studien reicht die Belastungsdauer von 10 bis 60 min [8, 9, 14, 45]. In der Rehabilitationsphase wird in der Regel eine Belastungsdauer von mindestens 20–30 min empfohlen, die mit steigender Fitness und je nach individueller Situation auf 45–60 min erhöht werden kann [9, 14, 39, 45, 46] (Evidenz: I,A). Grundlage des Ausdauertrainings für Menschen mit Krebserkrankungen bildet die Dauermethode (Evidenz: IIa,A). Bei leistungsschwächeren, untrainierten Betroffenen hat sich ein Intervalltraining bewährt [14, 40] (Evidenz: I,A). Frequenz: Im Mittel wurde bei bewegungstherapeutischen Interventionsstudien zum aeroben Ausdauertraining mit Menschen mit Krebserkrankungen eine Belastungshäufigkeit von 3 bis 5 Mal pro Woche gewählt [8, 9, 14, 45]. Eine optimale Frequenz mit entsprechender Dauer und Intensität kann derzeit nicht festgelegt werden. Minimal sollte das Ausdauertraining dreimal pro Woche durchgeführt werden (Evidenz: I,A). Bei Leistungsschwächeren hat sich gezeigt, dass ein tägliches Training mit geringerer Intensität und kürzerer Dauer von Vorteil sein kann. Auch die Belastungssteigerung sollte hier langsamer erfolgen [14, 39] (Evidenz: I,C).

masse zu erhalten, sodass speziell bei Menschen mit Krebserkrankungen u. a. einer Kachexie entgegengewirkt werden kann [31, 47]. Trainingsform: In der Phase der Rehabilitation und Nachsorge hat sich ein dynamisches Krafttraining für Menschen mit Krebserkrankungen bewährt [14, 23, 25, 48] (Evidenz: I,A). Dabei werden primär Übungen eingesetzt, die große Muskelgruppen des Rumpfes, der Arme und der Beine aktivieren, um die Mobilität im Alltag und das Gleichgewicht der Patienten zu erhalten [9, 14, 49] (Evidenz: I,A). Sowohl Übungen an großen Kraftgeräten als auch solche mit freien Gewichten, mit Fitnessbändern oder mit dem eigenen Körpergewicht (u. a. Tai Chi und Yoga) haben sich als durchführbar erwiesen [14, 41, 47, 50–52] (Evidenz: I,A). Intensität: Die bewegungstherapeutischen Interventionsstudien zum Krafttraining für Menschen mit Krebserkrankungen definieren nur selten genaue Belastungsintensitäten. Die aktuellen Reviews beschreiben positive Auswirkungen eines Krafttrainings bei Intensitäten, die zwischen 50 und 85 % der Maximalkraft (in Bezug auf das 1-RM) liegen [9, 14, 45, 47] (Evidenz: I,A). Die Intensität sollte 8–15 Wiederholungen erlauben, sodass pro Muskelgruppe ein bis 4 Sätze durchgeführt werden können [8, 9, 14, 45, 47] (Evidenz: I,A). Die Belastungsdosierung des Krafttrainings richtet sich nach der postoperativen Phase der Betroffenen und sollte subjektiv vom Betroffenen als „etwas anstrengend“ bis „anstrengend“ einstuft werden [53]. Eine progressive Steigerung des Krafttrainings ist notwendig, um die Leistungsfähigkeit zu steigern (Evidenz: I,A) [23, 25, 31]. Umfang und Frequenz: Ein Krafttraining von 1 bis 3 Mal pro Woche hat sich in den Studien, die während der onkologischen Rehabilitation durchgeführt wurden, als sinnvoll erwiesen [8, 9, 14, 45, 47] (Evidenz: I,A). Dabei sollte zwischen den Trainingseinheiten mindestens ein Tag Pause liegen [14, 39]. 6–10 Übungen pro Trainingseinheit mit Beteiligung unterschiedlicher Muskelgruppen garantieren ein Ganzkörpertraining [14] (Evidenz: I,A).

Sicherheit des Trainings Eine wachsende Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen liefert Hinweise, dass körperliche Aktivität für Menschen mit Krebserkrankungen sicher ist [10, 13, 14]. Generell sollten jedoch, bezogen auf die Krebserkrankung, die folgenden absoluten Kontraindikationen für körperliche Aktivität berücksichtigt werden: Akute Erkrankungen (u. a. Infekte) oder Blutungen, Fieber (Temp. > 38 °C), Thrombozytenzahlen unter 10 000/μl, Gabe von kardio- oder nephrotoxischen Chemotherapeutika am selben Tag, laufende Bestrahlung in der Herzgegend bzw. Ganzkörperbestrahlung [10]. Grundsätzlich sollte jedoch eine sorgfältige medizinisch-therapeutische Abklärung durch den Arzt/die Ärztin und den Bewegungstherapeut/die Bewegungstherapeutin erfolgen [10, 41].

Besonderheiten für körperliches Training bei ausgewählten Krebsentitäten Brust-, Prostata- und Darmkrebs bilden die 3 Krebsentitäten mit den höchsten Inzidenzen in Deutschland [2]. Aufgrund der unterschiedlichen Lokalisationen, Symptome und medizinischen Therapieprotokolle gilt es beim Durchführen von körperlichen Aktivitäten einige Besonderheiten zu beachten.

Körperliches Training bei Brustkrebs Krafttraining Krafttraining gilt auch in der onkologischen Rehabilitation als machbare, effektive Methode, um Muskulatur und Knochen-

Die Einschränkungen der Beweglichkeit und die reduzierte Muskelausdauer des Schultergürtels bei Brustkrebspatientinnen können durch den Stockeinsatz beim Nordic Walking im Vergleich zu

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einer normalen Walkinggruppe deutlich verbessert werden [54]. Die Bedenken, dass Bewegung, vor allem Krafttraining, die Entwicklung eines Lymphödems begünstigen würde, wurden durch erste Studien widerlegt [23, 25, 55]. Jedoch hat es sich in der Praxis bewährt, ggf. am betroffenen Arm einen Kompressionsstrumpf anzulegen [10, 39, 43]. Bei Patienten, die eine Hormonbehandlung erhalten bzw. bei denen Osteoporose oder Knochenmetastasen vorliegen, muss die erhöhte Frakturgefahr berücksichtigt werden [10].

Körperliches Training bei Prostatakrebs Der Schwerpunkt der Rehabilitation bei Männern mit Prostatakrebs liegt zunächst auf Beckenbodenübungen zur Wiedererlangung der Kontinenz nach einer Prostatektomie [41]. Dabei hat sich bewährt, frühzeitig nach der Katheterentfernung mit dem Training zu beginnen [56–58]. Studienergebnisse zum Beckenbodentraining zeigen positive Effekte bei 3–4 Trainingssätzen täglich mit jeweils 10–15 Kontraktionen. Dabei beträgt die Anspannungsphase 5–10 Sekunden und die Entspannungsphase 10–20 Sekunden [58–62]. Bei überstandener Inkontinenz und vollständiger Abheilung der Operationsnarbe sind auch Schwimmen und Fahrradfahren empfehlenswerte Bewegungsmöglichkeiten [41, 62]. Bei Patienten, die eine Hormonbehandlung erhalten bzw. bei denen Osteoporose oder Knochenmetastasen vorliegen, muss die erhöhte Frakturgefahr berücksichtigt werden [10].

Körperliches Training bei Darmkrebs Für operierte Darmkrebspatienten sind Kräftigungsübungen für die Rumpfmuskulatur von besonderer Bedeutung, um eine Stabilisierung des durch die Operation beeinträchtigten muskulären Korsetts wiederzuerlangen [41]. Bewegungen mit hohen Belastungsspitzen, Rotations- und Rückneigebewegungen des Rumpfes sollten zunächst minimiert werden, da sie ein erhöhtes Verletzungsrisiko darstellen. Während Patienten ohne Stoma nach vollständig verheilter Operationsnarbe wieder uneingeschränkt sportlich aktiv sein können, müssen Patienten mit Stoma einige Vorsichtsmaßnahmen beachten. So sollten starke intraabdominelle Druckanstiege vermieden werden und zunächst niedrigere Intensitäten beim Krafttraining gewählt werden [10, 41].

Diskussion



Fasst man die aktuelle Studienlage zusammen, so zeigt sich, dass körperliche Aktivitäten in der onkologischen Rehabilitation und Nachsorge effizient, sicher und machbar sind [14, 43]. Betrachtet man jedoch die einzelnen Krebsentitäten, so muss vermerkt werden, dass die Evidenz zwar vor allem bei Brustkrebs, zunehmend auch bei Prostatakrebs gut ist, dass die Datenlage aber unter anderem bei Darmkrebs noch sehr dünn ist. Isolierte Ausdauer- oder Krafttrainingsinterventionen bzw. vornehmlich deren Kombination wurden in zahlreichen Studien bei Menschen mit Krebserkrankungen untersucht und zeigen positive Effekte auf physiologischer, psychologischer und psychosozialer Ebene [8, 14, 45]. Betrachtet man ausschließlich die randomisiert-kontrollierten Interventionsstudien, die nach einer Krebserkrankung durchgeführt wurden und entweder ein isoliertes Ausdau▶ Tab. 1), wird deuter- oder Krafttraining untersucht haben (● lich, dass die Datenlage lückenhaft ist und die genauen DosisWirkungs-Verhältnisse der verschiedenen Bewegungsinterventionen noch nicht eindeutig geklärt sind. Genaue Angaben bezüglich optimaler Bewegungsformen und Belastungsdosierungen (Dauer, Häufigkeit und Intensität) für die einzelnen

Krebsentitäten zu den verschiedenen Behandlungszeitpunkten sind aktuell kaum ableitbar [8, 45]. Neben den multiplen Bewegungsinterventionen variieren Messmethoden, Probandenkollektive, aber auch Messparameter zum Teil erheblich. Um die Trainingsprogramme und Studienergebnisse zukünftig vergleichbar zu machen, ist es wichtig, valide und standardisierte Messmethoden bzw. -parameter zu verwenden, wie beispielsweise das 1-RM bei einer Krafttestung oder die maximale Sauerstoffaufnahme zur Beurteilung der aeroben Leistungsfähigkeit [48]. Um differenzierte und spezifische Bewegungsempfehlungen bzw. Dosierungsempfehlungen für die einzelnen Krebsentitäten zu geben, müssen in Zukunft weitere kontrollierte und randomisierte Studien mit größeren Probandenzahlen, verschiedenen Probandenkollektiven und qualitativ hochwertigem Design folgen. Dennoch müssen die bereits bestehenden Erkenntnisse aus der Wissenschaft flächendeckender in die Praxis umgesetzt werden, da die Inhalte der derzeit durchgeführten Bewegungsprogramme häufig nicht der aktuellen Studienlage entsprechen. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Krebserkrankungen mit ihren differenzierten medizinischen Behandlungsprotokollen und den damit verbundenen spezifischen Nebenwirkungen sollte das Ziel sein, die Bewegungstherapie individuell und damit symptom- und entitätsspezifisch zu gestalten. In Bezug auf die Validität der in der vorliegenden Arbeit zusammengestellten Empfehlungen muss einschränkend berücksichtigt werden, dass a) keine umfassenden Ein- und Ausschlusskriterien in dieser hierarchischen Literaturrecherche definiert wurden, b) mit der verwendeten Recherchestrategie (Auswahl der Datenbank sowie Schlüssel- bzw. Schlagwörter) möglicherweise nicht alle relevanten Arbeiten ermittelt wurden, c) die methodische Qualität der einbezogenen Studien bei der Evidenzbewertung nicht explizit einbezogen wurde und d) die Artikelsichtung und Evidenzbewertung nur durch 2 Einzelpersonen und bereits Anfang 2011 erfolgte, sodass neueste Erkenntnisse eventuell zu einer abweichenden Bewertung führen würden. Zudem muss die Evidenzbewertung anhand der „European Society of Cardiology“ kritisch diskutiert werden, da bei der Bewertung nicht nur die Evidenz ausschlaggebend ist, sondern auch die allgemeine Akzeptanz/Meinung. Die Wahl des Verfahrens erfolgte mit Blick auf die Vergleichbarkeit in Anlehnung an die Publikation der „Leitlinie körperliche Aktivität zur Sekundärprävention und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen“ der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herzkreislauferkrankungen, der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften, des Deutschen Verbands für Gesundheitssport und Sporttherapie und der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention im Jahre 2009 als damals einzige systematisch erarbeitete Empfehlung für körperliche Aktivität bzw. Bewegungstherapie im nationalen Raum [63]. Dort wurde ebenfalls das Vorgehen der European Society of Cardiology verwendet.

Kernbotschaft Aus der aktuellen Datenlage zur körperlichen Aktivität bei Menschen mit Krebserkrankungen ergeben sich konkrete Hinweise, dass gezieltes körperliches Training sicher, machbar und effektiv ist. Davon ausgehend werden im vorliegenden Beitrag Bewegungsempfehlungen für die onkologische Rehabilitation abgeleitet. Um differenzierte und spezifische Bewegungsempfehlungen bzw. Dosierungsempfehlungen für die einzelnen Krebsentitäten zu geben, müssen in Zukunft weitere kontrollierte und randomisierte Studien folgen.

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6 Empfehlungen zur Bewegungstherapie

Empfehlungen zur Bewegungstherapie 7 Förderung

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Grundlegende Vorarbeiten zur Erstellung des Manuskripts erfolgten im Rahmen des Projekts „Entwicklung evidenzgesicherter Konzepte für die Bewegungstherapie in der Rehabilitation“ (August 2007–August 2008) an der Universität Erlangen, gefördert durch die Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin.

Literatur Die Literatur zu diesem Beitrag finden Sie online unter www. thieme-connect.de/ejournals/toc/rehabilitation.

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[Physical activity and exercise recommendations for cancer patients during rehabilitation].

Cancer and its commonly required continuous and intensive medical treatment have a profound and lasting effect on patients' physical, functional, emot...
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