Leitthema: Endokrine Tumoren Radiologe 2014 · 54:981–988 DOI 10.1007/s00117-014-2688-5 Online publiziert: 17. Oktober 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J. Jesser · K. Schlamp · M. Bendszus Abteilung für Neuroradiologie, Radiologische Klinik, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg

Hypophysentumoren

Die Hypophyse ist eine hormonelle Drüse, die eine zentrale Rolle bei der Regulation verschiedener hormonell aktiver Organe spielt. Charakteristisch ist die Regulation der endokrinen Aktivität einzelner Organe über einen Regelkreis zwischen peripheren Hormonspiegeln, Hypothalamus und Hypophyse. Die Hypophyse liegt in einer anatomisch komplexen Region an der Schädelbasis. Hypophysenadenome sind einer der häufigsten intrakraniellen Tumore. Klinisch fallen sie durch die Überproduktion von Hypophysenhormonen oder Hypophyseninsuffizienzen auf, was je nach betroffenem Hormon zu charakteristischen Symptomen führen kann.

Hypophyse Anatomie Die Hypophyse oder Hirnanhangsdrüse (engl. „pituitary gland“, lat. Glandula pituitaria) liegt an der Schädelbasis in einer knöchernen Höhle, der Sella turcica. Funktioneller und räumlicher Bezug besteht zum kranial der Hypophyse gelegenen Hypothalamus. Kranial und ventral der Hypophyse liegt das Chiasma opticum. Beidseits lateral der Sella turcica liegt der Sinus cavernosus mit den zugehörigen Strukturen, dem kavernösen Anteil der A. carotis interna sowie den Hirnnerven IV, V1, V2 und VI. Die Hypophyse besitzt keine Blut-Hirn-Schranke. Im Verlauf des Lebens nimmt die Hypophyse deutlich an Volumen ab, sodass sie in der älteren Bevölkerung dem Hypophysenboden flach anliegt. Bei Jugendlichen in der Pubertät und bei schwangeren bzw. stillenden Frauen ist das Hypophysenvolu-

men am größten. Dann kann sich die Hypophyse auch gering über das Niveau der Sella turcica hinaus vorwölben.

Funktion Die Hypophyse ist eine endokrine Drüse, die Hormone zur Regulation von Wachstum und Wasserhaushalt sowie zur Stimulation von Schilddrüse, Nebennierenrinde, Keimdrüsen und Brustdrüsen produziert. Sie ist funktionell mit dem Hypothalamus verbunden. Sie besitzt einen anterioren Anteil, die Adenohypophyse, die weiter untergliedert werden kann in eine Pars distalis, Pars tuberalis und eine Pars intermedia. Der Hypothalamus sezerniert Hormone zur Stimulation und Inhibition der Adenohypophyse.

Hormone der Adenohypophyse

F Somatotropin (somatotropes Horomon, STH = „growth hormone“, GH), F Prolaktin, F follikelstimulierendes Hormon (FSH), F Thyreotropin (Thyreoidea-stimulierendes Hormon, TSH), F adrenokortikotrope Hormone (ACTH), F Choriogonadotropin (HCG), F β-Endorphin. Der posteriore Anteil der Hypophyse ist die Neurohypophyse. Über axonalen Transport gelangen Hormone vom Hypothalamus zur Neurohypophyse und werden dort gespeichert.

Hormone der Neurohypophyse

F Oxytocin (OT), F antidiuretisches Hormon (ADH).

Entwicklung Embryologisch entstehen die 2 Anteile der Hypophyse aus unterschiedlichen Einheiten. Die Adenohypophyse entsteht aus einer Ausstülpung des Ektoderms, der primitiven Mundkavität, genannt Rathke-Tasche. Physiologischerweise geht die Verbindung zur Mundkavität im Laufe der Entwicklung verloren. Die Neurohypophyse entsteht aus einer Ausstülpung am Boden des Dienzephalons, wo auch der Hypothalamus entsteht. Physiologischerweise bleibt die Verbindung zwischen Hypothalamus und Hypophyse über das Tuber cinereum und das Infundibulum bestehen.

Klinische Symptomatik der Hypophysentumoren Klinische Symptomkomplexe Eine Übersicht über Symptomkomplexe, die bei dem Ausfall oder der Übersekretion von Hypophysenhormonen entstehen können, geben . Tab. 1 und 2; 3 zeigt Symptome, die bei Kompression der Hypophyse oder umliegender Strukturen entstehen. Differenzialdiagnostisch bedeutend ist, dass das „syndrome of inappropriate ADH secretion“ (SIADH) auch beim kleinzelligem Bronchialkarzinom oder schweren pulmonalen Infektionen auftreten kann. Ein Cushing-Syndrom kann ebenfalls durch eine ektope ACTH-Sekretion bedingt sein, am häufigsten verursacht durch das kleinzellige Bronchialkarzinom oder neuroendokrine Karzinome.

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Leitthema: Endokrine Tumoren Tab. 1  Hypophyseninsuffizienz, generalisiert oder einzelne Hormone betreffend   Diabetes insipidus Sekundäre Hypothyreose

Mangel ADH TSH

Sekundärer   Hypogonadismus Sekundäre Neben-  nierenrindeninsuffizienz

FSH/LH ACTH

Symptome Polyurie, Polydipsie, Durst, trockene Haut, verdünnter Urin Müdigkeit, Haarausfall, trockene Haut, Obstipation,   Myxödem Hoden-/Ovarialhypoplasie bei Kindern, Menstruations-  ausfall, Libidoverlust, Ausfall der Körperbehaarung Infektanfälligkeit, Gewichtsverlust, Erbrechen, Schwindel, Hypotonie

ADH Antidiuretisches Hormon, TSH Thyreoidea-stimulierendes Hormon, FSH follikelstimulierendes Hormon, LH luteinisierendes Hormon, ACTH adrenokortikotropes Hormon.

Tab. 2  Hormonübersekretion   SIADH („syndrome of  inappropriate ADH secretion“, Schwarz-Bartter-Syndrom) Morbus Cushing

Akromegalie/Gigantismus bei Kindern

Übersekretion ADH

ACTH (→ bilaterale NNR-Hyperplasie: Hyper-  kortisolismus) STH

Hyperthyreose

TSH

Hyperprolaktinämie

Prolaktin

Symptome Hohe Wasserresorption, natriumreicher Urin, Hyponatriämie, Müdigkeit,   Verwirrung, Epilepsie, Hirnödem Vollmondgesicht, Akne, Striae rubrae, Hirsutismus, Stammfettsucht, diabetische Stoffwechsellage, Infektneigung, Hypertonie Hyperhidrosis, Schlafapnoe, Wachstum der Akren, akromegale Gesichtszüge,   periphere Nervenkompressionssyndrome, pathologische Glukosetoleranz Tachyarrhythmie, Schwitzen,   Gewichtsabnahme, Unruhe Galaktorrhö, Gynäkomastie, Libidoverlust, Potenzstörung, Menstruationsausfall

ADH Antidiuretisches Hormon, ACTH adrenokortikotropes Hormon, NNR Nebennierenrinde, STH somatotropes Horomon, TSH Thyreoidea-stimulierendes Hormon.

Tab. 3  Kompressionssyndrome   Gesichtsfeld-  einschränkung Hypophysenstiel-  syndrom

Hirnnervenausfälle Hydrozephalus

Symptom und Ätiologie Bitemporale Hemianopsie bis Erblindung durch Druck auf das mediane Chiasma opticum Erhöhte Prolaktinsekretion durch Unterbrechung der hypothalamischen Inhibition. Das prolaktininhibierende Hormon (Dopamin), das vom Hypothalamus sezerniert wird und über den Hypophysenstiel zur Hypophyse gelangt, kann seinen Wirkungsort nicht mehr erreichen Ausfall der Hirnnerven mit Verlauf durch den Sinus cavernosus,   N. oculomotorius, N. abducens Liquoraufstau durch Kompression des Mittelhirns und konsekutive   Einengung des III. Ventrikels

Laborchemische Diagnostik Die endokrine Funktion der Hypophyse kann durch die Bestimmung der basalen Hypophysenhormone und der zugehörigen regulierten peripheren Hormone (z. B. TSH und fT3, fT4 oder LH, FSH und Testosteron/17-β-Estradiol oder ACTH und Kortisol) untersucht werden. In den meisten Fällen ist durch die basale Diagnostik eine Beurteilung der Hypophysenfunktion möglich. In nicht eindeutigen Fällen ist eine weitere Abklärung durch spezifische Hypophysenvorderlappens-

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timulationstests und Hypophysenvorderlappen-Suppressionstests notwendig. Hierdurch kann der Mangel oder Überschuss an Hypophysenhormonen meistens zuverlässig bestimmt werden.

Empfohlene Bildgebung Magnetresonanztomographie Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist die Bildgebung der Wahl. Die Sellaregion sollte hochaufgelöst (Schichtdicke nicht über 1 mm) dargestellt werden mit

folgenden koronaren oder sagittalen Sequenzen: native T1, T2 und T1+ Kontrastmittel (KM). Ist bei der Primärdiagnostik noch unklar, ob auch ein Hypophysenmikroadenom vorliegen könnte, sollte eine dynamische KM-T1-Sequenz durchgeführt werden. Aufgrund der verzögerten KM-Anreicherung der Adenome im Vergleich zum normalen Hypophysengewebe können Mikroadenome in der dynamischen Sequenz besser erkannt werden.

Computertomographie Die Computertomographie (CT) ist in aller Regel nicht die geeignete Modalität, da die Sellaregion mit Lage an der Schädelbasis durch Knochenartefakte nur schwer im Weichteilfenster beurteilbar ist. In einigen Fällen ist sie hilfreich zur Diagnosesicherung, da Verkalkungen sichtbar gemacht werden können. In der Routinebildgebung kann die supraselläre Zisterne verlegt sein als Hinweis auf einen ausgedehnten Tumor in der suprasellären Region. Im Knochenfenster kann bei ausgedehntem sellärem Tumor die knöcherne Sella turcica erweitert sein. Selten bestehen Erosionen oder eine Invasion der Schädelbasis.

Wichtige Befundbausteine F Lage des Tumors: An der kaudalen oder kranialen Hypophyse? Intra-/supraselläre Anteile? Chiasmakompression? Infiltration des Sinus cavernosus? Wichtig für die Zugangsplanung für Operationen. F Genaue Größenangabe des Tumors in Millimetern: Bei hormoninaktiven Adenomen

[Pituitary gland tumors].

This article gives an overview of the most common tumors of the pituitary gland and the differential diagnostics with special emphasis on radiological...
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