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Kasuistik

Postpartale sekundäre Sinusvenenthrombose mit axialer transtentorieller und tonsillärer Herniation als seltene Komplikation eines Liquorunterdrucksyndroms nach spinaler Anästhesie

Autoren

L. Kraayvanger, P. Berlit

Institut

Klinik für Neurologie, Alfried Krupp Krankenhaus, Essen

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

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Wir beschreiben den Fall einer 28-jährigen Patientin, die postpartal eine sekundäre Sinusvenenthrombose infolge eines Liquorunterdrucksyndroms mit axialer transtentorieller und tonsillärer Herniation und klinischen Zeichen der Einklemmung nach spinaler Anästhesie erlitt.

We describe the case of a 28-year-old postpartum female patient who suffered from a secondary cerebral venous sinus thrombosis due to an intracranial hypotension syndrome with axial transtentorial and tonsillar herniation and the clinical signs of incarceration after spinal anaesthesia.

Einleitung

nose eines Liquorunterdrucksyndroms gestellt und die Patientin entlassen. Im Verlauf stellte sich die Patientin bei wiederkehrendem Kopfschmerz gleicher Lokalisation und mit weiter bestehender Lageabhängigkeit, jedoch neu aufgetretenen, etwa alle 48 Stunden bestehenden Fluktuationen der Schmerzintensität, in unserer Notaufnahme vor. Fokal neurologische Defizite bestanden weiterhin nicht. Laborchemisch zeigte sich zweieinhalb Wochen nach Entbindung ein erhöhter D-Dimer-Wert von 2087 ng/ml (Referenz < 500 ng/ml). Am Morgen des Aufnahmetags erlitt die Patientin einen generalisierten tonisch-klonischen Anfall. Nachfolgend zeigte sich eine persistierende quantitative Bewusstseinseinschränkung, die mit einer Anisokorie rechts > links bei träger direkter Lichtreaktion rechtsseits einherging und daher nicht mehr allein auf eine eventuell bestehende postiktale Phase zurückgeführt wurde. Eine kraniale MRT-Untersuchung des Schädels ergab den Befund eines Tiefstands der Mittelhirnstrukturen mit Kompression des vierten Ventrikels als Hinweis auf eine axiale transtentorielle Herniation sowie bilaterale hochparietal gelegene Hygrome. Zusätzlich wurde in den vorhandenen axialen Schichtungen der Verdacht auf einen Tiefstand der Kleinhirntonsillen mit zusätzlicher tonsillärer Her" Abb. 1a–c). Eine Bohrlochtrepaniation gestellt. (● nation zur Hygromentlastung sowie ein epiduraler Blutpatch wurden noch am Aufnahmetag unter intensivmedizinischer Betreuung durchgeführt.

● Sinusvenenthrombose ● Liquorunterdrucksyndrom ● postpartal " "

Key words

● cerebral venous "

sinus thrombosis

● intracranial "

hypotension syndrome

● postpartum "

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Sinusvenenthrombosen sind eine seltene Komplikation während der Schwangerschaft und treten üblicherweise zwischen dem dritten Trimenon und vier Wochen postpartal auf [1]. Häufigste Ursachen neben Schwangerschaft und Wochenbett sind orale Kontrazeption oder hereditäre Gerinnungsstörungen [2]. Sinusvenenthrombosen im Sinne eines pathophysiologisch sekundär eingeleiteten Prozesses (im Folgenden als „sekundäre“ Sinusvenenthrombose bezeichnet) nach Liquorunterdrucksyndrom infolge einer spinalen Anästhesie sind eine außerordentlich ungewöhnliche postpartale Komplikation mit potenziell lebensbedrohlichem Ausmaß.

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1385443 Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82: 698–700 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0720-4299 Korrespondenzadresse Dr. med. Laura Kraayvanger Klinik für Neurologie, Alfried Krupp Krankenhaus Alfried-Krupp-Straße 21 45131 Essen [email protected]

Fallbericht !

Eine 28-jährige III.-Gravida, III.-Para verspürte drei Tage im Anschluss an die Entbindung eines gesunden Jungen nach sekundärer Re-Sectio in Spinalanästhesie okzipital betonte, an Intensität zunehmende und lageabhängige Zephalgien ohne fokal neurologisches Defizit. Ein sechs Tage nach Symptombeginn stationär in einer auswärtigen neurologischen Klinik durchgeführtes 16-Zeilen-VolumenSpiral-CT mit 3D-Rekonstruktion der Sinusvenen blieb unauffällig. Bei Regredienz der Symptomatik am siebten Tag nach Entbindung wurde die Diag-

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Postpartum Secondary Cerebral Venous Sinus Thrombosis with Axial Transtentorial and Tonsillar Herniation as a Complication of Intracranial Hypotension Syndrome after Spinal Anaesthesia

Kasuistik

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Abb. 2 Kontrastmittelgestützte sagittale und axiale T1-gewichtete MRT-Sequenzen. Sichtbar ist eine Thrombose des Sinus sagittalis sowie des Sinus transversus auf der rechten Seite.

Am Abend des Aufnahmetags war die Patientin wach, ansprechbar und wie zuvor ohne neurologisches Defizit. Die im Verlauf angefertigten kontrastmittelgestützten MRT-Aufnahmen zeigten eine ausgedehnte Thrombose der Sinus sagittalis und transversus " Abb. 2). Hinweise auf beidseits sowie der rechten Jugularvene (● eine thrombophile Diathese ergaben sich laborchemisch nicht. Nach therapeutischer intravenöser Heparinisierung mit überlappender Einstellung auf Phenprocoumon wurde die Patientin am 21. Tag symptomfrei entlassen.

Diskussion !

Wir beschreiben den Fall einer 28-jährigen Patientin, die postpartal eine sekundäre Sinusvenenthrombose infolge eines Liquorunterdrucksyndroms mit axialer transtentorieller und tonsillärer Herniation und klinischen Zeichen der Einklemmung nach spinaler Anästhesie erlitt. Die Zahl geburtshilflicher spinaler Anästhesien ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Die Entwicklung eines lageabhängigen Kopfschmerzes aufgrund eines Liquorunterdrucksyndroms nach inzidenteller Liquorraumpenetration ist dabei eine seltene Komplikation und betrifft etwa 4,7 % der Wöchnerinnen. Dennoch

ist das Liquorunterdrucksyndrom nur für 21 % lageabhängiger Kopfschmerzen im Puerperium verantwortlich [3]. Sinusvenenthrombosen können ebenfalls einen lageabhängigen Kopfschmerz verursachen und zu klinisch irritierender Präsentation der Patientinnen führen [1]. Obwohl die exakten pathophysiologischen Zusammenhänge noch nicht geklärt sind, mehren sich Hinweise, dass sich die Kausalität dieser beiden Erkrankungen durch einfache physikalische Gegebenheiten erklären lässt. Nach der Monro-Kellie-Doktrin bestimmen die Drücke der Einzelkompartimente Gehirngewebe, Blut und Liquor den intrakraniellen Druck, der sich in engen Grenzen halten muss. Ändert sich der Druck eines Kompartiments, wie z. B. beim Liquorunterdruck, ändern sich die Drücke der anderen Kompartimente gegensinnig. So kommt es zur Dilatation der venösen Blutleiter mit nachfolgender Stase des Bluts. Zusammen mit dem durch das Unterdrucksyndrom entstehenden Zug an den intrakraniellen Strukturen einschließlich der Venenwände, der sich in aufrechter Position noch verstärkt, kann es insbesondere beim Vorliegen anderer Risikofaktoren wie z. B. Adipositas, der Einnahme oraler Kontrazeptiva oder hereditärer Gerinnungsstörungen sekundär zu einer Sinusvenenthrombose kommen [4, 5]. Sogenannte „Red Flag“, die das Auftreten einer sekundären Sinusvenenthrombose bei Liquorunterdrucksyndrom anzeigen kann, ist

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Abb. 1 Axiale T2-gewichtete MRT-Sequenzen. Sichtbar sind ein Tiefstand der Kleinhirntonsillen a sowie der Mittelhirnstrukturen b und bilateral hochparietale Hygrome c.

Kasuistik

neben dem Vorkommen neurologischer Defizite der Verlust der Lageabhängigkeit des Kopfschmerzes im Verlauf, der in ca. 50 % der Fälle den möglichen Zeitpunkt des Entstehens der Thrombose anzeigt [5, 6]. Die Unterscheidung zwischen einem Liquorunterdrucksyndrom und einer Sinusvenenthrombose, die beide postpartal auftreten können, ist für die Prognose der meist jungen Patientinnen essentiell, da im Fall einer Thrombose umgehend eine Antikoagulation eingeleitet werden muss und die Symptomatik wie bei unserer Patientin ein lebensbedrohliches Ausmaß annehmen kann. Die Entscheidung, ob eine MRT-Untersuchung bei Patienten, die sich mit dem vorherrschenden Symptom eines lageabhängigen Kopfschmerzes vorstellen, durchgeführt werden soll, bleibt diffizil. Leider hilft im Wochenbett auch die Bestimmung der D-Dimere nicht weiter, da eine unspezifische Erhöhung insbesondere nach Sectio beschrieben wird und die laborchemische Bestimmung frühestens vier Wochen postpartal wieder verwertbar ist [7]. Sicher ist es nicht empfehlenswert, alle Patienten mit einem typischen, kurz nach lumbaler Punktion entstehenden Kopfschmerz einer MRT-Bildgebung zuzuführen. Aufgrund der oben beschriebenen kausalen Zusammenhänge sollte die Möglichkeit einer Sinusvenenthrombose bei postpartalem Kopfschmerz jedoch immer in die differentialdiagnostischen Überlegungen eingehen. Eine Ausschlussdiagnostik ist zwingend dann erforderlich, wenn neurologische Defizite auftreten. Darüber hinaus ist sie aber auch bei bestehenden Risikofaktoren, einer Änderung der Kopfschmerzqualität – hier insbesondere dem Verlust der Lageabhängigkeit –oder bei Therapieresistenz trotz adäquater Behandlung indiziert.

Danksagung !

Die MRT-Abbildungen wurden mit freundlicher Genehmigung der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie, Alfried Krupp Krankenhaus Essen, zur Verfügung gestellt.

Take Home Message Sinusvenenthrombosen als Folge eines postpartalen Liquorunterdrucksyndroms nach inzidenteller lumbaler Punktion im Rahmen einer spinalen Anästhesie sind selten. Die Unterscheidung dieser beiden Entitäten ist jedoch für die Prognose der meist jungen Patientinnen essentiell. Der Verlust der Lageabhängigkeit des Kopfschmerzes im Verlauf kann einen wichtigen klinischen Hinweis geben und rechtfertigt dann – ebenso wie das Auftreten fokal neurologischer Defizite oder Therapieresistenz – die Durchführung einer MRT-Diagnostik.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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[Postpartum secondary cerebral venous sinus thrombosis with axial transtentorial and tonsillar herniation as a complication of intracranial hypotension syndrome after spinal anaesthesia].

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