Nr. 52, 26. Dezember 1975, 100. Jg.

2.65

Sack: Präoperative Strahienbehandlung des Rektum- und Rekrosigmoidkarzinoins

Aktuelle Therapie

I

Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 2651-2653

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Präoperative Strahienbehandlung des Rektum- und Rektosigmoidkarzinoms Mit abnehmender Häufigkeit des Magenkarzinoms rückt das Dickdarmkarzinom in den reicheren Ländern allmählich auf den zweiten Platz in der Todesursachenstatistik für maligne Tumoren, gleich nach dem Bronchialkarzinom. In den letzten Jahrzehnten ist es ständig häufiger geworden. Da Ernährungsgewohnheiten eine ausschlaggebende ätiologische Rolle zu spielen scheinen, ist mit einer weiteren Zunahme zu rechnen. Wie bei fast allen malignen Tumoren hat die Frühdiagnose einen erheblichen Einfluß auf den Erfolg der therapeutischen Bemühungen. Das Rektumkarzinom verläuft lange symptomlos, bei der Stellung der Diagnose sind nach verschiedenen Statistiken 60-90% der Patienten bereits inoperabel. Die sorgfältige Beobachtung der typischen Symptome (Tabelle 1) und der möglichen Präkanzerosen (Tabelle 2) eFscheint deshalb für die Zukunft von besonderer Bedeutung. Tab.

1.

Symptome des Rektumkarzinoms (nach Scherer [7])

Blut im Stuhl

Obstipation, Durchfall oder beides im Wechsel Gewichtsabnahme Schleimabgang häufiger Stuhldrang Tenesmen

65

H. Sack Institut und Poliklinik für Strahlentherapie der Universität Köln

Trotz bedeutender Fortschritte in der abdomino-pelvinen Chirurgie konnte die Gesamtheilungsrate durch die alleinige Operation in den letzten 20 Jahren nicht verbessert werden (6). Auch hierin spiegelt sich das Problem der Früherkennung wider. Die lokale Tumorausdehnung ist direkt mit der Prognose korreliert. Nach Dukes und Bussey (2) fielen die Fünfjahres-Cberlebenszahlen nach alleiniger Operation von 89,7% ohne lymphogene Metastasierung auf 80% bei geringer extrarektaler Ausbreitung und auf 57% bei größerer Ausdehnung. Für alle Fälle mit Lymphknotenmetastasen war die Fünfjahresziffer 32%. Tab. 2. Mögliche Präkanzerosen des Dickdarmkarzinoms (nach Hellriegel [4]) maligne Entartung Colitis ulcerosa Diverticulitis

- 70°/o 60°/o

25-30°/o 20-25°/o 20-25°/o 15°/o

PapillornatosePolypen Zottenadenome (Papilloma villosum) kongenitale familiäre Polyposis

330/o

seltener

50 80°/o 74°/o

50°/o

Eine Besserung dieser unbefriedigenden Ergebnisse ist über eine Verbesserung der Früherkennung oder über eine Modifikation der Behandlungsverfahren zu errei-

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Redaktion:

Sack: Präoperative Strahienbehandlung des Rektuni- und Rektosigmoidkarzinoms

chen. Die routinemäßige postoperative zytostatische Chemotherapie mit 5-Fluoruracil hat ihren Wert noch nicht beweisen können. Auch die postoperative Strahlentherapie ist nicht sicher in der Lage, die Uberlebenszeiten der operablen Patienten zu verbessern. Diese Aussage schränkt den Wert der symptomatischen oder palliativen Strahienbehandlung nicht ein, sie hat ihren festen Platz bei unvollständiger Tumorresektion, bei Rezidiven und

primär inoperablen Kranken. in den letzten Jahren mehren sich die Arbeiten, die über eine erfreuliche Verbesserung der Gesamtbehandlung bei der präoperativen Strahlenanwendung berichten (1, 3, 5, 6, 7). Nach Kligerman (5) kann man vier Gründe nennen, warum die präoperative Bestrahlung beim Rektumkarzinom wirksam ist: Die Zahl der bei der Operation gefundenen Lymphknotenmetastasen ist geringer. Die lokale Rezidivquote wird durch die Vernichtung mikroskopisch kleiner Ausläufer gesenkt. Die Radikalität der Tumorresektion kann durch die Tumorverkleinerung (speziell bei Übergreifen auf Nachbarorgane) verbessert werden. Die Zahl der Fernmetastasen kann gesenkt werden, wenn weniger virulente Tumorzellen zum Zeitpunkt der Operation vorhanden sind. Inzwischen wurden mehrere randomisierte und nicht randomisierte Studien durchgeführt (1, 3, 5, 6). Ihre Ergebnisse liegen vor, weitere systematische Verbundstudien mehrerer Kliniken laufen in Europa und den USA. Dabei haben sich zwei verschiedene Arten des Vorgehens als zukunftsweisend herausgestellt: Die großen Bestrahlungsfelder umschließen das gesamte Becken und das Lymphabstromgebiet. Ausgenommen die Leiste umfassen diese auch die hypogastrischen und die Mesenterica-inferior-Lymphknoten bis L2, wo diese in die paraaortalen Bahnen einmünden. Die Gesamtdosis erreicht 4500 rd in 5 Wochen. Die Operation folgt 4 Wochen später als abdominoperineale Resektion (5).

Die europäische Arbeitsgruppe verabreicht 3450 rd (15 Sitzungen in 19 Tagen), die Operation folgt nach

Veterans Administration Surgical Adjuvant Group prüft 3150 rd (18 Sitzungen in 24 Tagen [6]). In den USA läuft eine weitere kooperative Studie, die den Wert einer niedrigen Vorbestrahlungsdosis von 2000 rd in 2 Wochen mit einer hohen Dosis von 4500 rd vergleicht. Dabei scheint der Kompromiß der mittleren 3 Wochen. Die

Tab. 3. Stadieneinteilung der Rektumkarzinome nach Dukes (2, 4) Stadium

I

Stadium II

Stadium

111

Stadium IV

Tumor auf Schleimhaut beschränkt Ausbreitung des Tumors auf das umgebende Gewebe ohne Metastasenbefall der Lymphknoten Lymphknotenmetastasen sind vorhanden A in den nächst gelegenen regionalen B in den Lymphknoten entlang der Blutgefäße Fernmetastasen

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Dosis von 3000-3500 rd am ehesten die Erwartungen zu erfüllen. Bei niedrigerer Dosis ist die Zahl der nach der Bestrahlung verbliebenen Lymphknotenmetastasen größer, bei höherer Dosis nimmt das Ausmaß der radiogenen Nebenwirkungen zu. Die präoperative Strahlenbehandlung wird grundsätzlich nur bei histologisch gesicherten Karzinomen und bei operablen Patienten der Stadien JIII nach Dukes (Tabelle 3) durchgeführt. Alle Patienten hatten während der Bestrahlung häufigere Stuhlentleerungen, manche Diarrhoen. Die Operationen wurden nicht oder nur unwesentlich erschwert. Auch die postoperativen Nebenerscheinungen hielten sich in geringen Grenzen. Beobachtet wurden Fisteln und urologische Komplikationen, jedoch nicht häufiger als bei nur operierten Patienten. Die allgemeine postoperative Letalität war nicht erhöht. Die Ergebnisse der Gesamtbehandlung der Rektumkarzinome werden nach Ansicht fast aller Autoren ver bessert, wenn präoperativ bestrahlt wurde. Die Erhöhung der Fünfjahres-Cberlebensziffer betrug in der Veterans-Administration-Gruppe (700 randomisierte Patienten) 40,8% gegenüber 28,4% bei nur operierten Patienten (6). Die Tumoren wurden durch die Bestrahlung verkleinert (Tabelle 4), die Zahl von nachweisbaren Lymphknotenmetastasen nahm gegenüber der Vergleichsgruppe stark ab. Tab. 4. Vergleich des histologischen Stadiums bei 33 bestrahlten Patienten gegenüber 346 anderen Fällen (nach Kligerman [S]) Stadium nach Dukes ¡

Zahl der Fälle

0/

erwartete Häufigkeit

21

65,6

27°/o

11

4

12,5

30°/o

III

7

21,9

43°/o

Auch die Häufigkeit der Lokalrezidive ging von 40% bei der operierten auf 29% bei der präoperativ bestrahlten Gruppe.zurück. Fernmetastasen traten bei 47% der Patienten gegenüber 63% in der Kontrollgruppe auf (6). Die bisher vorliegenden Daten machen den Nutzen

einer präoperativen Bestrahlung in den Stadien II und III nach Dukes deutlich. Eine sorgfältig durchgeführte Bestrahlung mit Megavolttechniken bei zeitlich abgestimmtem Operationstermin erhöht die Morbidität der Patienten prä- und postoperativ nur in vertretbarem Ausmaß. Demgegenüber stehen als Gewinn die Verschiebung zu niedrigeren Stadien, die Tumorverkleinerung und damit die Verbesserung der Resezierbarkeit, die Erhöhung der Fünfjahres-Cberlebensziffern und die Verminderung der Lokalrezidive und Fernmetastasen. Diese Vorteile gelten in besonderem Maße für die unter der Umschlagsfalte des Peritoneums gelegenen tief sitzenden Tumoren. Weitere Untersuchungen sind jedoch notwendig, um die ersten Ergebnisse zu erhärten. Literatur (1) Allen, C. V., A pilot study on

G. H. Fletcher: preoperative irradia-

ion of rectosigmoid carcinoma. Amer. J. Roentgenol. 114 (1972, 498. (2) Dukes, C. E., H. J. R. Bunsey: The spread of rectal cancer and its effect

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265 2

Hellriegel, W.: Strablentherapie des Rektumkarzinoms. Strahientherapie

Kligerman, M. M.: Preoperative radiation therapy in rectal cancer. Cancer (Philad.} 36 (1975), 691. Roswit, B., G. A. Higgins, R. J. Keehn: Preoperative irradiation for carcinoma of the rectum and recrosigmoid colon. Report of a national Veterans Administration randomized study. Cancer (Philad.)

145 (1973), 243.

35 (1975), 1597.

on prognosis. Brit. J. Cancer 12 (1958), 309.

Gary-Bobo, J.: L'irradiation pré-opératoire dans le cancer du rectum. J. Radiol. Electrol. 54 (1973), 606.

2653

Schadewatdt: Die Entdeckung der oralen Antidiabetika

Scherer, E.: Rekeum. In: Dietheim, L., F. Heuck, O. Olsson, IC. Ranniger, F. Strnad, A. Zuppinger (Hrsg.): Handbuch der medizinischen Radiologie.

Bd. XIXI1: Spezielle Strahlentherapie maligner Tumoren (Springer: Berlin-

HeidelbergNew York

1972).

Prof. Dr. H. Sack Institut und Poliklinik für Strahientherapie der Universität S Köln 41, Joseph-Stelzmann-Str. 9

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[Preoperative radiotherapy of rectal and rectosigmoid carcinoma].

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