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Schlegel, Kufner: Bleivergiftungs-l'rävention
Aktuelle Diagnostik
Deutsche Medizinische Wochenscheift
Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich
Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 246-247
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart
H. Schlegel und G. Kufner
Moderne Laboratoriumsmethoden
In der Reihe der Umweitgifte wird das in technischer
kann sich dieses Verhältnis bis auf etwa 1 600 verschieben, ohne
Hinsicht so vielseitig nützliche Schwermetall Blei wohl noch längere Zeit einen bedeutenden Platz einnehmen. Die toxikologisch-diagnostische Beherrschung dieses Stoffes hat sich aber in den letzten Jahren so schnell und kontinuierlich weiterentwickelt, daß die 1970 an dieser Stelle gegebene Übersicht über die Möglichkeiten der aktuellen Laboratoriumsdiagnostik (8) dringend einer Revision bedarf.
daß klinische Folgen in der Form einer Bleianämie auftreten.
Bleiwirkungen im Organismus
Die Aktivität der -Aminolävu1inat-Dehydratase kann durch Blei so rasch und stark bis auf einen Rest von
Zum Verständnis sei eine kurze Darstellung der heutigen Vorstellungen von den biochemischen Wirkungen des Bleis im menschlichen Organismus vdrausgeschickt, wobei wir uns auf diejenigen Erkenntnisse beschränken, die diagnostische Bedeutung erlangt haben. Bezüglich der Intensität und zeitlichen Abfolge der zu beobach-
tenden Phänomene stützen wir uns auf die Ergebnisse von Langzeit-Selbstversuchen (9), deren abschließende Veröffentlichung noch aussteht.
Das über das Alveolarepithel der Lungen oder über das Dünndarmepithel resorbierte Blei wird teilweise an die Erythrozytenmembran adsorbiert, aber auch ins Zellinnere aufgenommen, und so auf dem Blutwege im Körper verteilt. Seine erste Wirkung entfaltet es am Erythrozyten selbst, indem es die Aktivität der Aminolävulinat-Dehydratase hemmt. Dieses Schlüsselenzym der Hämsynthese, das im Organismus weit verbreitet ist, hat im peripheren Blut wahrscheinlich keine Funktion mehr. Es reagiert aber sehr empfindlich und schnell, im Experiment innerhalb weniger Tage, schon auf geringe Erhöhungen des Blutbleispiegels. Der Effekt, den wir als »erythrozytäre Reaktion« bezeichnen, erreicht ein Maximum früher als alle übrigen Parameter; andererseits kann er das Ende einer Bleiexposition, wie schon Perovská und Teisinger (6) gezeigt haben, um Jahre überdauern. Unter primär höheren oder entsprechend kumulierten Bleidosen kommt es zur vermehrten renalen Ausscheidung der Hämvorläufer
ô-Aminolävulinsäure und Koproporphyrin III, die in der Leber bereitgestellt werden. Da sie nur hier in den Mengen vorliegen, mit denen sich die Steigerungsraten ihres Erscheinens im Ham erklären lassen, bezeichnen wir dies - in Anlehnung an die pathophysiologische Einteilung der Porphyrien - als »hepatische Reaktion«. Im Experiment gehen diese beiden Parameter nach Beendigung der Bleiaufnahme schneller als alle anderen auf Normwerte zurück.
In Analogie zu einer der beiden sogenannten erythropoetischen Porphyrien beobachten wir unter der Einwirkung von Blei auch eine »erythropoetische Reaktion«, erkennbar am Anstieg des freien Pro-
toporphyrins in den Erythrozyten. Dieser Effekt gleicht in seiner Empfindlichkeit und Persistenz weitgehend der Ó-AminolävulinatDehydratasehemmung, unterscheidet sich jedoch von ihr in den zeitlichen Beziehungen zur auslösenden Blei-Exposition. Normalerweise bleibt freies, nicht durch Einbau von Eisen weiter
zu Häm synthetisiertes Protoporphyrin in einem Verhältnis zum letzteren von 1 30 000 im reifen Erythrozyten nachweisbar. Durch Interferenz des Pb-Ions mit der Ferrochelatase (Goldberg-Ferment)
Aussagefähigkeit der laboratoriumsdiagnostischen Möglichkeiten 1. Der Blutbleispiegel beweist lediglich die Tatsache der Blei-Aufnahme. Er zeigt sie zwar unverzüglich und empfindlich an, über deren etwaige Wirkungen kann er aber selbstverständlich nichts aussagen.
5-10% der Norm gesenkt werden, daß ihr nur für den Bereich niedriger Expositionsgrade, zum Beispiel in der außergewerblichen Umwelthygiene, eine praktisch-diagnostische Bedeutung zukommt. Die vermehrte renale Ausscheidung der Hämpräkursoren ô-Aminolävulinsäure und Koproporphyrin III kann als Zeichen einer »frischen«, sicher mehr als nur minimalen Bleiwirkung auf das Leberparenchym gelten. Beide sind nicht absolut bleispezifisch; vor allem sollte bei einer isolierten oder stark überwiegenden Koproporphyrinvermehrung auch an die Lebernoxe Athylalkohol gedacht werden. Die rasche Normalisierung der Werte nach Abbruch einer oralen Bleizufuhr möchten wir mit dem Wegfall eines höheren Bleispiegels im Pfortaderblut erklären. Für praktische Zwecke wird man aber davon ausgehen können, daß eine gleichzeitig vorhandene, kräftige Erhöhung dieser beiden »hepatischen« Parameter im Falle bekannter Blei-Exposition die eingetretene Wirkung be-
weist. Für den Nachweis eines geringen oder längere Zeit zurückliegenden Blei-Einflusses sind sie nicht geeignet.
Die letzte Hämvorstufe, das eisenfreie Protoporphy-
rin, kann zwar als Indikator einer Fermentstörung, die sich im Knochenmark abspielt, nicht sofort im peripheren Blut erscheinen, überdauert aber aus demselben Grunde eine Erhöhung des Blutbleispiegels um ein beträchtliches. Man kann ihm wahrscheinlich die Rolle eines »Integrators der Bleiwirkung an der Häm-Biosynthese« zuschreiben. Dies müßte letztlich auch für das Hämoglobin gel-
ten, das aber wegen seiner geringeren Empfindlichkeit als präventiver Blei-Parameter heute keine Bedeutung mehr hat. Man kann es auch so formulieren, daß wir mit den modernen Methoden toxische Blei-Effekte schon auf einem Niveau nachweisen können, auf dem Einflüsse auf die Hämoglobinwerte noch nicht erkennbar werden.
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Bleivergiftungs-Prävention
Schlegel, Kufner: Bleivergiftungs-Prävention
Nr. 7, 13. Februar 1976, 101. Jg.
1. Die Blutbleibestimmung mittels der fiammenlosen Atomabsorptions-Spektrometrie (unter Verwendung von hämolysiertem, mit Aqua dest. 1 : 6 verdünntem, sonst unbehandeltem Voliblut) ist in der Hand gut eingearbeiteter und erfahrener Fachkräfte relativ einfach und sehr zuverlässig. Für eine weite Verbreitung dieser Methode
wird aber die diffizile Handhabung der aufwendigen Gerätekombination noch auf Jahre hinaus ein ernstes Hindernis darstellen. Einfachere und trotzdem voll befriedigende, von irreführenden Falschbefunden freie Methoden existieren nicht. Die Mehrzahl der Interessenten
Die Protoporphyrinbestimmung wird immer der zeitraubendste Teil der Blei-Diagnostik im Laboratorium bleiben. Alle bisher vorgeschlagenen »Schnellmethoden« haben sich in der Praxis nicht bewährt. Wir bedienen uns seit nunmehr S Jahren der alten Extraktionsmethode von
Grinstein und Watson (4) in der Modifikation von
Schwartz und Wikoff (10). Der beabsichtigte Ubergang auf eine dünnschichtchromatographische Porphyrin-Isolierung nach dem Prinzip von Doss (2) bietet wesentliche Vorteile, aber auch in dieser Form wird die Methodik Spezi all aboratorien vorbehalten bleiben. Glücklicherweise ist aber Protoporphyrin im ungerinnbar gemachten Blut
haltbarer als Koprophorphyrin in Urinproben, so daß eine Versendung möglich ist.
wird daher weiterhin auf die Hilfe von Speziallaboratonen angewiesen bleiben. Bei der ,Amino1ävulinatDehydrataSebeStimmUflg
handelt es sich um eine enzymdiagnostische Methode, deren Schwierigkeitsgrad denjenigen einer Transaminasenbestimmung nur wegen des bisherigen Fehlens konfektionierter Reagenzien überschreitet. Auf jeden Fall ist sie für das Repertoire einer kompetenten Blei-Uberwachungsstelle unerläßlich. Die Versendung der Blutproben an ein anderes Laboratorium kommt auch wegen der besonderen Instabilität dieses Enzyms nicht in Betracht. Die Aminolävu1insäure-BestimmU ng ist nach der
Methode von Grabecki und Mitarbeitern (3), vorzugsweise in der Modifikation von Weichhardt und Bardodej (11), einfach und billig, für Routinezwecke auch ausreichend zuverlässig. Genauere Werte liefert die Fertigsäulen-Chromatographie nach Davis und Andelman (1), die aber für größeren Probenanf all unwirtschaftlich ist. Während es sich bei diesen älteren Verfahren prinzipiell um eine Sammelbestimmung der Aminoketone handelt, ist die dünnschichtchromatographische Methode nach Kufner und Schlegel (5) bisher die einzige Möglichkeit einer
Aminolävulinsäure-Messung. Sie hat wenn die nicht sehr aufwendige Ausrüstung vorhanden spezifischen
und das Arbeiten mit ihr zur Routine geworden ist den Vorteil konkurrenzloser Wirtschaftlichkeit. Bedarfsweise kann sie auch in einer Screening-Modifikation mit gleichzeitiger Prüfung auf vermehrtes Koproporphyrin durchgeführt werden. Bei großem Materialanf all empfiehlt sich allerdings der Einsatz eines Dünnschicht-Scanners, der dann auch bei Reihenuntersuchungen die quantitative Bestimmung aller Proben mit Genauigkeit und ohne besonderen Zeitaufwand gestattet. Die KoproporphyrinI1IBestimmUflg als ältester biochemischer Test in der Diagnostik der Bleivergiftung wurde bis vor wenigen Jahren meist mit »halbquantitativen« Fluoreszenz-Vergleichsverf abren ausgeführt. Auf dem ursprünglichen Prinzip von Saillet (7) basiert eine quantitativ arbeitende Methode von M. Gajdos-Török (persönliche Mitteilung), die sich uns in einer eigenen Modifikation sehr bewährt hat. Sie setzt allerdings das Vorhandensein eines Spektralphotometers voraus. Wegen
der Instabilität des Koprophyrins kommt eine Versendung der Urinproben nicht in Frage, während Proben zur Amjnolävulinsäure-Bestimmung durch einfaches Ansäuern mit Essigsäure auf ein pH von 4,5 konserviert werden können.
Vorgehen in der Praxis Die Bestimmung der ö-Aminolävulinat-Dehydratase im heparinstabilisierten Blut sowie der b-Aminolävulinsäureund KoproporphyrinAusscheiduflg im Ham beantwortet zunächst die Frage, ob überhaupt eine Bleiwirkung vorliegen könnte, und in welcher Höhe. Zeigen diese drei
Parameter wiederholt abnorme Werte, so muß wegen ihrer nicht absoluten Bleispezifität und zur weiteren Klärung des Grades der Blei-Aufnahme eine Vollblutprobe auf Blei und Protoporphyrin untersucht werden. Die Hämoglobinbestimmung wie die Tüpfelzellenzählung darf man heute als obsolet bezeichnen, weil die erstere zu spät und die letztere zu unzuverlässig auf eine drohende Bleivergiftung hinweist. Zwar werden im Bereich der klinischen Toxikologie auch massenhaft basophil punktierte Erythrozyten in keinem voll entwickelten Vergiftungsfall vermißt (Beritiá, T.: persönliche Mitteilung), es dürfte aber keinem Zweifel unterliegen, daß
das Warten auf Zeichen der ausgeprägten Krankheit den frühdiagnostischen Bedürfnissen einer echten Prävention nicht genügen kann.
P?erovská, 1., J. Teisinger: Excretion of lead and its biological activity several years after termination of exposure. Urinary -aminolevu1inic acid levels in Bric. J. industr. Med. 27 (1970), 352. lead poisoning. 1. A modified method Saillet: De l'urospectrine (ou urohéfor the rapid determination of urinary maroporphyrine normale) et de sa transô-aminolevulinic acid using disposable formation en hémochromogène sans fer. ion-exchange chromatography columns. Rev. Méd. (Paris) 16 (1896), 542. Arch. environm. HIth 15 (1967), 53. Schlegel, H.: LaboratoriumSdiagnODoss, M.: Analytical and preparative der chronischen Bleivergiftung. thin-layer chromatography of porphyrin stik Dtsch. med. Wschr. 95 (1.970), 2131. methyl esters. Z. kim. Chem. 8 Schlegel, I-l., G. Kufner, H. Leinber(1970), 197. ger: Das Verhalten verschiedener ParaGrabecki, J., T. Haduch, H. Urbameter der Hämsynthesestörung am nowicz: Die einfachen BestinimungsmeMenschen bei experimenteller Aufthoden der 8-Aminolävulinsäure im nahme anorganischer Bleiverbindungen. Ham. mt. Arch. Gewerbepath. GeIn: Environmental Health Aspects of werbehyg. 23 (1967), 226. Lead (Luxemburg: Comm. Europ. ComGrinstein, M.,C. J. Watson: mun. 1973), 569. Studies on protoporphyrin: III. PhotoSchwartz, S., H. M. Wikoff: The electric and fluorophotometric methods relation of erythrocyte coproporphyrin for the quantitative determination of and protoporphyrin to erythropoiesis. the protoporphyrin in blood. J. biol. J. biol. Chem. 194 (1952), 563. Chem. 147 (1943), 675. Weichardt, H., Z. Bardodej: Kufner, G., H. Schlegel: QuantitaBeitrag zur DeltaAminolävulin5äure tive Analyse der ö-Aminolävulinsàure und Koproporphyrinbestimmung. Zbl. aus nativen Urinproben mittels DünnArbeitsmed. 19 (1969), 67. schichtchromatographie. J. Chromatogr.
Literatur
Davis, J. R., S. L. Andelman:
85 (1973), 109.
Dr. H. Schlegel, G. Kufner Werksärztlicher Dienst Daimler-Benz A.G. 7032 Sindelfingen
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Praktisch-methodischer Einsatz im Laboratorium
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