Originalien Nervenarzt 2013 · 84:1369–1381 DOI 10.1007/s00115-013-3927-0 Online publiziert: 30. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

P. Falkai1 · F. Schneider2 · H. Sauer3 · J. Amlacher4 · C. Schneller4 · W. Maier5 1 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität München 2 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Uniklinik RWTH, Aachen 3 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Jena 4 Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie,

Psychosomatik und Nervenheilkunde, Berlin 5 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Bonn

Psychiatrisch-  psychotherapeutische Forschung in Deutschland Bestandsaufnahme und internationaler Vergleich

Trotz der zunehmenden internationalen Orientierung der deutschen Medizin belegen hiesige führende akademische Institutionen im internationalen Ranking der 100 besten Universitäten nur wenige mittlere oder untere Plätze [9]. Als wesentliche Ursache hierfür werden immer wieder die fehlende kritische Masse an Wissenschaftlern und Ausstattung genannt, um ein Thema langfristig bearbeiten zu können. Dies führte im Bereich der Medizin zur Etablierung von sechs deutschen Gesundheitsforschungszentren, welche eine langfristige Forschungsarbeit an gesundheitsökonomisch wichtigen Erkrankungen erlauben soll. Seit 2009 wurden folgende Zentren eingerichtet: F  Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), F  Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), F  Deutsches Zentrum für HerzKreislauf-Forschung (DZHK), F  Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK),

F  Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), F  Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL). Trotz der unbestrittenen gesundheitsökonomischen Bedeutung fehlt bis heute ein Deutsches Zentrum für psychische Erkrankungen (DZP). Mit einem Durchschnittsalter von nur 48,3 Jahren bei psychischen Erkrankungen (bei Suchterkrankungen speziell von sogar nur 43,0 Jahren) sind diese im Vergleich zu vielen somatischen Erkrankungen führend auf der Liste der zur Berufsunfähigkeit führenden Erkrankungen (. Abb. 1) und verursachen damit enorme gesamtgesellschaftliche Kosten [1]. Etwa 30% aller stationär behandelten Patienten haben eine psychiatrische Diagnose [4] mit einer stetig ansteigenden Behandlungsprävalenz in den letzten Jahren. 27% der deutschen Bevölkerung leidet in einem Untersuchungszeitraum von 12 Monaten unter einer diagnostizierten psychischen Erkrankung [10]. Aus historischer Perspektive erfuhr das Fach Psychiatrie vor ca. 50 Jahren durch die erfolgreiche Einführung der Pharmakotherapie einen grundlegenden Wan-

del, der letztlich ihre Hinwendung zu einer neurobiologisch orientierten Wissenschaft beförderte. Entscheidende Impulse erhielt diese biologische Orientierung durch die Anwendung molekularbiologischer Techniken sowie der Einführung bildgebender Verfahren. Die Weiterentwicklung neuer Forschungsmethoden und ihre Übernahme in die Psychiatrie, wie z. B. die genetische Epidemiologie, die systemischen Neurowissenschaften, strukturelles und funktionelles Neuroimaging, Genomic Imaging oder Proteomik, haben das Wissen über psychische Krankheiten in relativ kurzer Zeit enorm bereichert. Die Weiterentwicklung der psychopathologischen Grundlagen unter Einbeziehung der Neuropsychologie und des Neuroimagings war hierbei wesentliche Voraussetzung, um aus komplexen psychischen Phänomenen neurofunktionelle Korrelate herauszuarbeiten [6]. Folglich deckt die wissenschaftliche Psychiatrie heute ein breites Spektrum an neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung über strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten des Gehirns, Tiermodelle, die Entwicklung neuer Psychotherapiemethoden, klinische Pharmakologie, ethische Bewertung von Studien bis hin zur Der Nervenarzt 11 · 2013 

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Zusammenfassung · Summary epidemiologischen sowie Versorgungsforschung und anderem mehr ab. Dies erfordert sowohl eine synergistische Zusammenschau und Integration als auch ein ausgeprägtes Maß an Methodenkompetenz. Gleichzeitig gilt es, bei der neurowissenschaftlichen Erforschung komplexer psychischer Phänomene die traditionell hohe psychopathologische und phänomenologische Kompetenz der Psychiatrie und Psychotherapie zu bewahren, um die Validität der Aussagen zu neurobiologischen Grundlagen psychischer Erkrankungen weiterhin zu sichern. Die vorliegende Publikation will die Leistungsfähigkeit psychiatrischer Forschung in Deutschland analysieren. Dies erfolgt auf der Grundlage einer Befragung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) unter deutschen Forschungsinstitutionen im Jahre 2011 sowie eines internationalen Vergleichs der Publikationsleistung der Themen MajorDepression, Schizophrenie und Alkoholabhängigkeit.

Methodik Für einen Überblick der psychiatrischen Forschung in Deutschland hat die DGPPN im Juli 2011 insgesamt 50 deutsche Institutionen angeschrieben und um Teilnahme an einer Befragung gebeten. Die Liste umfasste die 40 deutschen Universitätskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie sowie weitere extrauniversitäre Institutionen, die primär psychiatrisch-psychotherapeutische Forschung betreiben wie beispielsweise das MaxPlanck-Institut für Psychiatrie in München. Nicht berücksichtigt wurden Lehrstühle benachbarter Fächer, die sich mit Aspekten psychiatrischer Forschung auseinandersetzen. Der Fragebogen umfasste (A) allgemeine Angaben zur Institution (Anzahl jährlicher Aufnahmen, Diagnosenspektrum) und (B) spezifische Angaben zu den etablierten wissenschaftlichen Forschungsbereichen (Personalausstattung, methodische und inhaltliche Schwerpunkte, Vernetzung/Kooperationen, Finanzierung sowie Ranking hinsichtlich verausgabter Drittmittel und Impactfaktoren). Der vollständige Fragebogen ist online abrufbar [2].

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Der Nervenarzt 11 · 2013

Nervenarzt 2013 · 84:1369–1381  DOI 10.1007/s00115-013-3927-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 P. Falkai · F. Schneider · H. Sauer · J. Amlacher · C. Schneller · W. Maier

Psychiatrisch-psychotherapeutische Forschung in Deutschland. Bestandsaufnahme und internationaler Vergleich Zusammenfassung Grundlage des vorliegenden Artikels ist eine 2011 von der DGPPN durchgeführte Evaluation, bei der 50 deutsche universitäre und außeruniversitäre Institutionen befragt wurden, die schwerpunktmäßig psychiatrischpsychotherapeutische Forschung betreiben. Es zeigte sich, dass pro Standort im Durchschnitt 1 bis 2 Professoren mit 12 Mitarbeitern wissenschaftlich aktiv sind und im Mittel laut Selbstauskunft ca. 1,8 Mio. EUR Drittmittel pro Jahr eingeworben werden. Bei den Erkrankungen Schizophrenie,   Major-Depression und Alkoholabhängigkeit nimmt Deutschland bezüglich des Publikationsoutputs im internationalen Vergleich zweimal den 2. und einmal den 3. Rang hinter den USA bzw. England und Kanada ein. Fragt man Autoren und Institutionen, so rangieren deutsche Wissenschaftler und Standorte für die genannten Erkrankungen im oberen Drittel bis oberen Zehntel aller publikato-

risch Aktiven. Diese Daten belegen, dass psychiatrische Forschung in Deutschland international kompetitionsfähig ist und sich durch herausragende Leistungen für die relevanten Erkrankungen ihres Faches auszeichnet. Leider sind zahlreiche Förderprogramme zeitlich auf 3 bis 6 Jahre befristet. Vor dem Hintergrund der genannten Leistungsbilanz und zur Etablierung langfristig angelegter translationaler Förderstrukturen [wie in den USA (NIMH) und England (MRC)] für den psychisch kranken Menschen ist die Einrichtung eines Deutschen Zentrums für psychische Erkrankungen (DZP) unumgänglich. Schlüsselwörter Psychische Erkrankungen · Psychiatrische Forschung · Deutschland · Gesundheitsforschungszentrum · Internationaler Wettbewerb

Psychiatric psychotherapeutic research in Germany. Taking stock and international comparison Summary This article is based on an evaluation carried out by the DGPPN in 2011 surveying 50 German university and non-university institutions about the scientific research output focussing on psychiatric and psychotherapeutic research. The results of the survey show that on average there are 1 to 2 professors with 12 assistants scientifically active per institution. According to self-disclosure an estimated 1.8 million Euros of external funds are raised each year. Compared to international standards regarding the illnesses major depression, schizophrenia and alcohol abuse, Germany ranks second and third place behind the USA and the UK or Canada in terms of publication output. In terms of authors and institutions, German scientists and universities rank in the

Ergebnisse Bei Abschluss der Befragung hatten 29 der 50 Institutionen (58% der Befragten) vollständig ausgefüllte Fragebogen zurückgesandt. 79% davon waren Universitätskliniken, 10% universitäre Institute und 11% außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Mit Blick auf die Repräsentativi-

upper third to upper tenth for these illnesses. These data show that psychiatric research in Germany is not only internationally competitive but outstanding in its excellent achievements in these fields. Unfortunately, many funding programmes are limited to a 3–6 year period. In view of this fact and in order to achieve a long-term improvement in the translation of funding structures, as in the US (NIMH) or the UK (MRC) to benefit the mentally ill the implementation of a German centre for mental disorders is inevitable. Keywords Psychiatric illnesses · Psychiatric research · Germany · Health research centre · International competition

tät unterscheiden sich die antwortenden Einrichtungen in ihrer Zusammensetzung von Universtitätsklinika und übrigen Forschungsinstituten somit nicht von den angeschriebenen Einrichtungen.

Krankheiten des Atmungssystems

54,3

Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes

53,7

Krankheiten des Kreislaufsystems

53,7 52,1

Neubildungen Krankheiten des Verdauungssystems/ Stoffwechselkrankheiten

50,8

Psychische und Verhaltensstörungen (gesamt)

48,3

Psychische Erkrankungen ohne Sucht

48,1 50,5

Psychische Erkrankungen durch Alkohol Psychische Erkrankungen durch Medikamente/Drogen

43,0

Krankheiten der Haut und der Unterhaut

50,2 48,9

Krankheiten des Urogenitalsystems Krankheiten des Nervensystems

47,7 48,3

Sonstige Krankheiten

50,4

Insgesamt 0

10

20

30

40

50

60

Alter

Affektive Störungen, F3

30 %

Psychische Störungen durch psychotrope Substanzen, F1

23 %

19 %

Psychotische Störungen, F2 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen, F4

10 %

Organische Störungen, Demenz, FO

7%

Persönlichkeitsstörungen, F6

7%

Essstörungen, Schlafstörungen und andere der Kategorie F5

2%

Störungen mit enger Bindung zum Kindes- und Jugendalter, F7-9

2% 0

100

200

300

400

500

Durchschnittliche Anzahl der Aufnahmen (jährlich) je Kategorie

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Der Nervenarzt 11 · 2013

Abb. 1 9 Durchschnittsalter bei Rentenzugang   wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach   Diagnosegruppen

600

Abb. 2 9 Diagnoseverteilung der in psychiatrischpsychotherapeutischen   Abteilungen von Universitätskliniken behandelten Patienten. Ergebnisse   beruhen auf Angaben von 22 Kliniken

Neurobiologische, grundlagennahe Forschung

90%

Klinische Forschungpsychotherapeutische Ausrichtung

79%

Klinische Forschung - pharmakologische Ausrichtung

72%

Epidemiologische bzw. Versorgungsforschung

62%

Sonstiges:

14%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Abb. 3 8 Etablierte Forschungsbereiche an den befragten Institutionen (n=29), Mehrfachnennungen möglich 14 12

5,3

Weiblich (AM) Männlich (AM)

6,7

7

6,3

10

5,3

8

4,2 6,9

6,1

Neurobiologische Forschung

Klinische Forschung (pharmakologische und psychotherapeutische)

3,7

0,1 0,8

1,1 0,5 Sonstige MA

Sonstige MA

1,3 Doktoranden

4,2

2,2

Univ.-Professuren

0,3 1,5 Wiss. MA

Doktoranden

Wiss. MA

Sonstige MA

1,2

1,5

4,6

Univ.-Professuren

0,3 Univ.-Professuren

0

1,9

Doktoranden

5,6 4

Wiss. MA

6

2

Männlich (Median) Weiblich (Median)

Epidemiologische und Versorgungsforschung

Abb. 4 8 Durchschnittliche personelle Ausstattung der Forschungsbereiche, Anzahl der Mitarbeiter (MA) in den befragen Institutionen (n=29)

Versorgungsprofile Zur Charakterisierung der Versorgungsprofile der bettenführenden Einrichtungen wurde die Anzahl der jährlichen Aufnahmen nach ICD-10-Kategorien erfragt (. Abb. 2). Im Mittel nahmen die befragten Einrichtungen 1650 Patienten auf, wobei die Angaben stark streuen und auf ein breites Spektrum hinsichtlich der Grö-

ße der unterschiedlichen Einrichtungen hinweisen (Range: 235–4500 Aufnahmen pro Jahr, Streuung: 950). Im Vergleich dazu nahmen psychiatrische Fachabteilungen im Jahr 2010 im Bundesdurchschnitt rund 2260 Patienten auf [8]. Erwartungsgemäß waren bei den befragten Kliniken die Kategorien F3 und F1 bei mehr als der Hälfte der jährlichen Aufnahmen vertreten, Essstörungen, Schlafstörungen und

andere, die Kategorie F5 betreffende Erkrankungen sowie Störungen mit enger Bindung zum Kindes- und Jugendalter (F7–F9) hingegen seltener. Bei dieser Diagnoseverteilung handelt es sich vorwiegend um Schätzungen, wobei die Größenordnungen plausibel erscheinen und als repräsentativ für die Versorgungslandschaft angesehen werden können, da sie mit den bundesweiten Angaben der Fachabteilungen der Allgemeinen Psychiatrie aus dem Jahr 2010 vergleichbar sind: F1: 29%, F3: 28%, F2: 19%, F4: 10%, F0: 9%, F6: 5%, F5: 0,5%, F7–F9: 1% [6]. Insgesamt machten nur drei Institutionen Angaben zur Komorbidität psychischer und somatischer Störungen ihrer Patienten, sodass eine aussagekräftige Angabe zur Stichprobe diesbezüglich nicht sinnvoll erscheint. Methodische Grenzen der Befragung werden in der Diskussion aufgegriffen.

Forschungsbereiche Auf die Frage, welche Forschungsbereiche in den entsprechenden Institutionen etabliert seien, erfolgte fast durchgängig die Nennung einer neurobiologischen, grundlagennahen Ausrichtung (. Abb. 3). Interessanterweise folgte dicht darauf die klinische Forschung mit psychotherapeutischem Schwerpunkt und erst dann jene mit pharmakologischer Ausrichtung. Rund die Hälfte der Institutionen nannte die Epidemiologie bzw. die Versorgungsforschung als einen der weiteren Forschungsschwerpunkte. Festzuhalten ist dabei, dass zwei Drittel der Institutionen Forschung mit drei oder mehr Schwerpunkten betreiben. Dies spiegelt einmal mehr die Bandbreite der eingangs beschriebenen Methoden wider. Dies kann jedoch einerseits positiv im Sinne einer Methodenvielfalt, andererseits auch negativ im Sinne einer fehlenden Fokussierung interpretiert werden. Bei Betrachtung der 26 Institutionen, welche neurobiologische Forschung betreiben, verfügt der überwiegende Teil über Kompetenz in den Bereichen funktionelle Bildgebung, Genomik und klinische Studien. Insgesamt geben 17 Institutionen Kompetenz im Bereich der Entwicklung von Tiermodellen an. Der Nervenarzt 11 · 2013 

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Originalien 26 25 24 23 22 21 20 19 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

7.400.000 € 4.000.000 € 3.200.000 € 2.800.000 € 2.778.536 € 2.510.000 € 2.500.000 € 2.400.000 € 2.050.000 € 2.000.000 € 2.000.000 € 1.500.000 € 1.480.000 € 1.330.440 € 1.200.000 € 1.016.560 € 1.000.000 € 906.200 € 900.000 € 750.000 € 515.000 € 512.000 € 500.000 € 488.000 € 250.681 € 12.500 €

Abb. 5 8 Angaben zum kumulativen Drittmittelaufkommen der befragten Institutionen (n=29) für das Jahr 2010

BMBF

33%

DFG

30%

EU

24%

BMG

11%

Sonstiges:

25% 0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

Abb. 6 9 Stärkste Drittmittelgeber zur Finanzierung der Forschungstätigkeit an den befragten Institutionen (n=29), Mehrfachnennungen möglich. BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMG Bundesministerium für Gesundheit, DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft, EU Europäische Union

3% Geplante Projekte können zumeist auch realisiert werden 35% 52%

10%

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Der Nervenarzt 11 · 2013

Geplante Projekte können eingeschränkt realisiert werden Um den Status quo zu halten, ist viel Einsatz notwendig Eine Verkleinerung musste jüngst umgesetzt werden bzw. steht an

Abb. 7 9 Perspektiven für die Umsetzung von geplanten Forschungsprojekten bei den befragten Institutionen (n=29)

Produktivität der psychiatrischpsychotherapeutischen Forschung Um sich allerdings einen Überblick über die Produktivität der psychiatrischpsychotherapeutischen Forschung in Deutschland zu verschaffen, bedarf es eines differenzierten Blicks auf die personelle Ausstattung der Forschungsbereiche für die in . Abb. 3 aufgeführten Bereiche neurobiologische Grundlagen, klinische Forschung, epidemiologische bzw. Versorgungsforschung. Im Durchschnitt beschäftigten diese Bereiche 12 wissenschaftliche Mitarbeiter/innen (SD=13,9), 3 sonstige Mitarbeiter (SD=5,3), 11 Doktoranden (SD=11,4) bei 1,5 Professuren (SD=1,4). Die Geschlechterverteilung ist über alle genannten Gruppen des wissenschaftlichen Nachwuchses pro Forschungsbereich recht ausgeglichen (. Abb. 4). Eine Professur haben hingegen deutlich mehr Männer als Frauen inne. Nicht unerwähnt bleiben sollten allerdings die erheblichen Unterschiede zwischen maximaler und minimaler personeller Ausstattung, worauf die linksgipflige Verteilung der Stichprobenwerte hinweist, der Range ist sehr weit, z. B. bei Professoren min/max 0–6 oder bei wissenschaftlichen Mitarbeitern min/max

Originalien Universitäre Einrichtungen Angrenzende Fachrichtungen (Psychologie, Neurologie, Informatik etc.) Kooperationspartner im Ausland Forschungsverbünde Industrie Bundesweite Kompetenznetze Externe/außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Institute Graduiertenkollegs Exzellenzinitiative: 1. Linie Graduiertenschulen 2. Linie Exzellenzcluster 3. Linie Zukunftskonzepte zum Ausbau der universitären Spitzenforschung

97% 86% 83% 83% 59% 59% 38% 31% 21% 10% 21% 14% 0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

Abb. 8 8 Beteiligungen an Vernetzungen und Kooperationen bei den befragten Institutionen (n=29), Mehrfachnennungen möglich Nervensystem und Psyche Infektionskrankheiten Lebensweise, Umwelt, Gesundheit Sonstige krankheitsbezogene Schwerpunkte Herz- Kreislauf- Erkrankungen Krebserkrankungen Verbundprojekt: Genomnetz Umweltbedingte Erkrankungen Verbundprojekt: Genetik des Herzversagens Medizinische Genomforschung, Verbundprojekt Molekulare Mechanismen… Verbundprojekt: Atherogenomics Verbundprojekt: RNomics bei Infektionskrankheiten Verbundprojekt: Micro-RNA in HerpesvirenInfektionen 0

50

100

150 Millionen €

Abb. 9 8 Laufende Förderprojekte des BMBF (in Mio.) zur effektiven Bekämpfung von Krankheiten, zusammengefasst nach Fachgebieten (zusammengestellt aus Daten des BMBF 2010)

0–62. Damit kontrastiert die Ausstattung einiger Fachbereiche stark gegenüber klinikfernen Forschungseinrichtungen, die über ein Mehrfaches dieser Ausstattung verfügen. Insofern ist es wichtig, bei der Evaluation der Leistungsfähigkeit psychiatrischer Forschungseinrichtungen in Deutschland den Bezug zur personellen und sächlichen Ausstattung herzustellen, um Leistungsparameter wie Impact-Faktoren und Drittmitteleinwerbung standortübergreifend vergleichen zu können.

Drittmittelaufkommen Zusätzlich wurden die Institutionen um Auskunft über ihr kumulatives Drittmittelaufkommen für das Jahr 2010 ge-

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Der Nervenarzt 11 · 2013

beten. Es ergab sich ein Mittelwert von 1.769.000 EUR (SD=1.501.853 EUR), bei einem Median von 1.405.220 EUR, wobei es sich analog zu der Stellenausstattung um eine linksgipflige Verteilung handelt. Neun Institutionen wiesen Drittmitteleinwerbungen unter 1.000.000 EUR und fünf zwischen 1.000.000 und 1.500.0000 EUR auf, während Einzelinstitutionen wiederum das Mehrfache des Mittelwertes für das genannte Jahr auswiesen (. Abb. 5). 2013 wurde eine Nacherhebung durchgeführt, um insbesondere den kumulativen Impact-Faktor (IF) eines Jahres als Produktivitätsmaß einfügen zu können. Hierauf antworteten 18 der initial angeschriebenen 29 Institutionen. Bezogen auf das Jahr 2010 ergaben sich für die kumulati-

ven IF-Punkte pro Institution ein Mittelwert von 260 (SD=168) und für die kumulativen verausgabten Drittmittel ein Mittelwert von 1.210.673 EUR (SD=840.102). Die Korrelation dieser beiden Maße ergab eine r von 0,055, was einen moderaten Zusammenhang nahelegt. Pro IFPunkt wendete eine Institution im Schnitt 6693 EUR Drittelmittel auf. Diese Angaben sind natürlich mit aller Vorsicht zu interpretieren, da auch der Wert der „verausgabten Drittmittel“ institutionenübergreifend nicht einheitlich definiert ist, was genauso für die IF gilt, die z. B. gewichtet und ungewichtet angegeben werden können. Die Frage nach der Verteilung von Drittmitteln bzw. Eigenmitteln in der Klinik ergab, dass ca. 60% der Forschung über Drittmittel und die verbleibenden 40% über Eigenmittel der Klinik bzw. der Institutionen finanziert wird. Die stärksten Drittmittelgeber sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Europäische Union (EU), aber auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG, . Abb. 6). 52% der Befragten können ihre Forschungsprojekte in der Regel auch realisieren, 10% nur eingeschränkt und 35% gaben an, dass der Erhalt des Status quo hohen Einsatz erfordere. Nur 3% gaben an, dass sie aktuell eine Verkleinerung ihres Forschungsbereichs umsetzen würden (. Abb. 7).

Kooperationen Hinsichtlich vorhandener Kooperationen nannten alle Institutionen Vernetzungen mit anderen universitären Ein-

Tab. 1  Psychiatrische Forschung in Deutschland – internationaler Stellenwert Länderranking Platzierung 1. 2. 3. 4. 5.

Veröffentlichungen zu den Themen (n) Schizophrenie Major-Depression USA (18.996) USA (15.877) England (5932) Deutschland (3219) Deutschland (4599) England (2819) Kanada (3204) Kanada (2575) Australien (2841) Australien (1793)

Alkoholabhängigkeit USA (1447) Kanada (126) Deutschland (120) England (101) Australien (78)

Tab. 2  Publikationen zu Major-Depression – beste Positionen deutscher Institutionen und

Autoren (34.805 Artikel, 2002–2012) Anzahl Publikationen Autor 144 126 90 77 73 Standorta Universität München: 408 Max Planck Gesellschaft: 370 Charité Medizinische Universität Berlin: 312 Universität Bonn: 221 Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: 195

Platzierung 7. 11. 21. 34. 37. 25. 32. 39. 61. 74.

aIn der Auflistung der Standorte wird die Anzahl der Publikationen einzelner Institute in einem Klinik- bzw.

Forschungsverbund zusammengefasst, d. h. verschiedene Campi oder assoziierte Institute, für die Universität Heidelberg etwa auch das Zentralinstitut Seelische Gesundheit.

richtungen (. Abb. 8). Fast alle arbeiten auch mit angrenzenden Fachrichtungen, Kooperationspartnern im Ausland und anderen Forschungsverbünden zusammen. Als häufigste Partnerländer wurden die USA, Großbritannien und die Niederlande genannt. Die Hälfte der Befragten nannte zudem Verbindungen zur Industrie und zu bundesweiten Kompetenznetzen. Nur wenige der teilnehmenden Institutionen nahmen an Kooperationen im Rahmen der Exzellenzinitiative teil. Dies betraf gleichermaßen lokale Graduiertenschulen, Exzellenzcluster oder Zukunftskonzepte. In diesem Zusammenhang ist die Einschätzung der einzelnen Institutionen zu ihrer Position innerhalb des eigenen Fakultätsrankings interessant: Der überwiegende Teil der Befragten sah sich unter den ersten 5 bzw. unter den ersten 10 Institutionen ihrer Fakultät. Je nachdem, ob eine Fakultät 30 oder 70 Kliniken bzw. Lehrstühle umfasst, bedeutete dies einen Platz im oberen Drittel oder Viertel.

Bewertung der Ergebnisse im interdisziplinären/ internationalen Vergleich Internationaler Vergleich Die in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Forschung in Deutschland abgedeckten Themen und Krankheitsbilder umfassen ein breites Spektrum, was die Bearbeitung relevanter Fragestellungen für das Fach erlaubt. Es lassen sich dennoch Themen wie Versorgungsforschung und Epidemiologie identifizieren, die nur unzureichend oder gar nicht abgebildet sind. Wie steht es nun mit der Ausstattung, um psychiatrisch-psychotherapeutische Forschung durchzuführen? Hierzu stehen weder in Deutschland noch weltweit publizierte Daten zur Verfügung. Einzelne Arbeiten aus anderen medizinischen Disziplinen, wie z. B. der Notfallmedizin („critical care medicine“), vergleichen den Output und kommen interessanterweise zu dem Ergebnis, dass nicht die im Feld der Notfallmedizin führenden Nationen wie die USA oder England am effektivsten sind, sondern statt-

dessen Länder wie z. B. Kanada [7] mit einem offensichtlich besseren Verhältnis von verfügbarer Grundausstattung und effektiv geleisteter Forschung gemäß Impact-Faktorpunkten und eingeworbenen Drittmitteln [3]. Worin unterscheidet sich das kanadische System von den zuvor genannten? Für alle gilt gleichermaßen, dass sie der Mitgliedschaft in der „englischsprachigen Wissenschaftsfamilie“ angehören, was allein hilfreich bei der Formulierung von Anträgen und Publikationen ist. Zweifelsohne ist ein längerer Auslandsaufenthalt an den führenden angloamerikanischen Institutionen für deutsche sowie für kanadische Wissenschaftler von großer Bedeutung, um einerseits die dort etablierten Arbeitsmethoden kennenzulernen, aber auch, um in dieser Gemeinschaft (an)erkannt zu werden. Gleichzeitig überschätzt man jedoch auch die Leistungsfähigkeit des angloamerikanischen Systems, indem man immer wieder stark auf einzelne Institutionen (National Institute of Mental Health [NIMH], Institute of Psychiatry [IOP] etc.) schaut, die besonders produktiv und von außen gut erkennbar sind. Trotzdem gibt es strukturelle Unterschiede, auch zum kanadischen System, die aus deutscher Sicht einen genaueren Blick lohnen: Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie sind im englischsprachigen Ausland Departments, in der Regel aus einer größeren Zahl unabhängiger Professuren zusammengesetzt, von welchen jede nur über eine bescheidene Grundausstattung verfügt und darum gezwungen ist, im substanziellem Maße Drittmittel einzuwerben. Diese größere Zahl an schlecht ausgestatteten Professuren gestattet eine dahingehende Spezialisierung, dass viele primär Forschung betreiben, während andere z. B. die Lehrkoordination übernehmen. Getrennt von diesem akademischen Betrieb findet in der Regel die Versorgung statt; optimalerweise bündelt ein Chairman die diversen Bereiche und gibt Grundlinien der Forschungsaktivitäten vor. Demgegenüber stellt sich die Situation in Deutschland folgendermaßen dar: Im Durchschnitt betreiben 1 bis 2 Professoren mit 12 Mitarbeitern Forschung, wobei diese bei fehlender Trennungsrechnung auch Der Nervenarzt 11 · 2013 

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Originalien Tab. 3  Publikationen zu Schizophrenie – beste Positionen deutscher Institutionen und

Autoren (insg. 48.893 Artikel, 2002–2012) Anzahl Publikationen Autor 244 177 150 135 29 Standorta Universität München: 562 Universität Bonn: 430 Charité Medizinische Universität Berlin: 326 Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: 306 Max-Planck-Gesellschaft: 303

Platzierung 2. 9. 16. 25. 29. 20. 34. 62. 68. 69.

aIn der Auflistung der Standorte wird die Anzahl der Publikationen einzelner Institute in einem Klinik- bzw.

Forschungsverbund zusammengefasst, d. h. verschiedene Campi oder assoziierte Institute, für die Universität Heidelberg etwa auch das Zentralinstitut Seelische Gesundheit.

Tab. 4  Publikationen zu Alkoholabhängigkeit – beste Positionen deutscher Institutionen

und Autoren (insg. 2.321 Artikel, 2002–2012) Anzahl Publikationen Autor 10 9 8 7 7 Standorta Charité Medizinische Universität Berlin: 17 Universität Hamburg: 14 Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: 13

Platzierung 26. 33. 55. 79. 80. 44. 65. 70.

aIn der Auflistung der Standorte wird die Anzahl der Publikationen einzelner Institute in einem Klinik- bzw.

Forschungsverbund zusammengefasst, d. h. verschiedene Campi oder assoziierte Institute, für die Universität Heidelberg etwa auch das Zentralinstitut Seelische Gesundheit.

Versorgung und Lehre mit abdecken müssen. Sie bearbeiten hierbei ca. 3 bis 4 Themenbereiche (s. hierzu auch . Abb. 3) und müssen hierzu verschiedene Methoden beherrschen. Angesichts der genannten Situation ertönen immer wieder Rufe nach der Bildung vergleichbarer Einrichtungen mit „Departmentstruktur“, welche zu einer besseren Produktivität führen sollen. Nun stellt sich die Frage, ob ein solcher Umbau zielführend wäre. Sicherlich bestünde ein erster richtiger Schritt darin, im Rahmen einer Trennungsrechnung zu identifizieren, welche Stellen tatsächlich für Forschung und Lehre zur Verfügung stehen. Und sicher wäre es vorteilhafter, eine dieser Stellen der Lehrkoordination vorzubehalten, um letztendlich die in Wissenschaft und Versorgung Tätigen

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Der Nervenarzt 11 · 2013

z. B. von der Belastung durch die Lehrkoordination zu befreien. Allerdings ist diskutabel, ob es richtig ist, wissenschaftlich Tätige von jeglichen klinischen Verantwortlichkeiten freizustellen. Gesucht wird letztlich nicht nur der Grundlagenforscher, der wichtige Mechanismen bearbeitet, hochrangig publiziert und im großen Maße Drittmittel einwirbt, sondern auch der Facharzt/Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, der die Translation von den Grundlagen in die klinische Anwendung bewerkstelligen kann, Praxisbezug und Methodenkompetenz beherrscht und darüber hinaus relevante pathogenetische, aber auch therapeutische Fragestellungen zu bearbeiten und beantworten in der Lage ist. Solche Personen werden in Forschungsverbünden im gleichen Maße exzellente Publikationen hervorbrin-

gen und substanziell Drittmittel einwerben. Hierzu gilt es aber, in den Institutionen ein System zu schaffen, welches für den medizinischen Nachwuchs Freiräume schafft, um erfolgreich Versorgung und Wissenschaft integrieren zu können. Ein Schritt in diese Richtung wären regelmäßige initiale Rotationen zum Erwerb neuer Techniken, z. B. bei einer Arbeitsgruppe außerhalb Deutschlands, samt Anwendung dieser Technik nach Rückkehr zusammen mit anderen erfahrenen Wissenschaftlern vor Ort, um schließlich den Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe zu ermöglichen. Ein solcher Ansatz setzt selbstverständlich eine relativ frühe und intensive Nachwuchsberatung voraus, welche die Entscheidung gestattet, ob man primär in der Versorgung tätig sein möchte oder aber den Weg einer akademischen Laufbahn wählt. Will man den internationalen Stellenwert psychiatrischer Wissenschaftler und Standorte in Deutschland beurteilen, bietet sich das Vorgehen von Hacke et al. [5] an. Dementsprechend wurde für diese Publikation die Anzahl der Veröffentlichungen für die Themengebiete „Schizophrenie“, „Major-Depression“ und „Alkoholabhängigkeit“ nach Personen und Standorten im Web of Science geprüft. Für diese zentralen Themenfelder liegen deutsche Institutionen weltweit auf Platz 3 (Schizophrenie und Alkoholabhängigkeit) und einmal auf Platz 2 (Major-Depression) hinter den USA bzw. England und Kanada (. Tab. 1).

Platzierung deutscher Institutionen und Autoren

Darüber hinaus wurde für die gleichen Erkrankungen eine Platzierung der Institutionen und deutscher Autoren abgerufen. Hierbei ergab sich, dass deutsche Universitätskliniken bzw. das MaxPlanck-Institut für Psychiatrie international sehr gut positioniert sind und darüber hinaus deutschsprachige Autoren z. B. bei der Schizophrenie oder auch der Major-Depression unter den ersten 10 Autoren weltweit in Bezug auf die Anzahl der Publikationen liegen (. Tab. 2, 3, 4). Insofern kann an dieser Stelle zusammengefasst werden, dass der Forschungsstandort Deutschland auf dem Gebiet der Psychiatrie und Psychotherapie mit der dargestell-

Originalien 160 140

Psychiatrie

Neurologie

120 49

100 80 60

27

32

40 20 0

78 59

48

2008 6,6

2009

2010

10,1

6,9

Fördersummen (Mio. €)

26 40

43

44

40

2009

2010

68

2008 8,9

9,1 Fördersummen (Mio. €)

Anzahl bewilligter Anträge

Anzahl abgelehnter Anträge

ten Grundausstattung und Fördersituation in der Lage ist, international Spitzenplätze einzunehmen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass methoden- bzw. verfahrensfokussierte Forschungsaktivitäten wie Neuroimaging oder Molekulargenetik nicht berücksichtigt worden sind. In diesen Bereichen wird oft diagnosenübergreifend, translational und auch grundlagenwissenschaftlich in den psychiatrischen Kliniken gearbeitet, wie beispielhaft am Standort Aachen mit dem JARAVerbund (Jülich-Aachener Research Alliance) interdisziplinär mit Methoden der Bildgebung exzellente Forschungsarbeit geleistet wird.

chen Fächern. Ein direkter Vergleich zwischen Psychiatrie und Neurologie für die bewilligten und abgelehnten Förderanträge bei der DFG zeigt eine vergleichbare Förderquote beider Fächer (. Abb. 10). Um die Förderung psychiatrisch-psychotherapeutischer Forschungsprojekte durch DFG, BMBF und EU zu erhöhen, ist es umso wichtiger, die Anzahl der geförderten Forschungsprojekte zu erhöhen. Hierzu muss der Nachwuchs in der Beantragung von Drittmitteln besser geschult, eine Kultur zu regelmäßigen Antragstellungen gefördert und die Präsenz von Psychiatern in den Förderorganisationen verbessert werden.

Interdisziplinärer Vergleich

Diskussion und Limitierungen

Neben einem Benchmarking im internationalen Vergleich ist es für die psychiatrische Forschung in Deutschland allerdings auch unabdingbar, sich mit benachbarten neurowissenschaftlichen Disziplinen zu vergleichen. In der Einwerbung von Drittmitteln konkurrieren psychiatrische Institutionen etwa mit der Neurologie oder klinischen Psychologie. Beim Vergleich der bewilligten Fördermittel laufender BMBF-Förderprojekte für das Jahr 2010 wird psychiatrisch-psychotherapeutische Forschung in Deutschland durch die Drittmittelgeber national und international erheblich gefördert (. Abb. 9) und steht in Konkurrenz zu den anderen neurowissenschaftli-

Die vorgelegte Befragung ist ein erster Schritt, den Stand der psychiatrischpsychotherapeutischen Forschung in Deutschland zusammenfassend darzulegen. Sie verfehlt den Anspruch einer Vollerhebung und basiert zudem überwiegend auf Schätzungen. Eine Nachbesprechung des Fragenkatalogs im Rahmen der Lehrstuhlinhaberkonferenz für Psychiatrie und Psychotherapie des Jahres 2011 ergab, dass die Fragen teilweise so detailliert gestellt waren, dass sich zentrale Kennzahlen nicht ohne aufwendige Recherchen ausfüllen ließen. Entsprechend sollten bei zukünftigen Befragungen die Fragenkataloge im Vorfeld besprochen und konsentiert werden, um eine vollständi-

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Abb. 10 9 Vergleich der bewilligten und abgelehnten DFG-Förderanträge sowie der Fördersummen durch die DFG für die Fächer Psychiatrie und Neurologie

gere Rücklaufquote zu gewährleisten. Zu beachten ist außerdem, dass die Institutionen unter Angabe ihres Standortes antworten sollten. Verschiedene telefonische Rückfragen machten zum einen das Interesse an der Thematik deutlich, ließen aber auch eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Verwendung der Angaben deutlich werden. Letztlich lässt sich der Einfluss einer Antwortverzerrung z. B. im Sinne der sozialen Erwünschtheit in der Befragung nicht ausschließen. Das nationale Ranking von Fachbereichen oder Institutionen hat in Deutschland weit weniger Tradition als etwa in den USA. Vor diesem Hintergrund scheint die Skepsis der Institutionen nachvollziehbar und es bleibt zu hoffen, dass eine differenzierte Berücksichtigung von personellen Ressourcen einerseits, die Themenwahl sowie eine zukünftig standardisierte und nachvollziehbar erhobene Kennzahl von Outcome-Faktoren andererseits die Bereitschaft erhöhen wird, sich daran zu beteiligen, ein vollständigeres Bild der psychiatrischen Forschungslandschaft in Deutschland zu zeichnen. Im Hinblick auf begrenzte Forschungsressourcen kann nur die differenzierte Evaluation von Erfolgen und Mängeln aufzeigen, wo Potenziale in Zukunft ausgeschöpft werden können, um im internationalen, aber auch im interdisziplinären Vergleich bestehen zu können.

Fachnachrichten Schlussfolgerungen Abschließend kann festgehalten werden, dass psychiatrische Forschung in Deutschland bezüglich der Publikationsleistung weltweit Spitzenpositionen einnimmt. Die Etablierung eines Deutschen Zentrums für psychische Erkrankungen würde diese Exzellenz bündeln und eine nachhaltige Translation ermöglichen, um den gewünschten Transfer der Forschungsergebnisse in die Versorgungspraxis zu leisten. Dies würde sich einerseits auf die genannten diagnostischen Schwerpunkte beziehen, aber auch auf die an einzelnen Standorten vorhandene besondere Forschungsleistung in Neuroimaging bzw. Molekulargenetik.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. P. Falkai Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,   Ludwig-Maximilians-Universität München Nussbaumstr. 7, 80336 München [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien  Interessenkonflikt:  P. Falkai, F. Schneider, H. Sauer, J. Amlacher, C. Schneller und W. Maier geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.    Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren

Literatur   1. Bloom DE, Cafiero ET, Jané-Llopis E, AbrahamsGessel S et al (2011) The global economic burden of noncommunicable diseases. Geneva: World Economic Forum. http://www3.weforum.org/ docs/WEF_Harvard_HE_GlobalEconomicBurdenNonCommunicableDiseases_2011.pdf   2. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) (2011) Fragebogen zur psychiatrischen Forschungslandschaft. http://www.dgppn.de/ schwerpunkte/wifo.html   3. Fortin JM, Currie D (2013) Big science vs. little science: How scientific impact scales with funding. PLoS One 8(6):e65263   4. Gaebel W, Zielasek J, Kowitz S, Fritze J (2011) Patienten mit psychischen Störungen. Oft am Spezialisten vorbei. Dtsch Ärztebl 108(26):A-1476/B1245/C-1241   5. Hacke W, Diener HC, Hartung HP et al (2009) Messung von Publikationsleistungen. Nervenarzt 80(10):1226–1238

  6. Maier W, Schneider F, Falkai P (2010) Stellungnahme der DGPPN zum Stand der Forschung in Psychiatrie und Psychotherapie. Nervenarzt 81(5):639– 645   7. Michalopoulos A, Bliziotis IA, Rizos M, Falagas ME (2005) Worldwide research productivity in critical care medicine. Crit Care 9(3):R258–R265   8. Statistisches Bundesamt (Hrsg) (2011) Tiefgegliederte Diagnosedaten der Krankenhauspatientinnen und -patienten 2010. https://www.destatis. de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/ Krankenhaeuser/TiefgegliederteDiagnosedaten. html   9. TSL Education (Hrsg) (2012) The Times Higher Education World University Rankings. http://www.timeshighereducation.co.uk/world-university-rankings/2012/reputation-ranking 10. Wittchen HU, Jacobi F, Mack S, Gerschler A et al (2012) Was sind die häufigsten psychischen Störungen in Deutschland? Erste Ergebnisse der „Zusatzuntersuchung psychische Gesundheit“ (DEGSMHS). Bundesgesundheitsbl 55(8):988–989

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Erfolg beim Kampf gegen Anorexia nervosa Eine Magersucht lässt sich in den meisten Fällen mit Psychotherapie bessern. Dies belege die weltweit größte Therapiestudie, die an deutschen Universitäten durchgeführt wurde, teilt die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) mit. Die Studie ANTOP (kurz für „Anorexia Nervosa Treatment of Out Patients“) unter der Leitung von Professor Zipfel aus Tübingen und Professor Herzog aus Heidelberg verglich erstmals die herkömmliche Psychotherapie mit zwei neuen Verfahren, die speziell für die ambulante Behandlung entwickelt wurden. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse (Lancet 2013, online 14. Oktober) stellen die Therapie der Magersucht nach Ansicht der DGPM auf eine neue, wissenschaftlich fundierte Grundlage. Beteiligt waren 242 erwachsene Frauen mit Magersucht, die nach einem Losverfahren auf drei Gruppen verteilt wurden. In einer Gruppe erhielten die Patientinnen eine intensive Regelversorgung. In den beiden anderen Gruppen kamen zwei speziell für die Anorexie entwickelte Psychotherapien zum Einsatz. Dies war zum einen eine Variante der kognitiven Verhaltenstherapie, zum anderen die fokale psychodynamische Psychotherapie, eine Weiterentwicklung der Psychoanalyse. Letztere sucht nach den tiefer liegenden Ursachen der Essstörung. Alle Therapien dauerten zehn Monate. Die magersüchtigen Patientinnen, die zuvor im Durchschnitt nur 46,5 Kilo wogen, hätten dabei langsam, aber stetig an Gewicht zugelegt, berichtet die DGPM. Und in allen drei Studienarmen habe sich die Erholung nach dem Ende der Therapie fortgesetzt. Die Studie zeigt: Erwachsene Patientinnen haben durch die spezifischen Therapien eine realistische Chance auf eine Heilung oder zumindest nachhaltige Besserung. Doch das gilt nicht für alle, ein Viertel der Patientinnen litt ein Jahr nach Ende der Therapie noch immer an einer voll ausgeprägten Magersucht. Quelle: Ärzte Zeitung online, www.aerztezeitung.de

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[Psychiatric psychotherapeutic research in Germany: taking stock and international comparison].

This article is based on an evaluation carried out by the DGPPN in 2011 surveying 50 German university and non-university institutions about the scien...
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