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Psychosoziale N achsorge: Untersuchungen zum Stellenwert psychosozialer Maßnahmen in der klinischen Praxis Anne Maria Leimkühler Forschungsstelle für Psychiatrische Soziologie, Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität DüsseldorfRheinische Landesklinik, Düsseldorf

The present study analyses aftercare planning for 2.536 Patients of the Psychiatric Hospital of the University of Düsseldorf. Data were collected from the Psychiatric Basis Documentation and on the basis of hospital reports on 100 schizophrenic patients taken from the same sampIe. All statements concerning aftercare and discharge planning in the hospital reports were submitted to content analysis. Results indicate a remarkable discrepancy between psychopharmacological and psychosocial aftercare, especially for schizophrenic patients. Possible conditions which strengthen biomedical thinking to the disadvantage of psychosocial aftercare are discussed.

1. Einleitung

Nachsorge ist "ein bislang in der Bundesrepublik völlig vernachlässigter und kaum erforschter Bereich" (Bossong 1988). Diesem Mangel auf Forschungsebene entspricht ein Mangel auf der Praxisebene, dem bereits 1975 Bosch und Pietzcker sowie Dilling und Weyerer im Rahmen der Psychiatrie-Enquete empirisch nachgegangen sind. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß stationär behandelte psychiatrische Patienten häufig schlecht und vielfach gar nicht (nervenärztlich) nachbetreut werden. Nach Angaben aus den USA erhalten zwischen 30 und 70 % der entlassenen Patienten keine nachgehende Betreuung (Wegener et al. 1984). Unabhängig davon wird der Bedarf an ambulanter Nachsorge von Psychiatern als insgesamt hoch eingeschätzt (Dilling, Weyerer 1975; Geers, Müller 1984; Bell et al. 1983), auch wenn innerhalb der einzelnen Diagnosegruppen und je nach Chronizität der Erkrankung von unterschiedlichen Nachbetreuungsbedürfnissen und -erfordernissen ausgegangen werden muß (Häfner, An der Heiden 1987). Fortsehr. Neurol. Psychiat. 58(1990) 301- 309 Cl Georg Thieme Verlag Stuttgart· New York

Zusammenfassung

Für eine Patientenpopulation der Psychiatrischen Klinik der Universität Düsseldorf - Rheinische LandeskIinik (n = 2.536) wurde die klinische Nachsorgeplanung retrospektiv untersucht. Dabei wurden sowohl Daten der psychiatrischen Basisdokumentation als auch die Krankengeschichten von 100 schizophrenen Patienten ausgewertet, welche Aufschluß über handlungsleitende Denkmuster der Psychiater bei der Entlassungs- und Nachsorgeplanung geben sollten. Insgesamt verweisen quantitative und inhaltsanalytische Befunde auf eine große Diskrepanz zwischen psychopharmakologischer und psychosozialer Nachsorge, insbesondere bei der Nachbetreuung schizophrener Patienten. Mögliche Gründe für das Vorherrschen des biomedizinischen Paradigmas zuungunsten einer psychosozialen Nachsorge werden diskutiert.

Nachsorge impliziert auf der einen Seite ihre bedarfsgerechte Vorbereitung in der Klinik, auf der anderen Seite die Bereitschaft des Patienten, Nachsorgeangebote zu nutzen, damit Wiedereinweisungen vermieden werden können. Ob die ambulante Nachbetreuung eines Patienten erfolgreich war oder nicht, läßt sich für den Kliniker de facto nur an dessen Wiederaufnahme ablesen. Studien aus der Bundesrepublik und den USA weisen übereinstimmend daraufhin, daß fehlende Nachsorge weniger den Patienten als den mit der Nachsorge betrauten Institutionen anzulasten ist. So haben amerikanische Untersuchungen gezeigt, daß der wichtigste Faktor für eine erfolgreiche Nachsorge unter allen Patienten- und Situationsvariablen ihre Vorbereitung während des stationären Aufenthalts des Patienten war (Bogin et al. 1984). Eine Verweigerung ambulanter Betreuungsmöglichkeiten ist eher dann zu erwarten, wenn diese nicht personell oder institutionell von denen getragen werden, die auch für die stationäre Therapie zuständig waren (Bauer 1980). Auch Wasylenki et al. (1981) kamen zu dem Schluß, daß Vermittlung wie Inanspruchnahme von Nachsorge weniger eine Folge der Motivation des Patienten als eine Folge inadäquater Entlassungsplanung darstellt. Den Grund für eine inadäquate Entlassungsplanung sahen die Autoren

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Psychosocial FoUow-Up: Studies on the Ranking ofPsychosocial Measures in Oinical Practice

Fortsehr. Neuro/. Psychiat. 58 (1990)

neben der mangelnden Kenntnis ambulanter Betreuungsmöglichkeiten seitens des Personals in dessen selektiver Wahrnehmung der Patientenbedürfnisse unter der Prämisse eines rein medizinischen Denkansatzes: So wurden Nachsorgebedürfnisse der Patienten eher als medizinisch wahrgenommen, als daß sie im psychosozialen Bereich vermutet würden. Diese Deutungen stützen Befunde von Geers und Müller (1984) zur Diskrepanz zwischen den Wünschen schizophrener Patienten und den Empfehlungen ihrer Ärzte zur Nachsorge: Während sich die Patienten bei differenzierten Nachsorgeangeboten gleichermaßen Medikamente und Psychotherapie wünschen, empfehlen die Ärzte fast stets eine (ausschließlich) pharmakologische Therapie, aber kaum psychotherapeutische Maßnahmen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine geringe Compliance daher kaum verwunderlich. Die nachgewiesenen Mängel in der institutionellen Nachsorgeplanung haben in den USA zum Konzept eines neuen Berufsbildes geführt, des in das Behandlungsteam integrierten "Nachsorgeplaners" ("enabler", "rehabilitation practitioner", "case manager" oder "referral coordinator"), dessen einzige Aufgabe darin besteht, den Übergang des Patienten von der Klinik in die Gemeinde zu organisieren. Studien über den Einsatz derartiger Nachsorgeplaner (z. B. Bogin et a1. 1984) berichten von positiven Effekten auf die Compliance insbesondere schwieriger Patientengruppen. Compliance als Voraussetzung einer effizienten Nachsorge muß also wesentlich als eine Funktion der professionellen Nachsorgegestaltung interpretiert werden. Zur Frage, ob Nachsorge die Anzahl stationärer Wiederaufnahmen vermindert, liegen widersprüchliche Ergebnisse vor. Während wiederholt berichtet wurde, daß Patienten, die nach ihrer stationären Entlassung eine aftercare dinic konsultierten, eine vergleichsweise geringere Wiederaufnahmehäufigkeit aufwiesen, fanden Anthony und Buell (1973), daß die Wirksamkeit einer solchen aftercare dinic weniger mit der Qualität ihrer Behandlungsmaßnahmen korrelierte, sondern eher als eine Funktion der demographischen Merkmale ihrer Nutzer interpretiert werden mußte. Nach anderen Ergebnissen führt ein differenziertes Nachsorgeangebot bzw. die Inanspruchnahme ambulanter Einrichtungen sogar zu einer höheren Wiederaufnahmerate (Pietzcker et a1. 1982, Tardiff 1977). Eine steigende Kontakthäufigkeit mit ambulanten Diensten kann dabei durchaus mit einer höheren Wiederaufnahmewahrscheinlichkeit einhergehen (Mayer et a1. 1973; Cottman, Mezey 1976). Zu ähnlichen Befunden kommen Blumenthai et a1. (1988) bei einem Vergleich wiedereingewiesener und nicht wiedereingewiesener Patienten: Letztere hatten einen weniger regelmäßigen Kontakt zu Nachsorgeeinrichtungen. Im Gegensatz dazu stehen Berichte von Häfner undAn der Weiden (1987), nach denen sich mit der Häufigkeit ambulanter Kontakte in der Folge die Wiederaufnahmehäufigkeit der (schizophrenen) Patienten reduzierte. Daß die Qualität von Nachsorgeangeboten keine unerhebliche Rolle bei der Senkung stationären Behandlungsbedarfs spielt, zeigen einige amerikanische Studien

Anne Maria Leimküh/er (Wegener et a1. 1984). Der Behandlungsbedarfkonnte nur dort

gesenkt werden, wo intensive und koordinierte Nachsorgeprogramme angeboten wurden. Aus diesen widersprüchlichen Befunden muß gefolgert werden, daß zwischen Nachsorge und Wiederaufnahme kein linearer Zusammenhang besteht, zumindest nicht in dem Sinne, daß eine Reduktion der Wiederaufnahmen zwangsläufig durch ein Mehr an Nachsorge erreicht werden kann oder daß hohe Wiederaufnahmeraten allein durch einen Mangel an Nachsorge erklärt werden könnten. Zwar ist die Bedeutung der neuroleptischen Langzeitmedikation für eine wirksame Rezidivprophylaxe nachgewiesen (u. a. Davis 1980, 1986; Tegeler et a1. 1980; Bergener et a1. 1986; Pruss et al. 1984; Heinrich 1987), doch bleibt die komplexe Problematik der Nachsorge, beginnend mit ihrer Vorbereitung innerhalb der Entlassungsplanung, nach wie vor ein dringlicher Forschungsgegenstand. 2. FragesteUungen und Methodik

In dieser Studie soll zwei Fragestellungen nachgegangen werden: I. An einer Düsseldorfer Patientenpopulation wird untersucht, inwieweit die Empfehlungen der Psychiatrie-Enquete zur Einbeziehung psychosozialer Faktoren nach 15 Jahren in diagnostische, therapeutische und rehabilitative Überlegungen in die von der psychiatrischen Klinik verantworteten Nachsorgeorganisation eingegangen sind. Eine Voraussetzung der Untersuchung ist der gut ausgebaute ambulante Versorgungsbereich der Stadt Düsseldorf, in dem differenzierte Nachsorgemöglichkeiten zur Verfügung stehen. 2. Die zweite Fragestellung richtet sich auf den Zusammenhang von Entlassungsbegründungen und -planungen mit der klinikinternen Nachsorgevorbereitung. Ist die Nachsorgevorbereitung als Bestandteil der Entlassungsplanung erkennbar? Hier soll untersucht werden, ob und in weIchem Umfang die Dokumentation nachsorgerelevanter Bemühungen in den Krankengeschichten handlungsleitende Denkmuster der Psychiater erkennen läßt. Durch den ausschließlichen Zugriff auf schizophrene Patienten läßt sich gleichzeitig überprüfen, ob die in der Literatur vorherrschende und empirisch bestätigte Auffassung, daß eine Kombination von psychopharmakologischer und psychosozialer Nachbetreuung die optimale Form der Nachbetreuung für schizophrene Patienten darstellt (RiedeIl 1980), Bestandteil der alltäglichen klinischen Nachsorgeplanung geworden ist. Als Datenbasis für die erste Fragestellung dienten Auszüge aus Erhebungen der psychiatrischen Basisdokumentation des Landschaftsverbandes Rheinland I) (DUfing et a1. 1983) aus den Jahren 1986 und 1987. Die Untersuchungspopulation bilden alle in Düsseldorf wohnhaften Patienten, die mindestens einmal im Untersuchungszeitraum in die Rheinische Landesklinik - Psychiatrische Universitätsklinik aufgenommen wurden, wobei nur der jeweils letzte Aufenthalt erfaßt wird. Dies ermöglicht patientenbezogene Aussagen. Als Indikatoren werden die Verteilung von Nachsorgeplanung wie Formen der Nachsorge in Abhängigkeit von diagnostischen und soziodemographischen Variablen untersucht.

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Psychosoziale Nachsorge: Untersuchungen zum Stellenwert psychosozialer Maßnahmen

Als Instrumente der Dokumentenanalyse dienten ein für die Fragestellung konzipierter standardisierter Erfassungsbogen für Angaben zur Nachsorgevorbereitung sowie die Inhaltsanalyse von Textteilen aus den Verlaufsbeschreibungen und Entlassungsberichten (Arztbriefen), die sich auf Entlassungsbegründungen und Nachsorgeplanung beziehen. Die Inhaltsanalyse ist eine sozialwissenschaftliche Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von objektiv feststellbaren Kommunikationsinhalten als Indikatoren (manifesten Textteilen) auf Einstellungen und Wertsysteme der Textproduzenten (nicht manifester Kontext) geschlossen wird (Merten 1983). Soziale Wirklichkeit ist hier in doppeltem Sinn als "Konstruktion von Realität" (Berger, Luckmann 1980) zu verstehen, als über die Dokumentation ärztlichen Handeins in den Krankengeschichten eine zweite Ebene von Realität konstruiert wird, die wiederum handlungsleitend für die Textproduzenten/Ärzte ist. Bei der Inhaltsanalyse wird vorausgesetzt, daß die vorhandenen Inhalte nicht durch den Inhaltsanalytiker verzerrt werden können, da dieser bei der Textproduktion nicht präsent ist, insofern handelt es sich um ein nicht reaktives Verfahren. In bezug auf unsere Fragestellung können mit der Inhaltsanalyse keine Aussagen über die real existierende Nachsorgeplanung gemacht werden, wohl aber über Denk- und Handlungsorientierungen, die durch andere Erhebungsverfahren wie etwa dem der Beobachtung konfundiert würden. 3. Ergebnisse

3.1 Nachsorgeplanung im Spiegel der psychiatrischen Basisdokumentation Im Untersuchungszeitraum der Jahre 1986 und 1987 wurden 2.536 in Düsseldorf wohnhafte Patienten mindestens einmal in unsere Klinik aufgenommen. Von diesen Patienten waren 60% bereits zuvor in unserer Klinik stationär behandelt worden. 29% der Patienten hatten bis zu zwei, 16 % bis zu fünf und 12 % mehr als fünf stationäre Aufenthalte hinter sich. Auch in unserer Population haben schizophrene Patienten ein höheres Wiederaufnahmerisiko als alle anderen Diagnosegruppen, 75 % der Schizophrenen wurden mehr als einmal wieder hospitalisiert, 42 % hatten sogar mehr als fünfWiedereinweisungen hinter sich. Für etwa~eden zweiten Patienten (53,3 %) wurden Nachbetreuungen 2 vorbereitet, deren diagnosespezifische Verteilung Abb. I zu entnehmen ist. Danach wurde bei Alkohol- und Suchtkranken sowie bei Alterspatienten mit Abstand am häufigsten eine Nachsorgeplanung (75,6% und 69,9%) vorgenommen. Bei Patienten mit Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und psychosomatischen Erkrankungen

Patienten

303

Neehbetreuung vorbereitet nech Di~

1200./]

I

'-i I

941

I:

~11 eoo-j

666

'::::1I

11

11

413

orgenllChe Ptyc:hoten

scl'llzo. und

NeurOlen psycholOmet. Erkrenkungen

paranoide

Syndrome

Alterl-

Alkohol· u.

psycho.,

Suchtkranke

Diagnote

Abb.1

"GeUmtz.8hl

Patienten

~ Nachbetreuung

vorbereitet

wurde lediglich für jeden vierten (27,1 %) eine Nachsorge geplant. Nimmt man aus der Gesamtpopulation den Anteil der Alkohol- und Suchtkranken heraus, rur die besonders häufig Nachsorge vorbereitet wird, so sinkt der Anteil der Patienten, die Nachsorge erhalten sollen, auf 40 %. Alkohol- und Suchtkranke sowie geriatrische Patienten kommen nicht nur besonders häufig in den Genuß von Nachsorgeplanung, bei ihnen lassen sich auch "typische" Nachbetreuungsformen erkennen (Tab. I): bei ersteren fällt ein überproportional hoher Anteil an Selbsthilfegruppen (einschließlich Patientenclubs) auf (55,3 %), bei letzteren die Vorbereitung einer Heimverlegung für etwa jeden dritten Patienten (Leimkühler 1989). Die Verteilung der Nachsorgeformen ergibt, daß fast jeder, der einer Selbsthilfegruppe zugewiesen wird, ein Suchtpatient ist (86,5%) und etwa jeder zweite Patient, der in ein Heim verlegt wird, ein Alterspatient ist (46,7%). Die verschiedenen Formen professioneller ambulanter Dienste werden am ehesten den schizophrenen/paranoiden Patienten (36%) empfohlen. Bemerkenswert ist der Befund, daß, verglichen mit der Verteilung der einzelnen Formen von Nachsorge, bis auf Alters- und Suchtpatienten, für alle anderen Patientengruppen keine Nachsorge geplant wird, wobei der Anteil der keine Nachsorgeplanung Erhaltenden mit 33,7% bei den schizophrenen/paranoiden Patienten am höchsten liegt. Ebenso erstaunlich wie schwierig zu interpretieren ist der hohe Anteil der Nachsorge-Kategorie "unbekannt", was insbesondere für Patienten der kleinen Psychiatrie wie für schizophrene/paranoide Patienten gilt. Insgesamt ist für 19 % aller entlassenen Patienten unbekannt, ob für sie irgendeine Form von ambulanter Nachsorge vorbereitet wurde.

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Aus diesem Datenpool wurde zur Bearbeitung der zweiten Fragestellung eine Zufallsstichprobe von 100 schizophrenen Patienten (13 % von n = 760, ICD 295.0 bis 295.7) gezogen.

Fortschr. Neurol. Psychiat. 58 (1990)

Fortschr. Neurol. Psychiat. 58 (1990) Tab. 1

Anne Maria Leimkühler

Nachbetreuungsformen nach Diagnosen

Diagnose

organ. Psych.

schizo. paran. Psych.

affekt. Psych.

Neurosen psychosomat. Erkr.

Nachsorge

abs.

abs.

%

abs.

abs.

% 1

%

Alterspsych.

%

abs.

AlkoholSuchterkrankung %

abs.

%

abs.

%

profess. Dienste 3

16

3,3 21,1 2

176

36,0 26,S

45

9,2 22

82

16,8 19,7

29 12,6

5,9

141 15

28,8

489 19,3

19,3

Selbsthilfe, Pat.-Club

2

0,3 2,6

46

7,3 6,9

14

2,2 6,8

15

2,4 3,6

8 3,5

1,3 57,9

545

86,5

630

24,9

Heime 4

9

4,3 11,8

40

19,0 6,0

15

7,1 7,3

15

7,1 3,6

98 42,4

46,7 3,5

33

15,7

210

8,3

unbekannt

9

1,9

159 11,8

33,0

36 23,9

7,5

109 17,6

22,6

13 26,3

2,7 5,6

156

32,4 16,6

482

19

3

665

26,2

205

8,1

416

16,4

231

9,1

942

37,2

2535

100

I:

76

Zeilenprozente Spaltenprozente Die im Fragebogen der Basisdokumentation aufgeführten Kategorien werden als ,professionelle Dienste' zusammengefaßt und beinhalten im einzelnen: psychologische Therapie, Beratung, allgemeiner sozialer und psychosozialer Dienst, Behindertenwerkstatt, schulpsychologischer Dienst, Jugendamt, sonstige. Die Kategorie ,Heime" beinhaltet: psychiatrische Übergangsheime und sonstige Heime.

Als mögliche Erklärung könnte man mangelnde Kenntnis der Ärzte über Aktivitäten bei Nachsorgevorbereitungen vermuten bzw. mangelnden Informationstluß zwischen Ptlegepersonal, Sozialdienst und Ärzten. Ein Zusammenhang von Nachsorgeplanung und soziodemographischen Merkmalen der Patienten läßt sich nur für den Familienstand bzw. die Wohnsituation nachweisen. Alleinlebende erhalten mit 68,9 % mehr als doppelt so häufig Nachsorgeplanungen als Patienten, die mit einem Partner und/oder Kindern zusammenleben (31,1 %). Bei der geschlechtsspezifischen Differenzierung der Nachsorgeplanung lassen sich ebenfalls Unterschiede beobachten, die im wesentlichen aber durch unterschiedliche diagnostische Verteilungen erklärt werden: Dies betrifft die Vermittlung von Selbsthilfegruppen für vor allem männliche Alkohol- und Suchtkranke, die Nachbetreuung durch professionelle Dienste hauptsächlich für weibliche schizophrene Patienten und schließlich die Verlegung in Heime von überwiegend weiblichen Alterspatienten. Insgesamt erhalten weniger Patientinnen (57,4%) als Patienten (42,6%) Vorbereitungen zur Nachsorge. Ob diese Differenz auf einen besseren Gesundheitszustand, ein besseres soziales Stützsystem, ein höheres Selbsthilfepotential, auf eine geringere Motivation der Frauen oder auf geschlechtsspezifische Wahrnehmungsmuster des Klinikpersonals zurückgeführt werden kann, ob sie also auf bedarfsgerechtes oder defizitäres professionelles Handeln verweist, bleibt fraglich. Die dringende Frage nach dem Zusammenhang von Nachsorgeplanung und Wiederaufnahmewahrscheinlichkeit, die sich angesichts der Verteilung der Nachsorgeplanung stellt, insbesondere des hohen Anteils fehlender Nachsorgeorganisation, läßt sich mit den Daten der Basisdokumentation nicht beantworten. Sicherlich tragen unsere Zah-

len aber zur Hypothesenbildung bei, wenn man rekapituliert, daß im Querschnitt auf etwa jeden zweiten rehospitalisierten Patienten knapp zwei Patienten kommen, für die keine Nachsorge vorbereitet wird.

3.2 Nachsorge und Entlassung im Spiegel der Krankengeschichten schizophrener Patienten- Verteilungund Dokumentation von Nachsorge Mit der Analyse von 100 Krankengeschichten schizophrener Patienten wurden insgesamt 334 Entlassungen erfaßt, wobei von 40% der Patienten mit mehr als fünf stationären Aufnahmen nur die jeweils letzten fünf Aufnahmen berücksichtigt wurden. Die in den Krankenakten verzeichnete Nachsorgeplanung zeigt eine auffällige Diskrepanz zwischen psychopharmakologischer und psychosozialer Nachsorge: Während fast alle Patienten (93 %) zur ambulanten Weiterbehandlung an die Poliklinik oder an einen niedergelassenen Nervenarzt verwiesen wurden, wird für etwa ein Drittel (38 'Xi) der Patienten eine nicht medizinische Nachsorge erwähnt. Bezogen auf die Gesamtzahl der Entlassungen (334) ergibt sich eine Relation von 93% medikamentöser zu 14% psychosozialer Nachsorgevorbereitung. Von den 38 Patienten, für die eine nachgehende Betreuung geplant wurde, lehnten 13 Patienten die für sie vorgesehene Nachbetreuungsform ab, so daß keine weiteren Aktivitäten mehr stattfanden. Diese Ablehnung bezog sich in neun Fällen auf die Übersiedlung in ein Übergangswohnheim, die am häufigsten genannte Nachsorgestrategie, wie Tab. 2 zu entnehmen ist. Der gerade bei schizophrenen Patienten hekannte Mangel an Behandlungsmotivation mag sicherlich

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Fortschr. Neurol. Psychiat. 58 (1990)

Tab. 2 Formen der Nachbetreuung fUr schizophrene Patienten

Tab. 3 Wohnsituation schizophrener Patienten nach Geschlecht

Nachbetreuungsformen

Wohnsituation

Männer abs. %

Frauen abs. %

gesamt abs. %

allein

17

39,5

15

28,9

32

33,7

mit Partner oder eigener Familie

10

23,3

27

51,9

37

38,9

mit Eltern(-teil) und/oder Geschwistern

11

25,6

7

13,5

18

18,9

5

11,6

3

5,8

8

8,4

Verlegung bzw. Planung der Verlegung in Übergangswohnheim arbeitsbezogene Nachsorge (beschutzende Werkstatt, Erprobung am Arbeitsplatz, Umschulung)

Anzahl der Vorbereitungen (auf Entlassungen bezogen) 5 (+ 9)'

4 (+ 3)

Gesprächsgruppen (ink!. Patientenclub, Selbsthilfegruppen)

5 (+ 3)

in Wohnheimen

Jugendberatungsstelle

5

gesamt

sozialarbeiterische

4

Nachbetreuung

ambulante Vorstellung auf Station

3

psychologische Betreuung (von Klinik nicht aktiv vorbereitet)

2

ambulante psychiatrische Krankenpflege

2

tagesklinische

Nachbetreuung

Verlegung ins Altenheim Gesprächstherapie Summe

33 (+15)

Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Fälle, wo NachsorgebemUhungen aufgrund des Widerstands der Patienten nicht weiter verfolgt wurden.

z. T. für eine fehlende Nachsorgeplanung verantwortlich sein. Immerhin erfolgen von 334 erfaßten Entlassungen 102 Entlassungen gegen ärztlichen Rat, wobei in 24 Fällen die Behandlung durch den Patienten abgebrochen wurde und in 78 Fällen der Patient auf Wunsch vorzeitig entlassen wurde. Eine kontinuierliche, prognoseorientierte Nachsorgeplanung über mehrere stationäre Aufenthalte hinweg ist kaum zu erkennen. Nur bei sechs Patienten ist ansatzweise ein längerfristiges Nachsorgekonzept feststellbar, wenn beispielsweise über zwei bis drei Aufnahmen ein und dieselbe Nachbetreuungsform (z. B. Jugendberatungsstelle) erwähnt wird oder explizit von einem "auf Dauer" notwendigen Einzug in eine therpeutische Wohngemeinschaft gesprochen wird. Eine Prognose ist entsprechend selten nur bei 5% der 334 Entlassungen vermerkt. Hinsichtlich des Zeitpunktes einer konkreten Nachsorgeplanung läßt sich für Patienten, die bis zu fünf Aufnahmen hinter sich haben (60%), feststellen, daß eine Nachbetreuung etwa doppelt so häufig beim ersten stationären Aufenthalt als bei allen weiteren (35,3 % gegenüber 17,6%) dokumentiert wird. Die Überprüfung einer unterschiedlichen Wiederaufnahmefrist bei Patienten, die eine N achsorgevorbereitung erhielten mit denen, die keine erhielten, erbrachte aufgrund des geringen Vorkommens keinen nachweislichen Einfluß der Nachsorgeplanung auf die Wiederaufnahmefrist.

43

100

52

100

95

305

100

Als Prädiktoren der Nachsorgeplanung für schizophrene Patienten erweisen sich Alter, Familienstand, Geschlecht und berufliche Situation: Der idealtypische Patient, für den eine Nachsorge geplant wird, ist nach unseren Daten der junge, arbeitslose und unverheiratete bzw. alleinstehende Mann, also der "klassische" Patiententypus der sozialpsychologischen Schizophrenieforschung. Die signifikant häufigere Nachsorgeplanung für männliche Patienten (16'% gegenüber 9%, p < 0,06) erklärt sich aus der vergleichsweise ungünstigeren sozialen Situation der Männer, wie die Tab. 3 und 4 zeigen. So verteilt sich auch vor allem die berufsbezogene Nachsorge zugunsten der Männer; dagegen wurde nur einer einzigen Patientin eine berufliche Nachsorgestrategie vorgeschlagen. Hinsichtlich des Prädiktors Alter ergibt sich eine häufigere Nachsorgevorbereitung für Patienten bis zu 39 Jahren: Während für die Hälfte aller bis zu 39jährigen Nachsorge vorbereitet wird, geschieht dies nur für etwa jeden vierten Patienten, der 40 Jahre und älter ist (27, I '%). Die oben festgestellte Diskrepanz zwischen der Häufigkeit psychopharmakologischer und psychosozialer Nachsorge läßt sich ebenfalls bei den in den Krankenakten dokumentierten Explorationen beobachten: So beziehen sich Informationen in den Zwischenanamnesen über die Nutzung von Nachsorge durch den Patienten fast ausschließlich auf die mehr oder weniger regelmäßig durchgeführte medikamentöse Nachbehandlung. Ein weiteres Indiz für die N achrangigkeit psychosozialer Nachsorge zeigt sich darin, daß, wenn in den Entlassungsbogen der Basisdokumentation, die für die Hälfte der 334 erfaßten Entlassungen vorlagen, Nachsorgevorbereitungen angegeben sind, diese Angaben weder in den Verlaufsbeschreibungen noch in den Entlassungsberichten dokumentiert sind. Dokumentiert wurden diese nur bei 5,4% der Entlassungen.

Nachsorge und Entlassung TextsteIlen zur Entlassungsbegründung finden sich eher in den Arztbriefen als in den Verlaufsbeschreibungen. Man könnte vermuten, daß durch die komprimierte, meist an einen niedergelassenen Arzt gerichtete und damit in

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Psychosoziale Nachsorge: Untersuchungen zum Stellenwert psychosozialer Maßnahmen

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 58 (1990)

Anne Maria Leimkühler

T8b.4 Berufliche Situation schizophrener Patienten nach Geschlecht beruf!. Situation berufs-/erwerbstätig (Voll-, Teilzeit)

Männer abs. %

Frauen abs. %

gesamt abs. %

8

18,6

11

23,4

19

21,1

arbeitslos

19

44,2

13

27,7

32

35,6

berentet

11

25,6

6

12,8

17

18,9

5

11,6

6

12,8

11

12,2

11

23,4

11

auszubildend Hausfrau/-mann gesamt

43

100

47

100

90

12,2 100

erster Linie medizinische Therapie- und Verlaufsbeschreibung nichtmedizinische Aspekte der Behandlung ausgeklammert würden. Diese mögliche Selektion in der Dokumentation ärztlichen Handelns läßt sich bei einem Vergleich der Inhalte der Arztbriefe und der Inhalte der Verlaufsbeschreibungen jedoch nicht bestätigen: Werden in den Verlaufsbeschreibungen psychosoziale Maßnahmen zur Nachsorge dokumentiert, werden diese auch in den Arztbriefen erwähnt. Die Inhalte dieser unterschiedlichen Texte sind also qualitativ identisch. Die Entlassung eines Patienten erweist sich als weitgehend unabhängig von psychosozialen Nachsorgevorbereitungen, sie wird meist mit dem Erfolg der medikamentösen Therapie begründet, der in erster Linie in der pharmakologisch bedingten Reduktion der akuten psychotischen Symptomatik gesehen wird. Daran orientiert sich die medikamentöse Nachsorge. Die zentrale Bedeutung der Psychopharmakabehandlung vor jeder anderen therapeutischen Maßnahme zeigt sich in folgenden Wahrnehmungsroutinen: Veränderungen im Zustand des Patienten werden primär auf die Wirkung der verabreichten Medikation zurückgeführt. Die Beschreibung von Effekten nichtmedizinischer Maßnahmen gehört zu den Ausnahmefällen, wenn etwa der Referent Psychologe(in) oder psychotherapeutisch interessiert ist. Ansonsten wird das "unauffällige" Verhalten des Patienten auf Station als Erfolg der medikamentösen Therapie interpretiert. Der Zeitpunkt der Entlassung scheint davon abzuhängen, daß die Effekte der medikamentösen Therapie abgeschätzt werden können und der Patient richtig "eingestellt" ist: "Wir behandelten die Patientin mit verschiedenen Neuroleptika. Insgesamt wurde die medikamentöse Therapie 20mal umgestellt, da sich die dauernd psychotisch produktive Symptomatik als sehr therapieresistent erwies" (021).

Als Grund für Wiederaufnahmen wird zunächst vermutet, daß der Patient seine Medikamente nicht regelmäßig genommen habe.

Der Patient wird in der Regel erst dann entlassen, wenn sich der Rückgang der Akutsymptomatik stabilisiert hat, auch wenn dafür z. T. erhebliche neurobiologische Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Im Unterschied zur Akutsymptomatik haben medikamentös kaum zu beeinflussende Verhaltensmerkmale wie emotionaler Rückzug oder auch mangelnde Krankheitseinsicht für die Entlassungsentscheidung eine eher nachrangige Bedeutung: Mehr als jeder zweite schizophrene Patient weist trotz "Stabilisierung" oder "Besserung" seines Zustands bei seiner Entlassung eine Reihe von Restsymptomen bzw. Begleiterscheinungen auf, wobei eine Kombination von mangelnder Distanz zum psychotischen Erleben, mangelnde Krankheits- und Behandlungseinsicht sowie mangelnde Schwingungsfähigkeit am häufigsten genannt wird. Auch wenn durch die Abdeckung der subjektiven Problematik des Patienten quasi objektive Beobachtungen von Veränderungen seines Zustandes möglich werden, scheint es aber keine "objektiven" Parameter für seine Entlassungsfähigkeit zu geben: So wird z.B. ein Zustandsbild, im Entlassungsbericht gekennzeichnet durch eine eingeengte affektive Schwingungsfähigkeit, eine partielle Krankheitseinsicht und einen gestörten formalen Gedankengang als "gut gebessert" bezeichnet, ein anderes Zustandsbild mit Dissimulierung des WahnerIebens sowie fehlender Krankheits- und Behandlungseinsicht als "wenig gebessert", ein weiteres Zustandsbild mit einer parathym gefärbten Residualsymptomatik als "deutlich gebessert" oder es gilt schließlich ein Zustandsbild trotz Weiterbestehens eines "bekannten Defektsyndroms" als "vollkommen remittiert". Die Entlassungsfähigkeit des Patienten stellt sich nach Ergebnissen der Aktenanalyse als ein Konstrukt des Arztes dar, das sich einerseits aus Angaben des Patienten über subjektives Wohlbefinden und andererseits aus "objektiv" zu beobachtendem unauffälligen Verhalten des Patienten auf Station zusammensetzt, wobei diese Verhaltenserwartungen an normierten mittelschichtsspezifischen Ordnungsvorstellungen orientiert sind. Die Station erscheint - trotz ihres künstlichen Milieus - als Erprobungsfeld für die Belastbarkeit des Patienten auch außerhalb der Klinik. Für das erwünschte "unauffällige" Verhalten des Patienten gelten folgende Kriterien, die in den Entlassungsbegründungen mehr oder weniger standardisiert aufgezählt sind: Patient nimmt am Stationsleben teil, hat (regen) Kontakt zu Mitpatienten, Patient ist freundlich, schwingungsfähig, sein Gedankengang ist geordnet, Patient kann sich von psychotischen Inhalten distanzieren, Patient ist weder selbst- noch fremdgefährdend und Belastungsurlaube am Wochenende verlaufen problemlos.

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Psychosoziale Nachsorge: Untersuchungen zum Stellenwert psychosozialer Maßnahmen

"Seit Ende Mai berichtete der Patient permanent über Wohlbefinden und Ausgeglichenheit. Er wurde in kompensiertem Zustand nach Hause entlassen" (024). "Unter neuroleptischer Therapie besserte sich der Zustand deutlich. Der Patient gab wieder subjektives Wohlbefinden und Appetit an, nahm regelmäßig an der Arbeitstherapie teil" (002). "Der Patient wurde (nach Gabe eines Neuroleptikums, A. M. L.) freundlicher, zugänglicher und gewann täglich mehr an Krankheitseinsicht. Geländeausgänge verliefen komplikationslos. Der Patient begab sich während seiner stationären Behandlung in seine Wohnung und reinigte diese gründlich" (006). "Da Herr M. vor Entlassung aktiv seinen täglichen Verrichtungen nachging, geordnet und umgänglich mit den Mitpatienten umging und somit weder für sich noch für andere eine Gefährdung darstellte, zuverlässig von den Ausgängen zurückkam und glaubhaft versprach, seine Medikamente einzunehmen, die er im übrigen auf Station ohne Schwierigkeiten zu sich nahm, entscWossen wir uns zur Entlassung" (096).

Die glaubhafte Bereitschaft des Patienten zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme nach seiner Entlassung ist von einiger Bedeutung für die Entlassungsentscheidung, da der Zustand des Patienten primär auf die Wirkung der Psychopharmaka zurückgeführt wird: Nachsorge erscheint in diesem Denkmuster als ambulante Fortsetzung der medikamentösen Therapie. Als Zeichen guter Kooperation wird dann folgendes Patientenverhalten interpretiert: "Obwohl bei dem Patienten keine stabile Krankheitseinsicht bestand, nahm er dennoch regelmäßig zuverlässig seine Medikamente ein" (094).

Entsprechend wird dann auch für einen 51jährigen Patienten gefolgert, der wiederum in die Wohnung seiner Mutter entlassen wird, da keine eigene Wohnung ftir ihn gefunden werden konnte: "Solange der Patient regelmäßig sein Depot-Neuroleptikum erhält, würden dort wahrscheinlich keine Schwierigkeiten auftreten" (002).

Innerhalb emes vornehmlich medizinisch orientierten Nachsorgekonzeptes werden den Angehörigen des Patienten im wesentlichen zwei Funktionen zugeschrieben: I.

Sie garantieren die alltägliche praktische Versorgung des Patienten und ein Mindestmaß an psychosozialer Integration bzw. werden dazu herangezogen, weshalb in den meisten Fällen auf eine nichtmedizinische Nachsorge verzichtet wird.

"Ihre Töchter hatten fest zugesagt, in Zukunft mehrmals wöchentlich in ihrem Haushalt zu helfen" (020). "Da sich zum Entlassungszeitpunkt der Ehemann in Griechenland aufhielt, wurde der Sohn der Patientin informiert und kümmerte sich um die weitere ambulante Versorgung" (021). "Ihrem Wunsch auf Entlassung entsprachen wir ... insbesondere auch deswegen, weil der Ehemann, der z. Z. Urlaub hat, sich jetzt verstärkt um die Patientin kümmern kann" (023).

307

"Erst gegen Ende der Behandlung wurde die Patientin etwas schwingungsfähiger, so daß auch der behutsam besorgte Ehemann meinte, daß seine Frau jetzt doch zu Hause so gut zurechtkomme, daß sie bald entlassen werden könne, zumal jetzt auch seine Tochter in seinem Haushalt wohne" (026). "Der die Patientin regelmäßig besuchende Freund macht einen zuverlässigen Eindruck" (038).

2.

Die Angehörigen oder enge Bezugspersonen sollen als Kontrollinstanz die regelmäßige Medikamenteneinnahme des Patienten sicherstellen.

"Ansonsten wirken die Kinder der Frau C. derart zuverlässig, daß eine Weiterbehandlung nach der Entlassung gewährleistet sein wird" (061). "Da sich die Patientin an ihrer Arbeitsstelle (Werkstatt für angepaßte Arbeit, A. M. L.) sehr konstant gezeigt hat, andererseits Frau S. (ihre Freundin, A. M. L.) versprach, auf regelmäßige Medikamenteneinnahme bzw. Körperpflege der Patientin zu achten, stimmten wir der Entlassung zu" (056). "Die Prognose schätzen wir als äußerst ungünstig ein, da sie wieder zu ihrer Großmutter zieht, welche erfahrungsgemäß einen schlechten Einfluß bezüglich der Medikamenteneinnahme auf die Patientin ausübt" (065).

4. Schlußbemerkung

Die quantitative wie textanalytische Auswertung des ausgewählten Datenmaterials zur Nachsorgevorbereitung in der Klinik ergibt ein - immer noch - deutliches Defizit an psychosozialer Nachsorgeplanung bei einer Dominanz des symptomorientierten biomedizinischen Paradigmas in Therapie und Nachsorge: Dieses Paradigma bestimmt die Wahrnehmung von Patientenbedürfnissen als primär medizinische Bedürfnisse, die sich auf die Beseitigung akuter psychopathologischer Symptome richten. Der Dominanz biomedizinischer Orientierung liegen neben dem Streben der Psychiatrie nach Anerkennung durch die Organmedizin nicht zuletzt auch strukturelle Merkmale des psychiatrischen Versorgungssystems zugrunde, weIche Kooperation zwischen stationären und ambulanten Einrichtungen behindern, indem sie den Blick auf die eigene Organisation als relativ geschlossenes System fokussieren. Für die stationäre Behandlung psychiatrischer Patienten bedeutet dies - wie auch Fengler und Fengler (1980) aus ethnographischer Sicht beschrieben haben - eine Konzentration auf das hier und jetzt Machbare, das sich durchaus von optimalen Problemlösungen für den Patienten unterscheidet: Dem Arzt " ... geht es vielmehr um eine Veränderung, die mit den hier undjetzt in seinem Handlungsraum gegebenen Mitteln durchführbar und praktikabel ist" (Fengler, Fengler

(1980) 324). Aus diesem strukturellen Rahmen ergibt sich neben der tatsächlichen oder zugeschriebenen Heilwirkung die zentrale instrumentelle Bedeutung der Psychopharmaka für ärztliches Handeln: Zunächst entspricht die Verabreichung von Medikamenten dem gegenwärtigen Rollenverhalten des Arztes. Das

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Einige Textbeispiele dazu:

Fortschr. Neurol. Psychiat. 58 (1990)

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 58 (1990)

Medikament symbolisiert zugleich ärztliche Bemühung, Heilversprechen und Fortschritt der Medizin. Durch das Medikament wird die Krankheit materiell faßbar, Zustandsveränderungen werden im Vergleich zu nichtmedikamentösen Interventionen schneller erreicht. Damit kommt das Medikament dem Handlungs- und Zeitdruck des Arztes entgegen, es spart Zeit und Kosten, ist eine beliebig vermehrbare Ressource und stellt somit mindestens eine Problemlösung für den Arzt dar. Zusammengefaßt führt das sich gegenseitig stabilisierende Bedingungsgefüge von Merkmalen und Lükken der Versorgungsorganisation, biomedizinischem Paradigma, Handlungsdruck und Personalmangel auf Station wie mangelnder Compliance des Patienten (3) dazu, daß die nachstationäre Betreuung des Patienten (insbesondere des schizophrenen Patienten) nicht nur hinter den Erfordernissen, sondern auch hinter den Möglichkeiten zurückbleibt, auch wenn die nervenärztliche Nachbetreuung seit der Enquete deutlich zugenommen hat. I)

Die psychiatrische Basisdokumentation soll primär die empirische Grundlage für Bedarfsplanungen der Trägerverwaltungen bereitstellen, darüber hinaus aber Potential für Studien verschiedenster Fragestellungen bieten, welches allerdings kaum genutzt wird (Bergener et al. 1985). Grenzen der sozialwissenschaftlichen Brauchbarkeit ergeben sich aus dem (trivialerweise) nicht mehr zu kontrollierenden Erhebungsprozeß, wodurch die Gültigkeit der Daten eingeschränkt wird, aus der für Verwaltungszwecke bestimmten Datenauswahl und aus dem meist nominal skalierten Datenniveau, das lediglich die Anwendung deskriptiver statistischer Methoden zuläßt.

2)

Im Entlassungsbogen heißt es: Nachbetreuung, soweit in der Klinik aktiv vorbereitet; drei Nennungen möglich. Die "aktive" Vorbereitung ist jedoch nicht näher definiert. Die Berechnungen basieren ausschließlich auf der ersten Nennung, da die weiteren Nennungen keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen. In 113 Fällen wurde eine zweite Nennung abgegeben, die sich zur Hälfte auf die Selbsthilfegruppen bezieht. Eine dritte Nennung war nur bei 13 Patienten zu verzeichnen.

3)

Mangelnde Compliance ist allerdings nicht als isolierte Patienteneigenschaft, sondern im Zusammenhang mit konkreten Interventionen zu sehen, also auch mit der Art und Weise der Nachsorgevorbereitung und ihrer Integration in das Behandlungskonzept.

Nachwort Der vorliegende Beitrag, der der Ärzteschaft unserer Klinik vorgetragen wurde, stieß auf heftige Kritik. Diese richtete sich auf die Datengewinnung mittels Krankenaktenanalyse mit der Begründung, dadurch würde nicht die komplexe Realität, sondern nur ein Ausschnitt der Realität erfaßt, der das gesamte ärztliche Handeln nicht repräsentiere. Argumentativ konnte keine Einsicht in die soziologische Denkstruktur vermittelt werden, daß mit der Reduktion von komplexer Realität durch Dokumentation eine neue Ebene von Realität konstruiert wird, der selbst wiederum durch ihre Rezeption handlungsleitender Charakter zukommt.

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Psychosoziale Nachsorge: Untersuchungen zum Stellenwert psychosozialer Maßnahmen

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Dr. rer. soc. Anne Maria Leimkühler

Forschungsstelle für Psychiatrische Soziologie Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität DüsseldorfRheinische Landesklinik Bergische Landstr. 2 D-4000Düsseldorf

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Fortsehr. Neurol. Psychiat. 58 (1990)

[Psychosocial after care: studies of the value of psychosocial measures in clinical practice].

The present study analyses aftercare planning for 2.536 Patients of the Psychiatric Hospital of the University of Düsseldorf. Data were collected from...
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