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Pbarmazie in unserer Zeit / 4. Jabrg. 1975 I Nr. 4

Hans-Dieter Holtje

Quantenchernische Untersuchungen an Pharmakon-Rezeptor-Komplexen Alle derzeitigen Vorstellungen iiber Wirkung und Spezifitat eines Pharmakons basieren auf der Annahme, da/3 der erste Schritt einer Pharmakonwirkung in der Bildung eines reversiblen Komplexes zwischen dem Pharmakonmolekiil und einer allgemein als Rezeptor bezeichneten, zellularen Struktur zu sehen sei. A . S. V . Burgen Es gilt heute als gesichert, daB die Rezeptoren fur Arzneimolekule definierte Bereiche von Proteinmakromolekiilen sind. Man nimmt an, daB sie ahnlich gebaut sind wie die aktiven Zentren von Enzymen, iiber deren Bauplane durch Rontgenstrukturanalysen von Inhibitor-Enzym-Komplexen, z. B. der Humanerythrocyten-Carboanhydrase C oder des Lysozyms, genaue Vorstellungen bestehen. An der Enzymoberflache findet man gehauft Aminosauren mit polaren Gruppen, z. B. Lysin, Arginin, Asparaginsaure, Serin, Tyrosin, Histidin oder Tryptophan. Die Bindung des Inhibitors oder Substrates scheint uber Wechselwirkungen mit den funktionellen Gruppen dieser Aminosauren abzulaufen. Die Bildung des Pharmakon-Rezeptor-Komplexes verlauft analog der Bindung eines Substrates an das aktive Zentrum eines Enzyms, deshalb sind alle GesetzmaBigkeiten der Enzymkinetik sinngemaa auch auf diesen ProzeB anwendbar. Durch die Anlagerung des Pharmakons wird ein Reiz auf den Rezeptor ausgeubt, der zur Auslosung eines physiologischen Effektes fuhrt. Der Reiz besteht in der Perturbation der sterischen und elektronischen Struktur des Rezeptormolekuls.

Die beriihmte Hypothese Emil Fischers aus dem Jahr 1894, nach der Substrat und Enzym zusammenpassen wie Schlussel und SchloB, konnte bis vor kurzem nicht iiberpriift werden. Erst in den letzten Jahren haben Rontgenstrukturuntersuchungen an Enzym-Substrat-Komplexen die Richtigkeit der Hypothese bewiesen. Die Abbildung zeigt ein raumfiillendes Model1 eines Lysozym-Substrat-Komplexes. (Aus Dickerson und Geiss: Struktur und Funktion der Proteine, Verlag Chemie, D-6940 Weinheim)

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Die hochspezifische, durch vielfache wechselseitige Wasserstoffbriickenverkniipfungen fixierte Tertiarstruktur eines Polypeptides ist gegen Konformationsstorungen, hervorgerufen durch die Anlagerung auch eines kleinen Fremdmolekiils, sehr empfindlich und kann mit einer Anderung der Gesamttertiarstruktur auf die Storung antworten. Die Weiterleitung des Reizes iiber groBere Entfernungen kann durch diesen Mechanismus anschaulich erklart werden. Die notwendige Energie wird durch die bei der Komplexbildung freiwerdende Bindungsenergie geliefert (Abnahme der freien Enthalpie). Die Bildung des PharmakonRezeptor-Komplexes wird noch begiinstigt

durch eine Zunahme der Unordnung (Entropie) des Systems, da die Hydratationshulle (geordnete Wassermolekiile) des freien Rezeptors und des freien Pharmakonmolekiils bei der Komplexbildung verkleinert wird. Nach der Belleauschen ,,Makromolekularen Perturbationstheorie" ist das Pharmakon in der Lage, durch die Bindung an seinen Rezeptor die Tertiarstruktur des den Rezeptor tragenden Makromolekuls in einer spezifischen Weise zu verandern. Antagonistisch wirkende Substanzen werden zwar auch am Rezeptor gebunden, konnen aber die fur die Auslosung des physiologischen Effektes notwendige spezifische Strukturanderung nicht erwirken. Pharmakologisch gleichartig wirkende Arzneimolekiile mussen iiber ganz ahnliche sterische und elektronische Struktureigenschaften verfugen. Die spezifische geometrische Anordnung von funktionellen, zur Wechselwirkung mit dem Rezeptor befahigten Gruppen nennt man den ,,Pharmakophor". Solange man die Rezeptorstruktur noch nicht auf direktem Weg untersuchen kann, mug man sich damit begnugen, das Negativ des Rezeptors, den Pharmakophor, aufzuklaren. Da sich alle physiologischen Prozesse in waBriger Losung abspielen, kann nur die Konformation eines Arzneimolekiils in einem polaren Losungsmittel Grundlage fur die Bestimmung des Pharmakophors sein. Aus diesem Grund bietet sich die Kernresonanzspektroskopie (NMR) zu allererst als Methode der Wahl zur Konformationsbestimmung an. Bei komplizierten Molekulen bereitet die Auswertung der Spektren hinsichtlich der dreidimensionalen Struktur der Molekule aber erhebliche Schwierigkeiten. Der Berechnung der bevorzugten Konformation mit Hilfe von quantenchemischen Verfahren kommt daher eine groBe Bedeutung zu. Das giinstigste semiempirische Rechenverfahren ist zur Zeit die einfache ,,Erweiterte Hiickel-Molekular-Orbital-Theorie"(EHT). Trotz der vergleichsweise primitiven theoretischen Grundlagen sind die Resultate in sehr guter Obereinstimmung mit NMRDaten (soweit diese bekannt sind), geben also die Konformationsverhaltnisse in Losung zutreffend wieder. Die Problematik in der Einschatzung von

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Konformationsdaten aus quantenchemischen Berechnungen liegt darin, dai3 die Rechnungen den Zustand im Vakuum wiedergeben, der dampfende Einflufl einer Hydratationshulle auf die anziehenden und abstoflenden Krafte innerhalb des Molekuls also nicht berucksichtigt wird. Die theoretisch sehr weit entwickelten semiempirischen Verfahren, wie C N D O - oder PCILO'>':-, liefern daher auch Ergebnisse, die fur die Losungskonformation wenig Bedeutung haben. Die durch die letztgenannten Methoden berechneten stabilsten Konformationen beschreiben dagegen sehr gut den Kristallzustand. Das gleiche gilt ubrigens auch fur die ungemein aufwendigen ,,ab initio"-Berechnungen, die nur auf superschnellen Computern moglich sind. Die EHT-Methode ist in der Vorhersage von Losungskonformationen deshalb so erfolgreich, weil die wechselseitigen Einflusse der nicht miteinander verbundenen Atome durch den Raum nur so unvollstandig berucksichtigt werden, daf3 dadurch der Einflut3 von Losungsmittelmolekilen simuliert wird. Ausnahmsweise kann man einmal von den Mangeln einer Methode profitieren. Anhand der Konformationsberechnung fur das Chloramphenicolmolekiil sol1 die Technik der quantenchemischen Konformationsbestimmung demonstriert werden.

Tabelle 1. Gesamtenergieminima in Abhangigkeit von den Drehachsen

Q2und Q3. ______._~

Konformation

~-

Energiedifferenz zum Minimum in kcal/Mol

0

0.47 1.06 1.07

Das Chloramphenicolmolekiil enthalt sieben (Abbilpotentielle Drehachsen @I-@, dung 1). Allerdings haben nur vier, namlich @1--@4, einen maggeblichen Einflui3 auf die Gesamtkonformation des Molekiils, wahrend die restlichen drei in dieser Hinsicht nur eine untergeordnete Rolle spielen. Man beginnt mit der Berechnung der Konformationsenergien fur unterschiedliche Werte von @% und Q3 und halt die anderen Drehachsen in einer fixierten Position. Abbildung 2 zeigt die Energiekarte fur diese beiden Drehwinkel.

'"CNDO = Complete Neglect of Differential Overlap.

Die Linien verbinden Konformationen mit der gleichen Gesamtenergiedifferenz zum absoluten Minimum, das durch einen Stern angezeigt ist. Neben dem absoluten Minimum finden sich noch drei Nebenminima in einem Bereich von 1 kcal iiber dem absoluten Minimum (Tabelle 1).

""PCILO = Perturbative Configuration Interaction over Localized Orbitals.

Da die Konformation der Propandiolseitenkette fur die pharmakologische Wirksamkeit

des Chloramphenicols von ganz besonderer Wichtigkeit ist, wird der Einflufl der Drehachsen @I und @d fur alle vier in Tabelle 1 aufgefuhrten Konformere untersucht. Tabelle 2 zeigt das Ergebnis. Es sind jetzt nur noch zwei Konformere ubriggeblieben, fur die auch noch die Drehachsen und @ 7 untersucht werden mussen. Das endgiiltige Ergebnis zeigt, dai3 zwei Konformationen fast gleichberechtigt nebeneinander vorliegen (der Unterschied in der Gesamtenergie betragt 0,3 kcal). Sie unterscheiden sich nur in der Stellung der beiden Hydroxylgruppen zueinander (Abbildung 3 und 4). Wichtig an diesem Ergebnis ist, daf3 sich alle Gruppierungen, die fur die pharmakologische Wirksamkeit verantwortlich sein sollen, namlich der p-substituierte Phenylring, die Dichlonnethyl-Endgruppe und die beiden Hydroxylfunktionen, raumlich so angeordnet sind, dai3 sie mit potentiellen Bindungsstellen eines Rezeptormolekuls leicht in Wechselwirkung treten konnen.

Abb. 1. Die sieben Drehachsen des Chloramphenicolmolekiils.

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