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Beziehungen der Modell- bzw. Drogenpsychosen zu schizophrenen Erkrankungen* L. HerrnleI, M. Spitzer 2. D. Borchardt 3, E. Gouzoulis 3

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Fachkrankenhaus fiir Psychiatrie und Neurologie Christophsbad, Göppingen Psychiatrische Klinik der Universität Heidelberg Psychiatrische Klinik der Universität Freiburg i. Br.

On the Relation between Substance-Induced Psychosis and Schizophrenia From the c1inical point ofview, substance-induced psychosis can be rather similar to schizophrenia. However, the question whether phenomenological resemblances represent similar underlying causal mechanisms is unsolved. Whereas the interest in experimentally induced psychosis was purely academic until the mid - 1960s, the widespread use of ''recreational'' drugs provided this research with an important practical impact. With respect to a given case the differential diagnosis between schizophrenia and drug - induced psychosis it is often problematic. The differences in psychopathology refer to the disturbances of experience in general (Ichstörungen), the character of the hallucinations and the quality and quantity of the alterations of consciousness. Contrary to the sharp distinctions which used to be drawn between schizophrenia and drug - induced psychotic states, we hold that these states are rather similar, and may even represent a common underlying pathology. Hence, the renewed interest in the study on experimentally induced psychotic states using advanced methodology seems justified.

Einleitung Hinsichtlich der postulierten Ursachen endogener und exogener Psychosen erwiesen sich hirneigene und hirnfremde Noxen als wenig zweckmäßiges Trennungskriterium. So entstehen z. B. Zuordnungsprobleme, wenn eine im Körper entstandene Noxe (z.B. toxische Metaboliten bei Leberversagen) auf das Gehirn einwirken. Kleist (1916, S. 26) empfahl deswegen "die Krankheitsursachen in Einwirkung und Anlagen zu scheiden. Einwirkungen wären dann alle aus der Umwelt und aus dem Körper selbst das Gehirn treffende Ursachen, denen die krankhaften Anlagen des Gehirns gegenüberstehen." Jaspers (1973, S. 378) griff die begriffiichen Unschärfen in Hinsicht auf das Problem der Grenzziehung zwischen Ursachen im "Körperlichen" und im "Seelischen" auf. ,,Endogen" und "exogen" stellt er den verständlichen Zusammenhängen des Seelenlebens gegenüber: ,,Den äußeren Einwirkungen steht die innere Veranlagung gegenüber. Da das Leben Fortsehr. Neurol. Psyehiat. 60 (1992) 383-392

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Zusammenfassung Die Fragestellung, ob zwischen sog. Modellpsychosen bzw. drogeninduzierten Psychosen - über ihre phänomenologische Ähnlichkeit hinaus - engere Beziehungen bestehen, ist bis heute ungelöst. War die Beschäftigung mit ,,Modellpsychosen" bis Mitte der sechziger Jahre vorwiegend von akademischem Interesse, so wurde sie durch den weltweit verbreiteten Drogenmißbrauch bei der Frage der Differenzierung endogener Psychosen von drogeninduzierten psychotischen Bildern zum differentialdiagnostischen Problem. Die kontrovers diskutierten Argumente hinsichtlich gemeinsamer und unterschiedlicher Psychopathologie beziehen sich vor allem auf den Charakter der Ichstörungen, der Halluzinationen sowie den qualitativen und quantitativen Veränderungen des Bewußtseins. Im Gegensatz zu früheren Abgrenzungen erscheint es heute gerechtfertigt, von "phänomenologischer Ausdrucksgemeinschaft" bzw. "gemeinsamer pathologischer Endstrekke" zu sprechen. Dies läßt es als sinnvoll und erfolgversprechend erscheinen, den Möglichkeiten experimentiell erzeugter Psychosen mit Hilfe moderner Untersuchungsmethoden erneut nachzugehen.

immer in der Wechselwirkung von außen und innen besteht, kann kein Phänomen ausschließlich endogen sein. Und umgekehrt: Alle exogenen Einflüsse entfalten ihre charakteristischen Wirkungen an einem Organismus, dessen besondere Art immer als das Wesentliche erscheinen wird... Die Begriffe endogen und exogen haben einen verschiedenen Sinn, je nachdem ob sie bloß für körperliche oder seelische Erkrankungen gebraucht werden. Alle exogenen Faktoren für körperliche Erkrankungen (Gifte, Bakterien, Klima) sind zwar auch exogen für seelische Erkrankungen. Wir nennen aber auch die körperlichen Erkrankungen, selbst die somatisch-endogenen Hirnerkrankungen, gegenüber der seelischen Veranlagung exogen. Beispiele

a) Die Paralyse ist eine exogen (durch Syphilis) entstandene Gehirnkrankheit, die wiederum selbst exogen das Seelenleben zerstört.

• Herrn Prof. Dr. R. Degkwitz t gewidmet.

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b) Der Tumor ist ein endogener Hirnprozeß, der als exogener Faktor die seelische Veranlagung trifft" (Jaspers, 1973, S. 378,380). Der Unterschied von exogen und exogen i. S. von hirneigenen bzw. hirnfremden Ursachen verschiebt sich damit zum Gegensatzpaar Soma-Psyche. Mit Einführung des "exogenen Reaktionstypus", gewinnt der Endogenitätsbegriff eine neue Bedeutung hinzu: nämlich die klinisch-symptomatologische Abgrenzung von "endogenen" und "exogenen" Krankheitsbildern. Die Entdeckung Bonhoe./Jers (1909), daß akute exogene Noxen einen "psychischen Prädilektionstypus" hervorrufen, warf für ihn die Frage der "Trennung exogener und endogener Zustandsbilder aus der Symptomgruppierung allein" auf. Die Tatsache, daß bei exogener Schädigung psychopathologische Zustandsbilder (z. B. Delirium tremens) auftreten, die sich bei den endogenen Psychosen nicht finden, schien für Bonhoe./Jer "in letzter Linie auf differente Lokalisation der Prozesse im Gehirn hinzuweisen. Um absolut reine Typen der endogenen wie der exogenen Ätiologie wird es sich freilich kaum je handeln. Der Faktor der individuellen Anlage bringt ja fast bei jedem Fall ein endogenes Moment hinzu". Gleichzeitig betont er, daß auch exogene Noxen "ein Zustandsbild hervorrufen können, das wir erfahrungsgemäß sehr viel häufiger aus endogener Entstehung kennen", wie z. B. manische Bilder nach Hirntraumen. Bonhoe./Jer hatte die Sonderstellung der exogenen Reaktionstypen noch darin gesehen, daß ursprünglich gesunde Gehirne auf unspezifische Noxen reagieren, während es sich bei den endogenen Erkrankungen um "präformierte Störungen" handelt (Degkwitz, 1985). Als Kritiker der Bonhoefferschen Konzeption führte Specht (1913) an, daß die Intensität und der zeitliche Ablauf der Einwirkung einer Noxe für das klinisch-symptomatologische (exogene oder endogene) Bild ausschlaggebend sei: "Wie nach Quantität und zeitlicher Entfaltung die Ursache, so der allgemeine Charakter der Wirkung. Die spezifische Eigenart der Noxe und die individuelle Empfänglichkeit kommen erst in zweiter Linie. Die äußeren Ursachen mit ihrem durchschnittlich so massiven Charakter erzeugen ... massive Krankheitsbilder und das subtile endogene Agens die zarteren Formen der funktionellen Psychosen. Ist das richtig, dann besteht auch kein prinzipieller Unterschied zwischen der exogenen und endogenen Symptomatologie, wie es letzten Endes auch keinen gibt zwischen exogenen und endogenen Psychosen überhaupt. Fügt es sich gerade so, daß die exogene Noxe einschleichend und nicht zu massig die zerebralen Stätten unserer Psyche alteriert, dann werden auch endogene Krankheitsbilder zum Vorschein kommen; überschwemmt andererseits die endogene Noxe plötzlich das Gehirn oder steigt sie allmählich zu beträchtlicher Höhe an, dann kommt es zu den turbulenteren und tiefergreifenden Symptomen der exogenen Art" (Specht, 1913, S. 115). Bonhoe./Jer (1917) hat nochmals in seiner Auseinandersetzung mit der Kritik Spechts betont, daß er lediglich Prädilektionstypen beschrieben habe, ohne aber eine "Ausschließlichkeit" beanspruchen zu wollen. Dabei stand das endogene Moment, d. h. die Frage, warum tritt die Reaktion überhaupt auf, im Mittelpunkt seiner Argumentation. Bonhoe./Jer formulierte als Ursache der exogenen Reaktionstypen hypothetisch ein "autotoxisches Agens" im Sinne eines unbekannten Zwischengliedes ("irgendwelche innere Störungen, vielleicht solche des Hirnstoffwechsels").

L. Hermle, M Spitzer, D. Borchardt, E. Gouzoulis

Die Forschungsansätze der modernen biologischen Psychiatrie orientieren sich seit längerem an einer ganz ähnlichen ätiologischen Sichtweise, allerdings fast ausschließlich auf dem Gebiet der endogenen Psychosen. Untersuchungen zur Psychopathologie und Epidemiologie

Empirische Untersuchungen zur Frage der Unterscheidbarkeit drogenbedingter und endogen-psychotischer Erlebnisse ergaben bisher keine eindeutigen Unterschiede. Im Rahmen einer Untersuchung von 233 Patienten (Alter 14-30 Jahre) mit psychotischer Symptomatik und Halluzinogenkonsum fand Bron (1982) 20 % reine Halluzinogenkonsumenten und 44 % mit einem polyvalenten Drogenabusus, die akute und rezidivierende psychotische Syndrome zeigten, ohne daß sich später Hinweise für einen eigengesetzlichen Verlauf nachweisen ließen. In dieser Gruppe fanden sich vor allem paranoid-halluzinatorische Syndrome, Horrortrips und Flash-back-Phänomene und posthalluzinogene neurotische Syndrome mit begleitenden psychotischen Erlebnissen. Bei 36 % war es zu einem vom Drogenabusus unabhängigen Verlauf mit typisch schizophrener Symptomatik gekommen. Nach Bron weisen Wahneriebnisse mit Systernatisierungstendenz, längere Zeit bestehende (vor allem akustische) Halluzinationen, tiefgreifende Ich-Persönlichkeitsstörungen in der Regel auf eigengesetzlich verlaufende Psychosen hin. Den differentialdiagnostischen Stellenwert von Halluzinationen charakterisiert er wie folgt: Optische Halluzinationen wurden von 34 % der Patienten mit drogeninduzierten psychotischen Symptomen ohne eigengesetzlichen Verlauf geschildert, wohingegen nur 29 % der Patienten mit eigengesetzlich ablaufenden psychotischen Bildern über optische Halluzinationen berichteten. Das Hören von Stimmen dagegen war mit 42 % gegenüber 8 % hoch signifikant, und andere akustische Halluzinationen mit 19 % gegenüber 6 % signifikant häufiger in der Gruppe der endogenen Psychosen. Ebenfalls fanden sich bei dieser Gruppe häutiger Körperhalluzinationen. Taschner (1983) kam bei 237 Fällen von drogeninduzierten Psychosen zu dem Ergebnis, daß es nur eine begrenzte Anzahl differentialdiagnostisch verwertbarer Symptome gibt. Optische, taktile Halluzinationen sprechen eher für eine drogeninduzierte Psychose; Zwänge hingegen für das Vorliegen einer schizophrenen Psychose.

Über die Epidemiologie von drogeninduzierten Psychosen finden sich in der Literatur nur ungenaue Angaben. Die Häufigkeit von halluzinogen-induzierten (eigengesetzlich verlaufenden) Psychosen in experimentellen Situationen ist offenbar viel geringer als bei Drogenabhängigen, die hinsichtlich Persönlichkeit, Vorerkrankungen, Dosis und Art des Konsums (häufig Polytoxikomanie) sehr heterogen und damit SChwierig beurteilbar sind. Nach Untersuchungen von Cohen (1960) an ca. 5000 Personen, welche zu experimentellen bzw. therapeutischen Zwecken 1-80mal LSD einnahmen, fand sich bei gesunden Probanden eine Quote von 0,8/1000 protrahierter psychotischer Reaktionen, hingegen bei Patienten (meist neurotische Störungen) eine Quote von 1,8/1000.

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Mallesan (1971) fand in England unter 4300 Patienten, die "psycholytisch" mit LSD behandelt wurden, eine Häufigkeit von Psychosen von 9/ 1000. Die Dauer derartiger psychotischer Reaktionen betrug mindestens 48 h; psychotische Rauschverläufe sollten hierdurch ausgeschlossen werden.

mit unterschiedlichen Bezeichnungen belegt wurde: symptomatische Schizophrenie (Kriseh, 1926), Pseudoschizophrenie (Rümke, 1958), schizoforme Psychose (Kahn, 1926), exogenes paranoid-halluzinatorisches Syndrom (Peters, 1967), endoforme Psychose (Alsen, 1968).

Die aus den 60er Jahren stammenden Zahlen entsprechen etwa der Krankheitsprävalenz für Schizophrenie. Wie viele schizophrene Patienten in ihrer Vorgeschichte Halluzinogene konsumiert haben, ist nicht sicher bekannt. Nach einer Erhebung von Breakey et al. (1974) sollen Schizophrene nicht über mehr Drogenerfahrung verfügen als gesunde Kontrollgruppen.

Der klinische Alltag und die Literatur sind voller Beispiele exogen-toxischer oder hirnorganisch bedingter Psychosen, die schizophrenieartigen Charakter haben.

Klinische und theoretische Unterscheidungen endogener und exogener Psychosen

Als Achsensymptom akuter organischer Psychosen ist die Trübung des Wachbewußtseins hervorgehoben worden, wenn auch Bonhoeffer selbst nie behauptet hat, daß es sich dabei um ein obligates Symptom handelt, denn sonst würde er die Halluzinosen nicht den exogenen Reaktionstypen zugeordnet haben. 1 In der Literatur finden sich viele hirnorganische psychopathologische Syndrome, deren Nomenklatur und wechselnde nosologische Einordnungen bis heute umstritten blieben. ZlUlächst war Specht (1913) der Auffassung, daß es überwiegend auf die quantitative Einwirkung der Noxe ankomme, ob eine endogene odcr cxogene Psychose mit Bewußtseinsstörungen entstehe. Von Diifurth (1953) hatte sich nochmals mit den Auffassungen Spechts auseinandergesetzt. Er postulierte ebenfalls, es sei eine Frage der Quantität und des Einwirkungsortes der Noxe, ob eine endogene oder eine exogene Psychose resultiere. Er ging von der Annahme aus, daß eine endogene Psychose dann in Gang komme, wenn eine Noxe "auf dem einzigen physiologischen Weg der Beeinflussung des Gehirns, nämlich über das Zwischenhirn, wirkt, exogene psychotische Krankheitsbilder dagegen, wenn die Noxe auf einem unphysiologischen Wege das Gehirn unmittelbar treffe und schädige". Immer wieder wurde in der Psychiatrie kontrovers diskutiert, ob es bei unterschiedlicher Pathogenese gleichartige psychopathologische Erscheinungsformen von Psychosen gibt. Dabei war von Bedeutung, daß sowohl bei den typischen Schizophrenien als auch bei den exogenen (v.a. toxischen) Bildern das gleiche Syndrom auftreten kann, welches 1 Bonhoejftr beschrieb neun psychopathologische Syndrome (Prädilektionstypen), die er dem exogenen Reaktionstyp zuordnete: 1. Benommenheit, 2. Koma, 3. Delir, 4. Dämmerstand, 5. Halluzinose, 6. epileptiforme Erregungszustände, 7. Amentia, 8. hyperästhetisch-emotionellc Zustände, 9. Korsakow-Syndrom.

Nach übereinstimmender Meinung verschiedener Autoren zeigen z. B. die Weckmittelpsychosen mit der Symptomatik der Schizophrenie eine weitgehende Ähnlichkeit. Insbesondere die chronische Amphetamineinnahme kann bei ansonsten Gesunden im Querschnitt- und Längsschnittbild ein psychopathologisches Syndrom erzeugen, welches von einer (endogenen) Schizophrenie nicht zu unterscheiden ist. Neben akustischen Halluzinationen treten auch alle übrigen Symptome ersten Ranges nach K. Schneider auf und es fehlt die für exogene Psychosen charakteristische Bewußtseinsstörung (Bell, 1965; Bonhoffund Lewrenz, 1954). Sano und Nagasaka (1956) berichteten über 559 Fälle amphetaminabhängiger Japaner, bei denen in 7080 % typisch schizophrene Bilder auffielen. Im einzelnen nannten sie folgende schizophrene Symptome: "Gedankensperrung, Gedankendrängen, gemachte Erlebnisse, Zerfahrenheit, aber auch Wahnphänomene und Wahnstimmungen wie bei Schizophrenen ... An Sinnestäuschungen sahen wir bei über 50 % der Beobachtungen akustische Halluzinationen. Ebenso wie bei den Schizophrenen kommen auch halluzinatorische Leibempfindungen vor ... Die Seltenheit der optischen Halluzinationen fiel auf, auch hierin sahen wir eine Beziehung zur schizophrenen Symptomatologie" (Sano und Nagasaka. 1956, S. 392).

Unter Hinweis auf die Amphetaminpsychose zogen Conrad (1959, 1972) und Weitbrecht (1957) den Begriff der Endogenität in Zweifel. Conrad bemerkte ironisch, daß noch immer zahlreiche Beobachtungen über schizophrenieartige Psychosen "exogener" Verursachung beschrieben würden, als sei "ein Naturgesetz durchbrachen, daß eine Schizophrenie keine somatische Begründung, keinen anatomischen Befund haben dürfte". Der naheliegende Schluß, daß eine Schizophrenie letztlich auch eine hirnorganische Erkrankung sei und deshalb von sicher himorganischen Prozessen täuschend kopiert werden könne, werde - so Conrad - nur selten gezogen. Für Conrad war es naheliegend, die Weckaminpsychosen als Indiz für die organische Genese des gesamten schizophrenen Symptomspektrums zu werten, als statt dessen die gleichartigen psychopathologischen Bilder "bekannter Ursache" lediglich "ausgeklinkten" endogenen Psychosen zuzuordnen. Für die Hypothese einer organischen Ursache der Schizophrenie sah Conrad eine wesentliche Stütze darin, daß bei einem Teil des schizophrenen Syndroms eine faßbare körperliche Ursache vorliegt. Der Unterschied zwischen Syndromdiagnose und nosologischer Zuordnung wird somit relativiert, wobei ein einheitliches psychopathologisches Syndrom sowohl bekannte als auch unbekannte Ursachen aufweist.

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Über die Häufigkeit posttoxischer Komplikationen nach Halluzinogeneinnahme, wie z. B. Echopsychosen ("flash-back"), sind die Literaturangaben ebenfalls unterschiedlich: 20-50% der Halluzinogenkonsumenten sollen einmalig oder mehrfach sog. "flash-backs" erlebt haben (Lisansky et al., 1984; McGee, 1984; Alarcon et al., 1982).

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Fortschr. Neurol. Psychiat. 60 (1992) Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den sog. Ich-Störungen

Unter Ich-Störungen wird in der Psychopathologie eine Reihe von Symptomen verstanden, die mit unterschiedlichen Begriffen belegt wird. Schneider mißt den ich-Störungen bei Schizophrenie einen hohen differential-diagnostischen Wert zu. Von der Unterscheidbarkeit schizophrener IchStörungen von Ich-Störungen anderer Genese ist er fest überzeugt. "Unter den Grundeigenschaften des Erlebens sind gewisse Störungen des Ich-Erlebnisses von größter schizoph(ener Spezifität, und zwar meinen wir jene Störungen der Ichhaftigkeit oder Meinhaftigkeit, die darin bestehen, daß die eigene Akte und Zustände nicht als solche eigenen, sondern von anderen gelenkte und beeinflußte erlebt werden... Ihre Erfassung wird dadurch erschwert, daß die normalpsychologischen Kriterien des Ich-Erlebnisses kaum eindeutig beschreibbar sind..." (Schneider, 1955, S. 134). Man spricht weiterhin von Störungen bzw. Verlust der "lch-Umwelt-Balance" (Avenarius, 1976), der "IchGrenzen" (Peters, 1984), des "ich-Bewußtseins" (Jaspers, 1973), der "Ich-Aktivität" und "lch-Demarkation" (Scharfetter, 1982) sowie des ,,Körpererlebens" (Huber, 1957). Beringer (1927) spricht in Zusammenhang mit Modellpsychosen von einern "Passivitätssyndrom". In analoger Weise beschreibt Mullen (1986) ,,Erlebnisse der Passivität" bei Schizophrenen, worunter Symptome ersten Ranges für die Diagnose Schizophrenie im Sinne Kurt Schneiders gemeint sind, d. h. Beschreibungen von Erlebnissen, daß die eigenen psychischen Vorgänge und Zustände von außen und anderen gelenkt, gemacht und beeinflußt erscheinen. Ich-Störungen werden ferner als "Depersonalisation" und "Derealisation" bezeichnet, wobei diese Erlebnisse nicht auf Außeneinflüsse oder auf Erlebnisse des sog. Gemachten (Schneider, 1955) zurückgeführt werden. Schließlich findet sich in der Literatur eine Reihe von Hinweisen, daß Ich-Störungen mit gestörter Wahrnehmung von Raum - Zeit - Körpererleben sowie Störungen von Emotionalität und Affekt in Zusammenhang stehen. Ich-Störungen gelten - abgesehen vom Konzept Kurt Schneiders - als nosologisch unspezifisch und werden bei Schizophrenie, bei affektiven Erkrankungen (vor allem bei endogenen Psychosen), bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, im Halluzinogenrausch, aber auch bei Gesunden (z. B. im Zustand starker Ermüdung, affektiver Anspannung etc.) beschrieben. Um die Variabilität der Phänomene und der psychiatrischerseits erfolgten Reflexionen aufzuzeigen, werden die verschiedenen Konzeptualisierungsversuche im folgenden dargestellt, da Ich-Störungen bei den Auseinandersetzungen darüber, was den Halluzinogenrausch charakterisiert, eine wesentliche Rolle spielen. Ich-Störungen im Halluzinogenrausch wurden vor allem von Beringer (1927, S. 73ff.), Beelcer (1949, S. 422 ff.), Weyl (1951, S. 45 ff.), Leuner, 1962, S. 30 ff.) ausführlich beschrieben. Die Auswertung der Protokolle dieser Untersuchungen erfolgte nahezu ausschließlich nach inhaltsanalytischen Gesichtspunkten. Von den meisten Autoren wurde versucht, exemplarische Selbstschilderungen den aus der Literatur zu schizophrenen Psychosen bekannten Begriffen zuzuordnen.

L. Hermle, M. Spitzer, D. Borchardt, E. Gouzoulis

Kontrolle, Meinhaftigkeit Ich-Störungen sind die Folge des Verlustes oder der Beeinträchtigung der Kontrolle der sog. Meinhaftigkeit: Das Denken wird nicht mehr als eigenes, die Wahrnehmung nicht mehr als eigene, der Wille nicht mehr als eigener und die Bewegungen nicht mehr als eigene erlebt. Damit einhergehen kann das Gefühl, daß das Denken nicht mehr von mir, sondern von jemand anderem initiiert wird, d. h. Erlebnisse der Fremdbestimmung. Eigene Handlungs- und Sprachvollzüge können als entfremdet und automatenhaft empfunden werden, was z.B. eine Vp von Becker (1949, S. 409) schildert: " ... ich spreche wohl, aber ich weiß nicht, bin ich es oder bin ich es nicht". Nach den Berichten von Amold und Hoff (1953 a, S. 135) und Weyl (1951, S. 49) kommt der Eindruck des "Gemachten" bzw. "Fremdbestimmten" im Halluzinogenrausch nicht vor. Dagegen berichten Leuner (1962, S. 29), Savage (1955, S. 10) und Grof(1967, S. 182), daß Beeinflussungserlebnisse sich meist auf den Versuchsablauf beziehen. Aus vielen Schilderungen bei Halluzinogenexperimenten geht hervor, daß die IchUmwelt-Beziehungen, das Ich- und Körper-Erleben, als entfremdet bzw. als unterbrochen erlebt werden (Becker, 1949, S. 422ff.; Weyl, 1951, S. 45ff.). Bei Beringer (1927, S.74) findet sich hierzu die folgende charakteristische Äußerung eines Probanden: "Während dieses Erlebnisses ist jede geistige Fähigkeit tot, ich fühle mich geradezu identisch mit dem Objekt". An anderer Stelle spricht Beringer (1927, S. 69) auch von "abnormen Verschmelzungserlebnissen" bzw. vom "Fallen der Subjekt-Objekt-Schranken". Eine Vp von Becker (1949, S. 409) glaubt das Gefühl zu haben, eine andere Person zu sein: "...es kommt mir beinahe so vor, als wenn ich Sie (meint den Versuchsleiter) wäre..." Dic zunehmende Trennung zwischen Ich und Umwelt kann graduell so weit fortschreiten, daß Vpn glauben, daß die anderen ihre Gedanken und Gefühle lesen und teilen würden. Hieraus kann eine paranoide Verarbeitung dieser Erlebnisse resultieren. Fränkel und Joel (1927) hanen auch unter der Wirkung von Haschisch ähnliche Beobachtungen gemacht und auf das Auftauchen paranoider Reaktionen und Beziehungsideen hingewiesen. Ein systematisierter Wahn oder die Entwicklung systematischer Eigenbeziehungen treten unter Halluzinogenen nicht auf. Zumindest finden sich in der literatur keine entsprechenden Hinweise. Das könnte eine Folge davon sein, daß ein Halluzinogenversuch im Gegensatz zu psychischen Erkrankungen nur kurz andauert. Eine Ausnahme stellt der chronische Mißbrauch von Weckaminen dar. Die sog. weckamininduzierten psychotischen Syndrome sind von den (endogenen) schizophrenen Psychosen psychopathologisch nicht zu unterscheiden (Bonhoff und Lewrenz, 1954; Bell, 1965). Körpererieben als Sonderform der Ich-Störungen In der Literatur finden sich zahlreiche detaillierte Beschreibungen veränderten Körpererlebens im Halluzinogenrausch (Beringer, 1927, S. 53 ff; Amold und Hoff, 1953, Masters und Houston, 1966, S. 67 ff; Savage, 1956, S. 7 fl). Die Veränderungen werden teils als Steigerung des Körper-Ichs, teils als Auflösen der Körper-Ich-Grenzen beschrieben. Savage (1955, S. 7) berichtet, daß das Körperempfinden im Halluzinogenrausch "intensely pleasurable" sein kann. Ziolko (1966, S. 250) spricht von "sexualisierenden Körpergefühlen" und zählt

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Beziehungen der Modell- bzw. Drogenpsychosen zu schizophrenen Erkrankungen

Zu Beginn des Rausches treten (insbesondere unter Meskalin) parästhesieartige Empfindungen in Form von fluktuierenden Elektrisierungs- und KribbelgefüW, Ameisenlaufen und Kältezittern auf (Beringer, 1927, S. 57ff.; Savage, 1955, S. 8). Weiterhin werden unangenehme muskuläre Verspannungen und Gliederschwere, aber auch allgemeine Schlaffheit angegeben. Die vegetativen Sensationen scheinen von der affektiven Grundstimmung und insbesondere von der Persönlichkeit abhängig zu sein. Werden die o. g. Mißempfindungen meist neutral geschildert, können z. B. Veränderungen des Körperschemas zu Störungen des Ich-Erlebens führen. Die Auflösung der Körper-Ich-Grenzen können als somatopsychische Depersonalisationsphänomene sehr eindrücklich und bedrohlich erlebt werden (StolI, 1947, S. 14). Körperteile, aber auch der ganze Körper werden als "Ich-fremd" empfunden. Einzelne Vpn glaubten, sich außerhalb ihres Körpers zu befinden (Savage, 1955, S. 9; Klee, 1963, S. 463; Hoffer und Osmond, 1967, S. 119). Häufig scheint verändertes Körpererleben mit Veränderungen der Wahrnehmung und Halluzinationen in Zusammenhang zu stehen. Vor allem halluzinierte Objekte können zu intensiv erlebten Verschmelzungserlebnissen und Körpermetamorphosen führen. Ein Proband von Leuner berichtet: "Es nehmen die vor geschlossenen Augen stehenden Ornamente insektoide Formen an: Tastende Fühler, krabbelnde Gliederfüße, kugelförmige Glotzaugen usw.... gleichzeitig aber greift die insektoide Umformung auf das ganze Zimmer, einscWießlich meines ganzen Körpers, über. Ich habe den Eindruck, daß in diesem Zustand meine Arme Leiber von Engerlingen, meine gespreizten Hände Spinnen sind" (Leuner, 1962, S. 100). Die vielfältigen Veränderungen des Körpererlebens subsumiert Leuner (1962, S. 98) als "überwiegend leibliche Erlebnisform" zu einer gesonderten Kategorie. Er versteht darunter Erlebnisweisen, die sowohl das Bewußtsein des leiblichen Zustandes (im Sinne des Leibbewußtseins Jaspers) als auch des räumlichen Körperschemas umfassen. Leuner sieht davon ab, Vergleiche mit den abnormen Leibempfindungen Schizophrener anzustellen. Er weist aber daraufhin, daß der "leiblichen Erlebnisform" in der experimentellen Psychose der "Charakter des Demonstrativen" fehlt. Es sei häufig zu beobachten, daß sich die beschriebenen Erlebnispassagen in Gegenwart anderer eher beruhigen und sich erst beim Alleinsein zu bedrohlichen Ängsten steigern können. Raum-Zeiterleben Veränderungen der Raumwahrnehmung sind ebenfalls sehr variabel und können im Halluzinogenrausch IchStörungen zur Folge haben. Sichtbare Objekte können besonders plastisch wahrgenommen werden, wobei eine gesteigerte Differenzierung für Farben, Helligkeit und ein verstärktes stereoskopisches Sehen berichtet wird (Beringer, 1927, S. 39). Scheinbewegungen und perspektivische Verzerrungen mit Mikropsie, Makropsie und Dysmegalopsie werden häufig angegeben (Be ringer, 1927, S. 43). Im Rahmen dieser Wahrnehmungsverzerrung und Scheinbewegungen, in der räumliche Strukturen

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teils als zerfließend, teils als bedrohliche Enge erlebt werden, können die Raum-Ich-Grenzen im Sinne von Derealisationserleben gestört werden. Die Tendenz zur "Physiognomisierung" der Umwelt (z.B. in Wolken, Tapetenmustern Gesichter zu sehen) wird bei akut Schizophrenen häufiger beobachtet (Conrad, 1958). Bei experimentell erzeugten Psychosen werden z. T. analoge Phänomene berichtet, insbesondere spielen sich Veränderungen im Bereich der Wahrnehmung von Gesichtern ab (Harrington et al., 1988). In diesem Zusammenhang kann das Gefühl entstehen, daß die eigene Mimik, Gestik und Bewegungen sich der bewußten Kontrolle entziehen und daß das Ausdrucksverhalten nicht mehr mit dem Auszudrückenden übereinstimmt. Über Veränderungen bzw. Störungen des Zeitsinnes im Halluzinogenrausch wird ebenfalls häufig berichtet (Beringer, 1927, S. 80ff.; Becker, 1949, S. 433 fI). Die Zeit erscheint entweder verkürzt, gedehnt oder aber ganz aufgehoben. Das gestörte Zeiterleben kann, wenn es auf eine halluzinogenbedingte euphorische Grundstimmung trifft, zu ekstatischen Glückserlebnissen führen, umgekehrt können bei ängstlichen Verstimmungen Gefühle von Angst durch den Eindruck verstärkt werden, daß die Zeit nicht mehr fortschreitet (Becker, 1949,S. 434; Cohen, 1968, S. 34). Heimann (1961, S. 87) beschreibt Störungen des Zeiterlebens bei der Psilocybin-induzierten Psychose in Zusammenhang mit zunehmenden leh-Störungen. Melges et al. (1970) fanden ebenfalls einen deutlichen Zusammenhang zwischen gestörtem Zeiterleben und Ich-Störungen während einer experimentell erzeugten Haschisch-intoxikation. . Vor allem das Bewußtsein über vergangene Zeit wird oft abnorm überschätzt. Die Schilderung eines Probanden von Beringer macht deutlich, daß Berichte über die scheinbare Dehnung von Zeit eher als Berichte über ein aufgehobenes Zeitgefühl interpretiert werden müssen. "Als Dr. M. das Zimmer wieder betrat, fragte ich ilm, wie lange er mich alleingelassen hatte. Er meinte 5 min. Das ist nicht möglich, erwiderte ich, ich glaubte, er wolle mich täuschen. Wenn man mir gesagt hätte, die Zeit habe Stunden gedauert, so hätte ich das eher geglaubt". (Beringer, ] 927, S. 80) Über ein vollkommen aufgehobenes Zeitgefühl bei schizophrenen Psychosen berichtet bereits 1929 S. Fischer. Ihm fiel auf, daß bei Schizophrenen die Zeit weder langsamer noch sclmeller abläuft, sondern gleichsam fragmentiert erscheint oder ganz fehlt. Passivitätssyndrom Beringer (1927, S. 73) betont, daß die "eigentümliche Passivität", wie sie dem Meskalin eigen ist, von ganz grundsätzlicher Wichtigkeit zum Verständnis des Meskalinrausches überhaupt ist. Einzelne Vpn erlebten sich als inaktiv zurückgezogen, rein rezipierend und z. T. unfähig zur Kontrolle von Denken, Erleben und Verhalten. Auf dem Höhepunkt des Rausches kann die Vp den Erlebnissen im Meskalinrausch derart passiv ausgeliefert sein, daß eine reflektierende Auseinandersetzung vermindert bzw. nicht mehr möglich ist. Die weni· gen Inhalte werden im Zustand der Passivität mit besonderer Eindringlichkeit erlebt, wobei diese vom übrigen Erleben völlig herausgelöst werden können.

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hierzu auch manche parästhesieartigen Empfindungen. Anderson und Rawnsly (1954, S. 44ft) beobachteten unter LSD bei mehr als einem Drittel von 19 Vpn eine sexuelle Stimulation. Anderen Autoren zufolge sind sexuelle Bedürfnisse unter Halluzinogenen meist abgeschwächt oder fehlend (G. u. U Derbolowsky, 1966; Hole, 1967).

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Eine Vp Beringers (1927, S. 74ff.) berichtet von einer völlig isolierten Wahrnehmung: "Ich sah einen kleinen Fussel auf dem Anzug des Dr. B. Dieser Fussel nahm ... meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich konnte nicht nur meine Augen, sondern auch die ganze intensive Hinwendung meiner Person nicht davon lassen. Es war, als ob in meinem ganzen Bewußtsein nichts anderes vorhanden sei als allein dieser Fussel, als ob er mein ganzes Bewußtsein ausfüllte". Im Halluzinogenrausch ist die Fähigkeit zu rationaler Verarbeitung eingeschränkt, das Relitätsprinzip und die Außenwahrnehmung treten zurück und die gewohnten Bezugsund Wertesysteme werden z. T. als sinnlos empfunden (Heimann, 1961, S. 86; Beringer. 1927, S. 73). Hux/ey (1966, S. 22) berichtet hierzu: "Wer Meskalin nimmt, fühlt sich nicht veranlaßt, irgend etwas Bestimmtes zu tun und findet die meisten Zwecke, für die er zu gewöhnlichen Zeiten zu handeln und zu leiden bereit war, äußerst uninteressant". Mit zunehmender Rauschtiefe und "Passivität" sind Ich-Störungen im Sinne von Derealisations- und Depersonalisationserlebnissen möglich. Nach Leuner (1962, S. 30) sind die Abwendung von der Außenwelt und eine intensive Hinwendung an das "psychotische Innenleben" charakteristisch. Savage und Cho/den (1956, S. 410) sprechen in ähnlichem Sinne von einer "autistischen Präokkupation" während des Rausches. Zwn Vergleich zwischen Schizophrenie und den psychopathologischen Phänomenen der experimentellen Psychose versuchte Leuner (1962) "psychische Schlüsselfunktionen" unter der Wirkung von Halluzinogenen herauszuarbeiten. Leuner sieht im "psychotoxischen Basissyndrom" den funktionalen Untergrund beim Strukturwandel der Psyche unter dem Einfluß von Halluzinogenen, wobei drei Variablen zur Geltung kommen: I. Das Bewußtsein, das qualitativ verändert wird im Sinne des protopathischen Bewußtseinszustandes von Conrad (1948). 2. Eine leichte intel1ektuelle und affektive Regression. 3. Eine Aktivierung der Wahrnehmungsvorgänge und der inneren (affektiv-emotionalen) Reizbildung, die bis zum Durchbruch instinkt- und triebgebundener Passagen gesteigert werden kann. Das "psychotoxische Basissyndrom" hat nach Leuner (1962, 1981) sein normalpsychologisches Pendant im

,,hypnagogen Basissyndrom", das mit Zuständen bei der Hypnose, beim Einschlafen und mit sensorischer Deprivation verglichen werden kann. Somit liegt nach Leuner bereits normalpsychologisch eine Funktionsmatrix vor, die durch Halluzinogene lediglich intensiviert wird. Leuner (1962, S. 78ff.) unterscheidet in der Model1psychose zwei verschiedene Verlaufsformen des Rausches: Eine "fluktuierend szenische" bzw. eine "quasi normale" Rauschform. Für die Rauschinhalte ist kennzeichnend, daß die Vp die Inhalte in einem kontinuierlichen Bilderfluß mit adäquater emotionaler Beteiligung erlebt. Die normalen psychischen Verarbeitungsmechanismen reichen hier aus, um die aktivierten Impulse zu steuern.

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sensorischen Funktionen ist vor allem die gesamte Affektivität gesteigert. Leuner (1962, S. 42) spricht von einer "gesteigerten inneren Reizproduktion". Die kontrollierenden und hemmenden Steuerungsmechanismen werden parallel zur Affektaktivierung beeinträchtigt. Im Extremfal1 ist die Psyche nicht mehr in der Lage, die Affektaktivierung adäquat zu verarbeiten. Der szenische Rauschablauf wird unterbrochen, es kommt zu offenbar sinnlos fragmentierten Erlebnispassagen mit inadäquatem Affekt. Nach der Lehre der klassischen deskriptiven Psychopathologie gelten extrem psychotische Symptome als "Unverstehbares" (Jaspers). Für die scheinbar sinnlose Aneinanderreihung von Inhalten, für die inadäquaten Affekte und die katatonen Hypo- und Hypersymptome ist nach Leuner die "dynamische Übersteuerung des psychischen Systems" als zweite Schlüsselfunktion der experimentellen Psychose verantwortlich zu machen. Da durch das Halluzinogen persönlichkeitsspezifische emotionale Konstellationen "übersteuert" werden, findet Leuner es für berechtigt, die dritte Schlüsselfunktion des "transphänomenalen dynamischen Steuerungssystems" abzugrenzen. Die transphänomenalen Erlebnisspannungen manifestieren sich in wechselnden Inhalten und Symptomen und sind mit den Mitteln der deskriptiven Psychopathologie nicht faßbar. Eindrucksvolle Beispiele mit extrem psychotischem Rauschverlauf schildert Leuner (1962, S. 89 ff.). Bei einer über 22 Sitzungen anhaltenden Motilitätspsychose zeigte eine Patientin stereotyp Dreh-, Wälz- und Spreizbewegungen. Die Patientin hatte zunächst das Gefühl, daß die Bewegungsabläufe stellvertretend für ihre Gedanken stünden. Auch persönlichkeitsfremd erlebte optische Szenarien (z. B. Tierbilder, Monster, Fabelwesen) haben nach Leuner eine "individuelle biographische Sinnbezogenheit". Leuner revidiert damit die Vorstellung Beringers, daß in der experimentellen Psychose "kein verdrängtes Triebmaterial" gefunden werde. Auch im extrem psychotischen Verlauf mit katatoner Erregung und Stupor können sich nach Leuner symbolische Inhalte und verdrängte Affektkomplexe manifestieren. weswegen unter dem Einfluß der Halluzinogene individuell psychotherapeutisch wirksam gearbeitet werden kann. Als vierte Schlüsselfunktion beschreibt Leuner die "dynamische Reduktion". Diese zeigt sich darin, daß die psychotisch übersteuerte Erregung nachläßt. Leuner beruft sich auf die Erfahrungen mit analytischer Psychotherapie, bei der nach starker affektiver Abreaktion in der experimentellen Psychose ein reduziertes Errcgungsniveau erreicht wird, auf dem die Patienten ihren Zustand besser verbalisieren können. Die flinfte Schlüssel funktion der experimentellen Psychose stellen nach Leuner die gefundenen Gesetzmäßigkeiten der tiefenpsychologischen Affektdynamik dar, welche in Form von symbolischen Abbildungsvorgängen, der Reminiszenz belastender Kindheitserinnerungen und in Form der kathartischen Abreaktionen gefunden werden. Als sechste Schlüsselfunktion kennzeichnet Leuner schließlich die "dynamische Fixierung". Sie geht einher mit Stagnation des psychotischen Erlebens und kann auch als hartnäckiger Abwehrmechanismus betrachtet werden. Ich-Verlust

Die halluzinogene Wirkung ist nach Leuner wesentlich bestimmt durch das "physiologisch und psychisch aktivierende Moment des Toxins". Neben der Aktivierung der

Mit Ich-Verlust wird das Vorliegen der o. g. Erscheinungen in starker Ausprägung und damit ein insgesamt

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Beziehungen der Model/- bzw. Drogenpsychosen zu schizophrenen Erkrankungen

Zur Begründung der nosologischen Spezifität der Ich-Störungen für schizophrene Psychosen wird häufig deren Vorhandensein bei schizophrenen gegenüber deren Nichtvorhandensein bei experimentellen Psychosen angeführt. Erwähnt wird immer wieder der erhaltene reflektierende Ich-Rest (Leuner, 1962, S. 73) bei experimentellen Psychosen als Beleg für die Unterschiedlichkeit derartiger Zustände bei schizophrenen Psychosen. Andererseits gibt es Berichte über die phänomenologische Nichtunterscheidbarkeit von Ich-Störungen (insbesondere Depersonalisation) bei experimentellen und endogenen Psychosen (Guttmann und MacClay, 1936). Das "Experimenturn crucis" dieser These ist die Applikation von Drogen an eine gesunde Person ohne deren Wissen. Derartige "Experimente" wurden vom CIA im Rahmen eines Auswahlverfahrens für einen bestimmten Auftrag durchgeführt, in dem man Personen ohne deren Wissen LSD verabreichte (Fischman, 1982). Eine Person geriet dadurch in einen extremen Angstzustand, wobei sie nach Abklingen der Drogenwirkung berichtete, daß sie die vorbeifahrenden Autos für Monster gehalten hatte. Neben dem beschriebenen Wissen um die Umstände spielt sicherlich die Dosierung des Halluzinogens eine wichtige Rolle. Es ist beschrieben, daß bei mittlerer Dosierung die Probanden zu einer gewissen Introspektion und Reflexion fähig bleiben, mit steigender Dosierung kann diese Fähigkeit jedoch verloren gehen. Entsprechend argumentierte Winters (1975), daß die Unterschiede hinsichtlich des ,,reflektierenden Ich-Restes" bei schizophrenen Psychosen und Modellpsychosen ein Epiphänomen darstellen: Wer Drogen appliziert bekommt, der weiß um die Ursache der bei ihm eintretenden Veränderungen, wer an einer endogenen Psychose leidet, der weiß um diese Ursache nicht (Hermle et al., 1988, S. 55). Die meisten Halluzinogenexperimente, die auf einen Vergleich zwischen Modellpsychose und Schizophrenie abzielten, wurden in der Regel mit hoiler Dosierung und unter den technisch nüchternen Bedingungen eines Kliniklabors durchgeführt, so daß die realen Verhältnisse mit vieWiltigen wahrnehmungs- und affektanregenden Reizen durch die natürliche Umgebung keine Berücksichtigung fanden. Schönfelder (1967) vcrabrcichte 21 Probanden (6 weibliche und 15 männliche im Alter von 19 und 26 Jahren) CZ-74, ein Alkylierungsprodukt von Psilocyn, in einer niedrigen Schwellendosis. Die Probanden hattcn während des Versuchs eine standardisierte Route (Besuch eines Kaufhauses, Rundgang durch die Stadt, Spaziergang in einem Waldgebiet) zu durchlaufen. Die Conradschen Kategorien (Trema, Apophänie, Anastrophe) ließen sich bei diesem Experiment auf die experimentelle Psychose übertragen. Die Umwelt wurde von den Probanden als "apophän" erlebt. Durch die wachsende Angst und das Mißtrauen gegenüber der Umgebung wurde der "Überstieg", d. h. der Wechsel der Bezugssysteme, gefährdet. ,,Das Erleben der einzelnen Probanden entsprach etwa dem abnormen Bedeutungsbewußtsein" (Jaspers) bzw. der "Beziehungssetzung ohne Anlaß" (Gruhle). Wahrgenommene Gegenstände erhielten eine neue Bedeutung, wobei einzelne Probanden glaubten, daß sich alles um sie dreht (sog. Anastrophe) und sie die ganze Welt beeinflussen könnten (Omnipotenz).

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Bei weiterer Steigerung stellt sich nach Conrad (1958) eine als apokalyptisch beschriebene Phase ein. Hier zerfällt das Erlebnisfeld mit Verlust der -Ich-Kontrolle, wobei ein katatones Zustandsbild eintreten kann. In der Phase der höchsten dynamischen Übersteuerung (Leuner, 1962) sind Phänomene wie Stupor und stereotype Bewegungen die noch verbleibenden Ausdrucksformen. Stellung von Halluzinationen und Wabrnebmungsstörungen in der Syndromgenese Zur Frage der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit der Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen schizophrener Patienten mit den Halluzinationen bei Modellpsychosen wurde in den letzten 2 Jahrzehnten insbesondere von angloamerikanischen Autoren Stellung bezogen. Nach weitverbreiteter Meinung werden die Halluzinationen bei Drogenpsychosen und Schizophrenie durch ihre Modalität sowie durch ihre Stellung in der Syndromgenese unterschieden (Spitzer, 1988, S. 127-134). Schizophrene halluzinieren angeblich vor allem akustisch, wohingegen nach Drogeneinnahme optische Halluzinationen überwiegen sollen. Dieser Unterschied in der Modalität wird häufig als Hinweis für den Unterschied von Modellpsychose und schizophrener Psychose gewertet. Das seltene Auftreten akustischer Halluzinationen (z.B. nach LSD-Einnahme) wurde jedoch ebenso angezweifelt, wie das verhältnismäßig seltene Auftreten optischer Halluzinationen bei Schizophrenen (Chapman, 1966; Hoffer und Osmond, 1966; Smal/, 1966; Freedman und Chapman, 1973; Young, 1974; Winters, 1974). Diese Autoren betonen auch die Gleichartigkeit von Wahrnehmungsstörungen bei beginnender Schizophrenie und drogeninduzierter Psychose. Insbesondere machte Chapman (1966) deutlich, daß man bei der Differenzierung von Wahrnehmungsstörungen Schizophrener zwischen Halluzinationen, illusionären Verkennungen und Wahnwahrnehmungen auf Schwierigkeiten stößt, da nur selten psychopathologisch klar abgrenzbare Sachverhalte vorliegen. Feinberg (1962) verglich die Erscheinungsweise zwischen schizophrenen und halluzinogenbedingten optischen Halluzinationen und fand eine Reihe interessanter Unterschiede. So sollen bei Schizophrenen Halluzinationen ohne Prodromi auftreten, während den optischen Halluzinationen bei Meskalin oder LSD teils formlose optische Eindrücke, teils einfach geometrische Figuren und einfache Wahrnehmungsveränderungen von Gegenständen hinsichtlich Farbe, Größe, Gestalt und Bewegungen vorausgehen. Schizophrene Halluzinationen unterscheiden sich weiterhin durch einen begleitenden Affekt, wohingegen die halluzinogenbedingten Halluzinationen sich unabhängig von affektiven Veränderungen entwickeln sollen. Außerdem ließen sich Halluzinationen im Halluzinogenrausch nur selten klar abgrenzen, da die gesamte Realität immer diffus verändert sei. Schließlich besteht ein wichtiger Unterschied darin, daß Halluzinationen bei Schizophrenen in der Regel mit offenen Augen gesehen werden, wohingegen drogenbedingte Halluzinationen deutlicher im Dunkelzimmer oder mit geschlossenen Augen erlebt werden. Aus seinen vergleichenden Beobachtungen kam Feinberg (1962, S. 70) zu folgendem Ergebnis: "It is not possible, on the basis of the above data, to conclude that mescaline and LSD never produce visual halluzinations similar to

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schwerwiegendes Symptom bezeichnet. Denken, Wahrnehmen, Erleben und Affekt wird nicht mehr als zu mir gehörig, die Umwelt nicht mehr als von mir unabhängig, Zeit nicht mehr als existent erlebt. Derartige Zustände gehen häufig mit schweren Erregungszuständen und Angst einher.

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those of schizophrenia. The more complex and organized halluzinations (Stage IV of Klüver) induced in some persons ofthese drugs do resemble schizophrenic halluzinations. Nevertheless, the visual phenomena occurring during the course of drug states are sufficiently different from those of schizophrenia to suggest that the two result from the operations of different mechanisms." Es wurde weiterhin argumentiert, daß die Unterschiede der Halluzinationen bei Schizophrenie und nach Drogeneinnahme nicht eine Funktion des zugrundeliegenden Morbus, sonderen eine Funktion der Zeit darstellen. Winters (1975, S. 66) ging so weit, eine Theorie der zeitlichen Entwicklung von Halluzinationen bei Psychosen zu formulieren, die ein Stadium optischer Halluzinationen als zeitlich primär und alcustische Halluzinationen als sekundär annimmt. Er postulierte, daß die zeitlichen Stadien der Schizophrenie analog einer chronisch halluzinogenbedingten Intoxikation aufgefaßt werden kann: "Visualize what would happen if a subject received increasingly larger doses of a psychotomimetic agent like phencyclidine over aperiod of months or years, without ever being told that he was receiving this agent. The intermittend occurrence of bizarre sensory perception would not be related to a known cause. As the bizarre perceptual experiences became more and more profound, the subject would lose the ability to distinguish reality from unreality. If the inital dose were low, only visual perceptual changes would be noted. As the dose was increased the symptoms would become more profound, progressing to frequent episodes of multisensory perceptual changes. As a result, the subject would lose his concepts of reality based on sensory cues. His basic personality structure would change to such a degree that he would manifest delusional ideation relating to his environment. This would progress until a symptom complex characteristic of the schizophrenic state ensued." Applikation halluzinogener Substanzen an Schizophrenen

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Die Frage der Unterscheidbarkeit bzw. Nichtunterscheidbarkeit von Modellpsychosen und Schizophrenie führte bereits in den 30er Jahren dazu, schizophrenen Patienten Halluzinogene zu verabreichen. Zucker (1930, S. 115) verabreichte neun schizophrenen Patienten Meskalin in Dosen zwischen 0,35 ~O,4 g und stellte fest, "daß die Meskalin-bedingten Sinnestäuschungen ... für den Patienten absolut anderen Erlebnischarakter haben als seine eigenen, zuvor schon bestehenden Sinnestäuschungen. Und das ist gerade auch da der Fall, wo die MeskalinerIebnisse auf dem gleichen Sinnesgebiet auftreten, auf dem er auch sonst zu halluzinieren pflegte." Daß die Meskalin-bedingten Erlebnisse nicht wie die krankheitsbedingten Halluzinationen in einen Wahn einbezogen werden, sah Zucker als einen weiteren ..Hinweis auf die Andersartigkeit des Erlebniswertes der in Frage stehenden Sinnestäuschungen" (Zucker, 1930, S. 131). Andere Autoren wie Kam (1930), Speckmann (1939) und Stoll (1947) kamen zu ähnlichen Ergebnissen, wohingegen später eher die gegenteilige Meinung vertreten wurde. Kant (1930) applizierte IO schizophrenen Patientinnen Haschisch. Bei den meisten trat eine Euphorie auf, selten ein auffallender Wechsel von Angst und Euphorie. Mehrere Patientinnen entwickelten ein katatones Bild mit stereoty-

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pen Pendel- und rotierenden Bewegungen, Katalepsie, Befehlsautomatie und negativistischem Stupor. Weiterhin traten neben optischen Halluzinationen akustische Sinnestäuschungen, osmische und coenästhetische Sensationen auf. Einige Patientinnen berichteten von einem Gefühl der körperlichen Beeinflussung und des Bedrohtseins. Sie fühlten sich bestrahlt, von Energiewellen betroffen, von Elektrizität durchströmt, gestochen, körperlich-sexuell beeinflußt. Stoll (1947) verabreichte drei männlichen und drei weiblichen Schizophrenen jeweils 20mal LSD in therapeutischer Absicht. Ihm fiel selbst bei hohen LSD-Dosen eine deutlich geringere und inhaltlich eintönigere Erlebnisschilderung auf. Stoll führte diese Beobachtung auf die schizophrenen Grundsymptome (Autismus, Zerfahrenheit etc.) zurück, wobei er offen ließ, ob die schizophrene Psychose zu einer Beeinträchtigung der Wahrnehmung der drogeninduzierten psychopathologischen Phänomene fuhrt oder die Entstehung der toxisch bedingten Symptome erschwert bzw. verhindert. Condrau (1949) führte bei 30 schizophrenen Patienten insgesamt 197 Versuche mit LSD durch und fand im Gegensatz zu Stall, daß die Halluzinationen unter LSD nicht von den krankheitsbedingten (d. h. endogenen) Halluzinationen unterschieden werden konnten. Allerdings fand er ähnlich wie StolI, daß schizophrene Patienten gegenüber LSD eine stärkere Resistenz zeigen und die Symptomatik insgesamt schwächer ausgebildet ist. Unter differentialdiagnostischer Sicht waren weiterhin keine klaren und brauchbaren Unterschiede zu erkennen. Es zeigte sich, daß sowohl hebephrene wie paranoide Schizophrenien, schwerste Katatonien und auch andere Psychosen wie manisch-depressives Irresein und ein Fall von progressiver Paralyse, ganz unterschiedlich und uneinheitlich reagierten (Condrau, 1949, S. 3lff.). Roch (1957) fand, daß Schizophrene Z.1. sehr unterschiedlich auf Halluzinogene reagieren. Vor allem zeigen Kranke mit Minussymptomatik nur eine geringe Reaktion im Vergleich zur Wirkung an Normalpersonen, während Schizophrene mit produktiven Symptomen z. T. sehr intensiv auf Meskalin und LSD reagieren.

Schlußfolgerungen Das vermehrte Auftreten produktiv-psychotischer Symptome bei Applikation von Halluzinogenen hatte in den 60er Jahren dazu geführt, z. B. LSD als differentialdiagnostische Screening-Untersuchung bei latent Schizophrenen einzusetzen (Photiades und Anastasopoulos, 1960). Auch Sedman und Kenna (1965) hielten die LSD-Applikation für ein geeignetes Differentialdiagnostikurn (Spitzer, 1988, S. 118-122). Da nicht wenige Schizophrene seit den 60er Jahren über Drogenerfahrungen verfugen, ist deren genaue Exploration im Hinblick auf das RauscherIeben und das Erleben während der Krankheit geeignet, wichtige Hinweise zur Frage der Ähnlichkeit oder Unterschiedlichkeit von Schizophrenie und Modellpsychose zu geben. Einige Patienten berichten, daß ihre Drogenerfahrungen ganz anders seien, als ihre Erfahrungen während der akuten Psychose. Sprechen diese Differenzierungen eher tUr Unterschiede zwischen Modellpsychose und Schizophrenie, so sprechen die differentialdiagnostischen Schwierigkeiten in der Klinik sowie das häufige Vorkommen

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von drogeninduzierten schizophrenifonnen Psychosen zumindest für Gemeinsamkeiten in der Pathogenese. Dies insbesondere dann, wenn man ein relativ unspezifisches Konzept der Schizophrenieentstehung, wie beispielsweise das des Vulnerabilitäts-Streß-Modells (Zubin und Spring, 1977), zugrunde legt: bei einem vulnerablen Patienten vermag bereits eine geringe Dosis eines Halluzinogens eine Psychose zu bewirken, so daß aus der alten klinischen Dichotomie ausgelöst vs. verursacht ein Kontinuum wird. Die von Leuner postulierten homologen Schlüsselfunktionen bei Modellpsychosen und Schizophrenie werden durch die klinische Beobachtung bestätigt. Halluzinogene können nicht nur schizophrenieähnliche Intoxikationssymptome provozieren, sondern auch protrahierte Psychosen. Zwischen Modellpsychose und (beginnender) Schizophrenie scheint hinsichtlich der psychopathologischen Phänomene kein grundsätzlicher Unterschied zu bestehen. Damit verdient erstere ihren Namen und kann somit zum Studium der endogenen Psychosen herangezogen werden. Literatur Alarcon, R. D., W. A. Dickinson, H. H. Dohn: Flashback phenomena: clinical and diagnostic dilemmas. 1. Nerv. Ment. Dis. 170 (1982) 217-223 Alsen, Schiwphreniforme Psychosen mit belangvollen körperlichen Befunden. Z. Neurol. Psychiat. 37 (1968) 448-457 Anderson, O. H., K. Rawnsley: Clinical studies of Iysergic acid diethylamide. Monatssehr. Psychiat. Neurol. 128 (1954) 38-55 Amold, 0. H., H. Hoff: Untersuchungen über die Wirkungsweise von Lysergsäurediäthylamid. Wien. Z. Nervenheilk. 6 (1953a) 129150 Amold, 0. H., H. Hoff: KörperschemastöfWlgen bei LSD-25. Wien. Z. Nervenheilk. 6 (1953 b) 295-274 Avenarius, R.: Der Verlust der Ich-Umwelt-Balance im Beginn der endogenen Psychose. Nervenarzt 47 (1976) 482-487 Becker, A. M.: Zur Psychopathologie der Lysergsäurediethylamidwirkung. Wien. Z. Nervenheilk. 2 (1949) 402-439 Bell, D. S.: Comparison of amphetamine psychosis and schizophrenia. Brit. 1. Psychiat. 111 (1965) 701- 707 Beringer, K.: Der MeskaIinrausch. Seine Geschichte und Erscheimmgsweise. Monograph. Neurol. Psychiatr. 49, Springer, Berlin, Heidelberg 1927 Bonhoeffer, K.: Zur Frage der Klassifikation der symptomatischen Psychosen. Berl. Klin. Wschr. 45 (1908) 2257-2260 Bonhoeffer, K.: Zur Frage der exogenen Psychosen. Zbl. Nervenheilk. 32 (1909) 499-505 Bonhoeffer, K.: Die Psychosen im Gefolge von akuten Infektionen, allgemeinen Krankheiten und inneren Erkrankungen. In: Aschaf fenburg, G. (Hrsg.): Handbuch der Psychiatrie, Bd. III. Deuticke, Leipzig, Wien 1912 Bonhoeffer, K.: Die exogenen Reaktionstypen. Arch. Psychiatr. Nervenkr. 58 (1917) 58-70 BonhojJ. G., H. Le.."renz: Über Weckamine (Pervitin und Benzedrin). Monographie aus dem Gesamtgebiet der Neurologie und Psychiatrie 77, Springer, Berlin Göttingen, Hcidclbcrg 1954 Breakey. W. R., H. Goodell, P. C. Larenz, P. R. McHugh: Halluzinogenie drugs as precipitants of schizophrenia. Psychol. Med. 4 (1974) 255 -261 Bron, B.: Drogenabhängigkeit und Psychose. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1982 Chapman, J: Tbe early symptoms of schizoPhrenia. Brit. 1. Psychiat. 112 (1966) 225-251 Cohen, Lysergic acid diethylamide: side effects and complications. 1. Nerv. Ment. Dis. 130 (1960) 30-40

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Beziehungen der Modell- bzw. Drogenpsychosen zu schizophrenen Erkrankungen

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Dr. L. Herm/e Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Christophsbad, Göppingen 7320 Göppingen

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[Relations of model and drug-induced psychoses to schizophrenic diseases].

From the clinical point of view, substance-induced psychosis can be rather similar to schizophrenia. However, the question whether phenomenological re...
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