768 Originalarbeit

Zusammenhang zwischen selbsteingeschätzter ADHSSymptomatik und der Leistungsfähigkeit in der WAIS-IV

Autoren

J. Theiling, F. Petermann, M. Daseking

Institut

Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen

Schlüsselwörter ▶ ADHS ● ▶ Selbsturteil ● ▶ WAIS-IV ● ▶ ADHS-E ● ▶ Schweregradausprägung ●

Zusammenfassung

Abstract

Die Studie ging der Frage nach, welche Zusammenhänge zwischen der kognitiven Leistungsfähigkeit und dem subjektiv eingeschätzten Schweregrad der ADHS-Symptomatik bei Erwachsenen bestehen. Zur Ermittlung der kognitiven Leistungsfähigkeiten wurde bei N = 113 Erwachsenen die Wechsler Adult Intelligence Scale-IV (WAIS-IV) herangezogen; zudem wurde der Schweregrad der ADHS mit einem Screeningverfahren (ADHS-E) von den Betroffenen selbst beurteilt. Insgesamt lassen sich nur geringe Korrelationen zwischen der Selbstbeurteilung und der WAIS-IV feststellen. Trotz geringer Varianzaufklärung war zur Vorhersage der kognitiven Leistungsfähigkeit fast ausschließlich die „Skala Emotion & Affekt“ bedeutsam. Objektive Leistungsdiagnostik und Selbsturteil ergänzen sich im Rahmen des diagnostischen Prozess, da übereinstimmende und diskrepante Informationen zur differenzierten Betrachtung des neuen Störungsbildes ADHS im Erwachsenenalter beitragen.

This study has examined the relationship between cognitive functions and self-reported symptoms in ADHD adults. Cognitive functions were investigated with the Wechsler Adult Intelligence Scale-IV (WAIS-IV) in N = 113 ADHD adults. The severity of self-reported symptoms was based on a screening questionnaire (ADHSE). Results indicated only weak correlations between self-reported ADHD symptoms and WAISIV performance. The ADHS-E scale “Emotion & Affect” accounted for a small but significant variance on most WAIS-IV indices and turned out to be the most important variable to explain performance. The findings suggest that concurrent and discrepant information contribute to a differentiated examination on adult ADHD and that both objective performance diagnostics and self-reports complement each other within the diagnostic process.

Einleitung

Erwachsenenalter. Eine Vielzahl an Studien weist darauf hin, dass die Symptomatik einer ADHS mit Defiziten in der kognitiven Leistungsfähigkeit assoziiert ist [5–9]. Vor allem zeigt sich, dass Symptome gestörter Aufmerksamkeitsleistungen oder fehlende Hemmung (Disinhibition) zur Erklärung von Leistungen in neuropsychologischen Verfahren, wie zum Beispiel der ‚Continuous Performance Task‘ [10] oder der ‚Stroop Test‘ [11], beitragen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die neuropsychologischen Beeinträchtigungen bei Erwachsenen mit einer ADHS – wie auch bei Kindern mit dieser Diagnose – sehr heterogen ausfallen. Eine mögliche Erklärung kann in der hohen Komorbidität mit anderen Störungsbildern liegen [12, 13]. So ergeben

Key words ▶ ADHD ● ▶ self reporting ● ▶ WAIS-IV ● ▶ ADHS-E ● ▶ symptom severity ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1357163 Online-Publikation: 28.10.2013 Gesundheitswesen 2013; 75: 768–774 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0941-3790 Korrespondenzadresse Johanna Theiling Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation Universität Bremen Grazer Straße 2 und 6 28359 Bremen [email protected]





Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung wird als „Zappelphilipp-Syndrom“ meist mit dem Kindes- und Jugendalter assoziiert. Im Rahmen der KiGGS-Studie konnte festgestellt werden, dass nach Elternangaben auf 4,8 % der Kinder das Vollbild einer ADHS zutrifft [1]. Da es sich jedoch um eine chronische Erkrankung handelt, ist davon auszugehen, dass sich auch im Erwachsenenalter bei vielen Betroffenen noch ADHS-bedingte Einschränkungen ergeben [2, 3]. Nach Sobanski und Alm [4] zählen mangelnde Alltagsorganisation, ineffiziente Arbeitsweise, mangelnde Impulskontrolle und emotionale Labilität zu den Kernsymptomen einer ADHS im



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Relationship between Self-Reported ADHD Symptoms and WAIS-IV Performance

Originalarbeit 769 Methodik



Stichprobe Die teilnehmenden Erwachsenen wurden im Zeitraum zwischen April 2012 und Mai 2013 in Zusammenarbeit mit einer Psychotherapeutischen Ambulanz sowie über Pressemitteilungen rekrutiert. Die Teilnahmebedingungen (Alter ≥ 16; gutes Verständnis der deutschen Sprache; Hauptdiagnose ADHS) wurden in einem kurzen Telefoninterview überprüft. Insgesamt nahmen 124 Patienten mit einer ADHS-Diagnose an der Studie teil. Der überwiegende Teil der Personen stammt aus Bremen, Hamburg und Niedersachsen. Für alle Personen, die sich auf die Pressemitteilung gemeldet hatten, wurden die diagnostisch relevanten Symptome einer ADHS durch den Selbstbeurteilungsbogen (ADHS-SB) der Homburger ADHS Skalen HASE; [29] validiert. Personen ohne vorliegende ADHS-Diagnose (n = 7) wurden ausgeschlossen. Als weitere Ausschlusskriterien wurden komorbide Störungsbilder wie Schizophrenie (n = 1), Intelligenzminderung, Schädel-Hirn-Trauma mit Bewusstseinsverlust definiert. Weiterhin gingen nur vollständige Datensätze in die Berechnungen ein. Daher reduzierte sich die Untersuchungsstichprobe um 3 weitere Personen auf N = 113 Erwachsenen mit ADHS (70 Männer = 62 %, 43 Frauen = 38 %) im Alter zwischen 17 und 71 Jahren (M = 37 Jahre, SD = 11 Jahre). Fast die Hälfte der Stichprobe (n = 56, 49,5 %) verfügen über einen gymnasialen Bildungsabschluss; 36,3 % (n = 41) haben eine Realschule und 14,2 % (n = 16) eine Hauptschule abgeschlossen. Eine detaillierte Stichprobenbeschreibung zu den ▶ Tab. 1 entnomklinischen Merkmalen der Stichprobe kann ● men werden. Hier zeigt sich, dass für 67,3 % mindestens eine komorbide psychiatrische Diagnose vergeben wurde.

Untersuchungsverfahren Wechsler Adult Intelligence Scale-IV Die Intelligenzleistungen und Teilbereiche der kognitiven Funktionen wurden mit der deutschsprachigen Version der Wechsler Adult Intelligence Scale – IV [WAIS-IV; 30] erfasst. Es wurden alle 10 Kerntests und 2 optionale Untertests durchgeführt. Die Kerntests tragen zur Berechnung der 4 Indizes bei: Sprachverständnis (SV), Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken (WLD), Arbeitsgedächtnis (AGD) und Verarbeitungsgeschwindigkeit (VG). Diese 4 Indizes gehen in den Gesamt-IQ (G-IQ) ein. Darüber hinaus wurde der Allgemeine Fähigkeitsindex (AFI) berechnet, der sich aus den 6 Untertests der Indizes SV und WLD zusammensetzt. Die Testdauer betrug zwischen 60 und 90 min.

ADHS-Screening für Erwachsene (ADHS-E) Zur differenzierten Erfassung des Schweregrades der Beeinträchtigung durch die ADHS im Erwachsenenalter wurde zusätzlich ein selbstbeurteilendes Kernscreening [ADHS-E; 31] eingesetzt. Neben der Interpretation eines Gesamtwerts besteht die Möglichkeit, über 5 Skalen eine Profilanalyse und einen globalen Schweregrad der Beeinträchtigung zu bestimmen: Emotion und Affekt (EA), Aufmerksamkeitssteuerung (AS), Unruhe und Überaktivität (UU), Impulskontrolle und Disinhibition (ID) und Stresstoleranz (ST). Die Skala EA erfasst die Kontrolle von Stimmungen und Gefühlen in stressige Situationen und in solchen, in denen Lösungsstrategien angewandt werden müssen. Über die Skala AS werden Defizite im Bereich der Aufmerksamkeitsselektivität, die vor allem unüberlegtes Handeln und Disinhibition zur Folge haben können, abgebildet. Dieses impulsive Verhalten wird von der Skala ID erfasst und ist besonders auf

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einige Studien klinisch auffällige Werte in der Inhibition, mentaler Flexibilität, Arbeitsgedächtnis und der Verarbeitungsgeschwindigkeit [5, 6, 14–16]. Aber Erwachsene mit einer ADHSDiagnose schneiden oftmals in diesen Tests auch unauffällig ab. Dieses bedeutet jedoch nicht, dass Werte im Normbereich der kognitiven Leistungsfähigkeit als Ausschlusskriterium für eine ADHS-Diagnose angenommen werden können [17]. Zudem zeigt sich, dass unauffällige Werte in neuropsychologischen Verfahren nicht mit den Angaben der Patienten selbst und denen von Dritten übereinstimmen. Biederman und Kollegen [18] machen in ihrer Studie deutlich, dass Skalenwerte von spezifischen Fragebögen zur ADHS nicht oder nur gering mit der Leistungsfähigkeit in Testverfahren zusammenhängen. Als Ursache kann vermutet werden, dass die in Fragebögen benannte Symptomatik sich nicht mit dem neuropsychologischen Aufmerksamkeitskonstrukt deckt, das in Testverfahren zum Tragen kommt. Andere Studien zeigen, dass alltagsrelevante Beeinträchtigungen nicht von der objektiv gemessen Leistungsfähigkeit, wohl aber durch spezifische Fragebögen zur ADHS-Symptomatik vorhergesagt werden können [14, 19]. Zwischen Fragebogenverfahren (zu alltagsrelevanten kognitiven und exekutiven Funktionen) und Testverfahren zu exekutiven Funktionen lassen sich ebenfalls keine bis maximal moderate Zusammenhänge nachweisen [20, 21]. Defizite in exekutiven Funktionen werden jedoch im Kontext mit den Symptomen Unaufmerksamkeit und Desorganisation einer ADHS diskutiert. Ein Zusammenhang zwischen beeinträchtigten exekutiven Funktionen und dem Kernsymptom Hyperaktivität/Impulsivität konnte nicht bestätigt werden [22]. Im Erwachsenenalter werden Beeinträchtigungen durch eine ADHS häufig nicht über standardisierte Verfahren erfasst, die Beurteilung basiert überwiegend auf Informationen aus Fragebögen mit Selbsturteil. Es stellt sich daher die Frage, ob Erwachsene, die ihre ADHS-Symptomatik schwerwiegender einschätzen, gleichzeitig auch größere Einschränkungen in neuropsychologischen Leistungstests aufweisen. Bisher liegen zu dieser Fragestellung nur wenige Studien vor. Zur Validität des Selbsturteils bei ADHS liegen ebenfalls Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen vor. Kooij und Kollegen [23] konnten zum Beispiel mit ihrer Methodenstudie an 120 ADHS-Patienten im Erwachsenenalter die Zuverlässigkeit der Selbstaussage für die Beurteilung des Schweregrads der Symptomatik bestätigen. Im Gegensatz zum Fremdurteil schätzen sich Erwachsene mit ADHS im Selbsturteil jedoch generell als stärker beeinträchtigt ein [24], berichten aber im Schnitt lückenhafter, d. h. weniger schwerwiegend, internalisierende Beeinträchtigungen (z. B. Unaufmerksamkeitssymptome) [23]. Andere Studien kommen hingegen zum Ergebnis, dass Erwachsene mit ADHS die Symptomatik als weniger ausgeprägt berichten als sie durch das Fremdurteil erscheint [25, 26]. Als Ursachen werden diskutiert, dass die Selbstwahrnehmung (als Aspekt der exekutiven Funktion) defizitär ausfällt [24] oder sich aufgrund vieler Misserfolge (Arbeit, Beziehungen) ein negatives Selbstbild ergibt [27, 28]. Ziel der vorliegenden Studie ist es, Zusammenhänge zwischen dem Selbsturteil zum Schweregrad der Symptomatik und der kognitiven Leistungsfähigkeit von Erwachsenen mit ADHS in der WAIS-IV zu analysieren und zu prüfen, ob sich die kognitive Leistungsfähigkeit in der WAIS-IV aus dem Selbsturteil vorhersagen lässt. Es ist davon auszugehen, dass der Zusammenhang zwischen der selbstbeurteilten ADHS-Symptomatik und der Leistungsfähigkeit in der WAIS-IV nur gering bis moderat ausfällt.

770 Originalarbeit

Statistische Methoden Die Daten dieser Studie wurden mit dem Statistikpaket SPSS 20.0 analysiert. Fehlende Werte in den Fragebögen ADHS-E und ADHS-SB wurden nach dem Expectation-Maximization-(EM)Algorithmus [32] ersetzt. Datensätze mit mehr als 5 % fehlender Werte wurden entfernt. Es wurden zunächst Korrelationen (Produkt-Moment-Korrelation nach Pearson) zwischen den Untertests, Indizes und dem Gesamtwert der WAIS-IV sowie den Skalen des ADHS-E berechnet. Auf der Basis der Einteilung der Selbstbeurteilung in auffällig und unauffällig werden im Folgenden die deskriptiven Kennwerte zu den WAIS-IV-Skalen dargestellt, für die Gruppenzugehörigkeit (auffällig vs. unauffällig) im Gesamtwert des ADHS-E wird zusätzlich die Inferenzstatistik eingefügt. Die Gruppeneinteilung orientiert sich dabei an den Auswertungskriterien des Fragebogens, die ab einem T-Wert von > 60 von auffälligen Beurteilungen sprechen [31]. In einer weiterführenden Analyse wurden hierarchische, schrittweise Regression mit den WAIS-IV-Indizes, dem G-IQ, dem AFI und den ADHS-E-Skalen durchgeführt. Für den ADHS-E wurden dabei die Rohwertsummen verwendet, da sich aufgrund des Screeningcharakters in den standardisierten Werten ein deutlicher Deckeneffekt ergibt. Für die Regressionen wurden die Skalen schrittweise, aber unter Einschluss eingefügt. Ergebnisse mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < 0,05 werden als signifikant betrachtet.

Ergebnisse



▶ Tab. 2 können die prozentualen Häufigkeiten einer auffälligen ●

Selbstbeurteilung für die Skalen und den Gesamtwert des ADHS-E entnommen werden. Hier zeigt sich, dass über den ADHS-E in den einzelnen Skalen unterschiedlich hohe auffällige Bewertungen abgebildet werden. In der Skala UU schätzten sich mehr Patienten (73,5 %) als schwerwiegender beeinträchtigt ein als in den Skalen ID (23,6 %) und ST (33,6 %). In den Skalen EA (46 %) und AS (66,4 %) werden wiederum höhere Prozentzahlen an auffälligen Bewertungen erreicht. Die gilt mit 62,8 % auch für den ADHS-E-Gesamtwert. Die bivariaten Korrelationsanalysen zwischen den Skalenwerten des ADHS-E auf der einen Seite und den WAIS-IV-Indizes und -Untertests auf der anderen lassen nur vereinzelt signifikante Zusammenhangsmaße zwischen den Variablen erkennen: Zwischen (a) der ADHS-E-Skala Aufmerksamkeitssteuerung und dem Index SV der WAIS-IV (r = 0,20, p = 0,032) sowie dem Untertest Allgemeines Wissen (AW) (r = 0,168, p = 0,049), (b) der Skala Emotion/Affekt und dem G-IQ (r = 217, p = 0,21), den Untertests

Tab. 1 Klinische Merkmale der Stichprobe. Klinisches Merkmal Zeitpunkt der Diagnosestellung Kindheit Erwachsenenalter DSM-IV-Diagnose1 ADHS-K ADHS-I ADHS-H Medikation Komorbide Störungsbilder Depression Angststörung Abhängigkeit (Substanzen) Essstörung Zwangsstörung PTBS Ein- und Durchschlafstörung LRS Dyskalkulie Borderline Persönlichkeitsstörung Tourette-Syndrome Schädel-Hirn-Trauma

n

%

17 92

15,0 81,4

96 11 2 56

85,0 9,7 1,8 49,6

58 16 11 9 4 8 27 18 4 6 1 4

51,3 14,2 9,7 8,0 3,5 7,1 23,9 15,4 2,9 5,8 0,9 3,5

Die Medikation beinhaltet Stimulanzien (z. B. Methylphenidate) zum Zeitpunkt der Testung. ADHS-K = Kombinierter Subtyp; ADHS-I = Unaufmerksamer Subtyp; ADHSH = Hyperaktiv-Impulsiver Subtyp; PTBS = Posttraumatische Belastungsstörung; LRS = Lese-Rechtsschreibstörung 1

Die Diagnosestellung erfolgte anhand der Selbstbeurteilung im ADHS-SB (HASE)

Tab. 2 Häufigkeiten auffälliger Selbsturteile in den Skalen des ADHS-E. ADHS-E-Skalen

n

%

Aufmerksamkeitssteuerung Emotion und Affekt Unruhe/Überaktivität Impulskontrolle/Disinhibition Stresstoleranz ADHS-E-Gesamtwert

75 52 83 26 38 71

66,4 46,0 73,5 23,6 33,6 62,8

Gemeinsamkeiten finden (GF) (r = 0,202, p = 0,032), MatrizenTest (MZ) (r = 0,264, p = 0,005), (c) der Skala Stresstoleranz und den Untertests Zahlen Nachsprechen (ZN) (r = 0,188, p = 0,046) und Visuelle Puzzles (VP) (r = − 0,218, p = 0,021). Die deskriptiven Kennwerte für die kognitive Leistungsfähigkeit ▶ Tab. 3, 4 in den Untertests und Indizes der WAIS-IV sind in den ● ▶ Tab. 3 enthält die durchschnittlichen WAIS-IVdargestellt. ● Leistungen getrennt für die 5 Skalen des ADHS-E unter Berücksichtigung der Gruppenzugehörigkeit (auffällig vs. unauffäl▶ Tab. 4 gibt diese Werte zuzüglich der Inferenzstatistik für lig), ● den ADHS-E-Gesamtwert an. Es ergeben sich durchgängig insignifikante Gruppenvergleiche, wobei auffällt, dass die Patienten, die sich als stärker beeinträchtigt beschreiben, in den meisten Untertests der WAIS-IV und Indexwerten besser abschneiden als diejenigen, deren Selbstbeschreibung als unauffällig zu interpretieren ist. Der Gruppenvergleich für den Gesamt-IQ verfehlt die Signifikanz nur knapp (p = 0,052). Mittels schrittweisen Regressionsanalysen wurde untersucht, welche AHDS-E-Skalen einen Einfluss auf die WAIS-IV-Indizes ausüben. Die Ergebnisse der Regressionsanalysen werden ▶ Tab. 5 zusammengefasst. in ● Im ersten Block der Regressionsmodelle (SV) trägt keiner der Prädiktoren signifikant zur Vorhersage der sprachlichen Leistun-

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emotional negativ belastende Situationen fokussiert. Die Skala UU zielt auf die Kernsymptome einer ADHS ab. Sowohl die innere Unruhe als auch Aspekte der Hyperaktivität werden hiermit erfasst. Das Verhalten in stressigen Situationen und der Umgang mit Stressoren werden über die Skala ST ermittelt. Das Screening ADHS-E ist normorientiert und erfasst dimensional ADHSspezifische Symptome, so wie sie im ICD-10 und DSM-IV-TR verankert sind. Ebenfalls orientiert sich das Screening an den Wender-Utah-Kriterien. Die ADHS-Symptomatik einer Person wird ab einem T-Wert von 70 ( < 16 Prozentrang) als klinisch signifikant bewertet. Aufgrund des Screeningcharakters des ADHS-E ergibt sich hierbei jedoch ein Deckeneffekt. Daher wurden für die Analysen der vorliegenden Studie die Rohwertsummen verwendet.

10,4 (2,8) 10,2 (2,4) 8,9 (2,5) 10,2 (2,7) 10,2 (2,4) 9,2 (3,1) 9,9 (2,4) 9,7 (2,5) 10,6 (2,4) 9,7 (2,2) 9,5 (2,9) 9,6 (2,7) 101,8 (11,4) 100,3 (13,1) 93,9 (14,2) 98,8 (12,3) 98,9 (12,4) 100,5 (11,9)

M (SD)

M (SD)

9,7 (2,9) 9,3 (2,7) 9,2 (3,1) 9,5 (2,4) 9,1 (2,7) 8,9 (2,7) 9,6 (1,9) 10,0 (3,2) 9,3 (2,8) 9,3 (2,3) 10,2 (3,1) 9,6 (2,7) 95,3 (12,1) 98,2 (14,8) 94,5 (14,9) 96,9 (9,9) 94,9 (11,0) 96,1 (11,7)

(n = 75)

(n = 38)

− 0,7 − 0,9 0,3 − 0,7 − 1,1 − 0,3 − 0,3 0,3 − 1,3 − 0,4 0,7 0,0 − 6,5 − 2,2 0,5 − 1,9 − 4,0 − 4,7

ΔM 10,4 (2,4) 10,4 (2,3) 9,2 (2,6) 10,4 (2,8) 10,2 (2,8) 9,6 (3,1) 9,9 (2,6) 9,9 (2,6) 10,5 (2,5) 9,8 (2,4) 9,8 (2,9) 9,5 (2,9) 101,8 (12,1) 101,5 (13,1) 96,4 (14,6) 99,1 (12,1) 99,9 (12,2) 101,1 (11,9)

M (SD)

M (SD) 9,9 (3,2) 9,5 (2,6) 8,7 (2,8) 9,5 (2,4) 9,5 (2,3) 8,6 (2,7) 9,7 (1,9) 9,7 (2,7) 9,9 (2,7) 9,4 (2,1) 9,6 (3,2) 9,6 (2,5) 97,8 (11,7) 97,9 (14,2) 92,3 (13,9) 97,4 (9,7) 95,2 (11,5) 97,2 (11,8)

(n = 52)

auffällig

(n = 61)

unauffällig

Emotion und Affekt

− 0,5 − 0,9 0,5 − 0,9 − 0,7 − 1,0 − 0,2 − 0,2 − 0,6 − ,04 − 0,2 0,1 − 4,0 − 3,6 − 4,1 − 1,7 − 4,7 − 3,9

ΔM 9,9 (2,6) 9,5 (2,9) 8,7 (2,8) 9,9 (2,7) 9,5 (2,6) 9,1 (2,8) 9,4 (2,1) 9,9 (2,4) 10,0 (2,7) 9,2 (2,0) 9,3 (2,7) 9,7 (2,6) 97,9 (12,9) 99,2 (12,6) 93,8 (14,2) 96,1 (10,2) 95,9 (11,8) 98,2 (11,9)

M (SD)

(n = 30)

unauffällig

10,3 (2,9) 10,0 (2,3) 9,0 (2,7) 9,9 (2,6) 9,9 (2,5) 9,0 (2,9) 9,9 (2,5) 9,7 (2,9) 10,3 (2,6) 9,7 (2,3) 9,9 (3,1) 9,5 (2,7) 100,3 (11,6) 99,7 (14,1) 94,3 (14,5) 98,9 (10,9) 97,9 (12,1) 99,3 (12,0)

M (SD)

(n = 83)

auffällig

Unruhe/Überaktivität

− 0,4 − 0,5 − 0,3 0,0 − 0,4 0,1 − 0,5 0,2 − 0,3 − 0,5 − 0,6 0,2 − 2,3 − 0,5 − 0,5 − 2,8 − 2,0 − 1,1

ΔM 10,4 (2,8) 9,9 (2,5) 8,9 (2,4) 9,9 (2,7) 9,8 (2,6) 8,9 (2,6) 9,9 (2,2) 9,9 (2,6) 10,1 (2,6) 9,6 (2,1) 9,6 (2,9) 9,5 (2,7) 99,5 (11,7) 100,3 (13,6) 93,6 (12,6) 98,5 (10,3) 97,4 (11,7) 99,2 (11,8)

M (SD)

(n = 84) 9,3 (2,7) 9,9 (2,5) 9,2 (3,3) 10,2 (2,5) 9,9 (2,7) 9,4 (3,4) 9,5 (2,4) 9,5 (3,1) 10,4 (2,6) 9,6 (2,8) 9,9 (3,4) 9,9 (2,8) 100,4 (12,9) 97,8 (13,4) 95,8 (17,4) 97,6 (12,9) 97,7 (12,6) 98,7 (12,3)

M (SD)

(n = 26)

auffällig

1,1 0,0 − 0,3 − 0,3 − 0,1 − 0,5 0,4 0,4 − 0,3 0,0 − 0,3 − 0,4 − 0,9 2,6 − 2,2 0,9 − 0,3 − 0,5

ΔM

Impulskontrolle/Disinhibition unauffällig

9,6 (2,3) 9,9 (2,5) 9,4 (2,7) 10,2 (2,8) 10,2 (2,4) 9,1 (3,3) 9,9 (2,4) 8,8 (3,0) 10,5 (2,8) 9,6 (2,3) 10,6 (3,3) 9,5 (2,7) 101,1 (12,5) 96,8 (13,9) 95,6 (15,9) 99,7 (11,2) 98,1 (13,0) 98,8 (13,2)

M (SD)

(n = 38)

auffällig

Stresstoleranz

10,4 (3,1) 9,9 (2,5) 8,7 (2,6) 9,8 (2,5) 9,6 (2,6) 9,0 (2,7) 9,7 (2,1) 10,3 (2,5) 10,0 (2,5) 9,3 (2,2) 9,3 (2,7) 9,6 (2,6) 98,9 (11,7) 100,9 (13,4) 93,4 (13,6) 97,4 (10,6) 97,0 (11,6) 99,1 (11,3)

M (SD)

(n = 75)

unauffällig

0,8 0,0 − 0,7 − 0,4 − 0,6 − 0,1 − 0,2 1,5 − 0,5 − 0,3 − 1,3 0,1 − 2,2 4,1 − 2,2 − 2,4 − 1,1 0,3

ΔM

G-IQ = Gesamt-IQ, AFI = Allgemeiner Fähigkeitsindex

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Verständnis, ZST = Zahlen-Symbol-Test, BZF = Buchstaben-Zahlen-Folgen; DT = Durchstreich-Test; SV = Sprachverständnis; WLD = Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken; AGD = Arbeitsgedächtnis; VG = Verarbeitungsgeschwindigkeit;

M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; MT = Mosaik-Test, GF = Gemeinsamkeiten finden, ZN = Zahlen nachsprechen, MZ = Matrizen-Test, WT = Wortschatz-Test, RD = Rechnerisches Denken, SYS = Symbol-Suche, VP = Visuelle Puzzles, AW = Allgemeines

MT GF ZN MZ WT RD SYS VP AW ZST BZF DT SV WLD AGD VG G - IQ AFI

auffällig

unauffällig

Aufmerksamkeitssteuerung

Tab. 3 Deskriptive Statistik für die Leistungen in der WAIS-IV nach klinischer Gruppenzugehörigkeit in den 5 ADHS-E-Skalen.

Originalarbeit 771

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Tab. 4 Inferenzstatistik für die Leistungen in der WAIS-IV nach klinischer Gruppenzugehörigkeit im ADHS-E-Gesamtwert.

WAIS-IV MT GF ZN MZ WT RD SS VP AW ZST BZF DT SV WLD AGD VG G-IQ AFI

Unauffällig

Auffällig

(n = 42 )

(n = 71 )

M (SD)

M (SD)

9,7 (3,2) 9,4 (2,7) 8,5 (2,6) 9,4 (2,3) 9,9 (2,4) 8,6 (2,6) 9,4 (1,9) 9,9 (2,7) 9,9 (2,6) 9,4 (2,1) 9,3 (2,9) 9,5 (2,7) 97,1 (11,8) 97,9 (14,2) 91,7 (13,3) 96,6 (9,6) 94,5 (10,9) 96,8 (11,7)

10,4 (2,6) 10,2 (2,3) 9,2 (2,7) 10,3 (2,8) 10,2 (2,6) 9,3 (3,1) 10,1 (2,3) 9,7 (2,7) 10,4 (2,6) 9,6 (2,1) 9,9 (3,1) 9,6 (2,7) 101,2 (11,8) 100,6 (13,4) 95,6 (14,8) 99,1 (11,4) 99,1 (12,4) 100,3 (12,0)

ΔM

T-Wert

df

p

− 0,7 − 0,8 − 0,7 − 0,9 − 0,3 − 0,7 − 0,5 0,2 − 0,5 − 0,2 − 0,6 − 0,1 − 4,1 − 2,6 − 3,9 − 2,6 − 4,5 − 3,5

− 1,183 − 1,693 − 1,412 − 1,626 − 1,968 − 1,147 − 1,661 0,553 − 1,027 − 0,434 − 1,149 − 0,239 − 1,781 − 0,966 − 1,403 − 1,221 − 1,967 − 0,879

111 111 111 111 111 111 111 111 111 111 104 104 111 111 111 111 111 111

0,239 0,093 0,161 0,107 0,052 0,254 0,100 0,581 0,307 0,665 0,253 0,811 0,078 0,336 0,163 0,225 0,052 0,381

M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; MT = Mosaik-Test, GF = Gemeinsamkeiten finden, ZN = Zahlen nachsprechen, MZ = Matrizen-Test, WT = Wortschatz-Test, RD = Rechnerisches Denken, SYS = Symbol-Suche, VP = Visuelle Puzzles, AW = Allgemeines Verständnis, ZST = Zahlen-Symbol-Test, BZF = Buchstaben-Zahlen-Folgen; DT = Durchstreich-Test; SV = Sprachverständnis; WLD = Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken; AGD = Arbeitsgedächtnis Index; VG = Verarbeitungsgeschwindigkeit; G-IQ = Gesamt-IQ, AFI = Allgemeiner Fähigkeitsindex

Kriterium

Model

Prädiktor

SV

1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5

EA AS UU ID ST EA AS UU ID ST EA AS UU ID ST EA AS UU ID ST EA AS UU ID ST

AGD

WLD

VG

G − IQ

a

Cum. R²a 0,023 0,031 0,041 0,064 0,055 0,005 0,036 0,033 0,024 0,030 0,020 0,021 0,029 0,032 0,059 0,004 − 0,004 − 0,010 − 0,018 − 0,017 0,039 0,033 0,036 0,039 0,030

ΔR²b 0,031 0,017 0,019 0,030 0,000 0,014 0,039* 0,006 0,000 0,014 0,029 0,009 0,017 0,011 0,035* 0,012 0,002 0,002 0,002 0,010 0,047* 0,003 0,012 0,011 0,000

gen in der WAIS-IV bei, wobei die ADHS-E-Skala EA (β = 0,265, t = 1,98, p = 0,051) die Signifikanz nur knapp verfehlt. Für den Index Arbeitsgedächtnis zeigt sich, dass wiederum für die Skala EA ein knapp nicht-signifikantes Ergebnis erreicht wird (β = 0,264, t = 1,94, p = 0,055). Unter Hinzunahme der Skala Aufmerksamkeitssteuerung verbessert sich das Modell, verfehlt aber nach wie vor knapp die Signifikanz (β = − 0,219, t = − 1,97, p = 0,051). Mit diesem Modell werden 4 % der Varianz aufgeklärt, wobei die Veränderung zum einfachen Modell mit einem Prädiktor signifikant ist (F (1, 110) = 4,51, p < 0,05). Die Skala EA trägt signifikant zur Erklärung des Index WLD bei (β = 0,421, t = 3,14, p = 0,002). Die schrittweise Ergänzung des Modells durch die weiteren Skalen führt erst bei Hinzunahme der Skala Stresstoleranz wieder zu einem signifikanten Modell (β = − 0,226, t = − 2,04, p = 0,044). Die Zunahme in der Varianzaufklärung von 2 % auf 6 % fällt ebenfalls signifikant aus (F (1, 107) = 4,17, p < 0,05). Für den Index Verarbeitungsgeschwindigkeit ergeben sich keine signifikanten Vorhersagemodelle aus den Skalen des ADHS-E. Auch für den Gesamt-IQ erweist sich die Skala EA des ADHS-E als bedeutsamer Prädiktor (β = 0,367, t = 2,69, p = 0,008). Aber auch hier fällt die Varianzaufklärung zwar signifikant, jedoch mit 4 % wiederum sehr gering aus (F (1, 111) = 5,49, p < 0,05). Verwendet man schrittweise Regressionsanalysen ohne Einschluss (bei einem Signifikanzniveau von 0,05 für Aufnahme und 0,10 für Ausschluss), zeigt sich, dass für den Index Sprachverständnis nur die ADHS-E-Skala Aufmerksamkeitssteuerung einen signifikanten Beitrag zur Varianzaufklärung leistet (β = 0,202, t = 2,18, p = 0,032). Die Skala Emotion und Affekt leistet einen

β (SE) 0,265 (0,54) 0,190 (0,45) − 0,137 (0,52) − 0,212 (0,49) 0,024 (0,46) 0,264 (0,66) − 0,219 (0,55) − 0,131 (0,63) − 0,037 (0,60) 0,144 (0,56) 0,421 (0,62) − 0,062 (0,52) − 0,086 (0,59) − 0,096 (0,57) − 0,226 (0,52) 0,089 (0,51) − 0,068 (0,42) 0,046 (0,49) − 0,063 (0,47) 0,123 (0,43) 0,367 (0,55) − 0,032 (0,46) − 0,119 (0,53) − 0,131 (0,51) 0,023 (0,47)

p 0,051 0,087 0,288 0,061 0,830 0,055 0,051 0,317 0,740 0,202 0,002 0,573 0,504 0,390 0,044 0,525 0,551 0,732 0,588 0,287 0,008 0,774 0,361 0,249 0,835

korrigiertes R-Quadrat, b Änderung in R-Quadrat, SV = Sprachverständnis, AGD = Arbeitsgedächtnis, WLD = Wahrnehmungsgebun-

denes Logisches Denken, VG = Verarbeitungsgeschwindigkeit, G-IQ = Gesamt-IQ, AFI = Allgemeiner Fähigkeitsindex. EA = Emotion und Affekt, AS = Aufmerksamkeitssteuerung, UU = Unruhe/Überaktivität, ID = Impulskontrolle und Disinhibition, ST = Stresstoleranz, *p < 0,05, **p < 0,01, ***p < 0,001

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Tab. 5 Ergebnisse der hierarchischen Regressionsanalysen in 5 Schritten zur Vorhersagen von kognitiven Leistungen aus den ADHS-E-Skalen.

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signifikanten Beitrag zur Erklärung des G-IQ (β = 0,217, t = 5,49, p = 0,021). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Varianzaufklärung an sich in beiden Fällen mit etwa 4 % zwar signifikant, jedoch sehr gering ausfällt (F (1, 111) = 4,73/5,49, p < 0,05). Alle übrigen Regressionen führen nicht zu signifikanten Modellen.

Diskussion



Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde der Frage nachgegangen, ob ein Zusammenhang zwischen auffälligen Testergebnissen in der WAIS-IV und den Selbstbeurteilungen im ADHS-E zum Schwergrad der ADHS-Symptomatik festgestellt werden kann. Die deskriptiven Analysen zum ADHS-E zeigen, dass der Großteil der Erwachsenen Aufmerksamkeitsdefizite, Unruhe und Überaktivitätssymptome als sehr deutlich ausgeprägt beurteilt. Dagegen ergab das Selbsturteil zur Impulsivität, Stresstoleranz und Affektlabilität bei mehr als der Hälfte der Erwachsenen unauffällige Werte. In diesem Zusammenhang ist die Zuverlässigkeit von Selbstbeurteilungen zu diskutieren. Rizzo und Kollegen [24] weisen darauf hin, dass Selbsteinschätzungen sowohl bei Patienten als auch in der Kontrollgruppe zu mehr Auffälligkeiten führte als die Fremdeinschätzung durch Angehörige, jedoch insgesamt zuverlässige Werte ergaben. Den Selbsteinschätzung auf der Verhaltensebene stehen durchschnittliche Leistungen auf der Leistungsebene – hier erhoben mit einem Intelligenztest – gegenüber. Dabei fällt besonders auf, dass die Personen, die sich im Fragebogen als stark beeinträchtigt beschreiben, im Durchschnitt bessere kognitive Fähigkeiten aufweisen als die Personen mit unauffälligen Ausprägungen in der Selbstbeschreibung der ADHS-Symptomatik. Hier kann diskutiert werden, ob Personen mit höherer Intelligenz eine ausgeprägtere Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und/oder zur Selbstreflektion besitzen und dadurch besser in der Lage sind, die eigenen Verhaltensweisen einzuschätzen und im Vergleich mit ihrer Umgebung zu validieren. Weiterhin wurde untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen dem Selbsturteil der verschiedenen Skalen und den WAIS-IVIndizes (bzw. Untertests) besteht. Dabei ergaben sich nur wenige signifikante Korrelationen zwischen den Fragebögen zur ADHSSymptomatik und der Leistungsfähigkeit in der WAIS-IV. Dieses Ergebnis steht in Übereinstimmung mit verschiedenen Studien zu den Leistungen in neuropsychologischen Tests und dem Selbsturteil von Patienten mit Beeinträchtigungen in den exekutiven Funktionen [20, 21]. In diesem Zusammenhang ist auch zu diskutieren, inwieweit komorbide Erkrankungen einen Einfluss auf die Zusammenhangsmaße ausüben. Die Stichprobenbeschreibung dokumentiert, dass auch für das Erwachsenenalter von einer großen Bandbreite weiterer Störungen auszugehen ist. Für das Kindes- und Jugendalter wird von einer Komorbidität kinder- und jugendpsychiatrischer Erkrankungen von etwa 50 % ausgegangen [4], für das Erwachsenenalter liegen unterschiedliche Zahlen vor. Sobanski und Kollegen [33, 34] gehen davon aus, dass bis zu 90 % der ADHS-Patienten im Lebenslauf eine weitere psychiatrische Erkrankung aufweisen, während für eine Kontrollstichprobe ohne ADHS nur 45 % psychiatrische Diagnosen bekannt waren. Für die vorliegende Studie ergibt sich ein Prozentsatz von 67,3 % von ADHS-Patienten mit mindestens einer weiteren psychiatrischen Diagnose. Im nächsten Schritt wurde geprüft, ob das Selbsturteil zur Ausprägung der ADHS-Symptomatik dazu beiträgt, Leistungen in der WAIS-IV vorhersagt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Skalen

nur wenig zur Erklärung der kognitiven Leistungen beitragen. Für den ADHS-E tritt fast ausschließlich nur die Skala Emotion und Affekt bei verschiedenen signifikanten Vorhersagemodellen in Erscheinung. Die Varianzaufklärung durch diese Skala bewegt sich jedoch im unteren Bereich. Die Skala Emotion und Affekt bezieht sich auf den Umgang mit Emotionalität, also die Konzepte von Affektlabilität vs. Affektkontrolle und kann im Sinne der emotionalen Dysregulation interpretiert werden, die im Erwachsenenalter eines der Kernsymptome der ADHS darstellt [35]. In dieser Symptomatik zeigt sich eine große Nähe zur Depression. Hier wird weiter zu klären sein, inwieweit ADHS und Depression in ihren Symptomen voneinander unterscheidbare Störungen darstellen bzw. sich überschneiden. Entwicklungspsychopathologisch stellt die ADHS mit Beginn in der frühen Kindheit die primäre Störung dar, während in vielen Fällen die Depression vermutlich als Reaktion auf die durch die ADHS bedingte Situation der Kinder und Jugendlichen als sekundäre Störung interpretiert werden kann. Dass zwischen ADHS-E und WAIS-IV keine bedeutsamen Zusammenhänge nachgewiesen werden können, lässt sich aber auch damit begründen, dass die verhaltensnah formulierten Fragen des ADHS-E kognitive Aspekte nur sehr eingeschränkt erfassen. Das klinische Bild der ADHS, wie es sich in den Symptomkatalogen widerspiegelt, fokussiert nicht direkt auf die Leistungsfähigkeit, wie sie in einem Intelligenztest abgebildet wird. Auch andere neuropsychologische Verfahren liefern uneinheitliche Befunde im Bemühen, die Symptomatik einer ADHS testpsychologische zu bestimmen (eine aktuelle Zusammenstellung findet sich bei [36, 37]). Dabei werden überwiegend Verfahren eingesetzt, die exekutive Funktionen und/oder Arbeitsgedächtnisleistungen erfassen. Auch für das Kindes- und Jugendalter zeigen sich sehr heterogene Befunde zu den Auswirkungen einer ADHS auf die kognitiven Fähigkeiten (zusammenfassend [38]). Gerade weil es keine spezifischen Leitlinien für die Diagnostik der ADHS im Erwachsenenalter gibt, ist eine zusammenfassende und integrierende Gesamtschau verschiedener Information erforderlich, um das Ausmaß an Beeinträchtigungen differenziert abbilden zu können [37]. Die Intelligenzdiagnostik gehört laut Leitlinien zu den empfohlenen Verfahren, hier zunächst jedoch stärker mit dem Schwerpunkt, eine Intelligenzminderung als Ursache kognitiver Beeinträchtigungen auszuschließen [4] bzw. die ADHS im Rahmen einer Intelligenzminderung zu erklären. Darüber hinaus lassen sich aber auch Lern- und Teilleistungsstörungen als primäre oder sekundäre Begleitproblematik ausschließen oder bestätigen. Dagegen lässt sich in einem Intelligenztest kein typisches ADHS-Profil abbilden. Das zeigen auch Studien, die die Leistungen von ADHS-Patienten mit gesunden Probanden vergleichen (zusammenfassend [15]). Auch Antshel und Kollegen [39] konnten keine signifikanten Unterschiede in kognitiven Funktionen, hier gemessen mit der WAIS-III, nachweisen. Damit kann für die vorliegende Studie auch erklärt werden, warum der Schweregrad der Beeinträchtigung, der über eine Selbsteinschätzung erfasst wurde, zu insignifikanten Ergebnissen für die mit der WAIS-IV erhobenen kognitiven Fähigkeiten führt.

Danksagung



Die Autoren der vorliegenden Studie bedanken sich bei dem AMEOS Klinikum Dr. Heines in Bremen, Deutschland, für die exzellente Unterstützung bei der Rekrutierung der Patienten.

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Fazit Über ADHS-Symptomspezifische Fragebögen lässt sich das klinische Bild einer ADHS im Erwachsenenalter verhaltensnah abbilden. Die erzielten Ergebnisse untermauern noch einmal den Hinweis, dass ein Intelligenztest an sich zur Diagnosestellung unzureichend ist, da kein typisches ADHS-Intelligenzprofil besteht. Der Einsatz einer Intelligenztest-Batterie sollte aber dennoch erfolgen, da auf der Basis einer differenzierten Stärken- und Schwächenanalyse wichtige Anhaltspunkte zur Klärung der ADHS-bezogenen Lebenssituation (Bildungslaufbahn, beruflicher Werdegang, Alltagsprobleme) gewonnen werden können. Eine umfassende Leistungsdiagnostik ermöglicht es, die häufig feststellbare Diskrepanz zwischen vorhandenen kognitiven Kompetenzen und einer durch die ADHS bedingten verminderten Fähigkeit, diese auch im Alltag (Schule, Arbeitsplatz, Familie) optimal zu nutzen, zu spezifizieren. An dieser Stelle sollten neben therapeutischen Interventionen auch psychosoziale Maßnahmen in das Behandlungskonzept einbezogen werden. Dazu zählen unter anderem auch die Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen beruflicher oder medizinischer Rehabilitation.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1 Schlack R, Hölling H, Kurth BM et al. Die Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Bundesgesundheitsbla 2007; 50: 827–835 2 Schmidt S, Petermann F. ADHS über die Lebensspanne – Symptome und neue diagnostische Ansätze. Z Psychiatr Psych Ps 2011; 59: 227–238 3 Schmidt S, Petermann F. Entwicklungspsychopathologie der ADHS. Z Psychiatr Psych Ps 2008; 56: 265–274 4 Sobanski E, Alm B. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Erwachsenen. Nervenarzt 2004; 75: 697–716 5 Hervey AS, Epstein J, Curry JF. Neuropsychology of adults with attention-deficit/hyperactivity disorder: a meta-analytic review. Neuropsychology 2004; 18: 485–503 6 Frazier TW, Demaree HA, Youngstrom EA. Meta-analysis of intellectual and neuropsychological test performance in Attention-Deficit/Hyperactivity disorder. Neuropsychology 2004; 18: 543–555 7 Nigg JT. Neuropsychologic theory and findings in attention-deficit/ hyperactivity disorder: the state of the field and salient challenges for the coming decade. Biol Psychiat 2005; 57: 1424–1435 8 Seidman LJ. Neuropsychological functioning in people with ADHD across the lifespan. Clin Psychol Rev 2006; 26: 466–485 9 Hasselhorn M, Hartmann U. Lern-und Aufmerksamkeitsstörungen. Kindh Entwickl 2011; 20: 1–3 10 Epstein JN, Conners CK, Sitarenios G et al. Continuous Performance Test results of adults with Attention Deficit Hyperactivity Disorder. Clin Neuropsychol 1998; 12: 155–168 11 Antshel KM, Faraone SV, Maglione K et al. Executive functioning in high-IQ adults with ADHD. Psychol Med 2010; 40: 1909–1918 12 Boonstra AM, Oosterlaan J, Sergeant JA et al. Executive functioning in adult ADHD: a meta-analytic review. Psychol Med 2005; 35: 1097– 1108 13 Schmidt S, Brücher K, Petermann F. Komorbidität der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter. Z Psychiatr Psychol Ps 2006; 54: 123–132 14 Barkley R, Murphy K. Impairment in occupational functioning and adult ADHD: the predictive utility of executive function (EF) ratings versus EF tests. Arch Clin Neuropsychol 2010; 25: 157–173

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[Relationship between self-reported ADHD symptoms and WAIS-IV performance].

This study has examined the relationship between cognitive functions and self-reported symptoms in ADHD adults. Cognitive functions were investigated ...
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