Schwerpunkt: Organunterstützung und Organersatz Internist 2014 · 55:1278–1287 DOI 10.1007/s00108-014-3508-8 Online publiziert: 16. Oktober 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Schwerpunktherausgeber

G. Hasenfuß, Göttingen

Akutes Nierenversagen Bedeutung Je nach fachlicher Ausrichtung einer Intensivstation erleiden unter Berücksichtigung der aktuellen Definition für das akute Nierenversagen bis zu 70% der Patienten ein solches [13]. Die Letalität ist hoch – 20–80% in Abhängigkeit von Ursache und Komorbiditäten. Die durchschnittliche Verweilzeit auf der Intensivstation sowie das Risiko für die Entwicklung eines Multiorganversagens sind gegenüber Nierengesunden und auch Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz deutlich erhöht. Selbst geringe Änderungen der Nierenfunktion sind von erheblicher prognostischer Bedeutung für Akutverlauf und Langzeitprognose [14]. Im Langzeitverlauf haben die Patienten ein hohes Risiko für die Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz oder Dialysepflicht mit entsprechend erhöhter kardiovaskulärer Mortalität [12]. Trotzdem wird die Bedeutung des akuten Nierenversagens von vielen Intensivmedizinern unterschätzt, da kurzfristige Folgen eines Nierenfunktionsverlusts wie Hypervolämie, Hyperkaliämie oder hohe Retentionswerte durch den routinemäßigen Einsatz der Nierenersatztherapie auf den Intensivstationen gut kompensiert erscheinen.

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Das akute Nierenversagen ist als Systemerkrankung zu betrachten Bei Intensivpatienten ist das akute Nierenversagen meist nicht nur Frühsymptom, sondern auch Motor eines Multiorganversagens und somit als eigene Sys-

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Der Internist 11 · 2014

M.P. Woznowski · L.C. Rump · G. Schieren Klinik für Nephrologie, Universitätsklinikum Düsseldorf

Nierenersatztherapie auf der Intensivstation temerkrankung zu betrachten. Durch das akute Nierenversagen wird eine systemische Entzündungsreaktion induziert, die im Rahmen eines „multi-organ crosstalk“ zur Schädigung weit entfernt liegender Organe wie Lunge, Herz, Leber, Gastrointestinaltrakt und Knochenmark führt. In der Folge kommt es zu interstitiellen Ödemen, Störungen des Elektrolyt-, Säure-Base- und Volumenhaushalts sowie zu einer Beeinträchtigung der Immunkompetenz [16]. Bereits ein Kreatininanstieg um 0,3 mg/dl führt zu einer deutlichen Verschlechterung der Überlebenserwartung [14]. Diese Schädigung des Gesamtorganismus erklärt vermutlich, weshalb die vielen technischen Neuerungen der Nierenersatztherapie die mit dem akuten Nierenversagen verbundene hohe Morbidität und Mortalität kaum beeinflussen konnten. D Im Fokus einer optimierten

Intensivmedizin sollte daher primär die Vermeidung des akuten Nierenversagens stehen. Voraussetzung ist die frühzeitige Erkennung von Patienten mit erhöhtem Risiko, beispielsweise Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, langjährigem Diabetes mellitus oder höherem Lebensalter [8]. In diesen Fällen können additive prärenale Faktoren wie eine intravasale Hypovolämie, eine kurzfristige Hypotonie, eine Infektion oder auch nephrotoxische Medikamente zur akuten Nierenfunktionsverschlechterung führen. In der Frühphase ist das akute Nierenversagen meist funktionell und reversibel. Wird die prärenale Ursache nicht kurzfristig behoben, kommt es zum prolongierten Nierenversagen mit Organschädigung. Dabei

korrelieren Mortalität und Langzeitprognose eng mit dem Schweregrad des akuten Nierenversagens [1]. Bei Patienten mit entsprechendem Risikoprofil ist eine Nutzen- und Risikoabwägung potenziell nephrotoxischer diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen empfohlen. Dies erfordert eine enge Kooperation zwischen Intensivmedizin und Nephrologie bereits vor Eintreten eines dialysepflichtigen Nierenversagens. Die vielfältigen Möglichkeiten der Nierenersatztherapie erlauben eine individuelle Anpassung des Dialyseregimes an die spezielle Kreislaufsituation und die Komorbiditäten des Patienten. So kann eine möglichst frühzeitige Stabilisierung des Patienten konsekutiv eine Erholung der Nierenfunktion kurz- und langfristig gewährleisten. Im Folgenden werden wichtige Aspekte der Prophylaxe und Früherkennung des akuten Nierenversagens sowie der individualisierten Nierenersatztherapie im klinischen Alltag dargelegt.

Diagnose Die Definition des akuten Nierenversagens wurde 2005 vereinheitlicht und um eine Stadieneinteilung ergänzt. In . Tab. 1 sind die derzeit gültigen Kriterien des Acute Kidney Injury Network (AKIN) aus dem Jahr 2012 mit Einteilung in 3 Schweregrade zusammengefasst [2]. Da das Serumkreatinin erst ab einer glomerulären Filtrationsrate (GFR)

[Renal replacement therapy in the intensive care unit].

Acute kidney injury is still one of the most common serious complications in critical ill patients and is associated with high mortality. Even small c...
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