Mitteilungen aus dem DKPM

Mitteilungen aus dem Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin Verantwortlich für diese Rubrik: Barbara Stein, Nürnberg, und Peter Herschbach, München

40 Jahre DKPM – Rückschau von drei Generationen !

Das Deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin wurde im Jahre 1974 als rechtsfähiger Verein gegründet. Sein 40. Geburtstag wurde auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am 26. – 29. März 2014 in Berlin gefeiert. Statt einer klassischen Würdigung des DKPM und einer historischen Rückschau stellen wir die wörtlichen Antworten von 3 Mitgliedern des DKPM auf 6 Fragen vor. Es handelt sich um Prof. Hahn, der zu den Gründervätern des DKPM gehört, Prof. Joraschky, der die mittlere Generation (90er-Jahre) vertritt und Frau Prof. Gumz, die erst vor Kurzem Mitglied des DKPM geworden ist.

Was hat Sie motiviert, dem DKPM beizutreten? Prof. Hahn: 1973, Distanzierung zu der von G. Ammon/Berlin gegründeten „Deutschen Psychosomatischen Gesellschaft“ mit der Begründung einer Arbeitsgruppe für „Klinische Psychosomatik“ im Rahmen der ICPM-Mitgliedschaft (v. Uexküll, Hahn). Weiterentwicklung dieser Arbeitsgruppe 1974 als „Deutsches Kollegium für Psychosomatischen Medizin“ mit der klaren Zielsetzung einer in die klinische Medizin integrierten Psychosomatik und einer ersten „wissenschaftlichen“ Arbeitstagung in Ulm. Prof. Joraschky: In meiner Zeit des Eintritts war der Spirit der DKPM-Gründung noch spürbar, der Geist des Aufbruchs, insofern waren die Ideen wichtig für die Identitätsbildung. Leitideen waren schon damals die Interdisziplinarität, die Offenheit für neue Entwürfe, die klare wissenschaftliche Positionierung und Ideologiekritik, was natürlich nicht der immanenten Idealisierung widersprach. Aber Ideen ohne Begegnungen werden schal, also war es der Familiensinn mit den Regeln der Grenzendurchlässigkeit und Bereitschaft, die Grenzen zur anderen Disziplin zu überschreiten. Prof. Gumz: Ich bin sehr daran interessiert, mich mit anderen Psychosomati-

kern über aktuelle Strömungen in der Psychosomatik, über aktuelle klinische und wissenschaftliche Entwicklungen auszutauschen. Die DKPM-Kongresse bieten stets eine schöne Gelegenheit dazu. Ende 2012 gab es Bestrebungen, die Psychosomatik ins psychiatrische Fachgebiet zu integrieren. In meinem Selbstverständnis als Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie spürte ich das Bedürfnis nach einer beruflich klaren Positionierung und einer entsprechenden standespolitischen Verankerung.

Was waren die Forschungsbefunde, die Sie am meisten beeindruckt haben? Prof. Hahn: Für den kommunikativen Bereich die experimentellen Analysen zur Bipersonalität im Rahmen eines medizinischen Personenverständnisses (Christian), die Ergebnisse zu den funktionellen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Christian, Mechelke) sowie die Erweiterung der psychosomatischen Herzinfarktforschung (Hahn), die Hypertonieforschung (v. Uexküll) und die Entwicklung stationärer Behandlungsmodelle (Jores, v. Uexküll, Köhle). Prof. Joraschky: Es waren die Forschungsarbeiten, die auf dem biopsychosozialen Modell von G. Engel gründeten, welches meinen eigenen Ansatz verkörperte. Hieran schlossen sich Stressuntersuchungen von H. Weiner an. In Ulm konnte ich die Umsetzung dieses Ansatzes bei T. v. Uexküll miterleben, etwa bei der blutigen Blutdruckmessung bei Ärzten und Patienten in der Interaktion. Identitätsbildend war vor allem die patientenzentrierte Medizin, das Sprechen mit unheilbar Kranken, wie es Köhle vermittelte. Das Umsetzen der reflektierten Kasuistik ist eng mit der Bedeutungsanalyse der individuellen Wirklichkeit verbunden, wie wir es in Liaisondiensten anzuwenden versuchten. Die Sprech- und Denkweisen der somatischen Kollegen zu erreichen, sich auf deren Verständnisebene einzustellen und auch in einem arztzentrierten Konsildienst mit dem Ziel, Neugier für das Beziehungsgeschehen, die teilnehmende Be-

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obachtung und das Narrativ zu wecken, waren prägende Erfahrungen. Prof. Gumz: Mich als psychodynamische Psychotherapeutin haben die neuen wissenschaftlichen Belege zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie gefreut, hier auch die Nachweise zur Überlegenheit psychodynamischer Langzeittherapie gegenüber kürzeren Therapieverfahren, besonders bei komplexen psychischen Störungen. Interessant fand ich auch die Studien, die zeigten, dass Psychotherapie zur Veränderung von Hirnfunktionen führt. Persönlich besonders spannend fand ich Befunde der Prozessforschung, die sich mit Veränderungsmechanismen befassen – auch auf mikroanalytischer Ebene, also mit den Geschehnissen in einzelnen Sitzungen. Das alles ist eine sehr subjektive Auswahl aus vielen beeindruckenden Befunden der letzten Jahre.

Welche psychosomatischen Erkrankungen fanden öffentliches Interesse? Prof. Hahn: „Stress“- und „Manager“-Erkrankungen. Rheumatologische Erkrankungen. Prof. Joraschky: Es gab in den 80er-Jahren ganzheitliche Sichtweisen, einerseits gefördert durch generalistische Ansprüche der psychosomatischen Medizin, für alle Krankheiten zuständig zu sein, andererseits mit einer populären Resonanz, die überzogene Erwartungen erzeugte, wie das Ulcus-Duodeni, das Asthma bronchiale, die Krebspersönlichkeit. Gerade hier im DKPM, wo somatopsychosomatische Kreisprozesse gegen reduktionistische monokausale Modelle gesetzt werden, war es doch eine Zeit der Krise, da die somatische Medizin der Psychosomatik überzogene Erklärungs- und Deutungsmacht zuschrieb. Prof. Gumz: Hier fällt mir besonders die Popularität der „Volkskrankheit“ Burnout ein. Hier wurde häufig nicht adäquat differenziert zwischen Stress, Depression und Burnout. Zum Burnout-Konzept gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf. Ansonsten spielten Traumafolgestörungen v. a. bei Soldaten eine große Rolle in der

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Öffentlichkeit, und natürlich auch Depressionen, Essstörungen, schwere Adipositas, Angststörungen, psychosomatische Reaktionen im Rahmen onkologischer Behandlungen, Kinderwunschbehandlung, chronische Schmerzen.

in der Familientherapie, sowie die übertragungsfokussierte Psychotherapie. Ende 2008 wurde die systemische Therapie vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie als psychotherapeutisches Verfahren anerkannt.

Welche Therapiemethoden waren besonders populär?

Wie war die Reaktion der Studenten auf psychosomatische Konzepte im Studium?

Prof. Hahn: „Populär“ waren gar keine Methoden, höchstens Reha-Behandlungen. Im fachlich-psychotherapeutischen Bereich ambulant analytische und tiefenpsychologisch begründete Verfahren, stationär Kombinationen unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten und erste Gruppentherapien (Heigl, Enke). Auch erste Verhaltenstherapien (Brengelmann). Prof. Joraschky: In den 90er-Jahren kam es im Windschatten der evidenzbasierten Medizin zum großen Boom der störungsorientierten Wirksamkeitsforschung, wegbereitend hier für die CBT. Wissenschaftspolitisch trat an die Stelle der Deutungsmacht der analytischen Verfahren die Empirie-Macht der Verhaltenstherapie. Auf der einen Seite stand die Expansion der Manuale, auf der anderen Seite zwang die Manualisierung auch psychosomatische Verfahren zu klaren Operationalisierungen. In der stationären Therapie erfolgte ein großer Einfluss durch die OPD und die strukturbezogene Psychotherapie. Aber auch die Versorgung gewann an Bedeutung angesichts der manualfernen Wirklichkeit bei der Behandlung komplexer Störungen. Gott sei Dank geriet die Kunst ärztlichen Handelns im Psychosomatischen Konsilbereichs und die Wirksamkeit des Konsiliargesprächs nicht ganz in Vergessenheit. Prof. Gumz: In der Kognitiven Verhaltenstherapie spielten in den letzten Jahren zunehmend Ansätze eine Rolle, in denen es um eine veränderte Haltung gegenüber Erfahrungen geht, zudem wurden interpersonelle und psychodynamische Prinzipien integriert. Zu diesen verhaltenstherapeutischen Ansätzen der „dritten Welle“ gehören: Dialektisch-Behaviorale Therapie, Akzeptanz- und Commitmenttherapie, Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie, Schematherapie, Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy. Aus der psychoanalytischen Tradition heraus entwickelte sich die mentalisierungsbasierte Therapie, zunächst zur Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen und nachfolgend weiterer psychischer Störungen, auch zur Anwendung

Prof. Hahn: Sehr erwartungsvoll und aufgeschlossen. Siehe Forderungen der 68erStudentengeneration. Gründung der meisten psychosomatischen Arbeitsgruppen und Abteilungen an den Hochschulen (StäKo: Ständige Konferenz der Hochschullehrer für Psychosomatik, Psychotherapie, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie [Richter]). Prof. Joraschky: 1984 wurde ich nachts geweckt, als mein nach Erlangen berufener Psychiatriechef mich anrief und fragte, ob ich an die Uni Erlangen kommen wolle? Die Studenten wünschten sich einen Psychosomatik-Unterricht und sie möchten etwas über H. E. Richter hören. Ich ging nach Erlangen und hatte gleich die Anfrage von Studenten zu Anamnesegruppen. Als ich die Frage beantwortete, saß als Tutor Herr Loew vor mir mit 40 Tutoren-Anwärter, ausgehungert und erwartungsvoll. Bis heute ist der Boom der Anamnesegruppe in meinem Umfeld erfreulich groß, das Übrige tat das Psychosomatische Praktikum als Durchbruch für den Studenten. Prof. Gumz: Medizinstudenten habe ich grundsätzlich interessiert und neugierig erlebt. Den Patienten in seinem biopsychosozialen Gefüge zu betrachten, ruft bei vielen Begeisterung hervor, ebenso wie die hohe Interdisziplinarität des Fachs. Jedoch sind die Studenten häufig wenig bereit, vertiefter in das Fachgebiet einzusteigen und eigene psychosoziale und kommunikative Kompetenzen auszuloten und zu stärken. Für viele ist der Begriff Psychosomatik und besonders die Abgrenzung des Fachs zur Psychiatrie unklar.

Prof. Joraschky: Die universitäre Ausstattung war angesichts der Vielfalt der Forschungsfelder, auch gerade was gesellschaftlich-induzierte Fragestellungen anging, massiv überfordert. Das weite Spektrum vom Grundlagenforschungsbereich bis zur Therapieforschung, insbesondere die Fülle psychosomatisch-interdisziplinärer Projekte stand im krassen Widerspruch zur Ausstattung. Es fehlte der habilitierte Mittelbau. Die normalen Arbeitsbedingungen für Grundlagenforscher, Psychologen, Biologen, sodass diese sich alle in Einzelverbänden der Psychophysiologie, Medizinischen Psychologie, Rehabilitationsmedizin etc. aufsplitterten. Hier gilt es weiterhin, besser zu kooperieren, Brücken zu schlagen wie auf dieser Tagung heute in Berlin. Prof. Gumz: Mit Sorge blicke ich auf den Trend zur Ökonomisierung der Heilberufe. Die damit einhergehende zunehmende Standardisierung und Modularisierung, also die einseitige Orientierung an Schemata, beruht auf dem Glauben an die Objektivier- und Berechenbarkeit von Psychotherapie. G. Maio beschrieb die damit verbundene Gefahr sehr treffend, dass der Kern dessen ausgehöhlt wird, worauf es in der Psychotherapie ankommt, nämlich die Kultur der authentischen verstehenden Sorge um den anderen, wodurch letztlich das für überholt geglaubte mechanistische Menschenbild neu belebt wird. Der Therapeut wird zum Dienstleister, Patienten werden zu Konsumenten, also Kunden, die unverbindlich aus einem Angebot an Dienstleistungen wählen. Meine weitere Sorge gilt dem Mangel an ärztlichem Nachwuchs. Hier liegt meines Erachtens eine zentrale Herausforderung: ärztliche Kollegen für unser Fach zu begeistern und sie kompetent auszubilden. Korrespondenzadresse Prof. Dr. P. Herschbach Direktor des Roman-Herzog-Krebszentrums Klinikum rechts der Isar der TUM Langerstraße 3 81675 München [email protected]

Welches waren die zentralen Hemmfaktoren für die Weiterentwicklung des Fachs? Prof. Hahn: Ebenfalls an den verschiedenen Orten sehr verschieden. Von Ablehnung bis Boykott unter Hinweis auf „Unwissenschaftlichkeit“ oder „Nichtzuständigkeit“. Bestenfalls Verweis auf die Psychiatrie. Innerhalb der Hochschulfächer Konkurrenz um Zuordnungen und Ressourcen. Mitteilungen aus dem DKPM … Psychother Psych Med 2014; 64: 246–247

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