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Retinoblastom-Gen-Befunde bei einem Patienten mit Osteosarkom nach vorausgegangenem beidseitigen Retinoblastom Abteilung für pädiatrische Hämatologie und Onkologie. Kinderklinik der Universität Hamburg

Zusammenfassung In nativem Osteosarkomgewebe eines Patienten, der acht Jahre zuvor von einem beidseitigen Retinoblastom geheilt worden war, fanden wir eine homozygote Deletion des 7,5 kb Hind III-Fragmentes innerhalb des Retinoblastomgens und eine hemizygote Deletion des entsprechenden Fragments in seinen konstitutionellen Zellen. Im Osteosarkomgewebe einer Lungenmetastase einer Patientin mit sporadischem Osteosarkom konnte hingegen keine Deletion innerhalb des Retinoblastomgens nachgewiesen werden. Das könnte sich dadurch erklären, daß mit der von uns benutzten c-DNS-Sonde keine Punktmutationen erkannt werden. Auch können alternative oder zusätzliche transformierende Ereignisse nicht ausgeschlossen werden.

Retinoblastoma-gene-analysis in native osteosarcoma tissue of a patient cured of a bilateral retinoblastoma In a native osteosarcoma specimen of a patient cured of abilateral retinoblastoma eight years before we found a homozygous deletion of a 7,5 kb Hind III-fragment within the retinoblastoma gene and a hemizygous deletion of the same fragment in its constitutional cells. In a native osteosarcoma tissue of a lung metastasis of a patient with sporadic osteosarcoma the Rb-gene-analysis did not reveal any deletion within the gene. This might be due to the fact that the used cDNA-probe did not detect point mutations. Nevertheless, the possibility of additional or alternative transforming events should be kept in mind.

Entstehung des Retinoblastoms bei (I, 7). Durch Einsatz Rb-genspezifischer DNS-Sonden können Deletionen im Bereich des Rb-Strukturgens definiert werden, die für den Funktionsausfall verantwortlich gemacht werden können (5, 7, 13). Das Osteosarkom ist das häufigste Zweitmalignom bei Patienten, die ein familiäres Retinoblastom überstanden haben (4, 11). Ein Funktionsausfall des Rb-Gens ist auch bei Osteosarkomen diskutiert und später nachgewiesen worden (15). Molekularbiologische Untersuchungen an Osteosarkomen, die als Zweittumor nach familiären Retinoblastom aufgetreten sind, liegen nur in geringer Anzahl vor (8). Unsere Untersuchungen beziehen sich auf zwei Patienten mit folgender Krankengeschichte: Patient Nr. I: Bei dem männlichen Patienten wurde ein Retinoblastom des linken Auges im ersten Lebensjahr diagnostiziert (1980). Die Therapie bestand aus einer Enukleation des linken Augapfels. Ein halbes Jahr danach wurde ein Retinoblastom des rechten Auges gefunden und mit einer kombinierten Radio-Chemotherapie behandelt, bestehend aus lokaler Bestrahlung mit Ruthenium und einer Polychemotherapie nach dem T9-Protokoll (14). Kurz danach ist wegen einer Tumor-Infiltration des rechten Sehnervs auch das rechte Auge enukleiert worden. Im neunten Lebensjahr des Patienten kam es zum Auftreten eines Osteosarkoms im proximalen linken Femur. Das linke Bein wurde amputiert und auf eine erneute adjuvante Chemotherapie verzichtet. Eineinhalb Jahre später verstarb der Patient an Lungenmetastasen des Osteosarkoms. Die Familienanamnese gab keinen weiteren Hinweis auf das Vorkommen von Retinoblastomen oder Osteosarkomen. Patient Nr. 2:

Einleitung Das Retinoblastom-(Rb-)Gen liegt auf dem langen Arm des Chromosom 13 (l3q14). Es wird angenommen, daß es zur Familie der Tumorsuppressorgene gehört (6, 10). Ein Funktionsausfall des Rb-Gens beider homologen Chromosomen trägt höchstwahrscheinlich zur Klin. Pädiatr. 202 (1990) 240-242 ,," 1990 F. Enke Verlag Stuttgart

Vor 9 Jahren (1981) wurde bei dieser weiblichen Patientin ein Osteosarkom im Bereich des rechten distalen Femurs diagnostiziert. Die Lokaltherapie bestand aus Tumorresektion mit nachfolgender Borggreve-Plastik. Die Chemotherapie entsprach dem Osteosarkomprotokoll COSS 80 (16). 1983, 1988 und 1989 wurden Lungenmetastasen entdeckt und jeweils operativ entfernt. 1984 kam es zu einer Hirnmetastase des Osteosarkoms. Nach Metastasektomie wurde eine Bestrahlung des Neurokraniums durchgeführt. 1987 trat ein Dottersack-Tumor (Stadium I) im linken Ovar auf, der operativ entfernt wurde. Eine ad-

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H. Kabiseh, R. B. Schatz, B. Weber, S. Heinsahn, C. Budde-Steffen, G. Landbeck

Retinoblastom-Gen-Befunde bei einem Patienten mit Osteosarkom

Klin. Pädiatr. 202 (1990) 241

23.1 kb-

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-2.1

Von Patient Nr. 1 wurden Osteosarkomgewebe und mononukläre Zellen aus dem peripheren Blut untersucht. Von Patient Nr. 2 analysierten wir Osteosarkomgewebe aus einer Lungenmetastase und normales Lungengewebe. Die Darstellung von DNS und messenger-RNS sowie Southern- und orthern-Blot Analysen wurden im wesentlichen nach Standardmethoden durchgeführt (2). Wir erhielten freundlicherweise von Friend et al. die RbGen-spezifische c-DNS (p2R4.7). Die dargestellten Versuche wurden mit dem daraus präparierten insert p3.8R durchgeführt. Die radioaktive Markierung dieser Sonde erfolgte mit der Methode von Feinberg (3), die anschließende Hybridisierung nach dem Protokoll von Horsthem-

ke (12). Ergebnisse

Abb. 1 Die Southern-Blot Analyse von DNS, Hind 1II geschnitten, und mit der Probe p3.8R hybridisiert, ergibt typischerweise 6 Hind III-Fragmente. Es wurde DNS aus peripherem Blut und Osteosarkomgewebe des Patienten 1 im Vergleich zu humaner Plazenta aufgetragen. Als Größenstandard diente Hind A. III-DNS.

Peripheres Blut

100

%

Patient Nr. 1: Die Analyse der genomischen DNS aus dem Osteosarkomgewebe ergab eine definierte homozygote Deletion des 7,5 kb Hind IrI-Fragmentes sowie eine deutliche Verminderung des entsprechenden Signals in der D S aus den peripheren Blutzellen im Vergleich zur Plazenta-D S als Kontrolle (Abb. 1). In Abbildung 2 wird die densitometrische Auswertung der entwickelten Filme des entsprechenden Southern-Blots dargestellt. Die Reduktion der 7,5 kb Bande ist höchstwahrscheinlich auf eine hemizygote Deletion dieses Fragmentes in den peripheren mononuklären Zellen zurückzuführen. Das Verhältnis der Flächenintegrale unter dem 7,5 kb- und 5,4 kb-Gipfel ist auf 0,8 im Vergleich zum korrespondierenden Wert von 1,4 bei der D S-Analyse der Plazenta vermindert. Patient r. 2: Das Osteosarkomgewebe der Lungenmetastase sowie das normale Lungengewebe zeigten das gleiche Hybridisierungsmuster wie humanes Plazentagewebe. Entsprechend konnte in der NorthernSlot-Analyse der RNS der Lungenmetastase eine Rb-genspezifische Boten-R S nachgewiesen werden. Dieses Hybridisierungssignal fehlte in der R S-Analyse des Osteosarkoms des ersten Patienten bei gleichzeitiger positiver Kontrollhybridisierung der RNS mit einer AktincDNS-Sonde.

Diskussion

Abb. 2 Die korrespondierende denSitometrische Analyse des Southern Blot (Abb 1) verdeutlicht den homozygoten Verlust des 7,5 kb-Fragmentes in den Tumorzellen und den hemizygoten Verlust in den mononukleären Zellen des peripheren Blutes.

juvante Chemotherapie, entsprechend dem MAKEl-Protokoll schloß sich an (9). Die Patientin lebt mit erneuten Lungenmetastasen. In der Familienanamnese ergibt sich kein Hinweis auf weitere Fälle mit Retinoblastom oder o teosarkom.

Es wird vermutet, daß das Rb-Gen auch bei der Entstehung des Osteosarkoms eine zentrale Rolle spielt. Aus diesem Grunde untersuchten wir Osteosarkomgewebe eines Patienten mit vorausgegangenem Retinoblastom und einer Patientin ohne vorausgehende maligne Erkrankung. Im Osteosarkomgewebe des Patienten Nr. 1 konnten wir eine homozygote Deletion des 7,5 kbHind BI-Fragmentes innerhalb des Rb-Gens nachweisen. In peripheren mononuklären Blutzellen wurde eine hemizygote Deletion des gleichen Fragmentes ermittelt. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß auch andere genetische Veränderungen im Bereich des 7,5 kb-Fragmentes eine abgeschWächte Hybridisierung zur Folge haben. Das Verhältnis der Flächen unter dem 7,5 und 5,4 kb-Gipfel verminderte sich auf beinahe die Hälfte des korrespondie-

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Material und Methoden

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H. Kabisch et al.: Retinoblastom-Gen-Befunde bei einem Patienten mit Osteosarkom

renden Wertes der Plazenta-DNS-analyse. Somit spricht dieses Ergebnis für eine hemizygote Deletion des 7,5 kbHind-III-Fragmentes im peripheren Blut. Unsere Resultate bei Patient Nr. 1 unterstützen die Auffassung, daß seine Retinoblastome und auch das Osteosarkom durch Mutation im Rb-Gen auf beiden homologen Chromosomen mitinduziert wurden. Das Vorhandensein einer Mutation in einem Rb-Genort der beiden homologen Chromosomen schon in den konstitutionellen Zellen des Patienten würde eine Prädisposition für beide Tumorerkrankungen bedeuten können. Bei Patient Nr. 2 mit sporadischem Osteosarkom muß die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, daß eine mit der c-DNS Sonde nicht analysierbare Punktmutation innerhalb des Rb-Gens vorliegt. Zusätzlich könnte ein alternatives transformierendes Ereignis angenommen werden oder eine Inaktivierung des Rb-Gens auf einer der Transkription nachfolgenden Ebene. Unser Beispiel einer homozygoten Deletion innerhalb des Rb-Gens im Osteosarkomgewebe eines Patienten mit vorausgegangenem Retinoblastom ist besonders interessant vor dem Hintergrund einer Untersuchung von Goddard et al. (8). Diese haben an eigenen etablierten Osteosarkomzellinien zweier Patienten mit vorausgegangenem Retinoblastom keine Veränderung innerhalb des Rb-Gens in der Southern-Analyse finden können und eine intakte Rb-Gen-spezifische Boten-RNS nachgewiesen. Auch hier muß dies nicht notwendigerweise zum intakten Rb-Protein führen. Darüberhinaus sind für einen Teil der Osteosarkome nach Retinoblastomerkrankung auch zusätzliche oder alternative Mutationsereignisse unabhängig vom Rb-Gen diskutabel. Mit Hilfe der Werner Otto Stiftung, des Hamburger Landesverbandes für Krebsbekämpfung und Krebsforschung und der Fördergemeinschaft zur Erforschung und Heilung von Krebskrankheiten bei Kindern e. V.

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Dr. H. Kabisch Abteilung für Hämatologie und Onkologie Kinderklinik der Universität Hamburg Martinistr. 52 D-2000 Hamburg 20

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[Retinoblastoma gene analysis in a patient with osteosarcoma following previous bilateral retinoblastoma].

In a native osteosarcoma specimen of a patient cured of a bilateral retinoblastoma eight years before we found a homozygous deletion of a 7.5 kb Hind ...
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