Leitthema HNO 2014 · 62:432–438 DOI 10.1007/s00106-014-2867-8 Online publiziert: 6. Juni 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

S. Hackenberg Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten,   plastische und ästhetische Operationen, Universitätsklinikum Würzburg

Risikobewertung von Nanopartikeln in Konsumgütern Die industrielle Nanotechnologie ist eines der größten Innovationsfelder der heutigen Zeit mit immenser wirtschaftlicher Bedeutung. Nanomaterialien werden in verschiedensten Bereichen und Produkten, mit denen wir täglichen Kontakt haben, eingesetzt. Aufgrund des kleinen Partikeldurchmessers entwickeln sie andere physikalische, chemische und toxische Eigenschaften als größere Partikel derselben Stoffe. Valide Informationen zum schädigenden Potenzial von Nanomaterialien für den Menschen sind insgesamt rar und teilweise widersprüchlich, sodass hier Klärungsbedarf besteht.

gleich zu den Volumeneigenschaften in den Vordergrund. Insbesondere ändern sich dabei mechanische, optische, magnetische, elektrische und katalytische Funktionen [17, 20]. In den zurückliegenden 15 Jahren wurde eine enorme Vielfacht „industriell synthetisch hergestellter Nanopartikel“ (NP) entwickelt. Anwendung finden sie in Wissenschaft, Lebensmittelindustrie und Medizin, aber auch zur Herstellung von Alltagsgegenständen bis hin zu hochtechnologischen Objekten [2]. Die hier vorliegenden Ausführungen befassen sich mit der Risikobeurteilung der am häufigsten kommerziell in Konsumgütern eingesetzten, synthetisch hergestellten NP.

Definition des Begriffs Nanotechnologie

Nanopartikel in Konsumprodukten

Nach der aktuellen Definition der Europäischen Union aus dem Jahr 2011 ist ein „Nanomaterial“ ein natürlich anfallendes, bei Prozessen entstehendes oder bewusst hergestelltes Material, bei dem mindestens die Hälfte der beinhalteten Partikel ein Außenmaß von 1–100 nm in mindestens einer Dimension hat.

Es sind über 1300 Konsumprodukte bekannt, die Nanomaterialien enthalten. Zu den am häufigsten eingesetzten Substanzen gehören Silber(Ag)-, Zinkoxid(ZnO)-, Titandioxid(TiO2)- und Siliziumdioxid(SiO2)-NP sowie diverse Materialien auf Kohlenstoffbasis ([30], . Abb. 1). Die Kosmetikindustrie nutzt beispielsweise TiO2 und ZnO aufgrund ihrer hohen Fotostabilität und dem vernachlässigbar kleinen fotoallergischen Potenzial als anorganische UV-Filter, die in Sonnenschutzprodukten verarbeitet werden. Ein entscheidender Nachteil dieser Stoffe ist die schlechte Dispersionsfähigkeit und der damit verbundene hautokklusi-

»

Mindestens die Hälfte der Partikel eines Nanomaterials hat ein Außenmaß von 1–100 nm Mit zunehmender Verkleinerung des Durchmessers treten die Oberflächeneigenschaften eines Materials im Ver-

432 | 

HNO 6 · 2014

ve Effekt. Hierdurch entsteht ein für den Konsumenten störender weißlicher Film auf der Haut. Die Anwendung nanoskaliger TiO2- und ZnO-Partikel ermöglicht eine deutlich verbesserte Dispersion, die Verteilbarkeit der Stoffe auf der Haut wird optimiert. Dadurch ist eine kosmetisch günstige höhere Transparenz der Creme erreicht, ohne die UV-schützenden Eigenschaften negativ zu beeinflussen [6]. Neben solchen Nano-UV-Filtern werden von der Kosmetikindustrie noch andere nanotechnologische Strategien angewandt, beispielsweise sog. „Nano-Carrier“. Die erwünschte Aufnahme von schlecht löslichen Substanzen über die Häufigkeitsverteilung von Nanomaterialien in Konsumprodukten

16% 5% 47% 10%

22%

Silber Titandioxid Zinkoxid

Siliziumdioxid Sonstige

Abb. 1 8 Häufigkeitsverteilung von Nanomaterialien in Konsumprodukten. (Nach [30])

Leitthema

Abb. 2 8 Intrazelluläre ZnO-NP in Vesikeln und im Zellkern (weiße Pfeile). (Mod. nach [15])

Haut kann durch den Einsatz von z. B. Nanomicellen verbessert werden. Des Weiteren werden Ag-NP und andere antimikrobiell wirksame Nanomaterialien Deodorants zugesetzt, um einen verbesserten Schutz vor Geruchsbildung zu ermöglichen [3]. Für die Textilindustrie sind NP mit bioziden Eigenschaften zur Vermeidung frühzeitiger Geruchsbildung von besonderem Interesse. Zu den bevorzugt eingesetzten antimikrobiell wirksamen NP zählen Kupferoxid-, ZnO- und insbesondere Ag-NP. Heute sind Ag-NP die am häufigsten kommerziell verarbeiteten Nanomaterialien weltweit [3]. Fluorierte Kohlenwasserstoff-NP können wasserabweisende Oberflächeneigenschaften eines Textils verstärken.

»

Heute sind Ag-NP die am häufigsten kommerziell verarbeiteten Nanomaterialien weltweit Eine besonders hohe wissenschaftliche Aktivität zur Implementierung von Nanotechnologie besteht derzeit in der Medizin. Einen Ansatz stellt hierbei die zielgerichtete Therapie („drug delivery“) dar. Durch ligandenvermittelte Systeme mit gekoppelten Antikörpern oder modifizierte Oberflächeneigenschaften von Nano-Carriern können Wirkstoffe gezielt limitierende Grenzflächen überwinden.

434 | 

HNO 6 · 2014

Der Einsatz magnetischer Partikelsysteme auf der Basis von Eisenoxid ermöglicht neue Ansätze in der bildgebenden Diagnostik sowie auf dem Gebiet des magnetisch gesteuerten „drug targeting“. Neben Eisenoxid- können auch Gold-NP zur Hyperthermietherapie verwendet werden [1]. In der regenerativen Medizin werden durch nanomedizinische Verfahren Trägermaterialien für den zellulären Gewebeersatz hergestellt [26]. Weitere Einsatzfelder waren die Entwicklung nanoporöser Dialysefilter sowie gezielte Oberflächenbeschichtungen von Implantaten und Kathetern mit Ag-NP. In der experimentellen Onkologie wird zudem derzeit die Nutzung photokatalytisch aktiver NP für oberflächliche Therapieansätze von Malignomen evaluiert [11]. Die Bauindustrie setzt eine Vielzahl nanoskaliger Materialien ein. Hierzu zählen u. a. Silikatpartikel, „carbon nanotubes“ oder UV-aktive NP wie TiO2. Ziel ist die Veränderung der Materialstabilität und -haltbarkeit, der Hitze- und UV-Beständigkeit und die Gewichtsreduktion. Die Erstellung einer exakten Übersicht über den Einsatz synthetischer NP ist schwierig, da noch keine Deklarationspflicht für Nanoprodukte besteht. Europaweite Initiativen zur Registrierung von Nanomaterialien könnten hierbei die Information für Konsumenten und wissenschaftliche Institutionen verbessern.

Bewertung des gesundheitsschädigenden Potenzials Das gefährdende Potenzial von NP für den Menschen kann bis dato nur abgeschätzt werden, trotzdem werden Nanomaterialien industriell in immer größerem Maße verarbeitet. Neben der Testung der zellabtötenden Wirkung von NP ist auch eine Evaluation der DNA-schädigenden Potenz notwendig. Speziell zur Nanogenotoxizität ist die Datenlage allerdings äußerst lückenhaft. Ebenso sind die Zellschädigungsmechanismen weitgehend ungeklärt. Die Abklärung toxischer Effekte von NP bleibt weit hinter der Fortentwicklung der übrigen Nanotechnologie zurück. Ursache für oftmals widersprüchliche toxikologische Charakterisierungen sind v. a. unterschiedliche physikalische und

chemische Eigenschaften der untersuchten NP [17]. Da aber die Wirkungen von NP auf humane Zellen gerade von Oberflächeneigenschaften abhängen, sind die Ergebnisse vorhandener Studien selten vergleichbar. Eine adäquate Partikelcharakterisierung und Darlegung des experimentellen Aufbaus der toxikologischen Studien ist daher zwingend notwendig. Neben der durchschnittlichen Größendimension der Einzelpartikel müssen die Oberfläche und Form, die Größenverteilung der Partikelagglomerate sowie die Oberflächenladung der Partikel und, je nach verwendetem Material, die kristalline Struktur bestimmt und angegeben werden [23].

Aufnahme von NP in den menschlichen Organismus Die Aussagen zur vermuteten Biokinetik von Nanomaterialien im humanen Organismus werden im Wesentlichen aus Tierexperimenten und In-vitro-Studien extrapoliert. Aufgrund der Anwendungsgebiete von NP ist insbesondere die transkutane, pulmonale und gastrointestinale Aufnahme zu diskutieren. Durch den regelhaften Einsatz in Kosmetika und Textilien stellt die Haut ein wichtiges Kontaktorgan des Menschen für NP dar. Toxizitätsuntersuchungen von NP in Sonnenschutzprodukten müssen sich in erster Linie mit der Hautdurchwanderung der Materialien befassen. Insbesondere ZnO- und TiO2-NP wurden diesbezüglich untersucht. Ein intaktes Stratum corneum der Haut wird als eine suffiziente Barriere gegenüber NP angesehen. Dies wurde sowohl in In-vitro- als auch In-vivo-Studien bestätigt. Es existieren auch Untersuchungen zur Hautpenetration von NP in UV- oder mechanisch geschädigter Haut. Ein Eindringen der NP konnte hier allerdings nur in die oberflächlichen Hautschichten beobachtet werden. Relevante Schädigungen sind aber nur dann möglich, wenn NP Kontakt mit der basalen Zellschicht der Haut erhalten. Hierzu müsste ein erheblicher Hautschaden vorliegen. Das Anwendungsrisiko von NP in Kosmetika steigt somit in Abhängigkeit vom Ausmaß der Hautschädigung [22].

Zusammenfassung · Abstract

»

Die Haut ist ein wichtiges Kontaktorgan des Menschen für NP Aufgrund der sehr großen Schleimhautoberfläche ist die Lunge ebenfalls ein relevantes Expositionsorgan des Menschen für NP. Die Deposition inhalierter Teilchen im Atemwegstrakt hängt u. a. von deren Durchmesser ab: distale Schleimhautregionen werden v. a. von sehr kleinen Partikeln (

[Risk assessment of nanoparticles in consumer products].

Nanomaterials are not just used in various areas of scientific research, but are increasingly found in consumer products. Particularly the cosmetic an...
558KB Sizes 3 Downloads 3 Views